Deutscher Bundestag Die Versicherungspflicht von Atomkraftwerken Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 330/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 2 Die Versicherungspflicht von Atomkraftwerken Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 330/10 Abschluss der Arbeit: 29. Juli 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtsgrundlagen im Atomhaftungsrecht 4 2.1. Nationales Recht 4 2.2. Internationale Verträge 4 2.2.1. Das Pariser Übereinkommen und die Brüsseler Zusatzprotokolle 4 2.2.2. Das Wiener Übereinkommen 5 2.2.3. Weitere Übereinkommen 6 3. Wie ist die Versicherungspflicht von Atomkraftwerken in Deutschland geregelt? 7 3.1. Haftung für Schäden 7 3.2. Deckungsvorsorge 8 3.2.1. Höhe der Deckungsvorsorge 8 3.2.2. Rechtliche Entwicklung der Deckungsvorsorge 9 3.2.3. Ausgestaltung der Versicherungspflicht 9 4. Welche Vorsorge gibt es für den Fall einer Insolvenz eines Anlagenbetreibers? 9 5. Gibt es Rückstellungen zur Begleichung von Folgeschäden? 10 6. Welche Versicherungspflicht gibt es in Frankreich, Großbritannien, der Schweiz und den USA? 10 6.1. Frankreich 10 6.2. Großbritannien 10 6.3. Schweiz 10 6.4. USA 11 7. Wie hoch sind die Kosten bei einem Nuklearunfall? 11 7.1. Untersuchungen und Szenarien zum Ausmaß der Kosten bei AKW- Unfällen 11 7.2. Die Kosten der Katastrophe von Tschernobyl 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung untersucht, welche Versicherungspflicht es für Atomkraftwerke in Deutschland und in ausgewählten Staaten wie den USA, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz gibt. Da für die Frage der Haftung und der Schadensersatzpflicht sowie deren Absicherung sowohl deutsches Recht als auch multilaterale Verträge eine wichtige Rolle spielen, werden zunächst kurz die Rechtsgrundlagen im Atomhaftungsrecht vorgestellt. Neben der Versicherungspflicht stellt sich auch die Frage der Kosten eines möglichen Nuklearunfalles und den hierzu vorliegenden Untersuchungen. 2. Rechtsgrundlagen im Atomhaftungsrecht 2.1. Nationales Recht Das Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz - AtG)1 enthält in seinen §§ 25 bis 40 Haftungsvorschriften, §§ 13 bis 15 regeln die Schadensersatzverpflichtungen und Haftpflichtversicherungen der Anlagenbetreiber. Im Atomhaftungsrecht ferner einschlägig ist die Verordnung über die Deckungsvorsorge nach dem Atomgesetz (Atomrechtliche Deckungsvorsorge-Verordnung - AtDeckV)2, die die Vorgaben der §§ 13-15 AtG konkretisiert. 2.2. Internationale Verträge Mit dem Pariser Übereinkommen von 1960 und dem Wiener Übereinkommen von 1963 gibt es zwei Basiskonventionen, die beide jeweils durch Zusatzprotokolle erweitert wurden. Neben diesen beiden Konventionen gibt es noch weitere internationale Übereinkommen, die aber in ihrer Bedeutung marginal geblieben sind.3 2.2.1. Das Pariser Übereinkommen und die Brüsseler Zusatzprotokolle Das Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie (Pariser Übereinkommen – PÜ)4 wurde im Rahmen der Kernenergie-Agentur (NEA) der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erarbeitet. Noch vor seinem Inkrafttreten am 1. April 1968 wurde es durch das Zusatzprotokoll vom 28. Januar 1964 (PÜ-ZP 1964)5 ergänzt. 