Grundrechtsbindung deutscher Stellen bei nachrichtendienstlicher Tätigkeit im Ausland - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 332/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Grundrechtsbindung deutscher Stellen bei nachrichtendienstlicher Tätigkeit im Ausland Ausarbeitung WD 3 - 332/07 Abschluss der Arbeit: 9. Oktober 2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Nach allgemeiner Auffassung setzt hoheitliches Handeln begrifflich eine Grundrechtsrelevanz der in Rede stehenden Maßnahme voraus. Ob hoheitliches Handeln bei nachrichtendienstlicher Tätigkeit deutscher Stellen im Ausland vorliegt, hängt damit von der Reichweite der Grundrechtsbindung ab. Nach Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG) binden die Grundrechte des Grundgesetzes Gesetzgebung , vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Diese Bestimmung nimmt eine Schlüsselrolle bei der Geltungsreichweite der Grundrechte im Ausland ein. Nach herrschender Meinung ist diese umfassend formulierte Grundrechtsbindung staatlicher Gewalt für Sachverhalte mit Auslandsbezug einzuschränken. Die hierzu entwickelten Lösungsansätze sind vielfältig. Die Rechtsprechung und überwiegende Auffassung in der Literatur vertreten, dass das dem Grundgesetz zugrundeliegende Prinzip seiner Einbettung in die internationale Staats- und Rechtsgemeinschaft eine von der Verfassung selbst angeordnete Möglichkeit der Einschränkung der Wirkkraft der Grundrechtsverbürgungen des Grundgesetzes darstellt. Diese finde ihre Grenze, wo sie gegen unabdingbare Grundprinzipien der deutschen öffentlichen Ordnung verstoße, die unter Berücksichtigung des Wesensgehalts der Grundrechte im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG und mittels des für das jeweilige Grundrecht bestehenden völkerrechtlichen Mindeststandards im Sinne von Art. 25 GG zu bestimmen sei. Die herrschende Meinung geht für Deutsche sowohl bei Deutschen- als auch bei Jedermanngrundrechten von einer Grundrechtsbindung im Ausland aus. Wenn die deutsche Staatsgewalt gegenüber einem Ausländer im Ausland handelt, dürfte sie grundsätzlich an die Grundrechte gebunden sein, die als Jedermanngrundrechte auch für Ausländer gelten. Es wird aber auch angeführt, dass ein Ausländer kraft seiner Staatsangehörigkeit vor allem der Personalhoheit seines Staates unterliegt; er befindet sich in erster Linie im Rechts- und Verantwortungsbereich dieser Staatsgewalt . Die Verknüpfung mit der fremden Rechtsordnung, die die deutsche Staatsgewalt völkerrechtlich zu respektieren hat, könne nicht ohne Folgen für die Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt gegenüber Ausländern sein. Eine grundsätzliche Bindung deutscher Staatsgewalt im Ausland bei nachrichtendienstlicher Tätigkeit dürfte nach alledem - zumindest für Deutsche - zu bejahen sein. Nach den oben dargestellten Kriterien der Grundrechtsbindung im Ausland wäre nach der herrschenden Meinung aber darüber hinaus hier zu klären, inwieweit sich eine Beschränkung aus der Einbindung Deutschlands in die internationale Staats- und Rechtsgemeinschaft ergibt. Diese Frage kann aber nicht generell für die nachrichtendienstliche Tätigkeit beantwortet werden, sondern müsste im Einzelfall geprüft werden . Grundrechtliche Schutzpflichten bestehen sowohl für Deutsche im Ausland als auch - nach einer zum Teil vertretenen Auffassung - in Einzelfällen für Ausländer im Ausland. Beruft sich ein Ausländer im Ausland auf die Schutzpflicht des deutschen Staates, ist hiernach für die Schutzgewähr entscheidend, ob die Gefahrenquelle in den Verantwortungsbereich der Bundesrepublik fällt. In der Konkretisierung der Schutzpflicht wird staatlichen Organen überwiegend ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zugebilligt. Bejaht man grundsätzlich eine Schutzpflicht deutscher Stellen, dürfte diese auch bei nachrichtendienstlicher Tätigkeit im Ausland zu beachten sein. Inhalt 1. Einleitung 5 2. Nachrichtendienstliche Aktivitäten im Ausland als hoheitliches Handeln (Frage a) 7 3. Grundrechtsbindung deutscher Nachrichtendienste bei Tätigkeit im Ausland (Frage b) 9 3.1. Art. 1 Abs. 3 GG 9 3.1.1. Völkerrechtliche Gebietshoheit als alleiniger Maßstab 9 3.1.2. Grundstatusthese 10 3.1.3. Einschränkung der Grundrechtsbindung bei Auslandsbezug wegen Einbettung in die internationale Staats- und Rechtsgemeinschaft und Betrachtung im Einzelfall 10 3.1.4. Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG 13 4. Grundrechtliche Schutzpflichten (Frage c) 15 4.1. Garantie der grundrechtlichen Schutzpflichten 15 4.2. Anwendung auf Auslandssachverhalte 16 4.2.1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 17 4.2.2. Literatur 18 4.2.2.1. Anerkennung der Schutzpflicht gegenüber Deutschen bei Auslandssachverhalten 18 4.2.2.2. Schutzgewähr in Ausnahmefällen auch gegenüber Ausländern 19 4.2.2.3. Keine Anwendung der grundrechtlichen Schutzpflicht bei Auslandssachverhalten 20 4.2.2.4. Begründung des Auslandsschutzes aufgrund der staatsrechtlichen Grundbeziehung von Staat und Bürger (verfassungsrechtlicher Auslandsschutz) 20 4.2.2.5. Nur Pflicht zur pflichtgemäßen Ermessensausübung 21 4.2.2.6. Konkretisierung der Schutzpflicht in § 8 G 10 21 - 5 - 1. Einleitung Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst1 (BNDG) sammelt der Bundesnachrichtendienst (BND) zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus. Zu diesem Zweck bedient sich der BND nachrichtendienstlicher Mittel, wie z. B. verdeckter Beobachtungen und Befragungen, heimlicher optischer Mittel, V-Leuten und akustischer Mittel.2 U. a. wird die Fernmeldeaufklärung eingesetzt, also das verdeckte Mithören und Mitschneiden des Telefon-, Telegrafen- oder Telefaxverkehrs.3 Aus technischer Sicht wird dies zunehmend einfacher, da die moderne Telekommunikation in immer stärkerem Ausmaße nicht leitungsgebunden über elektromagnetische Wellen abgewickelt wird.4 Fernmeldeaufklärung kann sowohl im In- als auch im Ausland durchgeführt werden . Gemäß Art. 10 Abs. 1 GG sind das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich; nach Art. 10 Abs. 2 GG dürfen Beschränkungen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Zu diesem Zweck wurden die Befugnisse der Nachrichtendienste im Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses 5 (Artikel-10-Gesetz, - G 10 - ) geregelt. Bis zum Jahr 1994 war es dem BND gem. § 3 Abs. 1 G 10 a. F. nur erlaubt, internationale Fernmeldeverkehrsbeziehungen zwischen Deutschland und näher bestimmten ausländischen Staaten zu überwachen und den Inhalt der Kommunikation aufzuzeichnen, um die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen und abzuwehren.6 Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz7 vom 28. 