Deutscher Bundestag Anspruch des parlamentarischen Untersuchungsausschusses auf Herausgabe von Akten in einem laufenden Strafverfahren Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 330/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 2 Anspruch des parlamentarischen Untersuchungsausschusses auf Herausgabe von Akten in einem laufenden Strafverfahren Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 330/12 Abschluss der Arbeit: 17. Dezember 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 3 1. Einleitung Ein Untersuchungsausschuss begehrt die Vorlage von Kopien von Akten aus einem laufenden Strafverfahren, das bei der Bundesanwaltschaft geführt wird. Anklage wurde vor dem Oberlandesgericht München (OLG München) erhoben. Der Generalbundesanwalt will die Verfahrensakten nur nach Zustimmung des Vorsitzenden des zuständigen 6. Strafsenats beim OLG München vorlegen. Dieser hat angekündigt, zu jedem Vorlageersuchen eine konkrete Beweisfrage zu verlangen und die Erforderlichkeit der Beweiserhebung für den Untersuchungsausschuss zu prüfen. Vor der Vorlage solle den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt werden. Im Folgenden werden die Kriterien dargestellt, nach denen sich entscheidet, ob der Generalbundesanwalt , der Vorsitzende des 6. Strafsenats oder beide die richtigen Adressaten der Beweisbeschlüsse des Untersuchungsausschusses sind (Punkt 2). Darauf wird erörtert, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dem Vorsitzenden des Senats des OLG eine Prüfungskompetenz zusteht (Punkte 3 und 4). Abschließend wird knapp der Herausgabeanspruch gegen die Bundesregierung skizziert (Punkt 5). 2. Adressat der Beweisbeschlüsse des Untersuchungsausschusses Gemäß Art. 44 Abs. 1 GG kann ein vom Bundestag eingesetzter Untersuchungsausschuss die für seine Untersuchungen erforderlichen Beweise erheben. § 18 Abs. 1 PUAG1 konkretisiert dieses Recht und verpflichtet die Bundesregierung, die Behörden des Bundes sowie die bundesunmittelbaren Anstalten des öffentlichen Rechts, dem Untersuchungsausschuss insbesondere Akten vorzulegen. Im Übrigen verpflichten Art. 44 Abs. 3 GG und § 18 Abs. 4 S. 1 PUAG Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Rechts- und Amtshilfe. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) ist der Dienstaufsicht des Bundesministers der Justiz unterstellt (§ 147 Nr. 1 GVG2). Damit handelt es sich um eine Behörde des Bundes , der gegenüber sich der Untersuchungsausschuss des Bundestages auf seinen Aktenherausgabeanspruch gemäß § 18 Abs. 1 PUAG berufen kann. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages könnte also grundsätzlich die Herausgabe oder Kopien von Ermittlungsakten des GBA verlangen.3 Gemäß § 18 Abs. 2 S PUAG entscheidet über ein entsprechendes Ersuchen der zuständige Bundesminister, also der Minister der Justiz, soweit die Entscheidung nicht durch Gesetz der Bundesregierung als Kollegialorgan zuzuordnen ist. Damit trägt das PUAG der Bedeu- 1 Untersuchungsausschussgesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142), das durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) geändert worden ist. 2 Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182) geändert worden ist. 3 Vgl. für die Herausgabe von Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft des Landes Hessen an einen Untersuchungsausschuss des Bundes OLG Frankfurt, 3. Strafsenat, Beschluss vom 19.3.2001, Az. 3 VAs 48/00. