© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 317/14 Sicherstellung der finanziellen Vorsorge für die Stilllegung und Beseitigung von Atomkraftwerken Ein Überblick über die diskutierten Lösungsmöglichkeiten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 2 Sicherstellung der finanziellen Vorsorge für die Stilllegung und Beseitigung von Atomkraftwerken Ein Überblick über die diskutierten Lösungsmöglichkeiten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 317/14 Abschluss der Arbeit: 14. Januar 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Lösungsansätze für die Sicherstellung der finanziellen Stilllegungsvorsorge 5 2.1. Finanzielle Stilllegungsvorsorge als Genehmigungsvoraussetzung 5 2.2. Lösungsansätze ausgehend von der Bildung von Rückstellungen 5 2.3. Sicherheitsleistungen 6 2.4. Stilllegungskassen 7 2.5. Versicherungslösungen 7 2.6. Pool- und Haftungsverbundlösungen 8 2.7. Fondslösungen 9 3. Verfassungsrechtlicher Rahmen 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 4 1. Fragestellung Die Stilllegung und Beseitigung von Atomkraftwerken ist mit erheblichen Kosten verbunden. Gleichwohl ist eine Stilllegungsvorsorge nicht im Atomgesetz verankert. Es gelten vielmehr die allgemeinen Vorschriften des Handelsrechts bezüglich von Rückstellungen.1 In einer 2001 abgeschlossenen Solidarvereinbarung2 haben sich die Energieversorgungsunternehmen zudem verpflichtet , für ihre Atomkraftwerke betreibenden Tochtergesellschaften Beherrschungsverträge abzuschließen bzw. Patronatserklärungen abzugeben. Diese privatrechtlichen Vereinbarungen laufen nach derzeitigem Stand mit dem Ende der Betriebszeit der Atomkraftwerke 2022 aus.3 Nach der derzeitigen Rechtslage ist nicht ausgeschlossen, dass die gebildeten Rückstellungen durch anderweitige Verfügungen des Betreibers oder durch Gläubigerzugriff – insbesondere im Falle einer Insolvenz – anderen als den vorgesehenen Zwecken zugeführt werden.4 Vor diesem Hintergrund wird seit langem die Frage der effektiven Sicherung von Finanzmitteln als Vorsorge für die Kosten des Stilllegungsprozesses diskutiert.5 Anlässlich der Pläne eines Energieversorgungsunternehmens , seinen Geschäftsbereich der konventionellen Energieerzeugung in eine neue Gesellschaft auszulagern, wird um eine Darstellung der diskutierten Lösungsmöglichkeiten gebeten sowie gefragt, welchen verfassungsrechtlichen Bedenken diese begegnen können. 1 Siehe Fillbrandt/Paul, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht, Stand: 81. EL 2014 (Kommentierung: 68. EL 2010), § 7 AtG Rn. 28. Vertiefend hierzu unter anderem Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken , 2008, S. 69 ff.; Reinhard, Die Bildung von Rückstellungen für die Kosten der Stillegung und Beseitigung von Kernkraftwerken, ET 1982, 657 (659 f.). 2 Abgedruckt bei Posser/Schmans/Müller-Dehn, Atomgesetz, Kommentar, 2003, Anhang Nr. 4. 3 Bereits 2012 endete der zwischen der Vattenfall Europe AG und Vattenfall AB geschlossene Beherrschungsvertrag mit der Verschmelzung der Vattenfall Europe AG auf die Vattenfall Deutschland GmbH, die zuvor in Vattenfall GmbH umbenannt wurde. Siehe hierzu die Pressemitteilung von Vattenfall vom 9. August 2012, abrufbar unter http://corporate.vattenfall.de/newsroom/pressemeldungen/pressemeldungen-import/vattenfall-europe-ag-wirdvattenfall -gmbh/ (letzter Abruf am 7. Januar 2015). 4 Greipl, in: Pelzer (Hrsg.), Stillegung und Beseitigung kerntechnischer Anlagen, 1993, S. 171 (185 f.); Cloosters, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 294 (303), m.w.N. Das derzeitige Rückstellungssystem hingegen verteidigend Müller-Dehn, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 321 ff. 5 Vgl. etwa Dangelmaier, in: Lukes (Hrsg.), Fünftes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1977, S. 133 (138); Scharnhoop , in: Lukes (Hrsg.), Fünftes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1977, S. 141 (147); Hartkopf, in: Lukes (Hrsg.), Sechstes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1980, S. 3 (25). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 5 2. Lösungsansätze für die Sicherstellung der finanziellen Stilllegungsvorsorge Seit den 1970er Jahren wurden und werden zahlreiche Modelle zur Sicherstellung der finanziellen Stilllegungsvorsorge diskutiert, so dass an dieser Stelle nur ein Überblick über die verschiedenen Lösungsansätze gegeben werden kann.6 2.1. Finanzielle Stilllegungsvorsorge als Genehmigungsvoraussetzung Im Jahre 1987 hat die SPD-Fraktion des Bundestages einen Entwurf für ein Kernenergieabwicklungsgesetz vorgelegt, in dem die finanzielle Stilllegungsvorsorge als Genehmigungsvoraussetzung vorgesehen war. Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung nach § 7 Atomgesetz war danach, dass für die Kosten der späteren Stilllegung und Beseitigung der Anlage Sicherheit geleistet wird.7 Dies konnte nach dem Gesetzentwurf erfolgen durch Hinterlegung nach der Hinterlegungsordnung, durch Bürgschaft einer (mit Zustimmung der zuständigen Behörde ) ausgewählten Bank oder eines Kreditversicherers, durch bestimmte Grundpfandrechte oder durch von der zuständigen Behörde als gleichwertig anerkannte andere Sicherheiten. Da eine solche Regelung nur künftige Genehmigungen erfasst, wurde erwogen, die finanzielle Stilllegungsvorsorge stattdessen als atomrechtliche Betreiberpflicht zu schaffen (hierzu unten unter 2.3.).8 2.2. Lösungsansätze ausgehend von der Bildung von Rückstellungen Nach der derzeitigen Rechtslage sind die Betreibergesellschaften als Genehmigungsinhaber handelsrechtlich dazu verpflichtet, Rückstellungen für die Stilllegung zu bilden. Ausgehend von diesem Modell der finanziellen Stilllegungsvorsorge werden im Wesentlichen drei Ansätze zur langfristigen Sicherung der Finanzierung diskutiert: Der erste Ansatz betrifft die Bildung eines Sicherungsvermögens nach dem Vorbild der Regelungen im Versicherungsaufsichtsgesetz.9 Danach würden durch Designation, also durch Widmung eines 6 Siehe auch die Überblicke bei Cloosters, Rückstellungsverpflichtungen für Kernkraftwerke, atw 2008, 386 (389); Lukes/Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (682 ff.) und Greipl, in: Pelzer (Hrsg.), Stillegung und Beseitigung kerntechnischer Anlagen, 1993, S. 171 (186 f.). Einen gesonderten Problemkreis stellt die Finanzierung der Endlagerung dar. Für das Endlager Konrad gelten § 21b Atomgesetz i.V.m. der Endlager-Vorausleistungsverordnung, im Übrigen gilt das Umlageverfahren nach dem Standortauswahlgesetz (hierzu Smeddinck, Elemente des Standortauswahlgesetzes zur Entsorgung radioaktiver Abfälle – Vorgeschichte, Zuschnitt und Regelungskomplexe, DVBl 2014, 408 [414 f.] sowie Hoppenbrock, Finanzierung der nuklearen Entsorgung und der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2009, S. 45 ff.). 7 BT-Drs. 11/13, S. 8. 8 Pelzer, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 145 (159). 9 Bordin/Paul, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 271 (286), dort zum Folgenden . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 6 Teils des Unternehmensvermögens, den Rückstellungen bestimmte Vermögensteile, das sog. Sicherungsvermögen , gegenübergestellt (vgl. § 66 Versicherungsaufsichtsgesetz [VAG]). Der zweite Ansatz sieht für die Bildung des Sicherungsvermögens bestimmte Vorgaben vor.10 Unternehmen sollen verpflichtet werden, das Vermögen so anzulegen, dass möglichst große Sicherheit und Rentabilität bei jederzeitiger Liquidität unter Wahrung angemessener Mischung und Streuung erreicht wird.11 Wiederum wird an das Versicherungsrecht