10. 1994 wurden die Befugnisse des BND für die strategische Fernmeldeaufklärung im Rahmen der internationalen Telex-, Telefonund Telefaxverkehrkontrolle erheblich erweitert.8 Mit der Gesetzesnovelle wurde dem BND gestattet, internationale nicht leitungsgebundene Fernmeldeverkehrsbeziehungen, also Richtfunk und Telekommunikation via Satellit, zu kontrollieren und Nachrichten 1 BND-Gesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2979), zuletzt geändert durch Artikel 4 u. 10 Abs. 3 des Gesetzes vom 5. Januar 2007 (BGBl. I S. 2). 2 Gröpl, Christoph, Das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG vor dem Hintergrund des internationalen Aufklärungsauftrages des Bundesnachrichtendienstes, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1995, 13 (14). 3 Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (14). 4 Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (14). 5 Artikel 10-Gesetz vom 13. August 1968 (BGBl. I, 949) mit Änderungen, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S. 106). 6 Vgl. Huber, Bertold, Das neue G-10-Gesetz, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2001, 3296. 7 BGBl. I, 3186. 8 Huber, in: NJW 2001, 3296. - 6 - über Sachverhalte zu sammeln, deren Kenntnis notwendig ist, um z. B. Terrorgefahren rechtzeitig zu erkennen und ihnen zu begegnen.9 Gegen die erweiterte Abhörbefugnis des BND aufgrund verschiedener neuer Regelungen im G 10 richteten sich mehrere Verfassungsbeschwerden.10 In dem daraufhin ergangenen Urteil11 vom 14. Juli 1999 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellt, dass dem BND grundsätzlich die Befugnis zum Abhören zusteht. Verschiedene Regelungen des G 10 i. d. F. vom 28. Oktober 1994 hätten aber gegen Art. 10 GG verstoßen. Das BVerfG verpflichtete den Gesetzgeber, bis zum 30. Juni 2001 die gerügten verfassungsrechtlichen Mängel des G 10 a. F. zu beseitigen. Mit dem am 29. Juni 2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10) vom 26. Juni 2001 ist der Deutsche Bundestag diesem Auftrag noch fristgerecht nachgekommen. Er nahm das Urteil des BVerfGs zugleich zum Anlass, das G 10 grundlegend zu überarbeiten, verständlicher zu formulieren und übersichtlicher zu gestalten.12 Ziel des Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen des G 10 war es, den beteiligten Behörden entsprechend den Vorgaben des BVerfG vor allem strengere Pflichten beim Umgang mit personenbezogenen Daten aufzuerlegen, die im Rahmen der Individualüberwachung (§ 3 G 10) oder der strategischen Fernmeldekontrolle (§ 5 G 10) erlangt worden sind.13 Ferner wurden die Kontrollbefugnisse der G-10-Kommission erweitert .14 Schließlich sind Änderungen im Hinblick auf die fortschreitende technische Entwicklung vorgenommen und Lücken des G 10 a. F. geschlossen worden.15 Zu Art. 10 GG führte das BVerfG aus, dass auch Telekommunikation im Ausland jedenfalls dann vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst sei, wenn die Kommunikation mit Empfangsanlagen des BND im Inland erfasst und aufgezeichnet werde. In einem solchen Fall sei eine ausreichende Verknüpfung zwischen Kommunikation im Ausland und staatlichem Handeln im Inland gegeben. Mangels Zulässigkeit der Verfassungsbe- 9 Huber, in: NJW 2001, 3296. 10 Vgl. Rupprecht, Reinhard, Zulässigkeit technischer Kommunikationsaufklärung durch den Bundesnachrichtendienst (BND), Zeitschrift für innere Sicherheit in Deutschland und Europa (ZFIS) 1999, 256 (257). 11 BVerfGE 100, 313. 12 Huber, in: NJW 2001, 3296. 13 Huber, in: NJW 2001, 3296. 14 Huber, in: NJW 2001, 3296. 15 Huber, in: NJW 2001, 3296. - 7 - schwerde eines ausländischen Beschwerdeführers hatte das Gericht nicht zu entscheiden , was im Falle von Kommunikationen ausländischer Teilnehmer im Ausland im Einzelnen gilt.16 Ebenso war nicht die Frage zu beantworten, ob Art. 10 GG und weitere Grundrechte zu beachten sind, wenn Abhörmaßnahmen durch Nachrichtendienste ohne Inlandsbezug durchgeführt werden. In dieser Ausarbeitung ist zu untersuchen, ob nachrichtendienstliche Aktivitäten deutscher Stellen im Ausland hoheitliches Handeln darstellt, diese Stellen dabei an die Grundrechte gebunden sind und inwieweit grundrechtliche Schutzpflichten deutscher Stellen bestehen. Dabei ist zu prüfen, ob bei etwaigen Grundrechtseingriffen eine Differenzierung zwischen deutschen oder ausländischen Staatsangehörigen zu treffen ist. 2. Nachrichtendienstliche Aktivitäten im Ausland als hoheitliches Handeln (Frage a) Der Begriff „Hoheitliches Handeln“ ist legal nicht definiert. Als hoheitliches Handeln bzw. Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse wird allgemein die öffentlich-rechtliche Entscheidungstätigkeit der sog. Eingriffsverwaltung und der Leistungsverwaltung bezeichnet .17 Charakteristisch für das hoheitliche Handeln des Staates ist die Relevanz seiner Maßnahmen in Bezug auf die Grundrechte des Bürgers. Vereinzelt wird der Begriff der staatlichen Gewalt weiter eingeschränkt. So wird vertreten , dass Hoheitsgewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG eine dynamische Verweisung auf das Völkerrecht beinhalte mit der Folge, dass diese nur dann ausgeübt werde, wenn der Staat innerhalb seiner völkerrechtlichen Zuständigkeit handele. In erster Linie sei daher staatliche Gewalt nach innen beschränkt.18 Handeln des Staates im Ausland dürfte danach regelmäßig nicht als hoheitliches Handeln zu qualifizieren sein. Diese Auffassung wird allerdings überwiegend unter Hinweis auf die umfassende Bindung des Art. 1 Abs. 3 GG abgelehnt, mit der eine Freizeichnung irgendwie sich äußernder Staatsgewalt vermieden werden soll.19 16 Vgl. Pressemitteilung des BVerfG, Nr. 74 vom 14. Juli 1999, AI3. 17 Pieroth, Bodo, in: Jarass, Hans/Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 9. Auflage, München 2006, Art. 33, Rn. 41. 