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 4 tung des Untersuchungsausschusses Rechnung, dass die Entscheidung grundsätzlich nicht von Stellen getroffen wird, die der Regierung nachgeordnet sind.4 Allerdings stellt sich die Frage, ob sich der Aktenherausgabeanspruch auch auf Gerichtsakten bezieht. Mit der Anklageschrift und dem Antrag der Staatsanwaltschaft, das Hauptverfahren zu eröffnen, hat die Staatsanwaltschaft dem Gericht die Akten vorzulegen, § 199 Abs. 2 StPO5. Für die Verwaltung dieser Akten ist ab diesem Zeitpunkt das Gericht und nicht mehr die Staatsanwaltschaft zuständig, wie sich unter anderem aus § 478 StPO ergibt.6 „Vorlage“ bedeutet in diesem Sinne nicht notwendig die physische Präsenz der Akten beim Gericht; auch eine Bezugnahme in Aktenvermerken auf nicht übersandte Beweisstücke kann ausreichen, solange das Gericht jederzeit Zugriff auf die Akten hat.7 Mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft – im vorliegenden Fall also des GBA – werden damit aus den Ermittlungsakten Gerichtsakten in der Sachherrschaft des verfahrensleitenden Gerichts. Damit richtet sich der Anspruch auf Herausgabe der Akten nicht mehr gegen den zuständigen Bundesminister als dienstlich Vorgesetzter des GBA als einer Bundesbehörde, sondern gegen das OLG. In dieser Konstellation ist auf Art. 44 Abs. 3 GG und § 18 Abs. 4 PUAG zurückzugreifen, die Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Rechts- und Amtshilfe verpflichten. Die Aktenanforderung muss sich für Gerichtsakten an den jeweiligen Spruchkörper richten8, im vorliegenden Fall also an das OLG München. Gemäß § 478 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Vorsitzende des Senats für die Entscheidung über die Akteneinsicht zuständig. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man, wenn die Prozessakten herbeigezogen werden, weil Gegenstand des Untersuchungsausschusses die Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft selbst ist und die angeforderten Akten als vermutlich beweiserhebliches Material für die Bewertung der Arbeitsweise der Bundesanwaltschaft benötigt werden. In diesem Falle kann sich der Ausschuss weiterhin auf seinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Aktenvorlage kraft seiner Untersuchungskompetenz berufen.9 Allerdings ist bei der Untersuchung der Arbeitsweise des GBA grundsätzlich der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu beachten, in den auch nachgeordnete Stellen einbezogen sein können.10 Die Kontrollkompetenz und der Informationsanspruch des Parlaments beschränken sich daher nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 4 Glauben in: Glauben/Brocker, PUAG-Kommentar, 2011, § 18 Rn. 20. 5 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die durch Artikel 3 des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) geändert worden ist. 6 Schneider in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage 2008, § 199 Rn. 7. 7 Schneider (Fn. 6), § 199 Rn. 7. 8 Glauben in: Handbuch (Fn. 9), § 17 Rn. 18; Günther in: Heusch/Schönenbroicher, Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2010, Art. 41 Rn. 21. 9 So auch Glauben in: Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, Ein Handbuch (Handbuch), 2. Aufl. 2011, § 17 Rn. 17 f.; Peters, Untersuchungsausschussrecht – Länder und Bund, 2012, Rn. 265; Morlok in: Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 44 Rn. 50; Umbach in: ders./Clemens, Kommentar zum Grundgesetz, 2002, Art. 44 Rn. 75; Klein in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, 66. EL 2012, Art. 44 Rn. 223 (45. EL 2005). 10 Hmbg. VerfG, DVBl. 1973, 885 (886); Glauben in: Handbuch (Fn. 9), § 5 Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 5 (BVerfG) grundsätzlich auf bereits abgeschlossene Vorgänge.11 Diese Einschränkung könnte auch für die Kontrolle der Amtsführung bzw. der Anklageführung des GBA in einem laufenden Verfahren gelten, so dass es sich bereits um einen (teilweise) unzulässigen Untersuchungsgegenstand handeln könnte.12 Sollen hingegen Versäumnisse in der Vergangenheit aufgeklärt werden, wäre diese Einschränkung nicht einschlägig. Der Herausgabeanspruch würde sich in diesem Fall an den zuständigen Bundesminister der Justiz richten. Welche der beiden Fallvarianten einschlägig ist, hängt von der Formulierung des Beweisbeschlusses und den angeforderten Unterlagen ab und kann von dieser Seite nicht beurteilt werden. Im Folgenden wird daher ausführlich auf die Prüfungskompetenz und Kontrolldichte des ersuchten Gerichts eingegangen. Anschließend wird kurz dargestellt, an welche rechtlichen Regeln sich die Bundesregierung bei einem Herausgabeanspruch der Akten in der Variante zu halten hat, in der ein unmittelbarer Anspruch auf Herausgabe der Akten gegen die Regierung besteht. 