© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 324/18 Ausschluss und Widerruf von flüchtlingsrechtlichem Schutz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 2 Ausschluss und Widerruf von flüchtlingsrechtlichem Schutz Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 324/18 Abschluss der Arbeit: 4. Oktober 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Formen des flüchtlingsrechtlichen Schutzes 4 3. Ausschluss und Widerruf des flüchtlingsrechtlichen Schutzes 4 3.1. Ausschluss der Asylberechtigung und des Flüchtlingsstatus 5 3.1.1. Konzept der Asylunwürdigkeit 5 3.1.1.1. Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit 6 3.1.1.2. Schwere nichtpolitische Straftat vor der Aufnahme 7 3.1.1.3. Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen 7 3.1.2. Weitere Ausschlussgründe 8 3.1.2.1. Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland 9 3.1.2.2. Gefahr für die Allgemeinheit nach § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 2 AufenthG 9 3.1.2.3. Gefahr für die Allgemeinheit nach § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG 10 3.2. Widerruf der Asylberechtigung und des Flüchtlingsstatus 10 3.3. Ausschluss und Rücknahme des subsidiären Schutzes 10 3.4. Kein Ausschluss des nationalen Abschiebungsschutzes 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung befasst sich mit der Frage, ob flüchtlingsrechtlicher Schutz ausgeschlossen bzw. widerrufen werden kann, wenn der Schutzsuchende straffällig geworden ist oder ein (ehemaliger) Unterstützer des sog. Islamischen Staats (IS) ist. 2. Formen des flüchtlingsrechtlichen Schutzes Bei der Entscheidung über den Antrag eines Asylsuchenden kommen verschiedene Schutzformen in Betracht. Neben der Asylberechtigung nach Art. 16a GG i.V.m. § 2 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG)1 existieren als Formen des internationalen Schutzes die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)2 nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1 Abschnitt A GFK3 und die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 AsylG4. Wenn diese drei Schutzformen nicht greifen, kommt zudem eine Einstufung als Abschiebungsschutzberechtigter aufgrund eines sog. nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG in Betracht.6 Bei der Beurteilung des Ausschlusses bzw. Widerrufs der Schutzberechtigung muss zwischen den verschiedenen Schutzformen unterschieden werden. Nachfolgend werden zunächst Ausschluss- (3.1) und Widerrufsgründe (3.2) bezüglich der Asylberechtigung und des Flüchtlingsstatus nach der GFK untersucht, anschließend Ausschluss und Widerruf des subsidiären Schutzes (3.3). Abschließend folgen Erläuterungen zum Abschiebungsschutz, der auch nach Ausschluss und Widerruf der Schutzberechtigung möglich ist (3.4). 3. Ausschluss und Widerruf des flüchtlingsrechtlichen Schutzes Das Begehen bestimmter Straftaten oder bestimmter anderer Handlungen kann die Zuerkennung eines Schutzstatus ausschließen. Im Falle von Handlungen, die nachträglich begangen wurden oder deren Begehung sich nachträglich herausstellt, ist der Widerruf der Anerkennung als Schutzberechtigter möglich. 1 Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780). 2 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560). 3 Vgl. auch Art. 9 ff. der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung). 4 Vgl. auch Art. 15 ff. der Richtlinie 2011/95/EU [Fn. 2]. 5 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147). 6 Vgl. für alle Schutzformen die Übersicht bei Tiedemann, Flüchtlingsrecht, 2. Auflage 2018/2019, S. 33, 39 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 5 Stellt sich heraus, dass es sich bei dem Schutzsuchenden oder Schutzberechtigten um einen (ehemaligen) Unterstützer des IS handelt, so muss im Einzelfall geprüft werden, welche Straftaten die Person in diesem Zusammenhang begangen hat oder welche sonstigen Ausschlussgründe aufgrund der Unterstützung einschlägig sind.7 3.1. Ausschluss der Asylberechtigung und des Flüchtlingsstatus 3.1.1. Konzept der Asylunwürdigkeit § 3 Abs. 2 AsylG listet in Übereinstimmung mit Art. 1 Abschnitt F der GFK verschiedene Handlungen auf, die eine Anerkennung als Flüchtling ausschließen. Nach § 30 Abs. 4 AsylG gelten die Ausschlussgründe auch für die Eigenschaft als Asylberechtigter nach Art. 16a GG, indem sie den Antrag auf Asyl offensichtlich unbegründet werden lassen.8 Nach diesem Konzept der sogenannten Asylunwürdigkeit9 ist ein Ausländer kein Flüchtling im Sinne der GFK und auch nicht asylberechtigt, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er (1) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG), (2) vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebietes begangen hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG), (3) den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder (4) andere zu derartigen Straftaten angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Nicht erforderlich ist ein dem Strafrecht vergleichbarer Beweisstandard10 oder die Tatsache, dass von dem Ausländer noch eine fortbestehende Gefahr für den Aufnahmestaat ausgeht11. 