© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 – 308/14 Erleichterter Zugang zum Medizinstudium für künftige Hausärzte in ländlichen Gebieten? Ergänzung zur Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 2 Erleichterter Zugang zum Medizinstudium für künftige Hausärzte in ländlichen Gebieten? Ergänzung zur Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 – 308/14 Abschluss der Arbeit: 26.01.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Anwendung der Vorabquote aus Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV auf Landarztstudierende 4 3. Vereinbarkeit der Vertragsstrafenvereinbarung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 6 3.1. Element der Erforderlichkeit 6 3.2. Element der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne 7 4. Miteinbeziehung der Kassenärztlichen Vereinigungen 9 4.1. Die Kassenärztlichen Vereinigungen als Vertragspartner 9 4.2. Anstellung der Landarztstudierenden bei den Kassenärztlichen Vereinigungen 10 5. Regelung des erleichterten Zugangs von Landarztstudierenden zum Medizinstudium im Hochschulrahmengesetz 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 beschäftigt sich mit der Frage, wie – ausgehend von der derzeitigen Rechtslage – die Attraktivität der Niederlassung als Hausarzt in ländlichen Gebieten gesteigert werden könnte. Der Ausarbeitung zufolge ist es möglich, dieses Ziel durch eine erleichterte Zulassung solcher Bewerber zum Medizinstudium zu erreichen, die sich verpflichten, sich im Anschluss an das Studium im ländlichen Bereich als Hausarzt niederzulassen (im Folgenden: Landarztstudierende). Anknüpfungspunkt für ein solches Modell ist der für die Vergabe von Studienplätzen zum Medizinstudium maßgebliche Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung (StV). Nach Art. 9 Abs. 1 StV werden bis zu zwei Zehntel der zur Verfügung stehenden Studienplätze für außergewöhnliche Fälle vorbehalten. Dies gilt unter anderem für Bewerberinnen und Bewerber, die sich aufgrund entsprechender Vorschriften verpflichtet haben, ihren Beruf in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs auszuüben (Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV). Hiervon könnten auch Landarztstudierende erfasst werden, wenn diese sich im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages verpflichten, sich im Anschluss an ihre Ausbildung für eine bestimmte Zeit als Allgemeinmediziner in einem ärztlich unterversorgten Gebiet niederzulassen. Abgesichert werden könnte diese Verpflichtung durch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe. Hinsichtlich dieses Modells wird gefragt, ob die Vorabquote aus Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV auf solche Anwendungsfälle zu beschränken sei, in denen die betroffenen Studierenden nach Abschluss ihrer Ausbildung im Staatsdienst tätig sind. Weiter wird gefragt, ob die in dem Modell vorgesehene Vertragsstrafenvereinbarung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist. Darüber hinaus wird um Prüfung der Frage gebeten, ob die Landarztstudierenden den Vertrag, mit dem sie sich verpflichten, im Anschluss an ihre Ausbildung für eine bestimmte Zeit als Allgemeinmediziner in einem ärztlich unterversorgten Gebiet tätig zu sein, auch mit einer Kassenärztlichen Vereinigung schließen könnten. In diesem Zusammenhang soll ebenfalls untersucht werden, ob die Landarztstudierenden auch bei einer kassenärztlichen Vereinigung angestellt sein könnten. Schließlich wird gefragt, ob eine entsprechende Regelung über die erleichterte Zulassung von Landarztstudierenden auch in das Hochschulrahmengesetz aufgenommen werden könnte. 