3. Eigenständige Prüfungskompetenz des ersuchten Gerichts? Fraglich ist, ob das ersuchte Gericht eine eigene Prüfungskompetenz hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Herausgabeverlangens in Anspruch nehmen kann. Gegen eine Prüfungskompetenz könnte die Rechtsprechung des BVerfG zum Herausgabeverlangen von Untersuchungsausschüssen eingewandt werden. So stellte das BVerfG in seiner Entscheidung zum BND-Untersuchungsausschuss die hohe Bedeutung von Akten bei der Untersuchung politischer Vorgänge fest. Der Untersuchungsausschuss habe sich nicht mit Aktenauskünften zufrieden zu geben oder sein Verlangen auf bestimmte Aktenteile zu beschränken .13 Allerdings betrifft diese Passage den aus dem Kontrollrecht des Parlaments folgenden Auskunftsanspruch eines Untersuchungsausschusses des Bundestages gegenüber der Bundesregierung und dieser nachgeordneter Behörden. Auch das OLG Stuttgart hat wohl in einer noch nicht veröffentlichten Entscheidung eine Prüfungskompetenz der Staatsanwaltschaft bei der Anfrage eines Untersuchungsausschusses des Landtages abgelehnt.14 Aber auch in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um das Kontrollrecht, das der Landtag gegenüber einer der Landesregierung unterstellten Behörde ausübt, und nicht um Fragen der Amtshilfe. Eine Prüfungskompetenz der ersuchten Behörden und Gerichte entspricht hingegen den Grundsätzen der Rechts- und Amtshilfe. So wird zum einen darauf verwiesen, Art. 44 Abs. 3 GG be- 11 BVerfGE 124, 78, 121. Kritisch hierzu Morlok (Fn. 9), Art. 44 Rn. 27. 12 Bezogen auf laufende Vorgänge beim GBA Engels, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, 2. Aufl. 1991, S. 133; ferner Teubner, Untersuchungs- und Eingriffsrechte privatgerichteter Untersuchungsausschüsse , 2009, S. 379. 13 BVerfGE 124, 78, 117. 14 Pressemitteilung OLG Stuttgart vom 15.11.2012, Az. 4a VAs 3/12 (juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 6 gründe die Anwendbarkeit des Art. 35 Abs. 1 GG sowie des VwVfG15. Das VwVfG könne unmittelbar angewendet werden, falls den Untersuchungsausschüssen Behördencharakter zugestanden werde, und mittelbar, falls dies wegen ihrer parlamentarischen Aufgaben abgelehnt werde.16 Jedenfalls seien sowohl Gerichte als auch im Rahmen der Beweiserhebung Untersuchungsausschüsse „Behörden“ im Sinne des Art. 35 GG.17 Umstritten ist, ob die Versagungstatbestände des § 5 Abs. 2 VwVfG – Ablehnung der Amtshilfe aus rechtlichen Gründen oder um Nachteile vom Wohl des Bundes oder eines Landes abzuwenden sowie Geheimhaltungsinteressen – auch auf die Herausgabeansprüche von Untersuchungsausschüssen anwendbar sind18, oder ob hierfür nur die Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts selbst einschlägig sei.19 Nach einer anderen Ansicht seien bei einer entsprechenden Anwendung der §§ 4 VwVfG die Besonderheiten des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens zu berücksichtigen. Praktische Relevanz komme der Anwendbarkeit des § 5 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG zu, da Untersuchungsausschüsse häufig auf Akten angewiesen seien, die im Rahmen eines staatsanwaltlichen Ermittlungs- oder Strafverfahrens benötigt würden.20 Art. 44 Abs. 3 GG begründe keinen Vorrang des Aufklärungsinteresses des im Fokus der (Medien-)Öffentlichkeit stehenden Untersuchungsausschusses gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse und auch keine Befugnis, die Ermittlungsbehörden zu überwachen. Allerdings könne der Untersuchungsausschuss