7 Siehe zum Umgang mit sog. IS-Rückkehrern den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Fragen zu IS-Rückkehrern, WD 3 - 3000 - 107/17. 8 Zur Zulässigkeit der Einschränkung des Asylgrundrechts vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 2011 – 10 C 2/10 – juris, Rn. 45 ff. und Urteil vom 7. Juli 2011 – 10 C 26/10 - juris Rn. 32 f. 9 Dieses Konzept findet seine Grundlage in Art. 1 Abschnitt F GFK. Die in der GFK formulierten Ausschlussgründe sind auch in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU übernommen worden. Zu den historischen Hintergründen für die Begrenzung des Asyls siehe BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 – 10 C 24/08 – juris Rn. 30. 10 Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 2011 – 10 C 2/10 – juris Rn. 26 und Urteil vom 7. Juli 2011 – 10 C 26/10 – juris Rn. 38. 11 Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 – 10 C 26/10 – juris Rn. 25 mit Hinweis auf EuGH, Urteil vom 9. November 2010 – C 57/09 und 101/09 – juris Rn. 101 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 6 Schwerwiegende Gründe im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG liegen vor, wenn klare und glaubhafte Indizien für die Ausübung der Handlungen vorliegen, die einen Verdacht begründen.12 Hierzu muss ein Strafverfahren oder eine strafgerichtliche Verfolgung (noch) nicht förmlich eingeleitet worden sein.13 3.1.1.1. Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Ob ein Verbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG vorliegt, bestimmt sich „nach den internationalen Vertragswerken, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen“. Dazu zählen insbesondere das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (IStGH-Statut)14 und die Charta des Internationalen Militärtribunals (Londoner Charta)15, die als Rechtsgrundlage für die Nürnberger Prozesse diente. Ein Verbrechen gegen den Frieden ist nach der Definition in Art. 6a der Londoner Charta die „Planung, Vorbereitung, Anstiftung zu oder Führen eines Angriffskrieges oder eines Krieges, durch den internationale Verträge, Abkommen oder Zusicherungen verletzt werden, oder die Teilnahme an einer Verschwörung zum Zweck der Erfüllung eines der vorgenannten Ziele.“ Als Kriegsverbrechen werden nach Art. 6b der Londoner Charta Verletzungen von geschriebenem oder ungeschriebenem Kriegsrecht angesehen. Nicht abschließend zählten dazu: „Mord, Misshandlung oder Deportation der Zivilbevölkerung des besetzten Gebietes oder der sich auf diesem Gebiet befindenden Bevölkerung, zum Zwecke der Zwangsarbeit oder zu einem anderen Zwecke, Ermordung oder Misshandlung von Kriegsgefangenen oder Personen auf See, das Töten von Geiseln, das Plündern öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstörung von Städten oder Dörfern, oder Akte der Verwüstung, die nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt sind.“ Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind nach Art. 6c der Londoner Charta: „Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere Akte der Unmenschlichkeit gegenüber der Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges; dazu zählen auch die Verfolgung aus politischen Gründen oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse oder Religionsgemeinschaft bei der Ausführung oder in Verbindung mit einem in den Zuständigkeitsbereich des Gerichts fallenden Verbrechen, ungeachtet der Tatsache, ob es sich hierbei um eine Verletzung des innerstaatlichen Rechts des Landes, wo das Verbrechen begangen wurde, handelt oder nicht.“ 12 Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 2011 – 10 C 2/10 – juris Rn. 26. 13 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 86. Aktualisierung Juni 2014, § 3 AsylG Rn. 54. 14 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (BGBl. 2000 II S. 1393), zuletzt geändert durch Resolution vom 11. Juni 2010 (BGBl. 2013 II S. 139, 144, 146, 1042). 