2. Anwendung der Vorabquote aus Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV auf Landarztstudierende Nach Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV werden im zentralen Vergabeverfahren eine bestimmte Zahl von Studienplätzen für Bewerberinnen und Bewerber vorbehalten, die sich aufgrund entsprechender Vorschriften verpflichtet haben, ihren Beruf in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs auszuüben .1 In der bisherigen Praxis wurden danach Studienplätze an Personen vergeben, die sich durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag verpflichtet hatten, anschließend im öffentlichen 1 Siehe zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit solcher Vorabquoten VGH München, NVwZ-RR 2009, 110 (112). Allgemein zum Verfahren der Vergabe der Studienplätze Lindner, in: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, 2. Aufl. 2011, Kapitel XI Rn. 133 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 5 Dienst als Regierungsmedizinalräte tätig zu sein oder in den Sanitätsoffiziersdienst einzutreten.2 Letztgenannter Anwendungsfall ergibt sich aus den (bundeseinheitlichen) Landes-Vergabeverordnungen (VergabeVO Stiftung), auf deren Erlass sich die Länder gemäß Art. 12 StV zur Konkretisierung der Einzelheiten des Verfahrens und der dabei anzuwendenden Kriterien geeinigt haben. § 5 der jeweiligen VergabeVO Stiftung regelt die Anwendung der Vorabquote auf die Fallgruppe des „besonderen öffentlichen Bedarfs“ und bezieht sich dabei auf Bewerber, die sich für den Sanitätsoffiziersdienst der Bundeswehr entschieden haben. Die Anwendbarkeit der Vorabquote aus Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV auf Landarztstudierende wurde bereits in der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 erörtert.3 An dieser Stelle soll ergänzend auf den Einwand eingegangen werden, dass Landarztstudierende im Unterschied zu den Sanitätsoffizieren bei der Bundeswehr im Anschluss an ihre Ausbildung nicht im Staatsdienst tätig sind und damit deren Studienentscheidung in Bezug auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen der späteren Berufstätigkeit ein gewisser Unsicherheitsfaktor innewohnt. Dieser Umstand schließt jedoch die Anwendbarkeit der Regelung des Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV auf Landarztstudierende nicht aus.4 Eine Beschränkung der Regelung auf Studierende, die nach Abschluss ihrer Ausbildung im Staatsdienst tätig sind, ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck oder der Systematik der Regelung. Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV zielt darauf ab, den Bedarf an Arbeitskräften in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs sicherzustellen. Bei solchen Berufen mag es sich häufig um Tätigkeiten handeln, die vom öffentlichen Dienst wahrgenommen werden, zwingend ist dies jedoch nicht. Dem Umstand, dass Landarztstudierende nicht in den öffentlichen Dienst eintreten und damit ihrer Studienentscheidung in Bezug auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen der späteren Tätigkeit ein gewisser Unsicherheitsfaktor innewohnt, kann im Rahmen der Ausgestaltung der Anwendung der Vorabquote auf Landarztstudierende hinreichend Rechnung getragen (siehe hierzu unten unter 3.). Diese Ausgestaltung könnte zum einen auf der Ebene des Staatsvertrages erfolgen. So enthalten Art. 9 Abs. 3-7 StV Konkretisierungen für einzelne Tatbestandsalternativen der Vorabquote , wie zum Beispiel eine Definition des Begriffs der außergewöhnlichen Härte im Sinne des Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StV. Zum anderen kommen als Regelungsort die bereits erwähnten VergabeVO Stiftung in Betracht, die nach Art. 12 StV gerade der Konkretisierung der Einzelheiten des Verfahrens und der dabei anzuwendenden inhaltlichen Kriterien dienen.5 Für die Möglichkeit der Erstreckung des Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV auf die erleichterte Zulassung von Landarztstudierenden spricht schließlich auch die Begründung zum Gesetzentwurf der 2 Vgl. BVerwG, NJW 1986, 2589 (2589); FG München, Urteil vom 29. November 2002 – 13 K 5356/99, BeckRS 2002, 21010665. 3 , Erleichterter Zugang zum Medizinstudium für künftige Hausärzte in ländlichen Gebieten?, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 - 3000 - 051/14), 2014, S. 5. 