angeknüpft: So enthalten die Regelungen in §§ 54 ff. VAG bzw. in der Anlageverordnung unter anderem einen Katalog von zulässigen Anlageformen sowie Vorgaben hinsichtlich Mischung und Streuung einer Anlage. Der dritte Ansatz betrifft die Frage, wie verhindert werden kann, dass das Sicherungsvermögen in das haftende Unternehmensvermögen fällt. Diesbezüglich wird vorgeschlagen, im Atomrecht eine Regelung nach dem Vorbild des § 77a VAG zu schaffen.12 Dieser sieht bei der Insolvenz des Versicherungsunternehmens die bevorrechtigte Befriedigung der Versicherten vor. 2.3. Sicherheitsleistungen Wie eingangs erwähnt, haben sich die Energieversorgungsunternehmen im Rahmen der Solidarvereinbarung von 2001 verpflichtet, mittels Beherrschungsverträgen bzw. Patronatserklärungen Sicherheit für ihre Atomkraftwerke betreibenden Tochtergesellschaften zu leisten. Hierüber hinausgehend wird die Möglichkeit diskutiert, die betroffenen Unternehmen gesetzlich zur Leistung einer entsprechenden Sicherheit zu verpflichten. Bereits 1989 sprach sich bspw. der Bundesrat dafür aus, die Betreiber von Atomkraftwerken ausdrücklich dazu zu verpflichten, Sicherheit für die Kosten der späteren Stilllegung, des sicheren Einschlusses oder der Beseitigung der von ihnen betriebenen Anlage zu leisten.13 In der Diskussion wird zudem Bezug genommen auf entsprechende Regelungen aus dem Abfall- bzw. Immissionsschutzrecht 14.15 10 Bordin/Paul, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 271 (287 f.). Vgl. auch Mutschler, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 169 (172). Für einen weiten Entscheidungsspielraum der Unternehmen bzgl. der Anlage spricht sich hingegen Dangelmaier, in: Lukes (Hrsg.), Fünftes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1977, S. 133 (138), aus. 11 Vgl. Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2008, S. 242. 12 Bordin/Paul, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 271 (289). 13 BT-Drs. 11/4086, S. 15. 14 Siehe bspw. § 18 Deponieverordnung sowie § 12 Abs. 1 S. 2 und § 17 Abs. 4a S. 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz. 15 Vgl. Cloosters, Rückstellungsverpflichtungen für Kernkraftwerke, atw 2008, 386 (389); Bordin/Paul, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 271 (290). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 7 Diskutiert werden dabei verschiedenste Formen von Sicherheitsleistungen, wie etwa die Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren oder die Bestellung von Hypotheken und Grundschulden.16 Die Leistung der Sicherheit ist auch durch Dritte denkbar, etwa durch die Übernahme von Garantien oder Zahlungsversprechen von Banken17, die Übernahme von Konzernbürgschaften, die Abgabe von harten Patronatserklärungen18 oder den Abschluss von lückenlosen Beherrschungsund Gewinnabführungsverträgen19 oder die Normierung einer gesetzlichen Einstandspflicht der übergeordneten Konzernmütter20.21 Auch eine Kombination mehrerer Sicherungsmittel wird in Erwägung gezogen.22 2.4. Stilllegungskassen Des Weiteren wird die Einrichtung von sog. Stilllegungskassen – etwa nach dem Vorbild von Pensionskassen – diskutiert.23 Anders als bei der Rückstellungslösung, bei der der einzelne Betreiber den Stilllegungsbedarf im eigenen Unternehmen ansammelt, würde danach die Ansammlung des Stilllegungsbedarfs einer rechtlich selbstständigen juristischen Person, einer Stilllegungskasse, übertragen werden.24 Diese Stilllegungskasse soll dann aus Unternehmensmitteln mit dem notwendigen Kapital ausgestattet und verpflichtet werden, im Stilllegungsfall dem Betreiber die zur Stilllegung erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Im Unterschied zu den Fondslösungen (hierzu unten unter 2.7.) soll nach diesem Lösungsansatz jeder Betreiber eine eigene Stilllegungskasse einrichten. 