15 Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945, abgedruckt im UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Anhang V, S. 105, abrufbar unter http://www.unhcr .org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/04/UNHCR-Handbuch.pdf (Stand: 28. September 2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 7 3.1.1.2. Schwere nichtpolitische Straftat vor der Aufnahme Für die Feststellung einer schweren nichtpolitischen Straftat außerhalb des Bundesgebietes (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG) ist eine Abwägung im Einzelfall erforderlich.16 Es muss sich um eine Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist.17 Eine Handlung aus „vorgeblich politischen[n] Ziele[n]“ kann nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ebenfalls unter den Begriff der nichtpolitischen Straftat fallen, „insbesondere eine grausame Handlung“. Zur Frage, ob auch terroristische Handlungen als nichtpolitische Straftat gelten können, hat der EuGH entschieden, dass Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind, auch dann schwere nichtpolitische Straftaten sind, wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden.18 Allein der Umstand, dass eine Person vor ihrer Aufnahme Mitglied einer terroristischen Vereinigung war, schließe die Flüchtlingseigenschaft jedoch noch nicht aus. Es müsse eine eigene hinreichend schwerwiegende Handlung der betreffenden Person hinzukommen. Habe die Person in der Vereinigung eine Führungsposition innegehabt, so könne davon ausgegangen werden, dass sie für strafbare Handlungen der Vereinigung verantwortlich sei. 3.1.1.3. Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen Für die Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen gibt es laut dem Flüchtlingshilfswerk der vereinten Nationen (UNHCR) bislang kaum Präzedenzfälle.19 Voraussetzung für diesen Ausschlussgrund ist, dass die betreffende Person über eine gewisse Machtposition in einem Staat verfügt hat und zu einer Verletzung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen20, die sich aus der Präambel sowie aus Art. 1 und 2 ergeben, direkt beigetragen hat. 16 Hailbronner, Ausländerrecht, 86. Aktualisierung Juni 2014, § 3 AsylG Rn. 31. 17 Vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 14. Oktober 2008 – 10 C 48/07 – juris Rn. 19. Für Beispiele siehe Hailbronner, Ausländerrecht, 86. Aktualisierung Juni 2014, § 3 AsylG Rn. 32 f. 18 EuGH, Urteil vom 9. November 2010 – C-57/09 und C-101/09 – juris Rn. 81 ff. 19 UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, S. 45 Rn. 163. 20 Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 (BGBl. 1973 II S. 430, 43), zuletzt geändert am 22. April 1974 (BGBl. 1980 II S. 1252). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 8 3.1.2. Weitere Ausschlussgründe § 3 Abs. 4 AsylG sieht in Umsetzung des Art. 33 Abs. 2 GFK21 weitere Ausschlussgründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Anerkennung als Asylberechtigter vor.22 Eine Anerkennung ist gemäß § 3 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 S. 1 und 3 AufenthG ausgeschlossen, wenn der Ausländer (1) aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist (§ 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 1 AufenthG) oder (2) eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 2 AufenthG) oder (3) wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG von der Flüchtlingsanerkennung abgesehen hat. Dies ist möglich, wenn „der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist“23. Anders als beim Prinzip der Asylunwürdigkeit geht es bei diesen Ausschlusstatbeständen um eine Abwägung zwischen den Interessen des Geflüchteten und den Sicherheitsinteressen des Staates.24 Im Hinblick auf die Bedeutung des zurücktretenden Asylrechts ist der Tatbestand des 21 Die Ausschlussgründe lehnen sich an die in Art. 33 Abs. 2 GFK normierte Ausnahme vom Non-refoulement-Gebot an. Art. 33 Abs. 1 GFK bestimmt, dass keiner der vertragsschließenden Staaten einen Flüchtling ausweisen oder zurückweisen darf, dessen Leben oder Freiheit im Herkunftsstaat wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit , Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung bedroht sein würde. Nach Art. 33 Abs. 2 GFK kann sich auf diese Vergünstigungen nicht berufen, wer aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit oder die Allgemeinheit des Landes bedeutet, in dem er sich befindet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde. 22 Göbel-Zimmermann/Masuch/Hruschka, in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, § 3 AsylG Rn. 78. 23 § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG, Hervorhebungen nicht im Original. 24 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 106 mit zahlreichen Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 9 § 60 Abs. 8 AufenthG eng auszulegen25 und nur als ultima ratio anzuwenden. Die Sicherheitsinteressen des Staates und der Allgemeinheit müssen in besonders qualifizierter Weise betroffen bzw. bedroht sein.26 3.1.2.1. Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 1 AufenthG umfasst die äußere und die innere Sicherheit, also den Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen.27 Eine strafrechtliche Verurteilung wird für die Bejahung des Ausschlusstatbestands nicht vorausgesetzt. Ausreichend sind hinreichende, auf Tatsachen gestützte Feststellungen von einigem Gewicht.28 Schwerwiegende Gründe für die Annahme einer Gefahr für die Sicherheit liegen insbesondere bei Spionage, Sabotage, umstürzlerischen Bestrebungen und politischem Terrorismus vor.29 In der Praxis hat der Ausschlussgrund in Alt. 2 größere Relevanz.30 3.1.2.2. Gefahr für die Allgemeinheit nach § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 2 AufenthG Nach § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 2 AufenthG ergibt sich eine Gefahr für die Allgemeinheit aus einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe aufgrund eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens von mindestens drei Jahren. Neben die Verurteilung muss allerdings hinzutreten, dass eine konkrete Wiederholungsgefahr bezüglich einer besonders schweren Straftat besteht.31 Dies setzt voraus, dass in Zukunft neue vergleichbare Straftaten der Person ernsthaft drohen.32 Schwere Straftaten i.S.d. § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 2 AufenthG können nach der Rechtsprechung etwa Mord, Totschlag, Menschenraub, schwerer Raub, Geiselnahme, schwere Brandstiftung , Betäubungsmitteldelikte und andere mit hohen Freiheitsstrafen bedrohte Straftaten sein.33 25 Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 107. 26 Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 107. 27 Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 110. 28 Kluth, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 19. Edition, Stand: 1. August 2018, § 3 AsylG Rn. 20 m.w.N. 29 Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 111. 30 Göbel-Zimmermann/Masuch/Hruschka, in: Huber, AufenthG, 2. Auflage 2016, Rn. 82. 31 Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 112; vgl. zu den Einzelheiten der Feststellung der Wiederholungsgefahr BVerwG, Urteil vom 16. November 2000 – 9 C 6/00 – juris Rn. 12 ff. und Urteil vom 1. November 2005 – 1 C 21/04 – juris Rn. 35. 32 Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 112. 33 Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 112 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 10 3.1.2.3. Gefahr für die Allgemeinheit nach § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG Nach § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG genügt eine Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr für die Annahme einer Gefahr für die Allgemeinheit, wenn die Strafe für eine der genannten Straftaten verhängt wurde und eine der genannten Tatbegehungsweisen zutrifft. Der Ausschluss nach § 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG wurde 2016 mit dem Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Ausländern34 eingefügt und bezweckt eine Ausschlussmöglichkeit unterhalb der Drei-Jahres-Schwelle aus § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG bei bestimmten Straftaten.35 Ob diese Herabsetzung der erforderlichen Mindestfreiheitsstrafe auf nur ein Jahr verfassungs-, völker- und unionsrechtskonform ist, ist nach Ansicht der Literatur zweifelhaft.36 3.2. Widerruf der Asylberechtigung und des Flüchtlingsstatus Vorstehend wurden die Möglichkeiten des Ausschlusses eines noch nicht gewährten Schutzstatus erläutert. Im Falle von Handlungen, die nachträglich begangen wurden oder deren Begehung sich nachträglich herausstellt, kommt ein Widerruf der Anerkennung als Schutzberechtigter in Betracht. Nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Die Vorschrift erfasst auch die nachträgliche Verwirklichung von Ausschlussgründen nach § 3 Abs. 2 AsylG37 oder § 60 Abs. 8 AufenthG38. Nach § 73 Abs. 3 AsylG ist bei einem Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz oder für den nationalen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. 3.3. Ausschluss und Rücknahme des subsidiären Schutzes Die Zuerkennung subsidiären Schutzes richtet sich nach § 4 Abs. 1 AsylG. Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 S. 1 und 2 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, etwa die Todesstrafe, Folter oder eine andere unmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Die Gewährleistung subsidiären Schutzes kann jedoch ebenfalls ausgeschlossen sein. Dies ist gemäß 34 Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Ausländern vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394). 35 Göbel-Zimmermann/Masuch/Hruschka, in: Huber, AufenthG, 2. Auflage 2016, Rn. 77. 