4 So auch Kühl, Sicherstellung ambulanter medizinischer Versorgung in ländlichen Regionen, 2012, S. 156. 5 So auch Kühl, Sicherstellung ambulanter medizinischer Versorgung in ländlichen Regionen, 2012, S. 154. Vgl. hierzu auch BT-Drs. 7/1328, S. 58. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 6 Bundesregierung für ein Hochschulrahmengesetz aus dem Jahre 1973. Der damalige Gesetzentwurf beinhaltete wie heute der Staatsvertrag der Länder eine spezielle Regelung für „Bewerber, die sich aufgrund entsprechender Rechtsvorschriften verpflichtet haben, ihren Beruf in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs auszuüben“.6 In der Begründung zu dieser Regelung wird ausdrücklich als Beispiel für einen Bereich besonderen öffentlichen Bedarfs die Tätigkeit als Arzt in ärztlich unterversorgten Gegenden genannt. 3. Vereinbarkeit der Vertragsstrafenvereinbarung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die Vereinbarkeit des vorliegenden Modells mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde bereits in der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 erörtert.7 An dieser Stelle soll ergänzend zum einen auf den Einwand eingegangen werden, dass das hier erörterte Lösungsmodell des erleichterten Studienzugangs mit Vertragsstrafenvereinbarung angesichts von alternativen Sanktionsmitteln, wie der Versagung eines Vertragsarztsitzes, bzw. alternativen Lösungsmodellen, wie der Schaffung wirtschaftlicher Anreize, nicht erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei.8 Zum anderen soll geprüft werden, ob nach dem vorliegenden Modell den Landarztstudierenden mit dem Vertragsschluss und der damit verbundenen Vertragsstrafenvereinbarung ein unangemessenes Prognoserisiko aufgebürdet wird und das Modell aus diesem Grunde unverhältnismäßig im engeren Sinne ist. 3.1. Element der Erforderlichkeit Nach dem Gebot der Erforderlichkeit als Element des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss eine staatliche Maßnahme erforderlich sein, um den mit ihr verfolgten Zweck zu erreichen. Dies bedeutet , dass es keine Alternative geben darf, die den Zweck in gleicher Weise erfüllt, die grundrechtlich geschützte Freiheit aber weniger stark beschränkt.9 Ob im vorliegenden Fall alternative Sanktionsmittel bzw. Lösungsmodelle existieren, die gleichermaßen wirksam sind, in die Rechte der Landarztstudierenden jedoch weniger eingreifen, kann an dieser Stelle nicht abschließend beurteilt werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung sich bei der Prüfung von Gesetzen – aufgrund eines Beurteilungs- und Prognosespielraums des Gesetzgebers – auf die Beanstandung eindeutig fehlender Erforderlichkeit beschränkt.10 Festzuhalten ist jedoch, dass das hier erörterte Modell nicht bereits deshalb unvereinbar mit dem Gebot der Erforderlichkeit ist, weil es alternative Lösungsansätze zur Behebung des Landarzt- 6 Siehe BT-Drs. 7/1328, S. 14. 7 , Erleichterter Zugang zum Medizinstudium für künftige Hausärzte in ländlichen Gebieten?, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 - 3000 - 051/14), 2014, S. 6 ff. 8 Die – freiwillig eingegangene – Selbstverpflichtung der Studierenden für sich genommen (d.h. losgelöst von der Vereinbarung einer Vertragsstrafe) ist jedenfalls mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, siehe Bauer-Schade, Die flächendeckende vertragsärztliche Versorgung, 2013, S. 238 f. 9 Siehe z.B. BVerfGE 100, 313 (375); BVerfGE 77, 84 (109 ff.); BVerfGE 25, 1 (20). 