© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 319/18 Umgang mit Gefährdern in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 319/18 Seite 2 Umgang mit Gefährdern in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 319/18 Abschluss der Arbeit: 19.10.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 319/18 Seite 3 1. Vorbemerkung Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über den Umgang verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit sog. Gefährdern. Die Ausführungen beruhen dabei auf Informationen aus den Mitgliedstaaten. Eine abschließende Darstellung der Situation in allen Mitgliedstaaten kann aufgrund der Informationslage nicht erfolgen. 2. Erfassung und Anzahl von Gefährdern in den Mitgliedstaaten der EU 2.1. Estland Der Internal Security Service erfasst Personen, die potenziell den Terrorismus unterstützen oder eine terroristische Straftat begehen könnten. Allgemein ist die Behörde gemäß ihres gesetzlichen Auftrages für die Bekämpfung des Terrorismus sowie dessen Finanzierung zuständig. Ein wesentlicher Teil der Tätigkeit besteht im Sammeln von Informationen, zu denen auch solche zu potenziell gefährlichen Personen zählen. Eine Zahl von erfassten Gefährdern wird nicht öffentlich bekanntgegeben. 2.2. Finnland In Finnland existieren verschiedene Datenbanken, in denen gefährliche Personen erfasst werden. Zu diesen zählen: Ein Datensystem für Polizeiangelegenheiten (Data System for Police Matters), in dem Informationen aus polizeilichen Observationen von verdächtigen Personen für die Polizei landesweit abrufbar gespeichert sind. Ein Datensystem für Verdächtige (Suspect Data System), in dem Informationen für die Polizei ebenfalls landesweit abrufbar gespeichert werden. Die gespeicherten Informationen stammen aus Überwachungen und Observationen von Personen, die zu einer Haftstrafe verurteilt wurden oder wegen Beihilfe zu einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt wurden oder die strafbar Betäubungsmittel verwendet haben. Weiterhin besteht ein Datensystem für die Sicherheitspolizei (Operational Datasystem of Security Police), in denen notwendige Informationen zur Verhinderung von Straftaten gespeichert werden, die die gesetzliche oder soziale Ordnung oder die Staatssicherheit betreffen. Die Zahl behördlich erfasster Gefährder in Finnland ist nicht bekannt. 2.3. Frankreich Das Innenministerium registriert zwei Gefährderkategorien. Die erste Kategorie („S“ - Sûreté de l’État) betrifft unmittelbar den Staatsschutz. Erfasst werden staatsgefährdende Personen in 21 Unterkategorien. Die Daten werden 1 Jahr gespeichert. In der zweiten Kategorie („FSPRT“ - fichier de traitement des signalements pour la prévention de la radicalisation à caractère terroriste) werden Personen und Informationen zur Prävention einer terroristischen Radikalisierung erfasst. Es besteht eine polizeiliche Koordinierungseinheit, die die Dringlichkeit überwacht und die Gefährder einstuft. Als gefährlich eingestufte Personen werden zur Überwachung an den Inlandsgeheimdienst Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 319/18 Seite 4 (DGSI - direction générale de la sécurité intérieure) weitergeleitet. Weniger gefährliche Personen werden nachrichtendienstlich (SCRT - service central du renseignement territorial) überwacht. Gefährder, die keiner Gruppe zugeordnet werden können, werden polizeilich kontrolliert. Im November 2017 wurden ca. 25.000 Personen der Kategorie „S“ zugeordnet, von denen ca. 9.700 in die Unterkategorie „radicalisation“ (hauptsächlich islamischer Terrorismus) eingeordnet wurden. 12.000 Personen wurden der Kategorie „FSRT“ zugeordnet. 2.4. Italien In Italien wird eine Liste von „foreign fighters“ geführt. Bei diesen handelt es sich um Personen, die in Konfliktregionen reisen und bei denen der Verdacht einer Nähe zum Terrorismus besteht. Die Polizei ermittelt und überwacht zudem Personen, die im Verdacht stehen, ein Risiko für die Staatssicherheit darzustellen. Ende 2016 wurden 116 „foreign fighters“ erfasst, die nach Syrien ausreisten. Zudem wurden 164.799 Personen polizeilich überprüft; 1933 Personen wurden gesucht, weil eine Nähe zum religiösen Extremismus vermutet wurde; 686 Personen wurden befragt (inquired) und 375 Personen wurden inhaftiert. 2.5. Kroatien Nach kroatischem Recht darf die Polizei Personen nicht aufgrund eines möglichen Terrorverdachts erfassen. Anderen staatlichen Sicherheitsbehörden ist eine entsprechende Datenerhebung jedoch erlaubt. Zu erfassten Gefährdern gibt es keine Zahlen. 