2.5. Versicherungslösungen Weiter sind die Versicherungslösungen zu nennen, bezüglich derer sich im Wesentlichen zwei Ausgestaltungen unterscheiden lassen: 16 Vgl. Cloosters, Rückstellungsverpflichtungen für Kernkraftwerke, atw 2008, 386 (389). 17 Vgl. Lukes/Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (685). 18 Pelzer, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 145 (158). 19 Meyer, Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung im Atombereich – Analyse und Reformkonzept, ZNER 2012, 238 (242); Bordin/Paul, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 271 (290 f.). 20 Bordin/Paul, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 271 (291). 21 Siehe den Überblick bei Cloosters, Rückstellungsverpflichtungen für Kernkraftwerke, atw 2008, 386 (389) bzw. ders., in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 13. Deutsches Atomrechtssymposium, 2008, S. 293 (304). 22 Greipl, in: Pelzer (Hrsg.), Stillegung und Beseitigung kerntechnischer Anlagen, 1993, S. 171 (187). 23 Siehe Stratmann, Das Restrisiko, Handelsblatt vom 9. Dezember 2014. 24 Vgl. Lukes/Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (684 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 8 Die erste Variante sieht vor, dass der Betreiber zum Abschluss einer Versicherung verpflichtet wird, bei der der Versicherer nach dem Vorbild einer Lebensversicherung mittels der Prämien des Betreibers den Stilllegungsbedarf ansammelt und aufgrund eines Risikozuschlags die Bereitstellung des Stilllegungsbedarfs auch für den Fall zusichert, dass bei einer ungeplanten Stilllegung oder bei einem Konkurs des Betreibers vor Beendigung der vorgesehenen Laufzeit die Prämienansammlung noch nicht die erforderliche Höhe zur Deckung des Stilllegungsbedarfs erreicht hat.25 In der zweiten Variante gründen die Betreiber einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, der die eben beschriebene Stellung des Versicherers übernimmt.26 Angesichts der mit dem Atomausstieg verbundenen Verkürzung der Laufzeit der Atomkraftwerke dürften die Versicherungslösungen jedoch an Bedeutung verloren haben. 2.6. Pool- und Haftungsverbundlösungen Diskutiert werden weiter Lösungsansätze, bei denen sich die Betreiber von Atomkraftwerken im Wege einer Kooperation zusammenschließen.27 Einem solchen Modell liegt die Idee zugrunde, dass die Last der finanziellen Vorsorge nicht mehr einen Betreiber allein, sondern eine Gruppe von Unternehmen trifft, die sich aufgrund gleich gelagerter Interessen gegenseitig vertraglich verpflichtet haben, im Falle des Stilllegungsbedarfs Kapital zu überlassen.28 Die Unternehmen sammeln das Kapital dabei zunächst intern an und verpflichten sich, im Bedarfsfall eines der kooperierenden Unternehmen finanziell nach festgelegten Quoten zu unterstützen, bspw. durch die Gewährung eines entsprechenden Darlehens. Vergleichbare Lösungen finden sich in der Bank- und Versicherungswirtschaft.29 So sind alle Banken (mit Ausnahme der Sparkasse, Landesbanken, Landesbausparkassen und Genossenschaftsbanken 30) gemäß § 2 Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz verpflichtet, 25 Vgl. Lukes/Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (685 f.). 26 Vgl. Lukes/Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (686 f.). 27 Sauer, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 177 (199); Mutschler, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 169 (172 ff.); Pelzer, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 145 (159). 28 Vgl. Lukes/Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (683 f.), dort zum Folgenden. 