© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 313/18 Das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 313/18 Seite 2 Das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 313/18 Abschluss der Arbeit: 13. September 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 313/18 Seite 3 1. Einleitung Gefragt wird, ob bei Versammlungen ein „absolutes Vermummungsverbot“ gelte. Im Folgeneden werden der Anwendungsbereich des sogenannten Vermummungsverbots sowie in Rechtsprechung und Literatur anerkannte Ausnahmen von diesem Verbot dargestellt. Seit mit der Föderalismusreform 2006 die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Versammlungsrecht aufgehoben wurde, haben Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein vollständige eigene Versammlungsgesetze erlassen.1 Andere Länder haben das Versammlungsgesetz des Bundes mit wenigen Änderungen als Landesversammlungsgesetz übernommen oder einzelne vom Bundesrecht abweichende Teilregelungen geschaffen.2 Soweit die Länder von ihrer Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht haben, gilt nach Art. 125a Abs. 1 Grundgesetz (GG) das Versammlungsgesetz des Bundes (VersG) fort. Hieran orientieren sich die folgenden Ausführungen. 2. Regelung des sog. Vermummungsverbots im VersG Das VersG gebraucht den Begriff der Vermummung nicht. Nach § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG ist es verboten, an öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, an Aufzügen oder an sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel „in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen.“ Nach § 17a Abs. 2 Nr. 2 VersG ist es außerdem verboten, „bei derartigen Veranstaltungen oder auf dem Weg dorthin Gegenstände mit sich zu führen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.“ Die Verbote sind nicht nur auf Versammlungen anwendbar, die den Schutz der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG genießen.3 Sie gelten auch bei anderen Veranstaltungen, etwa bei Sportveranstaltungen ; nach § 17a Abs. 3 S. 1 VersG sind aber Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste im Sinne des § 17 VersG vom Anwendungsbereich 1 Vgl. die Übersicht bei Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, Die Versammlungsgesetze des Bundes und der Länder, Kommentar, 2016, Einl. Rn. 8 ff. 2 Eine Synopse und Kommentierung der landesrechtlichen Vorschriften bieten zu jeder Vorschrift des Versammlungsgesetzes des Bundes Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, und Dietel/Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze, 17. Aufl. 2016. 3 Vgl. zu den unterschiedlichen Versammlungsbegriffen, insbes. zum engen Versammlungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts nur Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl. 2017, Rn. 412. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 313/18 Seite 4 ausgenommen.4 Neben diesen gesetzlichen Ausnahmen kann die zuständige Behörde weitere Ausnahmen zulassen, wenn keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht, § 17a Abs. 3 S. 2 VersG. In jedem Fall gelten die Verbote nur für Teilnehmer der Veranstaltung, nicht für Polizisten, Passanten oder fliegende Händler.5 Die Behörde kann Anordnungen zur Durchsetzung der Verbote treffen. Wer gegen die Verbote verstößt, kann von einer Versammlung ausgeschlossen werden, § 17a Abs. 4 VersG. Wer gegen das erstgenannte Verbot verstößt, macht sich außerdem nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 VersG strafbar: „Wer […] entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilnimmt oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurücklegt […] wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ Verstöße gegen das Verbot des Mitsichführens erfüllen den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit, § 29 Abs. 1 Nr. 1a VersG: „Ordnungswidrig handelt, wer […] entgegen § 17a Abs. 2 Nr. 2 bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel, einem Aufzug oder einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Gegenstände, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern, mit sich führt.