Deutscher Bundestag Auslandseinsätze der Bundespolizei unter Frontex-Koordination Verfassungs- und dienstrechtliche Fragen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 334/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 334/11 Seite 2 Auslandseinsätze der Bundespolizei unter Frontex-Koordination Verfassungs- und dienstrechtliche Fragen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 334/11 Abschluss der Arbeit: 3. November 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 334/11 Seite 3 1. Hintergrund Im Zuge des europäischen Integrationsprozesses hat sich das Vorgehen gegen irreguläre Migration von der nationalen auf die europäische Ebene verschoben. Aus einer innerstaatlichen Aufgabe wurde eine Unionsaufgabe.1 In diesem Zusammenhang werden Beamte der Bundespolizei eingesetzt , um gemeinsam mit Beamten anderer Mitgliedstaaten, diejenigen Staatsgrenzen zu schützen , die die Außengrenzen der EU bilden. Zur Koordination solcher Einsätze wurde die europäische Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen („FRONTEX“) gegründet. 2. Verfassungsrechtliche Aspekte Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich die Frage, ob Beamte der Bundespolizei bei FRONTEX-Einsätzen deutsche Hoheitsgewalt ausüben und dementsprechend nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte sowie nach Art. 20 Abs. 3 GG an die deutsche Rechtsordnung insgesamt gebunden sind. 2.1. Rechtsgrundlagen der FRONTEX-Einsätze Der Agentur FRONTEX kommt nach Art. 2 FRONTEX-VO2 die Aufgabe der Koordination und Unterstützung der Mitgliedstaaten bei deren grenzschützender Tätigkeit zu. Eingriffsbefugnisse zur Grenzübertrittskontrolle und Grenzüberwachung stehen der Behörde selbst dagegen nicht zu. Diese sollen vielmehr nach Art. 10 Abs. 1 FRONTEX-VO durch Grenzschutzbeamte der Mitgliedstaaten wahrgenommen werden. Die materiellen Rechtsgrundlagen für polizeirechtliche Eingriffe sind dabei nicht der FRONTEX- VO zu entnehmen. Vielmehr unterliegen gemäß Art. 10 Abs. 2 FRONTEX-VO die Beamten der Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung von Durchführungsbefugnissen dem Gemeinschaftsrecht sowie dem nationalen Recht des Einsatzmitgliedstaates. Entsprechendes regelt die RABIT-VO3, die die Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke normiert, in Art. 9 Abs. 1. Somit richten sich die Eingriffsbefugnisse der eingesetzten Polizeibeamten nach dem materiellen Recht des Einsatzstaates, welches durch europäisches Sekundärrecht ausgestaltet wird.4 2.2. Organleihe Problematisch ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass nationales Recht grundsätzlich nur seine eigenen Amtswalter binden und verpflichten kann.5 Es bedarf folglich einer Integration der 1 Mrozek, Organleihe an den Außengrenzen Europas, DÖV 2010, S. 886 (886). 2 VO (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26.10.2004, ABl 2004 Nr. L 349/1, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:349:0001:0011:DE:PDF. 3 VO (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007, ABl 2007 Nr. L 199/30, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2007:199:0030:0039:DE:PDF. 4 Mrozek (Fn. 1), S. 889, 890. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 334/11 Seite 4 Hoheitsträger des Herkunftsmitgliedsstaates in das verwaltungsrechtliche Organisationsgefüge des Einsatzmitgliedstaates. Diese könnte durch das Instrument der Organleihe erfolgen.6 Im Rahmen der Organleihe wird das Organ eines Rechtsträgers (Verleiher) ermächtigt, den Aufgabenbereich eines anderen Rechtsträgers (Entleiher) nach außen hin wahrzunehmen, indem es als dessen Organ tätig wird. Dabei ist das entliehene Organ den Weisungen des Entleihers unterworfen und handelt nach dem für diesen geltenden Recht. Es werden folglich keine neuen Kompetenzen begründet. Rechtlich werden die Handlungen und Entscheidungen des entliehenen Organs dem ausleihenden Verwaltungsträger unmittelbar zugerechnet.7 Übertragen auf die Konstellation eines FRONTEX-Einsatzes bedeutet dies, dass die Beamten des Herkunftsmitgliedsstaates – also der Bundespolizei – im Wege der Organleihe in die Hoheitsgewalt des Einsatzmitgliedstaates eingebunden werden. Demnach üben sie keine deutsche öffentliche Gewalt aus.8 Dies hat Konsequenzen für die