erwägen, für die Dauer des Strafverfahrens seine Untersuchungen auszusetzen. Gegen die – auch mittelbare – Anwendbarkeit des VwVfG wird – wenn auch in einer anderen Konstellation – vorgetragen, Untersuchungsausschüsse übten materiell keine Verwaltungstätigkeit aus, ihr Verfahren der Informationsgewinnung sei verfassungsunmittelbar geregeltes Verfahren sui generis, das dem funktionellen Bereich der Staatsleitung zuzurechnen sei.21 Dennoch sei auch die ersuchte Behörde oder das Gericht bereits durch die allgemeine Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG) daran gehindert, einem Rechtshilfeersuchen ohne jegliche Prüfung der Rechtmäßigkeit nachzukommen.22 Halte das Gericht die Aktenanforderung für ganz oder teilweise unzulässig, dürfe es zumindest zunächst die Herausgabe ganz oder 15 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2827) geändert worden ist. 16 Klein (Fn. 9), Art. 44 Rn. 224; Stern, Die Kompetenz der Untersuchungsausschüsse nach Artikel 44 GG im Verhältnis zur Exekutive unter besonderer Berücksichtigung des Steuergeheimnisses, AöR 109 (1984), S.199 (247 ff.); Achterberg/Schulte in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz , 6. Aufl. 2010, Art. 44 Rn. 182. Gegen die Anwendbarkeit des VwVfG generell auf Untersuchungsausschüsse Di Fabio, Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, 1988, S. 81. 17 BVerfG-K, NVwZ 1994, 54, 55. 18 Achterberg/Schulte (Fn. 16), Art. 44 Rn. 183. 19 Morlok (Fn.9), Art. 44 Rn. 53 20 Klein (Fn. 9), Art. 44 Rn. 226 m.w.N. 21 Di Fabio (Fn. 16), S. 81. 22 Di Fabio (Fn. 16), S. 127 m. Nachweisen der älteren Literatur, die ebenfalls eine Befugnis zur Rechtmäßigkeitskontrolle der ersuchten Behörde bejahen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 7 teilweise verweigern.23 Hierfür spricht auch, dass § 18 Abs. 4 Satz 2 PUAG bereits ausdrücklich Streitigkeiten über den Umfang der Rechts- und Amtshilfe dem Ermittlungsrichter oder der Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung zuweist. Letztlich bedarf es keiner Entscheidung, ob das VwVfG unmittelbar oder mittelbar oder aber gar nicht anwendbar ist, da es nach einhelliger Meinung auch der von einem Untersuchungsausschuss ersuchten Behörde obliegt, die Rechtmäßigkeit des Ersuchens zu prüfen. 4. Kontrolldichte des ersuchten Gerichts Wie bereits ausgeführt, fordern einige Stimmen, bei der Prüfung der Amtshilfeersuchen die Besonderheiten des parlamentarischen Untersuchungsrechts zu berücksichtigen.24 Schließlich solle das Parlament nicht der Kritik der Gerichte ausgesetzt werden, wie sich aus Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG ergebe, der Beschlüsse25 des Parlaments vor der Kritik der Gerichte schützen solle.26 Da das Recht auf Akteneinsicht zum „Wesenskern“ des Untersuchungsrechts gehöre, steht nach obergerichtlicher Rechtsprechung die Entscheidung des ersuchten Gerichts über die Akteneinsicht anders als bei anderen nicht am Verfahren Beteiligten nicht in dessen Ermessen.27 Das Gericht darf die Akteneinsicht verwehren, wenn der anfragende Untersuchungsausschuss damit ersichtlich den Rahmen überschreitet, der ihm durch den Untersuchungsauftrag gesteckt ist. Im Übrigen ist das Gericht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG auch an die Gesetze gebunden und hat bei seiner Entscheidung die Belange des Staatswohls sowie die Grundrechte Dritter – bspw. durch eine Anonymisierung der Akten – zu berücksichtigen. Hier stellt sich auch die Frage nach der Gewährung rechtlichen Gehörs: Nach der StPO besteht ein Anspruch auf rechtliches Gehör wohl nur, soweit eine Akteneinsichtnahme durch Privatpersonen gestattet werden soll, §§ 475, 33 analog.28 Dies gilt hingegen wohl nicht für die Akteneinsicht im Rahmen der Amtshilfe gemäß § 474 StPO, da diese Übermittlung grundsätzlich ohne Rücksichtnahme auf die Interessenlage der Betroffenen erfolge.29 Da gemäß Art. 44 Abs. 2 GG die Vorschriften der StPO sinngemäß auf die Beweiserhebungen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages anwendbar sind, ist ein Anspruch auf Akteneinsicht auf § 474 Abs. 1 StPO analog zu stützen.30 Rechtliches Gehör wäre in diesem Falle durch das Gericht wohl nicht verpflichtend zu gewähren. Ergänzend sei auf die Pflicht des Untersuchungsausschusses hingewiesen, vor der Veröffentlichung des Ab- 23 Glauben in: Handbuch (Fn. 9), § 17 Rn. 19. 