29 Siehe auch Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2008, S. 240 f. 30 Diese Banken sind keiner Entschädigungseinrichtung zugeordnet, da sie Mitglieder sog. institutssichernder Einrichtungen sind (§ 12 Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 9 ihre Einlagen und Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften durch Zugehörigkeit zu einer Entschädigungseinrichtung zu sichern.31 Und Unternehmen, die zum Geschäftsbetrieb in den Versicherungssparten Lebensversicherung und substitutive Krankenversicherung zugelassen sind, müssen gemäß §§ 124 ff. VAG einem Sicherungsfonds angehören, der im Falle einer Insolvenz die Fortführung der Versicherungsverträge sicherstellt. Für die Ausgestaltung einer Pool- bzw. Haftungsverbundlösung kommen unter anderem gegenseitige Schuldübernahmen, Garantieversprechen oder Patronatserklärungen in Betracht. Als organisatorischer Rahmen wird die Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts vorgeschlagen, die aus solchen Energieversorgungsunternehmen besteht, die selbst oder durch Beteiligungsgesellschaften Atomkraftwerke betreiben, und deren Zweck allein darin besteht, den Trägern der Kraftwerke zweckgebunden für die Stilllegung ihrer Anlage diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die auf andere Weise nicht aufzubringen sind.32 2.7. Fondslösungen Eine besondere Rolle spielen in der jüngeren Diskussion Fondslösungen.33 Diese sehen vor, dass alle Finanzmittel, die für die Stilllegungsaktivitäten benötigt werden, in einem Fonds gesammelt werden. Dabei wird zwischen einer Verwaltung des Fonds durch die Betreiber einerseits und der Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds andererseits unterschieden.34 Für den Fall, dass die eingezahlten Mittel nicht ausreichen sollten, wird eine Nachschusspflicht der Konzerne diskutiert.35 Erörtert wird auch eine schrittweise Einzahlung der Mittel als Kompromisslösung sowie die Frage, ob mit dem Fonds auch ein Solidarprinzip unter den Betreiberfirmen eingeführt werden soll.36 31 Zusätzlich zur gesetzlichen Einlagensicherung und Anlegerentschädigung haben sich zahlreiche Institute freiwilligen Einlagensicherungseinrichtungen angeschlossen. 32 Mutschler, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 169 (173). 33 Siehe die Nachweise bei Meyer, Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung im Atombereich – Analyse und Reformkonzept , ZNER 2012, 238 (241 Fn. 15) und Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2008, S. 234 ff. sowie die Rede des niedersächsischen Umweltministers im Bundesrat vom 10. Oktober 2014, BR-PlPr. 926, S. 318. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz befürwortet einen solchen öffentlich-rechtlichen Fonds, siehe http://www.bfs.de/de/endlager/publika/finanzierung_rueckbau.html (letzter Abruf am 8. Januar 2015). Siehe zu entsprechenden Überlegungen der Bundesregierung Simantke, Ungewolltes Erbe, Der Tagesspiegel vom 5. Januar 2015, S. 4 sowie den Artikel von Reuters vom 17. Dezember 2014 „Wirtschaftsministerium will nichts von Atomfonds wissen“, abrufbar unter http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEKBN0JV1C5 20141217 (letzter Abruf am 8. Januar 2015). 34 Vgl. Cloosters, Rückstellungsverpflichtungen für Kernkraftwerke, atw 2008, 386 (389). 35 Vgl. Simantke, Ungewolltes Erbe, Der Tagesspiegel vom 5. Januar 2015, S. 4. 36 Meyer, Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung im Atombereich – Analyse und Reformkonzept, ZNER 2012, 238 (241). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 10 Vorbilder für die Einrichtung eines entsprechenden öffentlich-rechtlichen Fonds finden sich in der Schweiz37, in Finnland sowie in Schweden38.39 In diesem Zusammenhang ist auch ein 2003 von der Europäischen Kommission im Rahmen des sogenannten Nuklearpakets vorgestellter Richtlinienentwurf zu erwähnen, der die Überführung der Rückstellungsreserven aus den Unternehmen in nationale Rückstellungsfonds vorsah.40 Parallelen werden zudem zum Modell der bergrechtlichen Schadensausfallkasse (vgl. § 122 Bundesberggesetz) gezogen.41 Auf Betreiberseite werden in Bezug auf die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds insbesondere grundrechtliche Bedenken geäußert und die Frage der Haftung für unzureichende bzw. fehlerhafte Verwaltung des Fonds durch staatliche Verwalter problematisiert.42 3. Verfassungsrechtlicher Rahmen Aufgrund der Vielfalt an diskutierten Lösungsansätzen und der großen Zahl an denkbaren Ausgestaltungsvarianten kann an dieser Stelle nur der entsprechende verfassungsrechtliche Rahmen dargestellt werden, der insbesondere durch die Grundrechte der betroffenen Unternehmen gebildet wird.43 Art. 14 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) gewährleistet das Eigentum, d.h. im Bereich des Privatrechts den Schutz aller vermögenswerter Rechte, die ihrem Inhaber von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher 37 Ausführlich hierzu Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2008, S. 55 ff. 38 Ausführlich hierzu Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2008, S. 51 ff. 39 Vgl. Cloosters, Rückstellungsverpflichtungen für Kernkraftwerke, atw 2008, 386 (389), m.w.N. 40 Vorschlag für eine Richtlinie (Euratom) des Rates zur Festlegung grundlegender Verpflichtungen und allgemeiner Grundsätze im Bereich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen sowie Vorschlag für eine Richtlinie (Euratom) des Rates über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, KOM (2003) 32 endg., Art. 9. Siehe hierzu von Danwitz, Die Einrichtung von Stilllegungsfonds für kerntechnische Anlagen – ein Kompetenzproblem für die EURATOM, ET 2003, 600 ff., sowie Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2008, S. 219 ff. 41 Greipl, in: Pelzer (Hrsg.), Stillegung und Beseitigung kerntechnischer Anlagen, 1993, S. 171 (187 Fn. 78); Lukes /Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (687). Das Bundesberggesetz sieht dabei vor, dass eine Bergschadensausfallkasse als Anstalt des öffentlichen Rechts einzurichten ist, wenn es der Bergbauwirtschaft nicht gelingt, eine vergleichbare Sicherung der Ersatzansprüche zu gewährleisten. Um die Errichtung einer Ausfallkasse in öffentlich-rechtlicher Form zu vermeiden, haben die betroffenen Unternehmen 1987 den Verein „Bergschadensausfallkasse e.V.“ gegründet. Vertiefend hierzu Knetsch, Haftungsrecht und Entschädigungsfonds, 2012, S. 21 ff. 42 Müller-Dehn, Finanzielle Entsorgungsvorsorge aus Sicht der Betreiber, atw 2008, S. 391 (393 f.). Vgl. auch Pelzer, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 145 (158). 43 Siehe zur Frage der Grundrechtsfähigkeit von Atomkraftwerksbetreibern Stüer/Loges, Ausstieg aus der Atomenergie zum Nulltarif?, NVwZ 2000, 9 (10 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 11 Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.44 Berührt ist die Eigentumsgarantie in den vorliegenden Fallkonstellationen damit bspw. bei solchen Lösungsansätzen, die die Verfügungsbefugnis der Unternehmen über gebildete Rückstellungen einschränken. Dies betrifft unter anderem die Modelle, die Vorgaben für die Anlage des im Zusammenhang mit den Rückstellungen gebildeten Sicherungsvermögens enthalten oder die Überführung des gebildeten Sicherungsvermögens in einen Fonds vorsehen.45 Nicht am Maßstab der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu messen sind hingegen solche Lösungsansätze, nach denen die Betreiber zusätzliche finanzielle Sicherheiten im Rahmen der Vorsorge aufbringen müssen. Die Eigentumsgarantie schützt nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nicht das Vermögen als solches, sondern nur konkrete vermögenswerte Rechtspositionen.46 In diesen Fällen