18 Heintzen, Markus, Auswärtige Beziehungen privater Verbände, Berlin 1988, S. 119 f. 19 Vgl. etwa Elbing, Gunther, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug , Berlin 1992, S. 75; Yousif, Muna A., Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, Frankfurt a. M. 2007, S. 37. - 8 - Als grundrechtrelevante Tätigkeiten des BND kommen etwa Abhörmaßnahmen in Betracht . Das gemäß Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis umfasst zunächst den Kommunikationsinhalt. Die öffentliche Gewalt soll grundsätzlich nicht die Möglichkeit haben, sich Kenntnis vom Inhalt des über Fernmeldeanlagen abgewickelten mündlichen oder schriftlichen Informations- und Gedankenaustauschs zu verschaffen. Einen Unterschied zwischen Kommunikationen privaten und anderen, etwa geschäftlichen oder politischen , Inhalts macht Art. 10 GG dabei nicht.20 Der Grundrechtsschutz bezieht sich vielmehr auf alle mittels der Fernmeldetechnik ausgetauschten Kommunikationen. In der Abschirmung des Kommunikationsinhalts gegen staatliche Kenntnisnahme erschöpft sich der Grundrechtsschutz jedoch nicht. Er umfasst ebenso die Kommunikationsumstände . Dazu gehört vor allem, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Fernmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist.21 Auch insoweit kann der Staat grundsätzlich keine Kenntnis beanspruchen. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich möglich sein. Ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 GG wird u. a. bereits durch die Erfassung vor der Kenntnisnahme des Inhalts eines Fernmeldevorganges durch einen Mitarbeiter des BND angenommen, sofern damit die Kommunikation für den BND verfügbar gemacht und die Basis für den Abgleich mit Sachbegriffen geschaffen wird, auch wenn die erfassten Daten nicht sofort bestimmten Personen zugeordnet werden können.22 Der Eingriff setzt sich mit der Speicherung fort; desgleichen kommt dem Abgleich mit Suchbegriffen Eingriffscharakter zu, gleichgültig, ob der Abgleich maschinell oder personell erfolgt.23 Gleiches gilt für die Übermittlung personenbezogener Daten an andere Stellen .24 Durch Abhörmaßnahmen des BND als hoheitliche Maßnahme wird also in den Schutzbereich des Art. 10 GG beim Tätigwerden vom oder in das Inland eingegriffen, d. h. wenn ein territorialer Bezug zur Bundesrepublik Deutschland besteht.25 Fraglich ist, ob Nachrichtendienste ebenfalls hoheitlich handeln, wenn sie lediglich im Ausland ohne territorialen Bezug zum Inland tätig sind. Nach der oben gegebenen Definition hoheitlichen Handelns, die gerade die Grundrechtsrelevanz der Maßnahme voraussetzt, ist diese Frage letztlich abhängig von der im Folgenden zu klärenden Problematik der Grundrechtsbindung bei der Tätigkeit staatlicher Stellen im Ausland. 20 BVerfGE 67, 157 (172). 21 BVerfGE 67, 157 (172); 85, 386 (396). 22 Rupprecht, in: ZFIS 1999, 256 (257). 23 Rupprecht, in: ZFIS 1999, 256 (257). 24 Rupprecht, in: ZFIS 1999, 256 (257). 25 BVerfGE 100, 313. - 9 - 3. Grundrechtsbindung deutscher Nachrichtendienste bei Tätigkeit im Ausland (Frage b) Fraglich ist, ob staatliche Stellen bei nachrichtendienstlichen Aktivitäten an die deutschen Grundrechte gebunden sind, wenn sie lediglich im Ausland gegenüber Deutschen oder Ausländern ohne Inlandsbezug tätig werden, also beispielsweise Abhörmaßnahmen nur im Ausland ohne Empfang im Inland durchführen. 3.1. Art. 1 Abs. 3 GG Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte des Grundgesetzes Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Für Sachverhalte mit Auslandsbezug ist diese umfassend formulierte Grundrechtsbindung staatlicher Gewalt nach mehrheitlicher Auffassung einzuschränken. Die hierzu entwickelten Lösungsansätze sind vielfältig. Auch wenn ein verminderter Grundrechtsstandard für diese Fälle befürwortet wird, bleibt die dogmatische Struktur dieser Forderung nach geringerem Schutzumfang im Wesentlichen unklar.26 Es wird zumeist nicht deutlich, wie sich die Forderung nach einem eingeschränkten Grundrechtschutz methodisch verwirklichen soll. Ein einheitliches Bewertungsinstrumentarium findet sich nicht. Eine umfassende Beschreibung des Meinungstandes27 ist aus diesem Grunde hier nicht darstellbar. Im Folgenden soll daher nur ein Überblick über einige in Rechtsprechung und Literatur vertretene Auffassungen zur Reichweite der Bindungswirkung für Sachverhalte mit Auslandsbezug gegeben werden. 3.1.1. Völkerrechtliche Gebietshoheit als alleiniger Maßstab Mit Rücksicht auf das völkerrechtliche Institut der Gebietshoheit wurde bisweilen in der älteren Literatur die Ansicht vertreten, dass die Grundrechtsgeltung nur im Inland anzunehmen sei,28 denn aufgrund der Gebietshoheit eines Staates sei dieser zur Ausübung von Staatsgewalt durch Hoheitsakte grundsätzlich nur gegenüber den im Staatsgebiet befindlichen Personen und Sachen befugt.29 Bei der hier zu untersuchenden nachrichtendienstlichen Tätigkeit übt die Bundesrepublik Deutschland aber gerade keine Hoheitsgewalt im Staatsgebiet, sondern auf fremdem Hoheitsgebiet aus, so dass hiernach eine Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG sowohl gegenüber Deutschen als auch gegenüber Ausländern zu verneinen wäre. 26 So auch Yousif, a.a.O., S. 111. 27 Vgl. hierzu ausführlich: Elbing, a.a.O.; Hofmann, Rainer, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, Heidelberg 1994; Yousif, a.a.O. 28 Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, München 1988, § 72 V 5, S. 1230. 29 V. Olshausen, Henning, Grundrechte und Anwendung ausländischen Rechts, in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 1974, 652 (654). - 10 - 3.1.2. Grundstatusthese Ähnlich dem unter 3.1.1. beschriebenen Ansatz geht eine im Schrifttum vertretene Auffassung davon aus, dass für die Geltung der Grundrechte ein besonderes personal und/oder territorial definiertes „Grundverhältnis“ des Einzelnen zur deutschen Staatsgewalt bestehen müsse.30 So solle das Merkmal „staatliche Gewalt“ in Art. 1 Abs. 3 GG31 nicht nur die Verpflichtungsadressaten der Grundrechte beschreiben, sondern darüber hinaus ein territorial und personal definiertes „Grundverhältnis“ zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten als Bedingung der Grundrechtsgeltung voraussetzen. Die konkrete Gestalt gebe diesem grundrechtlichen Statusverhältnis die völkerrechtliche Zuständigkeitslehre mit den Instituten der Gebiets- und Personalhoheit .32 Im Ergebnis wird für den territorialen Grundstatus im Wesentlichen auf die Präsenz im Bundesgebiet abgestellt. Darüber hinaus wird auf das Personalitätskriterium rekurriert mit der Konsequenz, dass gegenüber der im Ausland handelnden Staatsgewalt - wie bei den hier in Rede stehenden nachrichtendienstlichen Aktivitäten - nach dieser Auffassung Grundrechtsschutz nur dem deutschen Staatsangehörigen (bei Jedermannund Deutschengrundrechten) zukäme, generell nicht dagegen den im Ausland befindlichen Ausländern.33 3.1.3. Einschränkung der Grundrechtsbindung bei Auslandsbezug wegen Einbettung in die internationale Staats- und Rechtsgemeinschaft und Betrachtung im Einzelfall Das BVerfG34 und die überwiegende Auffassung im Schrifttum35 nehmen die prinzipielle Anwendbarkeit der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes auch für grenzüberschreitende Sachverhalte an.36 Deutsche Staatsgewalt sei nach Art. 1 Abs. 3 GG stets an die Grundrechte gebunden, gleichgültig, ob die Wirkungen ihrer staatlichen Handlungen innerhalb der eigenen oder innerhalb fremder Gebietshoheit einträten.37 Die Grundrechtsbindung sei absolut und umfassend; Freiräume solle es nicht geben.38 Die Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG müsse auch räumlich effektiv sein.39 Nicht nur sei alle Staatsgewalt gebunden, sondern auch die gesamte deutsche Staatsgewalt grundsätz- 30 Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts (HStR) V, § 115 Rn. 84, 87; Heintzen, a.a.O., S. 102 ff. 31 siehe hierzu auch oben 2. 