2.6. Lettland In Lettland bestehen keine spezifischen Regelungen zum Umgang mit Gefährdern. Es existiert jedoch eine Liste mit Personen, denen die Einreise untersagt ist. In die Liste aufgenommen werden Personen, die kriminellen Organisationen angehören, eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen oder Verbrechen planen. 2.7. Litauen In Litauen können Prozessdaten (process data) von den Nachrichtendiensten über Personen erhoben werden, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen, oder Interessen des Staates gefährden. Darüber hinaus können Ausländer mit einer Einreisesperre belegt werden, wenn von ihnen eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung ausgeht. Zahlen über erfasste Gefährder sind nicht bekannt. 2.8. Österreich Für den Begriff „Gefährder“ gibt es in Österreich keine Legaldefinition, sondern lediglich eine Arbeitsdefinition des Staatsschutzes. Es handelt sich dabei um eine Person oder Gruppierung, bei der auf Grund bestimmter Tatsachen damit zu rechnen ist, dass es durch ihr Verhalten zu einer Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 319/18 Seite 5 mit Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundenen Kriminalität kommen könnte. Jedenfalls werden alle „Jihadreisenden“ als „Gefährder“ angesehen, denen die Ausreise in Richtung Krisengebiete geglückt oder misslungen ist. Ende 2017 waren 313 aus Österreich stammende Personen bekannt. Davon sind 55 Personen (unbestätigt) verstorben, 94 kehrten zurück und 59 konnten an der Ausreise gehindert werden. 2.9. Schweden Der Schwedische Sicherheitsdienst erfasst drei extremistische Szenen. Bei diesen handelt es sich um islamistische Extremisten, Rechtsextremisten (white power movement) und Linksextreme bzw. Autonome. Der Sicherheitsdienst überwacht kontinuierlich alle drei extremistischen Szenen und bewertet die Bedrohungslage. Informationen hierzu erhält er von kooperierenden Sicherheitsund Nachrichtendiensten, von anderen Behörden und aus der Öffentlichkeit. Zudem werden Informationen durch eigene Ermittlungen oder über Kontaktpersonen oder über das Internet und die sozialen Medien beschafft. Derzeit werden ca. 3000 Personen überwacht, von denen ca. 2000 der Szene der islamistischen Extremisten zugeordnet werden. Die schwedischen Behörden gehen jedoch davon aus, dass von diesen nur wenige die Absicht und Fähigkeit besitzen, Terroranschläge durchzuführen. 2.10. Tschechien In Tschechien ist der Sicherheitsdienst BIS (Bezpečnostní informační služba) für die Analyse und Informationsverarbeitung bezüglich der Sicherheit und im Kampf gegen Terrorismus zuständig. Im Jahr 2016 wurde kein einziger Bedrohungsfall festgestellt. 2.11. Vereinigtes Königreich Es besteht ein Gesetz zur Verhütung und Untersuchung von Terrorismus aus dem Jahr 2011. Dieses erlaubt die Verhängung von Terrorismuspräventions- und -ermittlungsmaßnahmen (TPIMs) für Personen, die der Beteiligung am Terrorismus verdächtigt werden, gegen die eine strafrechtliche Verfolgung jedoch nicht möglich war. TPIMs umfassen Maßnahmen wie Ausgangssperren, elektronische Kennzeichnung, geografische Bewegungsbeschränkungen und Beschränkungen des Zugangs zu elektronischen Geräten. Im Jahr 2018 (Stand 31.05.2018) wurden acht TPIMs angewandt. Davon betrafen sieben britische Staatsbürger. 3. Gefährder mit ausländischer Staatsangehörigkeit Zahlen zur Staatsangehörigkeit von Gefährdern sind nur aus Österreich bekannt. Demnach besaßen im Jahr 2017 204 Gefährder eine ausländische Staatsangehörigkeit. In Frankreich sind die meisten Gefährder aus dem terroristischen Bereich Inhaber einer doppelten Staatsangehörigkeit. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 319/18 Seite 6 4. Spezielle Vorschriften zur Abschiebung ausländischer Gefährder und deren Anwendung 4.1. Estland Es bestehen spezielle Regelungen für Einreiseverbote und Ausweisungen gegenüber potenziell gefährlichen Personen. Über den Vollzug dieser Vorschriften gibt es keine öffentlich verfügbaren Informationen. 4.2. Finnland In Finnland ist eine Abschiebung von Gefährdern rechtlich nicht vorgesehen. 4.3. Frankreich In Frankreich ist eine Ausweisung möglich, wenn der Aufenthalt eine schwere Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstellt. Im Jahr 2017 wurden wegen ihrer Radikalisierung 20 Personen abgeschoben. Diese Zahl wurde zuvor noch nie erreicht. 