1982 wurde es einer formellen Revision unterzogen und ein weiteres 1 Atomgesetz vom 23. Dezember 1959, Neufassung vom 15. Juli 1985 (BGBl.I 1985, Nr. 41, S. 1565), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. März 2009 (BGBl.I 2009, Nr. 15, S. 556). 2 Atomdeckungsverordnung vom 25. Januar 1977 (BGBl.I 1977, Nr. 8, S. 220), zuletzt geändert durch Artikel 9 Absatz 12 des Gesetzes vom 23. November 2007 (BGBl.I 2007, Nr. 59, S. 2631). 3 Eine Übersicht der multilateralen Vereinbarungen über nukleare Sicherheit und Strahlenschutz mit nationalen Ausführungsvorschriften findet sich auf der Homepage des Bundesamtes für Strahlenschutz , http://www.bfs.de/de/bfs/recht/rsh/rechtsvorschriften_E35.html [Stand: 26. Juli 2010]. 4 BGBl. 1976 II S. 310 ff. 5 Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie , BGBl. 1975 II S. 1007. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 5 Zusatzprotokoll am 16. November 1982 abgeschlossen (PÜ-ZP 1982).6 In dieser konsolidierten Fassung ist das Pariser Übereinkommen seit dem 7. Oktober 1988 völkerrechtlich wirksam.7 Mitgliedstaaten sind Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien , Italien, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien und die Türkei . Luxemburg und Österreich haben das Übereinkommen nur unterzeichnet, aber nicht ratifiziert .8 Eine erneute Überarbeitung des Pariser Übereinkommens erfolgte 2004.9 Das Zusatzprotokoll vom 12. Februar 2004 ist bisher allerdings erst von der Schweiz ratifiziert worden.10 Es tritt gemäß Art. 20 in Kraft, sobald zwei Drittel der Vertragsstaaten es angenommen, ratifiziert oder genehmigt haben.11 Nach Art. 15 PÜ 1982 steht es jeder Vertragspartei frei, Maßnahmen zu ergreifen, um den im Übereinkommen vorgesehenen Entschädigungsbetrag zu erhöhen. Die Vertragsparteien haben sich für ein gemeinsames Vorgehen entschieden und 1963 ein Brüsseler Zusatzprotokoll unterzeichnet .12 Es wurde ebenso wie das Pariser Übereinkommen 196413 und 198214 durch Zusatzprotokolle novelliert. Die Brüsseler Zusatzprotokolle sind unselbständige völkerrechtliche Verträge, die auf den Regelungen des Pariser Übereinkommens aufbauen.15 2.2.2. Das Wiener Übereinkommen Das Übereinkommen vom 21. Mai 1963 über die zivile Haftung für Nuklearschäden (Wiener Übereinkommen – WÜ)16 entstand unter der Schirmherrschaft der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Es ist erst am 12. Januar 1977 völkerrechtlich in Kraft getreten. Im Gegensatz zum Pariser Übereinkommen, welches sich an die Mitgliedstaaten der OECD wendet, ist das WÜ als weltweite Regelung gedacht.17 Mitgliedstaaten des WÜ sind Ägypten, Argentinien, Armenien, Belarus, Bolivien, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Bulgarien, Chile, Estland, Kamerun, Kroatien, Kuba, Lettland, Libanon, Litauen, die ehemals jugoslawische Republik Mazedonien, Mexiko, Ni- 6 Protokoll zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964, BGBl. 1985 II S. 691, in Kraft seit 7. Oktober 1988. 7 Kissich, Internationales Atomhaftungsrecht: Anwendungsbereich und Haftungsprinzipien, 2004, S. 37 ff.; Magnus, in: Baetge/von Hein/von Hinden, Die richtige Ordnung, FS für Jan Kropholler, 2008, S. 595 (598 ff.) 8 Der aktuelle Stand der Ratifizierung ist auf der Homepage der OECD/NEA dokumentiert: http://www.nea.fr/law/paris-convention-ratification.html [Stand: 26.07.2010]. 