32 Heintzen, a.a.O., S. 102. 33 So auch schlussfolgernd Yousif, a.a.O., S. 80. 34 Vgl. vor allem BVerfGE 100, 313 (363). 35 So etwa Schröder, Meinhard, Zur Wirkkraft der Grundrechte bei Sachverhalten mit grenzüberschreitenden Elementen, in: Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Festschrift für Jürgen Schlochauer, Berlin 1981, S. 137 (138); Hofmann, a.a.O., S. 345; Elbing, a.a.O., S. 314 ff.; Stern, a.a.O., S. 1230. 36 Vgl. Hofmann, a.a.O., S. 345 ff; Stern, a.a.O., S. 1230. 37 Stern, a.a.O., S. 1230. 38 Stern, a.a.O., S. 1230. 39 Stern, a.a.O., S. 1230. - 11 - lich überall dort, wo sie tätig werde oder sich auswirke.40 Das BVerfG und die ganz überwiegende Auffassung in der Lehre stimmen aber auch darin überein, dass die Wirkkraft der Grundrechtsverbürgungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten einzuschränken sei.41 In der eingangs erwähnten Entscheidung zum G 10 stellt das BVerfG42 fest: Aus dem Umstand, dass Art. 1 Abs. 3 GG eine umfassende Bindung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte vorsehe, ergebe sich noch keine abschließende Festlegung der räumlichen Geltungsreichweite der Grundrechte. Das Grundgesetz begnüge sich nicht damit, die innere Ordnung des deutschen Staates festzulegen , sondern bestimme auch in Grundzügen sein Verhältnis zur Staatengemeinschaft . Insofern gehe das Grundgesetz von der Notwendigkeit einer Abgrenzung und Abstimmung mit anderen Staaten und Rechtsordnungen aus. Zum einen sei der Umfang der Verantwortlichkeit und Verantwortung deutscher Staatsorgane bei der Reichweite grundrechtlicher Bindungen zu berücksichtigen. Zum anderen müsse das Verfassungsrecht mit dem Völkerrecht abgestimmt werden. Dieses schließe freilich eine Geltung von Grundrechten bei Sachverhalten mit Auslandsbezügen nicht prinzipiell aus. Ihre Reichweite sei vielmehr unter Berücksichtigung von Art. 25 GG aus dem Grundgesetz selbst zu ermitteln. Dabei könnten je nach den einschlägigen Verfassungsnormen Modifikationen und Differenzierungen zulässig oder geboten sein. Das BVerfG begründet diese Einschränkung der Grundrechtsbindung methodisch nicht weiter, eine allgemein gültige Regel wird nicht aufgestellt.43 Vielmehr betont das Gericht , dass die Einschränkung der Grundrechtsbindung im Ausland nicht generell bestimmbar sei, sondern im Einzelfall vorgenommen werden müsse.44 Es sei jeweils durch Auslegung der entsprechenden Verfassungsnorm festzustellen, ob sie nach Wortlaut , Sinn und Zweck für jede denkbare Anwendung hoheitlicher Gewalt innerhalb der Bundesrepublik gelten wolle oder ob sie bei Sachverhalten mit mehr oder weniger intensiver Auslandsbeziehung eine Differenzierung zulasse oder verlange.45 Die h. M.46 im Schrifttum vertritt die Auffassung einer grundsätzlichen Anwendbarkeit der Grundrechte auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug und kommt - im Wesentlichen der Rechtsprechung des BVerfG folgend - zu dem Ergebnis, dass der internationale Anwendungsbereich eines Grundrechts nur im Einzelfall durch Analyse 40 Stern, a.a.O., S. 1230. 41 Vgl. Fn. 33, 34. 42 BVerfGE 100, 313 (362). 43 Elbing, a.a.O., S. 169. 44 BVerfGE 31, 58; Stern, a.a.O., S. 1234. 45 BVerfGE 31, 58 (77). 46 Verweise bei Heintzen, a.a.O., S. 123. - 12 - seines Tatbestandes ermittelt werden könne. Es wurden vielfältige Kriterien entwickelt , mit denen die Frage geklärt werden soll, ob und in welchem Umfang Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug gelten sollen.47 Aus der Vielfalt der im Einzelnen hierzu vertretenen Positionen lässt sich entnehmen, dass wohl überwiegend48 - entsprechend der oben genannten Argumentation des Bundesverfassungsgerichts - vertreten wird, dass das dem Grundgesetz zugrundeliegende Prinzip seiner Einbettung in die internationale Staats- und Rechtsgemeinschaft eine von der Verfassung selbst angeordnete Möglichkeit der Einschränkung der Wirkkraft der Grundrechtsverbürgungen des Grundgesetzes darstellt. Diese finde ihre Grenze, wo sie gegen unabdingbare Grundprinzipien der deutschen öffentlichen Ordnung verstoße, die unter Berücksichtigung des Wesensgehalts der Grundrechte im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG und mittels des für das jeweilige Grundrecht bestehenden völkerrechtlichen Mindeststandards im Sinne von Art. 25 GG zu bestimmen sei. Die h. M. geht für Deutsche sowohl bei Deutschen- als auch bei Jedermanngrundrechten von einer Grundrechtsbindung im Ausland aus.49 Wenn die deutsche Staatsgewalt gegenüber einem Ausländer im Ausland handelt, dürfte sie grundsätzlich an die Grundrechte gebunden sein, die als Jedermanngrundrechte auch für Ausländer gelten.50 Es wird aber auch angeführt, dass ein Ausländer kraft seiner Staatsangehörigkeit vor allem der Personalhoheit seines Staates unterliegt; er befindet sich in erster Linie im Rechts- und Verantwortungsbereich dieser Staatsgewalt .51 Die Verknüpfung mit der fremden Rechtsordnung, die die deutsche Staatsgewalt völkerrechtlich zu respektieren hat, könne nicht ohne Folgen für die Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt gegenüber Ausländern sein.52 Eine grundsätzliche Bindung deutscher Staatsgewalt im Ausland bei nachrichtendienstlicher Tätigkeit dürfte nach alledem - zumindest für Deutsche - zu bejahen sein. Nach den oben dargestellten Kriterien der Grundrechtsbindung im Ausland wäre nach der herrschenden Meinung aber darüber hinaus hier zu prüfen, inwieweit sich eine Beschränkung aus der Einbindung Deutschlands in die internationale Staats- und Rechtsgemeinschaft ergibt. Diese Frage kann aber nicht generell für die nachrichtendienstliche Tätigkeit beantwortet werden, sondern müsste im Einzelfall geprüft werden. 