“ 3. Verfassungskonforme Auslegung Die praktische Bedeutung des Vermummungsverbots ist gering. Rechtspolitisch und verfassungsrechtlich ist es aber „auf das Heftigste umstritten“.6 Neben der Unbestimmtheit der Normen und ihrer von der Grundrechtsausübung abschreckenden Wirkung7 wird vorgebracht, dass aus einer Vermummung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die unfriedlichen Absichten von Versammlungsteilnehmern geschlossen werden könne. Daher konkretisierten die Vorschriften nicht bloß das Gebot der Friedlichkeit, sondern griffen in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ein.8 Nach überwiegender Auffassung können – und müssen – die Normen hier aber im Lichte 4 Kritisch zur Ausweitung der Verbote über Versammlungen hinaus Ott/Wächter/Heinhold, Versammlungsgesetz , 7. Aufl. 2010, § 17a Rn. 46 ff.; die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Anwendung auf Versammlungen. 5 Vgl. dazu Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Einsatz nichtuniformierter Polizisten bei Versammlungen , Ausarbeitung vom 7. Juni 2018, Az. WD 3 - 3000 - 181/18, S. 9. 6 Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 3 m.w.N.; Hervorhebung hinzugefügt. 7 Ott/Wächter/Heinhold, Versammlungsgesetz, § 17a Rn. 42 ff.; vgl. auch ebd. Rn. 52 ff. 8 Kunig, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 8 Rn. 36. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 313/18 Seite 5 der Versammlungsfreiheit verfassungskonform ausgelegt werden.9 Dabei wird insbesondere ein „erkennbarer Gewaltbezug“ oder die „Widerlegbarkeit der Gefährlichkeitsvermutung“ gefordert.10 Restriktiv auszulegen ist demnach sowohl der objektive Tatbestand, also der Begriff der zur Verhinderung der Identitätsfeststellung geeigneten Aufmachung, als auch der subjektive Tatbestand, also die Absicht, eine Identitätsfeststellung zu verhindern. 3.1. Geeignete Aufmachung Eine Aufmachung, die geeignet ist, die Identitätsfeststellung zu verhindern, kann grundsätzlich in unterschiedlichsten Formen der Verhüllung oder Veränderung des Gesichts bestehen. Genannt werden unter anderem Schals, Kapuzen, Mützen, Sonnenbrillen, Sturmhauben, Helme mit geschlossenem Visier, Pappnasen, Perücken, Masken und Schminke. Ab wann das Verdecken von Teilen des Gesichts oder auch nur des übrigen Körpers als identitäsverschleiernd gelten kann, ist umstritten.11 Kein Verstoß gegen das Vermummungsverbot soll vorliegen, wenn ein Versammlungsteilnehmer sein Gesicht hinter einem Transparent verbirgt.12 Eine Identitätsverschleierung soll auch dann von vornherein ausscheiden, wenn die Identität eines Teilnehmers der Polizei oder der Versammlungsbehörde bereits bekannt ist.13 3.2. Absicht der Identitätsverschleierung Die Aufmachung muss nicht nur zur Identitätsverschleierung geeignet sein. Subjektiv muss der Versammlungsteilnehmer mit Vorsatz hinsichtlich der Eignung und außerdem gerade in der Absicht handeln, seine Identität zu verschleiern.14 Auf die Absicht ist aus den Gesamtumständen zu schließen („den Umständen nach darauf gerichtet“). Trägt ein Versammlungsteilnehmer im Winter einen ins Gesicht gezogenen Schal oder bei Sonnenschein eine Sonnenbrille, wird man daraus regelmäßig nicht auf eine solche Absicht schließen können. Im Einzelfall ergeben sich jedoch schwierige und kaum befriedigend zu lösende Tatfragen: So kann umgekehrt aus dem Tragen einer Sonnenbrille bei schlechtem Wetter nicht ohne weiteres auf die Absicht der Identitätsverschleierung geschlossen werden.15 9 AG Wuppertal, Beschluss vom 2. Dezember 2015, Az. 25 Ds 521 Js 17/15 - 68/15, Juris, Rn. 9 f., spricht von „teleologischer Reduktion“. 10 Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 6, § 27 Rn. 9 ff.; Kniesel, in: Dietel/ Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze, § 17a Rn. 15; vgl. auch die zahlreichen Nachweise unter 3.1 – 3.4. 11 Ott/Wächter/Heinhold, Versammlungsgesetz, § 17a Rn. 37 f.; Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 19; Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze, § 17a Rn. 30 f. 12 KG, NJW 2002, 3789, 3791; Ott/Wächter/Heinhold, Versammlungsgesetz, § 17a Rn. 39. 13 Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 6, 25. 14 KG, NStZ-RR 2013, 178; Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 21. 