9 Protokoll zur Änderung des Übereinkommens vom 29.7.1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28.1.1964 und des Protokolls vom 16.11.1982, http://www.nea.fr/law/paris-convention-protocol.html [Stand: 26. Juli 2010]. 10 Die Schweiz hat am 9. März 2009 die Ratifikationsurkunde für das Pariser Übereinkommen von 1960 und die drei Zusatzprotokolle beim Generalsekretär der OECD eingereicht. Der Beitritt der Schweiz wird erst wirksam, wenn das Zusatzprotokoll von 2004 in Kraft tritt. 11 Blobel, Das Protokoll von 2004 zum Pariser Übereinkommen – wesentliche Verbesserungen im internationalen Atomhaftungsrecht, NuR 2005, 137 (142). 12 Zusatzübereinkommen zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie, BGBl. 1975 II S. 992. 13 BGBl. 1975 II, S. 1021. 14 BGBl. 1985 II S. 698. 15 Kissich (Fn. 7), S. 42 f. 16 UN-Treaty Series Vol. 1063, 266. 17 Magnus (Fn. 7), S. 595 (599). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 6 ger, Peru, Philippinen, Polen, Moldawien, Rumänien, Russische Föderation, Serbien und Montenegro , Slowakei, St. Vincent und die Grenadinen, Trinidad und Tobago, Tschechien, Ukraine, Ungarn und Uruguay. Großbritannien, Kolumbien, Israel, Marokko und Spanien haben das WÜ nur unterzeichnet.18 Das WÜ beschränkt sich auf die Errichtung eines Mindeststandards für die finanzielle Absicherung von Schäden aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie.19 Mit Protokoll vom 12. September 199720, welches am 4. Oktober 2003 in Kraft getreten ist, soll das WÜ modernisiert werden. Bisher haben jedoch nur Argentinien, Belarus, Lettland, Marokko und Rumänien ihre Ratifikationsurkunden bei der IAEA hinterlegt.21 Da kein Mitgliedstaat des Pariser Übereinkommens dem Wiener Übereinkommen beigetreten ist, wurde am 21. September 1988 ein Gemeinsames Protokoll zur Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens22 angenommen. Ziel des Gemeinsamen Protokolls ist es, Haftungslücken zu schließen. Tritt ein Haftungsfall in einer Vertragspartei des WÜ ein, so haftet der WÜ-Betreiber auch für Schäden, die auf dem Hoheitsgebiet der PÜ- Vertragspartei eintreten und umgekehrt.23 2.2.3. Weitere Übereinkommen Als Reaktion auf die Katastrophe von Tschernobyl ist das Übereinkommen über ergänzende Entschädigung bei Nuklearschäden vom 29. September 1997,24 welches bei Nuklearunfällen zusätzliche Entschädigungsmittel aus den Vertragsstaaten bereitstellen soll, abgeschlossen worden.25 Das Übereinkommen über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen vom 25. Mai 196226 soll die Entschädigung im Falle eines Nuklearunfalls auf einem Reaktorschiff regeln. Das Übereinkommen ist völkerrechtlich allerdings nie in Kraft getreten und wird es wohl auch nicht mehr.27 Das Brüsseler Übereinkommen über den Seetransport von Kernmaterialien vom 17. Dezember 197128 ist seit dem 15. Juli 1975 völkerrechtlich wirksam. Es zielt auf eine Haftungsbefreiung des Transporteurs von Kernmaterialien auf See ab.29 18 Der aktuelle Stand der Ratifizierung ist auf der Homepage der IAEA dokumentiert: http://www.iaea.org/Publications/Documents/Conventions/liability.html [Stand: 26.07.2010]. 19 Kissich (Fn. 7), S. 46. 20 Siehe http://www.iaea.org/Publications/Documents/Conventions/protamend.html [Stand: 26. Juli 2010]. 21 Siehe http://www.iaea.org/Publications/Documents/Conventions/protamend_status.pdf [Stand: 26. Juli 2010]. 