47 Siehe hierzu die ausführliche Darstellung bei Elbing, a.a.O., S. 188 ff. 48 Vgl. etwa Hofmann, a.a.O., S. 346. 49 Yousif, a.a.O., S. 32; Stern, a.a.O., S. 1232. 50 Yousif, a.a.O., S. 23; Stern, a.a.O., S. 1232. 51 Stern, a.a.O., S. 1232. 52 Stern, a.a.O., S. 1232. - 13 - 3.1.4. Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG Im Folgenden soll noch auf den Meinungsstand zum Bindungsumfang des bei nachrichtendienstlichen Aktivitäten in besonderem Maße relevanten Grundrechts aus Art. 10 GG eingegangen werden. Fraglich ist hier besonders, ob Art. 10 GG Wirkung entfaltet, wenn Fernmeldeverkehr nur im Ausland und nur zwischen Ausländern stattfindet. Ein territorialer Anknüpfungspunkt wäre bei elektromagnetischen Signalen, die im Richtfunk-Transit durch das Bundesgebiet laufen oder die Fernmeldesatelliten auf das Bundesgebiet abstrahlen, noch gegeben: Werden sie hier vom BND als Teil der deutschen Staatsgewalt aufgefangen, so muss Art. 10 GG seine Wirkung entfalten.53 Falls der BND solchen Fernmeldeverkehr durch Abhörstationen im Ausland erfasst, besteht aber keinerlei räumlicher Kontakt mit dem territorialen Geltungsbereich des Grundgesetzes mehr.54 Die damalige Bundesregierung vertrat im Jahre 1993 in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf G 1055 die Auffassung, dass zwar der gesamte drahtlose Fernmeldeverkehr von der Bundesrepublik Deutschland in das Ausland und vom Ausland in die Bundesrepublik Deutschland dem Schutzbereich des Art. 10 GG unterliege. Aus der Begründung zum Gesetzentwurf lässt sich entnehmen, dass die damalige Bundesregierung dagegen der Ansicht war, die Grundrechtsbetroffenheit bei Maßnahmen im grenzüberschreitenden Fernmeldeverkehr, die sich gezielt und ausschließlich auf den Fernmeldeverkehr vom Ausland in das Ausland richteten, sei zu verneinen.56 Es sollten nur diejenigen Fernmeldeteilnehmer grundrechtlich geschützt sein, die bei Maßnahmen im grenzüberschreitenden Fernmeldeverkehr gezielt oder im Fernmeldeverkehr vom Ausland in das Ausland im Einzelfall zufällig betroffen würden.57 Dieser Differenzierung lag der oben beschriebenen, heute nicht mehr vertretenen These von der territorial begrenzten Grundrechtsbindung zugrunde: Grundrechtsschutz könne von der deutschen Staatsgewalt dort gewährleistet werden, wo ein räumlicher Bezug zum Grundgesetz bestehe: Die Bindung an die Grundrechte ende an der Grenze.58 Insoweit unterlägen Sachverhalte mit internationalem Bezug nur eingeschränkt, solche im internationalen Bereich überhaupt nicht dem Grundrechtsschutz des Grundgesetzes.59 53 Vgl. Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (17). 54 Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (17). 55 BT-Drucks. 12/5759 vom 23. September 1993, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - BT-Drucks. 12/5382 vom 02. Juli 1993 - zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP. 56 Vgl. BT-Drucks. 12/5759; BT-Drucks. 12/5382. 57 Vgl. BT-Drucks. 12/5759; BT-Drucks. 12/5382. 58 Vgl. Gusy, Christoph/Hueck, Ingo J., Fernmeldegeheimnis für Auslandsgespräche?, Grundrechtsschutz und Grundrechtsreichweite, Neue Justiz (NJ) 1995, 461 (463). 59 Gusy/Hueck, in: NJ 1995, 461 (463). - 14 - In seinem Urteil zum G 10 aus dem Jahren 1999 stellt das BVerfG fest, dass der Schutz des Fernmeldegeheimnisses in Art. 10 GG im Einklang mit den völkerrechtlichen Bestimmungen 60 darauf abziele, dass die Fernmeldekommunikation von unerwünschter oder unbemerkter Überwachung frei bleibe und die Grundrechtsträger unbefangen kommunizieren könnten. Der Schutz knüpfe an das Kommunikationsmedium an und wolle jenen Gefahren für die Vertraulichkeit begegnen, die sich gerade aus der Verwendung dieses Mediums ergäben, das staatlichem Zugriff leichter ausgesetzt ist als die direkte Kommunikation unter Anwesenden. Hinsichtlich der räumlichen Geltung des Schutzes von Art. 10 GG führte der Senat aus, der Schutz von Art. 10 GG beschränke sich nicht auf das Inland.61 Wie bereits in der Einleitung erwähnt, äußerte sich das Gericht aber nur zur Konstellation einer nachrichtendienstlichen Überwachung vom Inland ins Ausland und bejaht dort die Grundrechtsbindung . Dagegen blieb die Frage, ob Art. 10 GG und weitere Grundrechte zu beachten sind, wenn Abhörmaßnahmen durch Nachrichtendienste ohne Inlandsbezug durchgeführt werden, als nicht streitrelevant unbeantwortet. Soweit ersichtlich, wird in der Literatur nur vereinzelt näher auf das spezielle Problem zu Art. 10 GG bei nachrichtendienstlichen Ermittlungen ohne Inlandsbezug eingegangen: Die wohl herrschende Meinung62 geht - ohne nähere Begründung - von einer Geltung des Art. 10 GG allenfalls für deutsche natürliche und juristische Personen im Ausland aus, nicht aber für Ausländer. Nach anderer Ansicht63 ist eine umfassende Bindung an Art. 10 GG bei nachrichtendienstlichen Aktivitäten durch deutsche Stellen im Ausland sowohl gegenüber 60 Vgl. Art. 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948; Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950. 61 BVerfGE 100, 313, Leitsatz 2. 62 Vgl. Darstellung des Meinungsstandes bei Arndt, Claus, Die Fernmeldekontrolle im Verbrechensbekämpfungsgesetz , in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1995, S. 169 ff. , S. 171, der auch darauf hinweist, dass wohl auch der Gesetzgeber, wie § 3 Abs. 2 S. § G 10 a. F. ( heute § 5 Abs. 2 S. 3 G 10) zu entnehmen sei, diese Auffassung vertrete: „Bei Beschränkungen von Telekommunikationsbeziehungen darf der Bundesnachrichtendienst nur Suchbegriffe verwenden, die zur Aufklärung von Sachverhalten über den in der Anordnung bezeichneten Gefahrenbereich bestimmt und geeignet sind. Die Suchbegriffe dürfen keine Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung bestimmter Telekommunikationsanschlüsse führen. Dies gilt nicht für Telekommunikationsanschlüsse im Ausland, sofern ausgeschlossen werden kann, dass Anschlüsse, deren Inhaber oder regelmäßige Nutzer deutsche Staatsangehörige sind, gezielt erfasst werden. Die Durchführung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen.“ 63 Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (14); Dem im Ergebnis zustimmend Arndt, in: NJW 1995, S. 169 ff, S. 171 (keine territoriale Begrenzung des Zugriffs der öffentlichen Gewalt auf die Autonomie des unbefan- - 15 - im Ausland befindlichen Deutschen als auch gegenüber Ausländern anzunehmen. Die Gebietsanknüpfung an das Inland könne kein einschränkendes Kriterium sein, da der Fernmeldeverkehr sonst sozusagen „vogelfrei“ würde.64 Es liefe auf eine verfassungsrechtlich kaum vertretbare Verkürzung des Fernmeldegeheimnisses hinaus, wenn dessen Schutzbereich auf das Inland beschränkt bliebe. Gerade der Grundsatz der Territorialität als bei dieser Einschränkung letztlich vorausgesetztes Prinzip der Grundrechtsanwendung sei in seiner ganzen Schärfe kaum noch vertreten, weshalb man wohl auch hier mit guten Gründen zu einer Grundrechtsgeltung kommen könne.65 Gegen die Einhaltung eines Territorialprinzips spreche im Bereich nachrichtendienstlicher Ermittlungen auch die Vernetzung und oftmals globale Abstrahlung der modernen Telekommunikationssatelliten rund um die Erde, die die territorialen Grenzen zusehends verschwimmen ließen.66 Für eine Bindung deutscher Hoheitsgewalt bei Sachverhalten trotz fehlenden räumlichen Inlandsbezugs spreche im Übrigen auch, dass spätestens infolge der Belauschung durch den BND im konkreten Einzelfall zwischen der deutschen Staatsgewalt und den jeweiligen Fernmeldeteilnehmern zumindest eine technischinformationelle Beziehung entstanden sei, die in der Aufzeichnung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten aus dem Ausland für staatliche Informationszwecke der Bundesrepublik zum Ausdruck komme.67 4. Grundrechtliche Schutzpflichten (Frage c) Fraglich ist, inwieweit für deutsche Stellen bei Auslandstätigkeit auch grundrechtliche Schutzpflichten bestehen. 4.1. Garantie der grundrechtlichen Schutzpflichten Ausgehend von Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebietet die grundrechtliche Schutzpflicht dem Staat, die Unversehrtheit der grundrechtlichen Güter zwischen Privaten zu garantieren.68 Seinem Wortlaut nach ist Art. 1 Abs. 2 GG als ein Schutzauftrag formuliert; in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 GG folgt hieraus eine Gewährleistungsverantwortung des Staates für die Existenz grundrechtsgemäßer Lebens- genen Gesprächs); Riegel, Reinhard, Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10), München 1997, Kommentierung zu § 3 G 10 a. F. Rn. 28. 64 Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (17). 65 Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (17). 66 Vgl. Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (18). 67 Gröpl, in: ZRP 1995, 13 (18). 68 Isensee, a.a.O., § 111, Rn. 3. - 16 - bedingungen.69 Die Staatsgewalt in Form von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung wird im Gegensatz zum Abwehrrecht bei der Schutzgewährpflicht nicht zurückgedrängt , sondern gefordert.70 Dabei richtet sich die Schutzpflicht nicht an den Privaten als Störer, der das grundrechtliche Schutzgut gefährdet, sondern an den Staat; gegen den Störer richten sich vielmehr die Maßnahmen, die der Staat in Erfüllung seiner Schutzpflicht trifft.71 Nach dem Konzept der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates führt diese zu einer Dreieckskonstellation zwischen dem schutzbedürftigen Grundrechtsträger , dem Staat und der Gefahrenquelle.72 Bei der Bewältigung der Aufgabe, die Schutzpflicht gegenüber dem Bürger zu erfüllen, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber ein weites Gestaltungsermessen.73 Die vom Gesetzgeber getroffenen Maßnahmen müssen aber geeignet, wirksam und ausreichend sein, den Schutz zu gewähren.74 Das dem Gesetzgeber zugestandene Ermessen kann sich in der Maßnahmenwahl auf Null reduzieren mit der Folge, dass eine bestimmte Handlung zum Schutz des Bürgers grundrechtlich geboten ist.75 Der Schutzbedarf, dem der Staat zu genügen hat, hängt von dem grundrechtlich gefährdeten Schutzgut und der Gefahr, die ihm droht, ab.76 4.2. Anwendung auf Auslandssachverhalte Ob sich die grundrechtliche Schutzpflicht auch gegen ausländische Staaten richtet und Ansprüche auf völkerrechtlichen Auslandsschutz vermittelt, ist umstritten.77 Es ist aber anerkannt, auch fremde Staaten, internationale Organisationen oder im Ausland handelnde Private als Dritte anzusehen, denen gegenüber Grundrechte zu schützen sind.78 Dabei ist die Frage, ob und in welchem Umfang die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, Beeinträchtigungen ausländischen Ursprungs zu verhindern, unter der Bezeichnung des diplomatischen Schutzes bzw. Auslandsschutzes seit langem be- 69 Klein, Oliver, Das Untermaßverbot - Über die Justiziabilität grundrechtlicher Schutzpflichterfüllung, Juristische Schulung (JuS) 2006, 960. 70 Isensee, a.a.O., § 111, Rn. 3. 71 Isensee, a.a.O., § 111, Rn. 3. 72 Klein, in: JuS 2006, 960. 73 BVerfGE 77, 170 (214); 79, 174 (202); Isensee, a.a.O., § 111, Rn. 90. 74 Isensee, a.a.O., § 111, Rn. 90. 75 Isensee, a.a.O., § 111, Rn. 90. 76 Isensee, a.a.O., § 111, Rn. 141. 77 Vgl. Dreier, Horst, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 2. Auflage 2004, Vorbemerkungen zu Art. 1, Rn. 101. 78 Hermes, Georg, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, Heidelberg 1987, S. 74; Gusy, Christoph, Auslieferung bei drohender Todesstrafe?, Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (GA), S. 73 (78f.). - 17 - kannt. Die Verpflichtung zum diplomatischen Schutz wird auch in Schrifttum und fachgerichtlicher Rechtsprechung allgemein bejaht.79 Diplomatischer Schutz ist der repressive oder präventive Schutz natürlicher oder juristischer Personen gegenüber völkerrechtswidrigen Handlungen.80 Hergeleitet wird ein etwaiger Anspruch auf diplomatischen Schutz bzw. Auslandsschutz in der Regel aus dem Treue- und Schutzverhältnis, das der Staatsangehörigkeit innewohnt.81 Diplomatische Schutzmaßnahmen dürfen aber nur völkerrechtlichen Regeln entsprechend ergriffen werden.82 Die staatliche Schutzpflicht dürfte danach im Ausland geringer ausfallen als der Schutz im Inland.83 Unterschiedliche Auffassungen bestehen vor allem in der Begründung eines Anspruchs auf Auslandsschutz, bei der Beurteilung der Möglichkeit der Durchsetzung eines etwaigen Anspruchs auf Auslandsschutz sowie über die mögliche Gewähr von Schadensersatz bei Nichtgewähr diplomatischen Schutzes. 