15 Ott/Wächter/Heinhold, Versammlungsgesetz, § 17a Rn. 41; Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht , § 17a Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 313/18 Seite 6 3.3. Verhinderung der Identifizierung durch Dritte Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Identität eines Versammlungsteilnehmers haben nur die Polizei und die Versammlungsbehörde.16 Daher verstößt nicht gegen das Verbot, wer sich vermummt, um von Dritten nicht erkannt zu werden. Ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn sich ein Teilnehmer vor gewaltbereiten politischen Gegnern schützen will, insbesondere wenn diese Versammlungsteilnehmer fotografieren.17 Auch die Identitätsverschleierung zum Schutz vor ausländischen Nachrichtendiensten wird genannt, wenn ein Versammlungsteilnehmer eigene Verfolgung oder Repressalien gegenüber Familienangehörigen fürchtet.18 3.4. Thematischer Zusammenhang mit dem Versammlungsgegenstand Eine wichtige Fallgruppe der verfassungskonformen Auslegung bilden schließlich solche Formen der Vermummung, die in thematischem Zusammenhang mit dem Anliegen der Versammlung stehen. Die Versammlungsfreiheit schützt auch die Art und Weise der kollektiven Meinungskundgabe . Versammlungsteilnehmern steht es grundsätzlich frei, ihre Kleidung oder sonstige Aufmachung zur Kommunikation ihres Anliegens einzusetzen. In solchen Fällen ist regelmäßig nicht davon auszugehen, dass die Versammlungsteilnehmer in der Absicht handeln, die Feststellung ihrer Identität zu verhindern. Daher soll nicht gegen das Vermummungsverbot verstoßen, wer mit Tiermasken gegen die „Patentierung von Leben“,19 mit Totenkopfmasken gegen Krieg20 oder in Strahlenschutzanzügen gegen Atomkraftwerke21 demonstriert. Auch Politiker-Masken22 und allgemein künstlerische Darbietungen 16 Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 23; vgl. auch die folgenden Fn.; a.A. KG, NStZ 2012, 455; OLG Dresden, Beschluss vom 23. September 2013, 2 OLG 21 Ss 693/13, Juris. 17 AG Rotenburg (Wümme), NStZ 2006, 358; LG Hannover, Urteil vom 20. Januar 2009, Az. 62 c 69/08, Juris ; AG Wuppertal, Beschluss vom 2. Dezember 2015, Az. 25 Ds 521 Js 17/15 - 68/15, Juris; nach Dürig-Friedl, in: Dürig- Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 6, 26, soll hier bereits der objektive Tatbestand entfallen. 18 Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze, § 17a Rn. 8; Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze, § 17a Rn. 14. 19 BVerfG, NVwZ 2008, 414, 415; Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 21. 20 Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 24. 21 Ott/Wächter/Heinhold, Versammlungsgesetz, § 17a Rn. 40; Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze , § 17a Rn. 33. 22 Ott/Wächter/Heinhold, Versammlungsgesetz, § 17a Rn. 40. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 313/18 Seite 7 werden genannt,23 außerdem Stahlarbeiter, die in ihrer Arbeitskleidung für bessere Arbeitsbedingungen demonstrieren.24 Hierher gehören auch die vom Fragesteller angesprochenen „Fetischmasken“, wenn sie bei Versammlungen im Rahmen des Christopher-Street-Day getragen werden. Eine Besonderheit bilden Fälle, in denen die Vermummung zwar absichtlich zur Anonymisierung getragen wird, in denen aber gerade darin das Anliegen der Versammlung liegt. Auch hier soll die Vermummung zulässig sein. Genannt werden AIDS-Kranke, die mit Bettlaken verhüllt gegen ihre Registrierung demonstrieren25 und das Tragen sogenannter „Guy-Fawkes-Masken“ bei Versammlungen gegen Telekommunikationsüberwachung.26 *** 23 Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 6, 24; Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze, § 17a Rn. 7. 24 Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze, § 17a Rn. 9. 25 Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze, § 17a Rn. 8. 26 Peters, in: Peters/Janz (Hrsg.), Handbuch Versammlungsrecht, 2015, F Rn. 73; Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17a Rn. 24; VG Regensburg, Beschluss vom 10. Februar 2012, Az. RO 9 E 12.257, Juris, nimmt zwar die Tatbestandsmäßigkeit an, geht aber von einer Ermessensreduzierung zugunsten der Erteilung einer Erlaubnis nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG (entspricht § 17a Abs. 3 S. 2 VersG) aus.