10 Siehe z.B. BVerfGE 117, 163 (189); BVerfGE 50, 290 (332 ff.); BVerfGE 25, 1 (19 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 7 mangels gibt, die ohne die Vereinbarung einer Vertragsstrafe auskommen. So hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich eine Vertragsstrafenvereinbarung in einem Studienförderungsvertrag, in dem sich ein Student der Zahnmedizin zu einem späteren Eintritt in den öffentlichen Gesundheitsdienst verpflichtet hat, für vereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (und damit auch dem Gebot der Erforderlichkeit) erklärt.11 Diese Entscheidung lässt sich insofern auf den vorliegenden Fall übertragen, als dass auch bei dem vom Bundesverwaltungsgericht zu beurteilenden Fall alternativ die Schaffung wirtschaftlicher Anreize in Betracht kam. Unabhängig von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erscheint es im vorliegenden Fall auch deshalb problematisch, die Schaffung wirtschaftlicher Anreize als milderen und gleichermaßen geeigneten Lösungsansatz anzusehen, weil die Wirksamkeit finanzieller Maßnahmen zur Bekämpfung des Ärztemangels in der Literatur umstritten ist.12 Auch der Einwand, dass die Versagung eines Vertragsarztsitzes in überversorgten Ballungsgebieten als Sanktionsmittel zur Absicherung der vertraglichen Verpflichtungen der Landarztstudierenden weniger intensiv in die Rechte der Landarztstudierenden aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreife als die Vereinbarung einer Vertragsstrafe, vermag nicht ohne weiteres zu überzeugen. Bei der Versagung eines Vertragsarztsitzes bliebe den Betroffenen, soweit sie in Ballungsräumen praktizieren wollen, nur die Möglichkeit, privatärztlich tätig zu werden. Angesichts der hohen Relevanz, die eine Vertragsarztzulassung für die wirtschaftliche Existenz eines Arztes besitzen kann, stellt damit auch die Versagung eines Vertragsarztsitzes unter Umständen einen erheblichen Grundrechtseingriff dar. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Grundrechtsintensität des Sanktionsmittels der Vertragsstrafe im Wesentlichen von der Höhe der zu zahlenden Strafe abhängig ist. Mit der Festsetzung der Höhe der Vertragsstrafe kann also unmittelbar Einfluss auf die Intensität des Grundrechtseingriffs genommen und ein angemessener Ausgleich zwischen Wirksamkeit in Hinblick auf die Zielerreichung und Wahrung der Grundrechte der Betroffenen geschaffen werden. 3.2. Element der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Der zweite Einwand betrifft die Frage der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Nach diesem Element des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darf der Grundrechtseingriff nach seiner Art und Intensität nicht außer Verhältnis zu dem mit der Regelung verfolgten Ziel stehen.13 Dabei eindeutig eine Grenze zu ziehen ist jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da Abwägungsentscheidungen rational nur begrenzt zu strukturieren und zu kontrollieren sind.14 Im vorliegenden Fall besteht diese Problematik der Grenzziehung im Zusammenhang mit dem Umstand, dass die Studienbewerber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nur in beschränktem 11 BVerwG, NJW 1986, 2589 (2590). 12 Siehe die Nachweise bei Kühl, Sicherstellung ambulanter medizinischer Versorgung in ländlichen Regionen, 2012, S. 164 Fn. 736. Ausführlich zu Honoraranreizen zur Förderung der Niederlassungsbereitschaft ebenda, S. 164 ff. 13 Siehe z.B. BVerfGE 99, 202 (212 f.); BVerfGE 80, 103 (107); BVerfGE 50, 217 (227). 14 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand: 72. EL 2014 (Kommentierung: 48. EL 2006), Art. 20 VII. Rn. 118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 8 Maße abschätzen können, wie die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer Tätigkeit als niedergelassener Arzt in ärztlich unterversorgten Gebieten nach Abschluss ihrer Ausbildung sein werden. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob den Studienbewerbern mit dem Vertragsschluss und der damit verbunden Vertragsstrafenvereinbarung ein unzumutbares Prognoserisiko aufgebürdet wird. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne einer solchen Vertragsstrafenvereinbarung maßgeblichen Kriterien wurden bereits in der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 051/14 dargestellt. Zu den Kriterien für eine zumutbare Bindung eines Studienbewerbers zählen danach eine zeitliche Begrenzung der Verbleibepflicht , eine Vertragsstrafe in verhältnismäßiger Höhe sowie eine Vertragsklausel, nach der in Härtefällen von der Vertragsstrafe Abstand zu nehmen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Kriterien im Rahmen eines Falles entwickelt, in dem sich der betroffene Student zum späteren Eintritt in den öffentlichen Gesundheitsdienst verpflichtet hatte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die mit einer Vertragsstrafenvereinbarung verbundene Verpflichtung zu einer späteren freiberuflichen Tätigkeit von vornherein unverhältnismäßig im engeren Sinne ist. Ein gewisses Prognoserisiko der oben beschriebenen Art ist stets gegeben, wenn man sich für eine Ausbildung von längerer Dauer entscheidet. Dies gilt insbesondere bei zulassungsbeschränkten Studiengängen, bei denen unter Umständen zusätzlich zu einer langen Ausbildungsdauer auch entsprechende Wartesemester kommen können. Mit fortschreitender Ausbildungsdauer kann zudem zumindest faktisch eine starke Bindung an die angestrebte berufliche Tätigkeit entstehen. Verpflichtet sich ein Studienbewerber zu einer späteren Tätigkeit im öffentlichen Dienst, mag das Prognoserisiko geringer ausgeprägt sein, als wenn dieser sich für eine spätere freiberufliche Tätigkeit verpflichtet, doch auch in Hinblick auf den öffentlichen Dienst besteht keine Sicherheit bezüglich der späteren Verdienstmöglichkeiten. Bezogen auf den vorliegenden Fall kann dem Prognoserisiko der Landarztstudierenden im Rahmen der Ausgestaltung der Dauer der Verbleibepflicht , der Höhe der Vertragsstrafe sowie der Härtefallklausel hinreichend Rechnung getragen werden. So ist unter anderem denkbar, in den entsprechenden öffentlich-rechtlichen Vertrag Klauseln aufzunehmen, die dem Landarztstudierenden die Wahl eines bestimmten Bundeslandes für eine spätere Niederlassung ermöglichen oder Regelungen für den Fall enthalten, dass nach Abschluss der Ausbildung kein besonderer Bedarf mehr an Landärzten besteht. Schließlich hat der Gesetzgeber für die Vertragsparteien eines öffentlich-rechtlichen Vertrages in besonderen Fällen auch ein Recht auf Anpassung bzw. Kündigung des Vertrages vorgesehen (siehe § 60 Verwaltungsverfahrensgesetz bzw. § 59 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]). Haben sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist, so kann diese Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse verlangen oder – sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zuzumuten ist, den Vertrag kündigen.15 Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstandes, dass die Studienbewerber nach dem hier erörterten Modell freiwillig die Verpflichtung eingehen und im Gegensatz zu anderen Studienbe- 15 Vertiefend zu der Vertragsanpassung und -kündigung in besonderen Fällen Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/ Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2014, § 60 Rn. 4 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 9 werbern mit gleicher Abschlussnote einen zeitlichen Vorteil erlangen (was von erheblicher finanzieller Bedeutung sein kann)16, ist davon auszugehen, dass eine Vertragsstrafenvereinbarung auch im vorliegenden Fall nicht per se unvereinbar mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist. Für diese Rechtsauffassung spricht zudem der Verweis auf Förderprogramme einiger Bundesländer , mit denen Studenten, die ihr Medizinstudium bereits aufgenommen haben, motiviert werden sollen, sich später als Arzt in einer unterversorgten Region niederzulassen und die ebenfalls Rückzahlungspflichten vorsehen.17 4. Miteinbeziehung der Kassenärztlichen Vereinigungen 4.1. Die Kassenärztlichen Vereinigungen als Vertragspartner Die Landarztstudierenden können den öffentlichen-rechtlichen Vertrag, mit dem sie sich verpflichten , im Anschluss an ihre Ausbildung