4.2.1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Pflicht der bundesdeutschen öffentlichen Gewalt zum Schutz deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaten grundsätzlich anerkannt.84 Begründet wird die diplomatische Schutzpflicht aus der „Grundbeziehung der Staatsangehörigkeit“, derzufolge (nur) deutsche Staatsangehörige diplomatischen Schutz beanspruchen können.85 Im Urteil des BVerfGs zur Staatsangehörigkeit von Abkömmlingen heißt es hierzu86: „Unmittelbar aus der Grundbeziehung der Staatsangehörigkeit erwächst (…) der nur den Deutschen zustehende Anspruch auf Schutz seitens der Bundesrepublik gegenüber dem Ausland, besonders auf diplomatischen Schutz und konsularische Betreuung durch die deutschen Auslandsvertretungen. Kinder deutscher Mütter aus gemischt-nationalen Ehen sind hier jedenfalls insoweit benachteiligt, als sie gegenüber einem Drittstaat keinen Schutz durch die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik beanspruchen können.“ Das BVerfG billigt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung der Auslandsschutzpflicht ein weites Ermessen zu; die Verwaltungsgerichte seien darauf beschränkt, die Handlungen 79 Hermes, a.a.O., S. 74, m. w. N. 80 Yousif, a.a.O, S. 152 f. 81 Hermes, a.a.O., S. 74, m. w. N. 82 Yousif, a.a.O., S. 153. 83 Yousif, a.a.O., S. 153. 84 U. a. BVerfGE 4, 299 (304); 6, 290 (295); 37, 217 (241); 48, 127 (161); vgl. auch Hermes, a.a.O., S. 56 f. 85 BVerfGE 37, 217 (241). 86 BVerfGE 37, 217 (241). - 18 - und Unterlassungen der Bundesregierung auf Ermessensfehler hin nachzuprüfen.87 Die Weite des Ermessens im auswärtigen Bereich habe ihren Grund darin, dass die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden könnten, sondern vielfach von Umständen abhängig sei, die sich ihrer Bestimmung entzögen. Um es zu ermöglichen, die jeweiligen politischen Ziele der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des völkerrechtlich und verfassungsrechtlich Zulässigen durchzusetzen, gewähre das Grundgesetz den Organen der auswärtigen Gewalt einen sehr weiten Spielraum in der Einschätzung außenpolitisch erheblicher Sachverhalte, wie der Zweckmäßigkeit möglichen Verhaltens. Die Frage, ob der Auslandsschutz einen subjektiven Schutzanspruch, der eine Verfassungsbeschwerde eröffnet, vermittelt, ist noch nicht abschließend geklärt.88 Bisher wurde die Zulässigkeit des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Schutzbegehrens zumindest unterstellt89. Ob für deutsche Nachrichtendienste eine Schutzpflicht bei Beeinträchtigungen eines Deutschen oder Ausländers im Ausland besteht, hatte das BVerfG bisher nicht zu entscheiden . Aus den bislang ergangenen Urteilen zur Schutzpflicht des Staates lässt sich jedoch schließen, dass für deutsche Stellen - und somit desgleichen für Nachrichtendienste - auch bei Beeinträchtigungen im Ausland zumindest Deutschen gegenüber eine Schutzpflicht besteht. Der Schutz müsste wohl nicht nur bei Beeinträchtigungen, die von ausländischen Privaten, sondern auch von ausländischen Hoheitsträgern ausgehen , gewährleistet werden.90 4.2.2. Literatur 4.2.2.1. Anerkennung der Schutzpflicht gegenüber Deutschen bei Auslandssachverhalten Nach einer von mehreren Autoren vertretenen Ansicht91 ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Tradition des Schutztreueprinzips, aus Einzelbestimmungen des Grundgesetzes sowie als Ausstrahlung der Grundrechte ein Anspruch auf Auslandsschutz zumindest für deutsche Staatsangehörige in Form von diplomatischem Schutz gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Anspruch gehöre zu den wesentlichen, wenn auch ungeschriebenen allgemeinen Grundsätzen des Grundgesetzes, deren Beste- 87 BVerfGE 40, 141 (178); 55, 349 (364 f.). 88 Vgl. Hermes, a.a.O., S. 57. 89 Vgl. BVerfGE 55, 349 (364). 90 Vgl. Elbing, a.a.O., S. 103. 91 U. a. Oberthür, Karlheinz, Der Anspruch des deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen und konsularischen Schutz gegenüber anderen Staaten, Köln 1965; Geck, Wilhelm Karl, Der Anspruch des Staatsbürgers auf Schutz gegenüber dem Ausland nach deutschem Recht, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRVR)1956/57, 476 (514). - 19 - hen der Verfassungsgesetzgeber anerkannt, von deren Konkretisierung er in der Verfassungsurkunde jedoch abgesehen habe. Die fehlende ausdrückliche Regelung des Auslandsschutzes im Grundgesetz sei auf die besondere historische Konstellation bei der Entstehung des Grundgesetzes zurückzuführen.92 Der Anspruch auf diplomatischen oder konsularischen Schutz werde wie jeder Schutzanspruch seinem Inhalt nach zwar erst durch die bevorstehende oder schon eingetretene Verletzung eines oder mehrerer Grundrechte bestimmt.93 Es sei aber Aufgabe des Staates, die dem Einzelnen gewährten Grundrechte zu schützen. Der Staat habe den Grundrechten zuwiderlaufendes Drittverhalten , soweit es in seiner Macht stehe, zu verhindern.94 Dies ergebe sich aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 1 Abs. 3 GG. Aller staatlichen Gewalt obliege hinsichtlich der Menschenwürde eine Schutzpflicht gegenüber jeglichem verletzenden Verhalten.95 Die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG müsse sich demnach auch in ihrer speziellen Ausgestaltung als diplomatischer und konsularischer Schutz folgerichtig auf alle nachfolgenden Grundrechte erstrecken und binde damit grundsätzlich auch die diplomatischen und konsularischen Stellen der Bundesrepublik Deutschland. Der Anspruch auf Auslandsschutz sei ein subjektiv-öffentliches Recht des einzelnen Staatsangehörigen, das seine Grenzen nicht an höherrangigen Interessen der Allgemeinheit finde. Stände jedoch dem Einzelinteresse des Deutschen im Ausland ein überlegenes Interesse der Allgemeinheit entgegen, so sei der Einzelne verpflichtet, seinen Schutzanspruch dem Staatsinteresse aufzuopfern.96 Er sei dann nach Enteignungs- oder Aufopferungsgrundsätzen zu entschädigen. 4.2.2.2. Schutzgewähr in Ausnahmefällen auch gegenüber Ausländern In der Literatur wird der diplomatische Schutz von Ausländern im Ausland meist mit der Asylgarantie diskutiert, wobei aber auch die allgemeine Schutzpflicht des deutschen Staates gegenüber Ausländern im Ausland nicht generell verneint wird.97 Soweit ein Bezug zum deutschen Staat existiere, soll eine Schutzpflicht auch Ausländern im Ausland gegenüber bestehen.98 Beruft sich ein Ausländer im Ausland auf die Schutzpflicht des deutschen Staates, ist für die Schutzgewähr entscheidend, ob die Ge- 92 Geck, in: ZaöRVR 1956/57, 476 (508); Diese grundsätzliche Anerkennung von Verfassungsgewohnheitsrecht ist allerdings umstritten und soll jedenfalls nur in engen Grenzen zulässig sein, vgl. Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. Auflage, München 1984, § 4I6a); Kötter, Matthias/Nolte, Jakob, Staatliche Verpflichtung zur Befreiung deutscher Geiseln im Ausland?, Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2007, 186 (191). 93 Oberthür, a.a.O., S. 23. 