22 BGBl. 2001 II S. 202 ff. 23 Kissich (Fn. 7), S. 48. 24 http://www.iaea.org/Publications/Documents/Infcircs/1998/infcirc567.shtml [Stand: 26. Juli 2010]. 25 Magnus (Fn. 7), S. 595 (599). 26 BGBl. II 1975, S. 957 27 Kissich (Fn. 7), S. 49 ff. 28 BGBl. 1975 II S. 957. 29 Kissich (Fn. 7), S. 51 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 7 3. Wie ist die Versicherungspflicht von Atomkraftwerken in Deutschland geregelt? 3.1. Haftung für Schäden Die zivilrechtliche Haftung für auf einem von einer Kernanlage ausgehendem nuklearen Schaden richtet sich nach § 25 Atomgesetz (AtG). Dieser verweist auf das Pariser Übereinkommen30 und das Gemeinsame Protokoll zur Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens 31. Die Haftungsregelung in § 25 Abs. 1 AtG ist gekennzeichnet durch den Grundsatz der rechtlichen Kanalisierung. Hiernach haftet allein der Anlageninhaber und nicht der Hersteller.32 Der Begriff des Schadens in § 25 Abs. 1 AtG wird von § 3 PÜ konkretisiert: es sind sowohl Schäden an Leben oder Gesundheit von Menschen als auch Schäden an oder Verlust von Vermögenswerten von der Haftung umfasst. Ausreichend ist der Kausalitätsnachweis zwischen Schaden und nuklearem Ereignis, es liegt somit eine Gefährdungshaftung vor, die ohne Nachweis einer persönlichen Schuld greift.33 Art. 9 PÜ sieht einen Haftungsausschluss in besonderen Fällen höherer Gewalt vor, dieser Haftungsausschluss ist im deutschen Recht gemäß Art. 25 Abs. 3 Satz 1 AtG nicht vorgesehen. Ein weiterer Haftungstatbestand besteht für Reaktorschiffe (§ 25a AtG) und ein Auffangtatbestand für sonstige Störfälle (§ 26 AtG). Das Pariser Übereinkommen, das Wiener Übereinkommen und die weiteren Atomhaftungsübereinkommen beruhen auf denselben Grundsätzen, auch wenn sie im Detail beträchtlich von einander abweichen können.34 Diese Prinzipien sind im Wesentlichen:35 - Verschuldensunabhängige Haftung - Kanalisierung der Haftung auf nur eine Person - Beschränkung der Haftungshöhe - Verpflichtung der Deckung der Haftung - Zeitliche Beschränkung der Haftung - Konzentration der internationalen Zuständigkeit auf einen einzigen Gerichtsstand - Verbot der Differenzierung nach Staatsbürgerschaft, Wohnsitz oder Aufenthalt. Das Pariser Übereinkommen in der Fassung von 1982 sieht in Art. 7 eine Begrenzung der Inhaberhaftung für eine Nuklearanlage auf 15 Mio. Sonderziehungsrechte (SZR)36 des Internationalen Währungsfonds vor. Den Vertragsstaaten ist allerdings freigestellt, in ihrem nationalen Recht die Haftungssumme niedriger oder höher anzusetzen, allerdings nicht weniger als 5 Mio. SZR. Das noch nicht in Kraft getretene Protokoll von 2004 zum Pariser Übereinkommen verpflichtet in 30 Siehe oben 2.2.1. 31 Siehe oben 2.2.2. 32 Kloepfer, Umweltrecht, 2004, S.1409, Rn. 148. 33 Junker, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, Beck-online Kommentar, 64. Ergänzungslieferung 2009, B 18. Atomhaftungsrecht, Rn. 11. 34 Kissich (Fn. 7), S. 61. 35 Zitiert nach Kissich (Fn. 7), 62. 36 Wechselkurs (Stand: 23. Juli 2010) 1 SZR = 1,17310 Euro. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 8 Art. 7 (a) die Vertragsparteien für die Haftung des Inhabers einen Betrag von mindestens 700 Mio. Euro zur Verfügung zu stellen.37 Das Brüsseler Zusatzübereinkommen in der Fassung von 198238 sieht vor, dass die Vertragsstaaten zusätzlich zu den Ersatzleistungen des haftpflichtigen Inhabers der Anlage einen Betrag aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellen. Art. 3 sieht eine dreistufige Entschädigungsregelung vor:39 - Bis zu einem Betrag von mindestens 5 Millionen SZR muss Entschädigung sichergestellt werden aus Mitteln, die der haftpflichtige Inhaber einer Kernanlage in Übereinstimmung mit der jeweiligen Ausführungsgesetzgebung zum Pariser Übereinkommen leisten muss; - Ab dem Betrag von 5 Mio. SZR und bis zu 175 Mio. SZR ist Entschädigung aus öffentlichen Mitteln des Genehmigungstaats der Anlage des haftpflichtigen Inhabers bereitzustellen ; - Ab dem Betrag von 175 Mio. SZR bis zu einem Höchstbetrag von 300 Mio. SZR ist Entschädigung aus öffentlichen Mitteln zu leisten, die von der Gesamtheit der Vertragsparteien des Zusatzübereinkommens bereitzustellen ist. Sobald das revidierte Brüsseler Zusatzabkommen von 2004 in Kraft tritt, wird der Höchstbetrag 1,5 Mrd. Euro betragen.40 Im deutschen Atomgesetz regeln die §§ 28 ff AtG den Haftungsumfang bei Tötung, Körperverletzung und Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit. Deutschland hat sich dafür entschieden , die Haftung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 AtG summenmäßig unbegrenzt auszugestalten. 3.2. Deckungsvorsorge 3.2.1. Höhe der Deckungsvorsorge Die Verwaltungsbehörde hat gemäß § 13 Abs. 1 AtG im Genehmigungsverfahren Art, Umfang und Höhe der Vorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzverpflichtungen (Deckungsvorsorge ) zu treffen. Die Genehmigung von Anlagen darf gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AtG u.a. nur dann erteilt werden, wenn die erforderliche Vorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzverpflichtungen getroffen ist. Die Betreiber von Anlagen sind zum Abschluss einer Deckungsvorsorge verpflichtet, die gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 in einem angemessenen Verhältnis zur Gefährlichkeit der Anlage oder der Tätigkeit steht. Die Deckungsvorsorge sichert Schäden im Rahmen einer Höchstgrenze von 2,5 Milliarden Euro ab (§ 13 Abs. 3 Satz 2 AtG). Das Pariser Übereinkommen regelt die Deckungsvorsorge in Art. 10. Dieser sieht vor, dass der Inhaber einer Kernanlage gehalten ist, eine Versicherung oder eine sonstige finanzielle Sicherheit in der gemäß Art. 7 festgesetzten Höhe einzugehen und aufrechtzuerhalten; ihre Art und Bedingungen werden von den zuständigen Behörden bestimmt. Da Art. 7 nur eine Begrenzung der In- 37 Blobel (Fn. 11), 137 (140). 38 Siehe oben 2.2.1. 39 Zitiert nach Pelzer in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 2003, S. 469. 40 Blobel (Fn. 11), 137 (140). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 9 haberhaftung auf maximal 15 Mio. SZR vorsieht, liegt die Deckungsvorsorge in Deutschland weit darüber. 