Grundrechtsbindung der Beamten. Die Grundrechte des GG binden die deutsche Staatsgewalt nach Art. 1 Abs. 3 GG ohne räumliche Beschränkung, also grundsätzlich auch im Ausland. Allerdings dürfte dies nur in den seltenen Fällen gelten, in denen Beamte im Ausland deutsche Hoheitsgewalt ausüben.9 In der vorliegenden Konstellation handelt es sich jedoch, wie eben dargestellt, gerade nicht um die Ausübung deutscher Hoheitsgewalt. Folglich besteht in diesem Zusammenhang keine Bindung der Beamten der Bundespolizei an die Grundrechte des GG. Dementsprechend gilt auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Handlungen von Beamten der Bundespolizei im Rahmen von FRONTEX-Einsätzen können folglich nur vor den Gerichten des jeweiligen Einsatzmitgliedstaates angefochten werden.10 Die zu Sicherung der Außengrenzen eingesetzten Beamten handeln freilich nicht ohne jegliche Grundrechtsbindung. Da sie Unionsrecht ausführen, bspw. den Schengener Grenzkodex11, sind sie an die Grundrechtecharta der EU (GRC)12 gebunden, Art. 51 Abs. 1 GRC.13 5 Mrozek (Fn. 1), S. 890. 6 Mrozek (Fn. 1), S. 890. 7 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Auflage 2011, § 21 Rn. 54; BVerfGE 63, S. 1 (31ff.); Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 7. Auflage 2008, § 4 Rn. 39. 8 Mrozek (Fn. 1), S. 891. 9 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Loseblatt, 42. ErgLfg. 2011, Art. 1 Rn. 71; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar GG, Edition 11, 2011, Art. 1 Abs. 3 Rn. 75. 10 Mit möglichen strafrechtlichen Konsequenzen für Handlungen von Beamten der Bundespolizei im Rahmen von FRONTEX-Einsätzen befasst sich die Ausarbeitung des Fachbereichs WD 7. 11 Verordnung (EG) 562/2006 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl. L vom 13. April 200; abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2006:105:0001:0032:DE:PDF 12 ABl. C 303 vom 14. Dezember 2007; abrufbar unter: . http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:083:0389:0403:de:PDF 13 Mit Fragen des Grundrechtsschutzes nach der GRC im Rahmen von FRONTEX-Einsätzen befasst sich Ausarbeitung des Fachbereichs WD 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 334/11 Seite 5 3. Dienstrechtliche Aspekte Dienstrechtlich bleiben die Beamten gemäß Art. 7 Abs. 1 RABIT-VO Organe ihres Herkunftsmitgliedsstaates und werden auch von diesem besoldet. Konsequenterweise sind sie gemäß Art. 9 Abs. 2 RABIT-VO weiterhin den Disziplinarmaßnahmen ihres Herkunftsstaates unterworfen. Eine entsprechende Regelung fehlt zwar in der Frontex-VO, dies wird aber für ein redaktionelles Versehen gehalten, da die beiden Verordnungen ansonsten einheitlich ausgestaltet sind.14 Insgesamt kommt einem entliehenen Beamten mithin eine Doppelstellung zu, die unter anderem Fragen hinsichtlich des beamtenrechtlichen Remonstrationsrechts aufwirft. 3.1. Ausübung des Remonstrationsrechts Das Bundespolizeibeamtengesetz15 bestimmt in § 2, dass für die Beamten der Bundespolizei grundsätzlich die allgemeinen beamtenrechtlichen Regelungen, also das Bundesbeamtengesetz (BBG)16 gelten. § 63 Abs. 2 BBG regelt die Remonstration im Beamtenverhältnis. Danach müssen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung unverzüglich geltend gemacht werden. Dies schützt die Beamten, die nach § 63 Abs. 1 BBG für die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen die volle persönliche Verantwortung tragen. Aufgrund ihrer Weisungsgebundenheit können sie in einen Konflikt zwischen Gehorsam gegenüber ihrem Dienstherren und ihrer eigenen Verantwortung geraten. Diesen soll das Instrument der Remonstration auflösen. Daher korrespondiert mit der Remonstrationspflicht auch ein Recht auf Remonstration. Im Zusammenhang mit FRONTEX-Einsätzen stellt sich jedoch die Frage, wem gegenüber der Beamte ein solches Recht ausüben könnte, da er einerseits den Weisungen der Beamten des Einsatzmitgliedstaates unterworfen ist (vgl. Art. 10 Abs. 2 FRONTEX-VO), andererseits dienstrechtlich seinem Herkunftsstaat zugeordnet wird (Art. 7 Abs. 1 RABIT-VO). Gemäß § 63 Abs. 2 BBG sind rechtliche Bedenken bei der oder dem unmittelbaren Vorgesetzen geltend zu machen. Der Begriff des Vorgesetzen wird wiederum in § 3 BBG näher bestimmt. Danach ist der Vorgesetze entsprechend