4.4. Italien Auch in Italien existieren spezielle Reglungen zur Abschiebung von gefährlichen Personen. Für die Abschiebung ist der Innenminister zuständig. Dessen Entscheidung muss die Gründe angeben, aus denen sich ein Risiko für die staatliche Sicherheit ergibt. Eine Abschiebung ist nicht möglich in Länder, in denen der abzuschiebenden Person Verfolgung wegen ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder ihrer politischen Gesinnung droht. Seit Januar 2015 wurden 317 Personen abgeschoben, 80 davon im Jahr 2018. 4.5. Kroatien In Kroatien können Personen unverzüglich abgeschoben werden, wenn von ihnen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Es bestehen bisher keine praktischen Anwendungsfälle dieser Regelungen. 4.6. Lettland Auch in Lettland bestehen spezielle Abschiebungsregelungen. Derzeit werden gegenüber gefährlichen Personen jedoch lediglich Einreisesperren verhängt. Diese betreffen mehrere tausend Personen. 4.7. Litauen Nach den gesetzlichen Vorgaben muss ein Ausländer aus Litauen ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellt. Die Entscheidung über die Ausweisung wird vom regionalen Verwaltungsgericht in Vilnius getroffen und vom staatlichen Grenzschutzdienst oder der Polizei vollstreckt. Bisher gab es mehre Fälle, in denen die Ausweisungsvorschriften angewandt wurden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 319/18 Seite 7 4.8. Österreich In Österreich bestehen keine speziellen Regelungen zur Abschiebung von Gefährdern. Das österreichische Asyl- und Fremdenrecht arbeitet nicht mit der Begrifflichkeit „Gefährder“. Demnach liegen auch keine diesbezüglichen statistischen Auswertungen vor. Abschiebungen von Personen, denen beispielsweise der Status des Asylberechtigten (nach § 7 AsylG) oder des subsidiär Schutzberechtigen (nach § 9 AsylG) wegen einer Verurteilung aufgrund des Verbrechens der terroristischen Vereinigung aberkannt wurden, finden statt. Jede dieser Abschiebungen wird im Einzelfall geprüft und die konkreten Modalitäten der Außerlandesbringung in enger Kooperation zwischen dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die die Abschiebungen vollziehen, festgelegt. 4.9. Schweden In Schweden bestehen besondere Regelungen für die Abschiebung gefährlicher Personen, die zwischen sog. Sicherheitsfällen und qualifizierten Sicherheitsfällen unterscheiden. Über die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen entscheidet die Migrationsbehörde. Der Sicherheitsdienst kann in sog. „Sicherheitsfällen“ (z.B. bei Bezug zum internationalen Terrorismus) eine Empfehlung aussprechen, dass ein Ausländer abgeschoben wird sowie der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis widersprechen. Flüchtlingen kann zudem eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert werden, wenn zuvor Aktivitäten ausgeübt wurden, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen und wenn davon ausgegangen wird, dass solche Aktivitäten auch im Land ausgeführt werden. Über den Widerspruch gegen diese behördliche Entscheidung entscheiden die Migration Courts und abschließend der Migration Court of Appeal. Weiterhin können in qualifizierten Sicherheitsfällen (etwa einer ernsten Gefahr oder einer starken Verbindung zum internationalem Terrorismus) Personen abgeschoben werden, wenn aus Gründen der nationalen Sicherheit, wegen vorheriger Aktivitäten oder der aktuellen Umstände zu befürchten ist, dass eine terroristische Straftat verübt wird oder zu einer solchen beigetragen werden soll. Bei einem Widerspruch gegen eine solche Entscheidung gibt der Migration Court of Appeal eine Einschätzung ab, ob bestimmte Gründe gegen die Abschiebung sprechen (z.B. Foltergefahr). Die Regierung entscheidet dann unter zwingender Berücksichtigung dieser Einschätzung über die Abschiebung. Bisher wurden zwei dieser Widersprüche aus den Jahren 2016 und 2017 von der Regierung abgelehnt. 4.10. Vereinigtes Königreich Personen können aus Gründen des Allgemeinwohls vom Innenminister abgeschoben werden. Abgeschobene Personen müssen das Vereinigte Königreich verlassen. Die Anordnung genehmigt zugleich auch die Abschiebungshaft. Einem Abgeschobenen ist es verboten, wieder einzureisen, solange die Anordnung in Kraft ist. Jede Erlaubnis zur Einreise oder zum Verbleib im Vereinigten Königreich, die vor der Anordnung oder während der Geltungsdauer erteilt wurde, ist ungültig. ***