36 Als Problem wird insbesondere angesehen, dass Art. 33 GFK und Art. 14 der Richtlinie 2011/95/EU für einen Ausschluss das Vorliegen einer „besonders schweren Straftat“ verlangen und eine einjährige Freiheitsstrafe dafür zumindest generell nicht ausreiche, siehe Hailbronner, Ausländerrecht, 97. Aktualisierung August 2016, § 60 AufenthG Rn. 109, 109a; Göbel-Zimmermann/Masuch/Hruschka, in: Huber, AufenthG, 2. Auflage 2016, Rn. 86. 37 Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 2011 – 10 C 2/10 – juris Rn. 20 ff. 38 Vgl. zur Zulässigkeit und Vereinbarkeit dieser Handhabung mit der GFK BVerwG, Urteil vom 1. November 2005 – 1 C 21/04 – juris Rn. 31 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 11 § 4 Abs. 2 AsylG der Fall, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer (1) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat (§ 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG), (2) eine schwere Straftat begangen hat (§ 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG), (3) eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt (§ 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AsylG) oder (4) andere zu derartigen Straftaten angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat (§ 4 Abs. 2 S.2 AsylG). Die Ausschlussgründe entsprechen (ungeachtet des geringfügig anderen Wortlauts) im Wesentlichen den zuvor dargestellten Gründen für den Ausschluss von Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft .39 Ein Unterschied besteht darin, dass der Ausschlussgrund der Gefahr für die Allgemeinheit nach § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AsylG im Gegensatz zu § 60 Abs. 8 S. 1 Alt. 2 und S. 3 AufenthG keine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt, sondern allein an das Bestehen einer konkreten Gefahr anknüpft.40 Die Zuerkennung subsidiären Schutzes ist nach § 73b Abs. 3 Alt. 1 AsylG zurückzunehmen, wenn der Ausländer von der Gewährung nach § 4 Abs. 2 AsylG hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist. 3.4. Kein Ausschluss des nationalen Abschiebungsschutzes Die Zuerkennung des sog. nationalen Abschiebungsschutzes bestimmt sich nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Der Schutz ist zu erteilen, wenn sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)41 ergibt, dass die Abschiebung des Ausländers unzulässig ist (§ 60 Abs. 5 AufenthG). Ein solches Abschiebungsverbot liegt insbesondere vor, wenn im Zielland Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (Art. 3 EMRK). Der Abschiebungsschutz soll zudem erteilt werden, wenn in dem Staat, in den die Abschiebung erfolgen müsste, für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (§ 60 Abs. 7 AufenthG). Eine konkrete Gefahr in diesem Sinne liegt beispielsweise bei einer schweren Erkrankung und mangelnder medizinischer Versorgung im Zielstaat vor.42 39 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 86. Aktualisierung Juni 2014, § 4 AsylG Rn. 75. 40 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 86. Aktualisierung Juni 2014, § 4 AsylG Rn. 76 und 77. 41 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II S. 1198), zuletzt geändert durch 15. EMRK-Protokoll vom 24. Juni 2013 (BGBl. 2014 II S. 1034). 42 BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18.05 – juris Rn. 14 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 324/18 Seite 12 Die Prüfung bezieht sich allein auf die Verhältnisse im Zielstaat und lässt das persönliche – auch straffällige – Verhalten des Ausländers außen vor. Von der Zuerkennung des so normierten Abschiebungsschutzes werden somit auch die Fälle erfasst, in denen dem Ausländer aus Gründen seiner Straffälligkeit die Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre internationale Schutz nicht zuerkannt werden.43 Ist der Ausländer im Falle der Abschiebung der konkreten Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigen Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 der EMRK ausgesetzt, greift § 60 Abs. 5 AufenthG auch dann ein, wenn sein Verbleib im Inland die nationale Sicherheit gefährdet.44 Dies gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) selbst dann, wenn der Ausländer in besonders schwerer Weise straffällig geworden ist.45 *** 43 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Verfahrens- und Prüfungsschritte im Asylverfahren, Ausarbeitung vom 22. September 2015, WD 3 - 3000 - 220/15, S. 15. 44 Senge, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Kommentar, 219. EL April 2018, § 60 AufenthG Rn. 13. 45 Vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996, NVwZ 1997, 1100 (1101); EGMR, Urteil vom 15. November 1996, NVwZ 1997, 1093 (1094); Senge, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Kommentar, 219. EL April 2018, § 60 AufenthG Rn. 13.