94 Oberthür, a.a.O., m. w. N. 95 Oberthür, a.a.O., S. 24. 96 Oberthür, a.a.O., S. 49 ff. 97 Yousif, a.a.O., S. 156; Robbers, Gerhard, Sicherheit als Menschenrecht, Baden-Baden 1987, S. 215 ff. 98 Yousif, a.a.O., S. 163. - 20 - fahrenquelle in den Verantwortungsbereich der Bundesrepublik fällt.99 In Hinsicht auf die Menschenwürde, Leib und Leben von Ausländern im Ausland ist daraus zu schließen, dass bei Vorliegen der genannten weiteren Voraussetzungen aus Art. 1 und 2 GG als Jedermanngrundrechten eine Schutzpflicht auch diesen gegenüber erwächst. 4.2.2.3. Keine Anwendung der grundrechtlichen Schutzpflicht bei Auslandssachverhalten Es wird teilweise die Ansicht vertreten, die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug sei auf die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte beschränkt; die besondere Konstruktion der Schutzpflichten als Garantie der Integrität der entsprechenden Verfassungsgüter sei auf ein Tätigwerden der deutschen Staatsgewalt gerichtet, was die Ersteckung dieser Grundrechtsfunktion auf den territorialen Bereich einer anderen Staatsgewalt nicht zulasse.100 Selbst bei den Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit bestehe keine Schutzpflicht außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes:101 Die Verpflichtung der Bundesrepublik zum Schutz von Leben beschränke sich auf das deutsche Staatsgebiet; von einer grundrechtlichen Schutzpflicht sogar gegenüber im Ausland verschleppten Deutschen sei deshalb nicht auszugehen, so dass von einer grundrechtlichen Schutzpflicht in diesem Fall nicht auszugehen sei.102 4.2.2.4. Begründung des Auslandsschutzes aufgrund der staatsrechtlichen Grundbeziehung von Staat und Bürger (verfassungsrechtlicher Auslandsschutz) Allerdings wird dort, wo kein grundrechtlicher Auslandsschutz für gegeben angesehen wird, ein verfassungsrechtlicher Auslandsschutz anerkannt, der sich in der konkreten Zuordnung des Einzelnen zur Staatsgewalt des Grundgesetzes begründe; seine inhaltliche Konkretisierung habe danach mangels tatsächlicher Regelungen analog nach dem sich aus der Schutzfunktion der Grundrechte ergebenden Maßstab zu erfolgen.103 Unter Berücksichtigung des gegenseitigen Treueverhältnisses des Bürgers zum Staat könne dabei auch die Loyalität des Deutschen im Ausland und seine Bereitschaft, den staatsbürgerlichen Pflichten nachzukommen, als Kriterium für eine Schutzgewähr herangezogen werden.104 99 Vgl. Yousif, a.a.O., S. 163, 165. 100 Kötter/Nolte, in: DÖV 2007, 186 (190); a. A. Klein, Eckart, Diplomatischer Schutz und grundrechtliche Schutzpflicht, DÖV 1977, 704 ff. 101 Kötter/Nolte, in: DÖV 2007, 186 (190). 102 Kötter/Nolte, in: DÖV 2007, 186 (190). 103 Kötter/Nolte, in: DÖV 2007, 186 (193). 104 Treviranus, Hans D., Nochmals: Diplomatischer Schutz und grundrechtliche Schutzpflicht, DÖV 1979, 35 ff. So könne z. B. staatlichen Schutz gegenüber dem Aufenthaltsstaat nur in geringem Maße beanspruchen, wer ohne Genehmigung des Heimatstaates in fremden Wehrdienst (z. B. in die Fremdenlegion) trete. - 21 - 4.2.2.5. Nur Pflicht zur pflichtgemäßen Ermessensausübung Schließlich wird die Meinung vertreten, dass zwar die Pflicht zum diplomatischen Schutz, aber kein Anspruch auf Schutzgewähr bestehe.105 Deutsche Staatsangehörige hätten nur einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung durch das für den diplomatischen Schutz zuständige Staatsorgan.106 Die Pflicht zum diplomatischen Schutz sei grundrechtlich fundiert; in jedem Einzelfall, in dem Grundrechtsverletzungen oder -gefährdungen Deutscher im Ausland bzw. durch fremde Hoheitsgewalt geschähen , bestehe die objektive Verfassungspflicht des Staates, ermessensfehlerfreie Erwägungen darüber anzustellen, ob und wie zur Beseitigung dieser Grundrechtsbeeinträchtigungen vorzugehen sei.107 Die Verletzung dieses Anspruchs bedeute eine Verletzung des jeweils den Anspruch fundierenden Grundrechts. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung des diplomatischen Schutzes wird teilweise für gerichtlich verfolgbar gehalten, letztlich auch mit der Verfassungsbeschwerde.108 Eine fehlerfreie Entscheidung, die auch in der Nichtgewährung des diplomatischen Schutzes bestehen kann, könne aber unter keinen Gesichtspunkten zum Schadensersatz oder zur Entschädigung führen. Dagegen bestünden bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen keine Bedenken, dass bei fehlerhafter Entscheidung Schadensersatz nach Amtshaftungsgrundsätzen bzw. Entschädigung nach den Grundsätzen des enteignungsgleichen oder aufopferungsgleichen Eingriffs verlangt werden könne. 4.2.2.6. Konkretisierung der Schutzpflicht in § 8 G 10 Nach § 8 G 10 dürfen Beschränkungen auf Antrag des BND für internationale Telekommunikationsbeziehungen angeordnet werden, wenn dies erforderlich ist, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für Leib oder Leben einer Person im Ausland rechtzeitig zu erkennen oder ihr zu begegnen und dadurch Belange der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar in besonderer Weise berührt sind. Mit Einführung dieser Befugnis des BND hat die damalige Bundesregierung die Schutzpflicht des Staates zur Abwehr der Gefahr bei Entführungen deutscher Staatsangehöriger im Ausland konkretisiert.109 Der Gesetzgeber sah dabei deutsche Belange wohl auch dann unmittelbar in besonderer Weise berührt, wenn die gefährdete Person ständig in Deutschland lebt, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, oder wenn eine Person ohne deutsche Staatsangehörigkeit als Geisel genommen wird, die Forderungen der Geiselnehmer aber gegen 105 Vgl. Klein, in: DÖV 1977, 704 (707); Geck, in: ZaöRVR 1956/57, 476 (543); Treviranus, in: DÖV 1979, 35 ff. 106 Vgl. Klein, in: DÖV 1977, 704 (707); Geck, in: ZaöRVR 1956/57, 476 (543); Treviranus, in: DÖV 1979, 35 ff. 107 Klein, in: DÖV 1977, 704. 108 Klein, in: DÖV 1977, 704; a. A. Treviranus , in: DÖV 1979, 35 ff. 109 BT-Drs. 14/5655 vom 26. März 2001, Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnissen, S. 22; Schrafanek, in: DÖV 2002, 846 (849). - 22 - deutsche Staatsangehörige gerichtet werden, so z. B. gegen Angehörige der Geisel oder gegen ihren Arbeitgeber.110 Die in § 8 G 10 konkretisierte Schutzgewähr soll also auch Ausländern im Ausland zugute kommen, wenn eine gefährdete Person nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.111 110 Schrafanek, Frank P., Die strategische Aufklärung durch den BND nach dem neuen G 10, DÖV 2002, 846 (849). 111 Schrafanek, in: DÖV 2002, 846 (849).