24 Insb. Klein (Fn. 9), Art. 44 Rn. 226. 25 Nach einhelliger Meinung allerdings nur die Abschlussberichte der Untersuchungsausschüsse, Klein (Fn. 9), Art. 44 Rn. 231. 26 Klein (Fn. 9), Art. 44 Rn. 230. 27 OLG Köln, NJW 1985, 336; OLG Stuttgart NJW 1996, 1908. 28 Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO und GVG, Großkommentar, 26. Aufl. 2010, § 478 Rn. 7. 29 Hilger (Fn. 28), § 478 Rn. 7 a.E. 30 Hilger (Fn. 28), § 474 Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 8 schlussberichtes solchen Personen gemäß § 32 PUAG rechtliches Gehör zu gewähren, die durch diese Veröffentlichung in ihren Rechten erheblich beeinträchtigt werden können. Belange des Geheimschutzes können dem Herausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses nicht entgegengehalten werden, da auch nach der Rechtsprechung des BVerfG angesichts der detaillierten Regelung in der Geheimschutzordnung des Bundestages davon ausgegangen werden kann, dass der Untersuchungsausschuss in eigener Verantwortung die notwendigen Geheimhaltungsmaßnahmen ergreifen werde.31 Über die Zweckmäßigkeit oder Erforderlichkeit der Beweiserhebung hat hingegen nicht das ersuchte Gericht, sondern der Untersuchungsausschuss zu entscheiden. Denn dieser hat das Recht, in den Grenzen seines Untersuchungsauftrages die von ihm für erforderlich gehaltenen Beweise zu erheben.32 Grundsätzlich steht auch die Anhängigkeit eines Strafverfahrens dem Begehren nach Übersenden der Akten nicht entgegen. Beide Verfahren können nebeneinander durchgeführt werden.33 Das ersuchte Gericht hat Bedeutung und Gewicht beider Verfahren – demjenigen vor dem Strafgericht ebenso wie demjenigen des Untersuchungsausschusses – abzuwägen. Allerdings wiege das Interesse der Allgemeinheit an der Strafverfolgung Einzelner nicht höher als das an der Erledigung des Untersuchungsauftrages.34 Gegen die Akteneinsicht könnte also nicht das Interesse an einem von äußeren Einflüssen möglichst freizuhaltenden Verfahren eingewandt werden.35 Jedoch müssen beide Seiten bei der Verfahrensdurchführung darauf achten, den Zweck des jeweils anderen Verfahrens nicht zu vereiteln.36 Die Beachtung der rechtsstaatlichen Gebote des Fair Trial und der Verhältnismäßigkeit müsse der Untersuchungsausschuss in solchen parallelen Untersuchungsverfahren selber gewährleisten. 5. Prüfungskompetenz der Bundesregierung bei einem Herausgabeanspruch? Sollten die Akten vom Untersuchungsausschuss herangezogen werden, um ein abgeschlossenes Verhalten des GBA und anderer Bundesbehörden zu untersuchen und sich der Herausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses dementsprechend nach Art. 44 Abs. 1 GG, § 18 Abs. 1 PUAG richten37, stellt sich ebenfalls die Frage, ob der Bundesregierung bzw. dem zuständigen 31 BVerfGE 77, 1 (62). 32 OLG Köln, NJW 1985, 336 mit Verweis auf BVerfG NJW 1984, 2271. 33 So die mittlerweile einhellige Meinung in der Literatur und die staatsrechtliche Praxis, vgl. Nachweise bei Peters (Fn. 9), Rn. 79. 34 OLG Köln NJW 1985, 336. Zum Ganzen auch Vetter, Rechtsfragen der Parallelität von Strafverfahren und parlamentarischen Untersuchungsverfahren, ZParl 1989, 345 (347, 350). 35 Das OLG Stuttgart (Fn. 27) hält allerdings während der Hauptverhandlung die Reduzierung des Anspruchs auf Akteneinsicht in den Räumen des Gerichts mit einer Möglichkeit, die Akten in Auszügen selber zu kopieren, unter Anwendung des § 5 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG für zulässig. 