3.2.2. Rechtliche Entwicklung der Deckungsvorsorge Die Erhöhung der Höchstgrenze der Deckungsvorsorge auf 2,5 Milliarden Euro erfolgte mit Gesetz vom 22. April 200241 zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität. Bis dahin hatte Art. 13 Abs. 3 Satz 2 seit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 15. Juli 197542 nur eine Höchstgrenze von 500 Millionen DM vorgesehen . Eine Erhöhung war seit geraumer Zeit diskutiert worden.43 Laut der Gesetzesbegründung dient die Erhöhung der Deckungsvorsorge für Kernkraftwerke einer deutlichen Verbesserung des Opferschutzes. Angesichts der bei einem nuklearen Ereignis in einem deutschen, kommerziell genutzten Kernkraftwerk möglichen Schäden in Billionenhöhe, sei die derzeitige Deckungsvorsorge mit 500 Millionen DM viel zu niedrig angesetzt. Die summenmäßig unbegrenzte Haftung werde in einer risikoadäquaten Weise sichergestellt.44 In den Plenarprotokollen zu den Gesetzesberatungen finden sich keine Wortbeiträge speziell zur Erhöhung der Deckungsvorsorge. 3.2.3. Ausgestaltung der Versicherungspflicht Die Deckungsvorsorge kann bei Kernkraftanlagen gemäß Art. 14 Abs. 1 AtG durch eine Haftpflichtversicherung oder gemäß Art. 14 Abs. 2 AtG durch eine sonstige finanzielle Sicherheit erbracht werden, §§ 2,3 AtDeckV. Die Inhaber von Kernkraftwerken erbringen die Deckung bis zum Betrag von 255,645 Millionen Euro durch eine Haftpflichtversicherung,45 darüber hinaus bis zum Höchstbetrag von 2,5 Milliarden Euro durch gegenseitige Garantiezusagen der Muttergesellschaften . Die Stromgesellschaften haben sich zu einer „Solidargemeinschaft“ verbunden und versichern sich gegenseitig. Da die Einrichtung eines Fonds gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, wird jährlich von Wirtschaftsprüfern bestätigt, dass die notwendigen Mittel vorhanden sind.46 Die private Deckungsvorsorge wird ergänzt durch die Freistellungsverpflichtung des Bundes und des Standortbundeslandes nach § 34, 36 AtG, die zum Tragen kommt, wenn die private Deckung des Betreibers ausfällt.47 Der Höchstbetrag der Freistellungsverpflichtung beträgt 2,5 Milliarden Euro, § 34 Abs. 1 Satz 2 AtG. 4. Welche Vorsorge gibt es für den Fall einer Insolvenz eines Anlagenbetreibers? Für einen Schaden der 2,5 Milliarden Euro übersteigt, haftet der Betreiber des Kernkraftwerkes mit seinem gesamten Vermögen. Es gibt keine gesetzliche Vorsorge für den Fall seiner Insolvenz. 41 BGBl. I 2002, S. 1351. 42 BGBl. I 1975, S. 1885. 43 Vgl. Pelzer, Überlegungen zur Novellierung des atomrechtlichen Haftungs- und Deckungsrechtes in den 90er Jahren, in: Lukes (Hrsg.), Reformüberlegungen zum Atomrecht, 1991, S. 455, 479; Pelzer, Die geplante Neukonzeption der atomrechtlichen Deckungsvorsorge, DVBl. 2000, 13 ff. 44 BT-Drs. 14/6890, S. 18, 24. 45 Die Erstversicherer haben sich in der Deutschen Kernreaktor-Versicherungsgemeinschaft, die die Funktion eines Rückversicherers hat. 46 Kloepfer (Fn. 32), S. 1409 Rn. 150. 47 Pelzer (Fn. 39), S. 461. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 10 5. Gibt es Rückstellungen zur Begleichung von Folgeschäden? Es gibt Rückstellungsverpflichtungen von Kernkraftwerken, jedoch nicht zur Behebung von Folgeschäden von nuklearen Unfällen. Das deutsche Rückstellungssystem für die Kernenergie zielt darauf ab, dass ausreichende finanzielle Mittel für die Stilllegung einschließlich des Rückbaus von Kernkraftwerken sowie für die Entsorgung radioaktiver Abfälle zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stehen, zu dem sie benötigt werden.48 6. Welche Versicherungspflicht gibt es in Frankreich, Großbritannien, der Schweiz und den USA? 6.1. Frankreich Die Versicherungspflicht