für eine bestimmte Zeit als Allgemeinmediziner in einem ärztlich unterversorgten Gebiet tätig zu sein, auch mit den Kassenärztlichen Vereinigungen abschließen .18 Gemäß § 77 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sind Kassenärztliche Vereinigungen Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Kassenärztlichen Vereinigungen nehmen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr und sind – sofern sie nicht gemäß § 75 Abs. 2 S. 1 SGB V im Rahmen der Interessenvertretung für die Ärzteschaft tätig sind – Behörden im Sinne des § 1 Abs. 2 SGB X. Sie können damit auch öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne des § 53 SGB X schließen.19 Unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 SGB X können die Kassenärztlichen Vereinigungen auch die hier erörterten öffentlich-rechtlichen Verträge mit den Landarztstudierenden abschließen. § 55 Abs. 1 SGB X legt vier Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Austauschverträgen fest: Erstens muss die Gegenleistung des behördlichen Vertragspartners an einen bestimmten Zweck gebunden sein, der im Vertrag vereinbart wird, zweitens muss die Gegenleistung der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben der Behörde dienen, drittens muss die Gegenleistung den gesamten Umständen nach angemessen sein und viertens muss die Gegenleistung im sachlichen Zusammenhang mit der Leistung der Behörde stehen.20 Die Leistung der Behörde wäre im vorliegenden 16 Siehe hierzu auch Kühl, Sicherstellung ambulanter medizinischer Versorgung in ländlichen Regionen, 2012, S. 158. 17 Siehe beispielsweise die Bedingungen des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz für das Programm „Ausbildungsbeihilfe“, abrufbar unter http://www.gesunde.sachsen.de/download/Download _Gesundheit/Anlage_1_Foerderbedingungen_KVS.pdf, (letzter Abruf am 23. Januar 2015). 18 Alternativ wird auch eine Zuständigkeit der Stiftung für Hochschulzulassung für den Abschluss der entsprechenden öffentlich-rechtlichen Verträge diskutiert, siehe Kühl, Sicherstellung ambulanter medizinischer Versorgung in ländlichen Regionen, 2012, S. 155. 19 Steinhilper, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 28 Rn. 6. 20 Siehe hierzu Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, Kommentar, 8. Aufl. 2014, § 55 Rn. 8 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 10 Fall in der Benennung der Landarztstudierenden durch die Kassenärztlichen Vereinigungen für die Vorabquote des Art. 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StV zu sehen. Die Gegenleistung bestünde hier in der von den Landarztstudierenden eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zur späteren Niederlassung in ärztlich unterversorgten Gebieten auf dem Land. Diese Gegenleistung würde auch der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen dienen.21 Die Kernaufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen liegt gemäß § 75 Abs. 1 SGB V in der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung.22 Entsprechend verpflichtet der Gesetzgeber die Kassenärztlichen Vereinigungen auf Grundlage ihrer Bedarfsplanung in § 105 Abs. 1 SGB V dazu, „alle geeigneten finanziellen und sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu gewährleisten, zu verbessern oder zu fördern“. 4.2. Anstellung der Landarztstudierenden bei den Kassenärztlichen Vereinigungen Eine weitere Möglichkeit der Miteinbeziehung der Kassenärztlichen Vereinigungen in das hier erörterte Modell zur Bekämpfung des Landärztemangels stellt die Anstellung der Landarztstudierenden bei den Kassenärztlichen Vereinigungen dar. Dieser Ansatz entspricht im Wesentlichen der Errichtung von sog. Eigeneinrichtungen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 105 Abs. 1 SGB V und begegnet daher keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken. Das System der Eigeneinrichtungen im Sinne des § 105 Abs. 1 SGB V dient der Sicherstellung