36 Günther (Fn. 8), Art. 41 Rn. 21; s. auch BGH NstZ 2001, 389. 37 Vgl. BVerfGE 67, 100 (128 f). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 9 Minister eine Prüfungskompetenz hinsichtlich des Herausgabeanpruchs zusteht. Allerdings besteht hier weitgehend Einigkeit. Die Bundesregierung hat grundsätzlich die Pflicht, alle Akten herauszugeben, die mit dem Untersuchungsgegenstand im Zusammenhang stehen.38 Bei der Auslegung des Untersuchungsauftrages stehen weder dem Parlament noch der Bundesregierung ein Ermessenspielraum oder eine Einschätzungsprärogative zu.39 Bei dem Ersuchen muss nicht bereits feststehen, dass jeweils entscheidungserhebliches Material in den Akten vorhanden ist.40 An die Bestimmtheit des Beweisantrages dürfen daher keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Die Regierung hat zunächst in eigener Verantwortung zu entscheiden, welche Akten sie herausgibt.41 Grenzen des Herausgabeanspruchs bilden der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung , das Staatswohl sowie schützenswerte Belange Dritter.42 Hierbei ist aber zu beachten, dass der Untersuchungsausschuss die schützenswerten Belange Dritter durch entsprechende Maßnahmen des Geheimschutzes schützen kann; eine Ausnahme besteht wiederum für die Weitergabe von Daten streng persönlichen Charakters.43 Eine Verweigerung der Herausgabe oder eine Einstufung als Verschlusssache hat die Bundesregierung schriftlich zu begründen, § 18 Abs. 2 S. 2 PUAG. 6. Ergebnis Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages kann vom zuständigen Bundesminister der Justiz dann unmittelbar aus Art. 44 Abs. 1 GG, § 18 Abs. 1 PUAG die Herausgabe von Akten im Besitz des GBA verlangen, wenn sein zulässiger Untersuchungsgegenstand das Verhalten des GBA in der Vergangenheit – und nicht die Führung eines laufenden Ermittlungsverfahrens – betrifft und die Akten sich auf diesen Sachbereich beziehen. Der zuständige Minister kann die Herausgabe nur verweigern, wenn die Akten in keinem Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stehen. Grenzen des Herausgabeanspruchs bilden der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung , das Staatswohl sowie schützenswerte Belange Dritter, die nicht durch entsprechende Maßnahmen des Untersuchungsausschusses gewahrt bleiben können. Soweit der Untersuchungsausschuss jedoch Akten verlangt, in denen er beweisrelevantes Material für einen anders gearteten Untersuchungsgegenstand vermutet, muss er nach Erhebung der öffentlichen Anklage im Rahmen der Amts- und Rechtshilfe gemäß Art. 44 Abs. 3 GG, § 18 Abs. 4 PUAG vorgehen. Adressat des Herausgabeanspruchs ist in diesem Fall der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers, im vorliegenden Fall der Vorsitzende des 6. Strafsenats des OLG München. Dem Vorsitzenden kommt dann zwar eine Prüfungskompetenz zu. Diese bezieht sich jedoch nur darauf, ob sich der Beweisantrag im Rahmen des Untersuchungsauftrages hält. Er hat hingegen 38 BVerfGE 124, 78 (117); Glauben (Fn. 8), § 17 Rn. 4. 39 BVerfGE 124, 78 (119). 40 BVerfGE 124, 78 (117). 41 BVerfGE 77, 1 (54 f.). 42 BVerfGE 124, 78 (120 f.). 43 BVerfGE 67, 100 (144). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 330/12 Seite 10 kein Recht, die Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit des Beweisantrages zu beurteilen. Im Übrigen haben er ebenso wie der Untersuchungsausschuss im Sinne der gegenseitigen Rücksichtnahme darauf zu achten, durch die Verfahrensführung nicht den Zweck des jeweils anderen Verfahrens zu vereiteln. Ein Anspruch auf rechtliches Gehör besteht für Verfahrensbeteiligte wohl nicht. Ob sich der Herausgabeanspruch gegen den zuständigen Bundesminister oder gegen den Vorsitzenden des Spruchkörpers richtet, hängt von der Formulierung des Beweisbeschlusses und den angeforderten Unterlagen ab und kann von dieser Seite nicht entschieden werden.