von Atomkraftwerken ist in Frankreich im Gesetz Nr. 68-94349 vom 30. Oktober 1968 geregelt. Die Haftungssumme für die Betreiber von AKW ist auf 91,5 Millionen Euro für jeden Zwischenfall beschränkt, diese Schadenssumme muss durch eine Versicherung abgedeckt sein. Schäden die über die Haftungsgrenze der Betreiber hinaus entstehen, werden bis zu einer bestimmten Grenze vom französischen Staat getragen und sollen aus dafür eingerichteten öffentlichen Fonds beglichen werden.50 6.2. Großbritannien Die Grundsätze der Haftung von Atomkraftwerkbetreibern sind in Großbritannien im Nuclear Installations Act (1965)51 und weiteren ergänzenden Rechtsgrundlagen geregelt. Die Haftungssumme ist dabei für eine Großanlage auf 140 Millionen britische Pfund begrenzt. Über diese Summe muss eine Versicherung bestehen. Der größte Teil der Nuklearversicherungen in Großbritannien wird von einem Versicherungspool britischer Versicherer die Nuclear Risk Insurers52 abgedeckt. 6.3. Schweiz Die Versicherungspflicht von Atomkraftwerken ist in der Schweiz im Kernenergiehaftpflichtgesetzes 53 (KHG) geregelt. Seit dem 13. Juni 2008 wurde die minimale Deckungssumme von 1 auf 1,8 Milliarden Schweizer Franken erhöht und die Vorgaben des internationalen Atomhaftungs- 48 Müller-Dehn, Finanzielle Entsorgungsvorsorge aus Sicht der Betreiber, atw 6/2008, http://www.kernenergie.de/kernenergie/Service/Fachzeitschrift-atw/Hefte--- Themen/2008/Jun/items/Vollstaendiger-atw-Artikel--Finanzielle-Entsorgungsvorsorge-aus-Sicht-der- Betreiber.php [Stand: 29. Juli 2010]. 49 In der konsolidierten Fassung vom 14. Juni 2006, abrufbar unter: http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=LEGITEXT000006068327&dateTexte=20100 728 [Stand: 28. Juli 2010]. 50 Nuclear Legislation in OECD Countries, Regulatory and Institutional Framework for Nuclear Activities - France, OECD 2003, S. 24, abrufbar unter: http://www.nea.fr/law/legislation/france.pdf [Stand: 28. Juli 2010]. 51 Abrufbar unter: http://www.opsi.gov.uk/RevisedStatutes/Acts/ukpga/1965/cukpga_19650057_en_1 [Stand: 29. Juli 2010]. 52 Hompage der Nuclear Risk Insurers: http://www.nuclear-risk.com/ [Stand: 29. Juli 2010]. 53 Abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c732_44.html [Stand: 28. Juli 2010]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 11 systems, die in den Revisionsprotokollen zum Pariser Übereinkommen und zum Brüsseler Zusatzübereinkommen festgelegt sind, in die schweizerische Gesetzgebung übernommen.54 Darüber hinaus existiert in der Schweiz eine Kernenergiehaftpflichtverordnung, welche die Vorgaben des KHG im Detail regelt. 6.4. USA In den USA55 gilt seit 50 Jahren ein besonderes Haftpflichtsystem, festgelegt ist es im Price- Anderson Nuclear Industries Indemnity Act56.57 Dort ist eine Mindesthaftsumme von 95,8 Millionen Dollar festgelegt, für die jeder Reaktor von seinen Betreibern versichert sein muss. Es wird aber eine viel höhere Schadensdeckung dadurch erreicht, dass im Fall eines großen Unfalls alle Reaktorbetreiber zur Refinanzierung der Schadenssumme nachträglich herangezogen werden. Dabei handelt es um den größten Versicherungspool der Welt.58 7. Wie hoch sind die Kosten bei einem Nuklearunfall? 