der medizinischen Versorgung im ländlichen Bereich und sieht die Einrichtung von sog. Filialpraxen vor, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen betrieben werden und in denen Ärzte angestellt oder selbstständig tätig sein können.23 Dieses Modell ermöglicht insbesondere jungen Allgemeinmedizinern , Erfahrungen in einer Hausarztpraxis zu sammeln, ohne sich an einen Standort langfristig zu binden und ein wirtschaftliches Risiko eingehen zu müssen. Nach § 105 Abs. 1 S. 2 SGB V bedürfen die Kassenärztlichen Vereinigungen zum Betrieb der Eigeneinrichtungen des Benehmens mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen. Vereinzelt wird in der Literatur zudem die Auffassung vertreten, dass die vertragsärztliche Versorgung nach § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V grundsätzlich zugelassenen Vertragsärzten, ermächtigten Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen vorbehalten sei, so dass die Schaffung einer solchen Eigeneinrichtung nur als ultima ratio für den Fall, in dem die vertragsärztliche Versorgung anders nicht sichergestellt werden könnte, zulässig sei.24 21 So schließen auch die Medizinstudenten in dem sächsischen Programm „Ausbildungsbeihilfe“ die entsprechenden öffentlich-rechtlichen Verträge mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen. 22 Vertiefend hierzu Sproll, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, Stand: 85. EL 2014 (Kommentierung: 79. EL 2012), § 75 SGB V Rn. 7 ff. 23 Siehe hierzu das in Sachsen-Anhalt praktizierte Modell, http://www.kvsa.de/praxis/vertragsaerztliche_taetigkeit /existenzgruendung/filialpraxen.html, (letzter Abruf am 23. Januar 2015), sowie die Informationen des Bundesministeriums für Gesundheit unter http://www.bmg.bund.de/glossarbegriffe/e/eigeneinrichtungen.html, (letzter Abruf am 23. Januar 2015). 24 Neumann, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), Beck´scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand: 35. Edition 2014, § 105 SGB V Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 308/14 Seite 11 5. Regelung des erleichterten Zugangs von Landarztstudierenden zum Medizinstudium im Hochschulrahmengesetz Der Erlass des Hochschulrahmengesetzes wurde auf den Kompetenztitel des Bundes aus Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a GG a.F. gestützt, wonach der Bund Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens erlassen konnte. Mit der Föderalismusreform des Jahres 2006 ist die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 75 GG a.F. weggefallen. Nach Art. 125b Abs. 1 S. 1 GG gelten jedoch Bundesrahmengesetze, die gestützt auf die Kompetenz des Art. 75 GG a.F. erlassen werden konnten, fort, soweit sie weiterhin als Bundesgesetze erlassen werden könnten, soweit also ein sachlicher Kompetenztitel besteht.25 Bezogen auf den Hochschulbereich ist dem Bund nach der Föderalismusreform des Jahres 2006 die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG für die Regelung der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse verblieben.26 Danach kann der Bund insbesondere Regelungen für zulassungsbeschränkte Studiengänge erlassen27, so dass auch eine entsprechende Regelung über den erleichterten Zugang von Landarztstudierenden zum Medizinstudium auf diesen Kompetenztitel gestützt und in das bestehende Hochschulrahmengesetz aufgenommen werden könnte. 25 Vgl. Degenhart, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, NVwZ 2006, 1209 (1215). 26 Bislang hat der Bund keinen Bedarf gesehen, von dieser Gesetzgebungskompetenz Gebrauch zu machen. Siehe hierzu die Antwort der Bundesregierung der 16. Wahlperiode auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 16/11550, S. 2, sowie die Darstellung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, abrufbar unter http://www.bmbf.de/de/8680.php, (letzter Abruf am 16. Januar 2015). 27 Vgl. Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 129.