dem Aufbau der Verwaltung jeder dem Beamten in der Behördenorganisation dienstlich übergeordnete Amtswalter. Dieser braucht selbst nicht Beamter zu sein. Allerdings muss eine Abgrenzung zum Weisungsberechtigten erfolgen. Letzterer kann dem Beamten nur in Einzelfällen fachliche Weisungen erteilen.17 Fraglich ist demnach, wer in der Konstellation eines FRONTEX-Einsatzes Vorgesetzter des im Ausland tätigen Bundespolizisten ist. Hierzu ist zu klären, welches dienstrechtlichen Instrumentes sich die oberste Dienstbehörde der Bundesrepublik Deutschland bedient, wenn sie Beamte der Bundespolizei zu FRONTEX-Einsätzen schickt. In Betracht kommt dabei das Instrument der 14 Mrozek (Fn. 1), S. 891. 15 Bundespolizeibeamtengesetz vom 3. Juni 1976 (BGBl. I S. 1357), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) geändert worden ist. 16 Bundesbeamtengesetz vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 28. April 2011 (BGBl. I S. 687) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-iminternet .de/bbg_2009/BJNR016010009.html. 17 Battis, in: Bundesbeamtengesetz Kommentar, 4. Auflage 2009, § 3 Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 334/11 Seite 6 Abordnung nach § 27 BBG oder das der Zuweisung gemäß § 29 BBG. In ersterem Fall findet ein Wechsel des Vorgesetzten statt, da der Beamte vorübergehend in einer anderen Behörde Dienst leistet.18 Eine Abordnung setzt allerdings die Dienstherrenfähigkeit der Einrichtung voraus, in der der Beamte tätig werden soll. Diese richtet sich nach § 2 BBG und ist für nicht-deutsche Institutionen ausgeschlossen. Für die Übertragung einer zeitlich befristeten Tätigkeit im internationalen, supranationalen oder zwischenstaatlichen Kontext steht dagegen das Instrument der Zuweisung nach § 29 BBG zur Verfügung.19 Dieses Instrument hat mit der Abordnung gemeinsam, dass der Dienst nunmehr für eine andere Einrichtung erfolgt, der Beamte mithin für die Dauer seiner Tätigkeit den Weisungen der ihm übergeordneten Beschäftigten dieser Einrichtung unterliegt. Unter diesem Aspekt besteht eine zur Abordnung vergleichbare Situation, so dass auch hier von einem Wechsel des Vorgesetzen auszugehen ist. Mithin ist das Remonstrationsrecht gegenüber den Vorgesetzen des Einsatzmitgliedstaates auszuüben. Dies ist auch systemgerecht, da die Weisungsbefugnis nur noch dem neuen Vorgesetzen zusteht und das Mittel der Remonstration ein Gegengewicht dazu darstellen soll. Die Tatsache, dass der Bundespolizeibeamte weiterhin dem Disziplinarverfahren seines deutschen Dienstherrn unterliegt, stellt nur einen scheinbaren Widerspruch zu dieser Lösung dar. Denn die Zuweisung ist als ein Weisung zu verstehen, den Anordnungen der Einrichtung, zu der zugewiesen ist, Folge zu leisten. Demzufolge können Verstöße gegen derartige Anordnungen Dienstvergehen darstellen.20 Inwieweit Beamte der Bundespolizei im Rahmen von FRONTEX-Einsätzen ihr Remonstrationsrecht ausgeübt haben bzw. ob es hierbei zu Schwierigkeiten gekommen ist, lässt sich anhand allgemein zugänglicher Quellen nicht feststellen. 3.2. Remonstration bei Straftaten und Verletzung der Menschenwürde Grundsätzlich entbindet eine Remonstration den Beamten von seiner persönlichen Verantwortung . Bestätigt der Vorgesetzte die in Frage gestellte Anordnung, bleibt der Beamte allerdings an die Weisung gebunden, ohne für eine etwaige Rechtswidrigkeit derselben zu haften. Verletzt das aufgetragene Verhalten jedoch erkennbar die Würde des Menschen (Art. 1 GRC) oder ist strafbar (bzw. ordnungswidrig), so ist der Beamte von der Pflicht zur Ausführung der Weisung nach § 63 Abs. 2 BBG befreit. Führt er die Weisung dennoch aus, ist er straf- und disziplinarrechtlich hierfür verantwortlich.21 18 Franke, in: Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, Band I Teil 2c Kommentar Bundesbeamtengesetz, Lfg. 3/2010, § 3 Rn. 14. 19 BT-Drucks. 16/7076, S. 108; Summer, in: (Fn. 18), § 29 Rn. 2; Auerbach, Das neue Bundesbeamtengesetz, 1. Auflage 2009, Erläuterungen zu § 29 BBG neu, S.58, 59. 20 vgl. Summer, in: Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, Band I Teil 2a Kommentar Bundesbeamtengesetz, Lfg. 10/2009, § 27 Rn. 22 zum ehemaligen § 123 a BRRG, der inhaltlich dem neuen § 29 BBG entspricht. 21 Battis (Fn. 17) § 63 Rn. 6.