7.1. Untersuchungen und Szenarien zum Ausmaß der Kosten bei AKW-Unfällen Zu den Kostenfolgen eines schweren Kernschmelzunfalls in Deutschland existiert eine Studie der PROGNOS AG von 1992, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde. Diese Studie beziffert die Schadenshöhe bei einem solchen Unfall für Gesundheits-, Sach-, und Vermögensschäden auf bis zu 10,7 Billionen DM (ca. 5,5 Billionen Euro). 59 7.2. Die Kosten der Katastrophe von Tschernobyl Nach einer Studie der International Atomic Energy Agency (IAEA) kann die Kalkulation der Kosten des Nuklearunfalls von Tschernobyl aufgrund der 1986 und in den Folgejahren herrschenden wirtschaftlichen Situation in der Sowjetunion und den Nachfolgestaaten nur mit einem hohen Maß an Schätzung vorgenommen werden. 60 Nach dieser Studie belaufen sich die Folgekosten der Katastrophe schätzungsweise auf hunderte Milliarden Dollar. 54 Informationsseite des Schweizer Bundesamtes für Energie: http://www.bfe.admin.ch/themen/00544/00547/index.html?lang=de [Stand: 28. Juli 2010]. 55 Die USA sind weder Vertragsstaat des Pariser noch des Wiener Übereinkommens. 56 Abrufbar unter: http://www.law.cornell.edu/uscode/html/uscode42/usc_sec_42_00002210----000- .html [Stand: 28. Juli 2010]. 57 Nuclear Legislation in OECD Countries, Regulatory and Institutional Framework for Nuclear Activities - United States, OECD 2008, S. 23, abrufbar unter: http://www.nea.fr/law/legislation/usa.pdf [Stand: 28. Juli 2010]. 58 Schneider/ Thomas/Froggatt/Koplow, Der Welt-Statusreport Atomindustrie 2009, August 2009, S. 74, abrufbar unter: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/welt_statusbericht_atomindustrie_0908_de _bf.pdf [Stand: 28. Juli 2010]. 59 Masuhr/Wolff/Keppler, Identifizierung und Internalisierung externer Kosten der Energieversorgung, Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministerium der PROGNOS AG, Juni 1992, S. 119. 60 Das Erbe von Tschernobyl: Einflüsse auf Gesundheit, Umwelt sowie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, Das Tschernobyl Forum: 2003–2005, zweite überarbeitete Ausgabe, S. 30, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 330/10 Seite 12 Die Umweltorganisation Greenpeace hat ein Gutachten zu den Folgen des Reaktorunfalls in Tschernobyl erstellen lassen.61 Nach Schätzungen von Greenpeace werden die wirtschaftlichen Schäden bis zum Jahr 2015 auf insgesamt 201 Milliarden US-Dollar (ca. 154 Milliarden Euro) anwachsen.62 Auch aus weiteren Studien ergeben sich ähnliche Zahlen.63 abrufbar unter: http://www.iaea.org/Publications/Booklets/German/chernobyl_ger.pdf [Stand: 28. Juli 2010]. 61 Large & Associates, Chernobyl - a nuclear catastrophe 20 years on, Studie v. 26. April 2006, abrufbar unter: http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/atomkraft/chernobyl-anuclear -catastro.pdf [Stand: 28. Juli 2010]. 62 Totz, „Die Folgen des Super-Gaus“, Artikel vom 26. März 2006, abrufbar unter: http://www.greenpeace.de/themen/atomkraft/atomunfaelle/artikel/die_folgen_des_super_gaus/ [Stand: 28. Juli 2010]. 63 Vgl. Fairlie/Sumner, The other report on Chernobyl (TORCH), http://www.chernobylreport.org/torch.pdf [Stand: 28. Juli 2010]; Hirsch/Becker, 17 Jahre nach Tschernobyl, April 2003, S. 4, abrufbar unter: http://www.windenergie .de/fileadmin/dokumente/Themen_A- Z/Externe%20Kosten/Studie_Greenpeace_17_Jahre_Tschernobyl.pdf [Stand: 28. Juli 2010].