kann jedoch der Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG betroffen sein, der – im Unterschied zur Eigentumsgarantie – die Erwerbs- und Leistungstätigkeit und damit auch Erwerbschancen und Verdienstmöglichkeiten erfasst.47 Weiter kann bei einzelnen Lösungsansätzen auch die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG betroffen sein. Diese gewährleistet in Gestalt der negativen Vereinigungsfreiheit auch das Recht einer Vereinigung fernzubleiben bzw. aus einer solchen auszutreten.48 Insbesondere bei der Bildung eines Haftungsverbundes kann damit der Schutzbereich von Art. 9 GG berührt sein.49 Von Bedeutung kann zudem der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG sein. Dieser kann dadurch betroffen sein, dass die Betreiber der Atomkraftwerke bzw. deren Muttergesellschaften zu besonderen finanziellen Vorsorgemaßnahmen verpflichtet werden, andere Wirtschaftsunternehmen für die Stilllegung ihrer Anlagen hingegen möglicherweise keine vergleichbare finanzielle Vorsorge treffen müssen.50 44 BVerfGE 83, 201 (208 f.), m.w.N. Zur Frage, ob auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 14 Rn. 132 f. 45 Siehe Jasper, Die Finanzierung der Stilllegung von Kernkraftwerken, 2008, S. 131 f., 237. 46 Siehe nur BVerfGE 4, 7 (17). Das Bundesverfassungsgericht macht von diesem Grundsatz jedoch eine Ausnahme, wenn eine Geldleistungspflicht eine erdrosselnde Wirkung besitzt, siehe BVerfGE 78, 232 (243), m.w.N. 47 Siehe Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 14 Rn. 99. 48 Siehe nur Scholz, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 72. EL 2014 (Kommentierung: 35. EL 1999), Art. 9 Rn. 42, m.w.N. 49 Vgl. Lukes/Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (682). 50 Vgl. Lukes/Salje/Feldmann, Finanzielle Vorsorge für die Stillegung und die Beseitigung kerntechnischer Anlagen, ET 1978, 680 (682). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 317/14 Seite 12 Ob in den vorliegenden Fallkonstellationen etwaige Eingriffe in die genannten Grundrechte gerechtfertigt sind, hängt im Wesentlichen von der Ausgestaltung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen ab. Diesbezüglich sind zwei Aspekte hervorzuheben: Zum einen muss die Regelung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Element des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG entsprechen. Dieser schreibt unter anderem vor, dass es keine Regelungsalternative geben darf, die den Regelungszweck in gleicher Weise erfüllt, die grundrechtlich geschützte Freiheit aber weniger stark beschränkt.51 Zudem darf die Grundrechtsbeschränkung nach ihrer Art und Intensität nicht außer Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Ziel stehen.52 Übertragen auf die vorliegenden Fallkonstellationen bedeutet dies, dass ein angemessener Ausgleich zwischen dem Regelungszweck – der Sicherstellung der finanziellen Vorsorge für die Stilllegung und Beseitigung der Atomkraftwerke – und dem Interesse der Betreiberfirmen daran, dass ihr Kapital in möglichst geringem Maße gebunden wird, hergestellt werden muss.53 Zum anderen ist zu prüfen, ob – sofern die Regelung rückwirkend ausgestaltet werden soll – Aspekte des Vertrauensschutzes der Regelung entgegenstehen können.54 51 Siehe z.B. BVerfGE 100, 313 (375); BVerfGE 77, 84 (109 ff.); BVerfGE 25, 1 (20). 52 Siehe z.B. BVerfGE 50, 217 (227); BVerfGE 80, 103 (107); BVerfGE 99, 202 (212 f.). 53 Vgl. Scharnhoop, in: Lukes (Hrsg.), Fünftes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1977, S. 141 (147); Mutschler, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 169 (172). 54 Hierzu Greipl, in: Pelzer (Hrsg.), Stillegung und Beseitigung kerntechnischer Anlagen, 1993, S. 171 (187). Siehe zur Zulässigkeit rückwirkender Normen BVerfGE 72, 200 (258 ff.).