© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 303/15 Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Bewältigung der Flüchtlingssituation Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 2 Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Bewältigung der Flüchtlingssituation Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 303/15 Abschluss der Arbeit: 7. Dezember 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 3 1. Fragestellung Die Bewältigung der gegenwärtigen Flüchtlingssituation ist mit großen Herausforderungen für Bund, Länder und Kommunen verbunden. Auch die Bundeswehr engagiert sich im Inland bereits in nicht unerheblichem Umfang in der Flüchtlingshilfe. Wie der Internetpräsentation der Bundeswehr1 zu entnehmen ist, umfassen diese Unterstützungsleistungen insbesondere die Unterbringung von Flüchtlingen in Liegenschaften der Bundeswehr sowie die Bereitstellung von Zelten und Transportkapazitäten . Außerdem sind durchschnittlich 7.500 Angehörige der Bundeswehr etwa bei der Versorgung und Registrierung von Flüchtlingen eingesetzt. Über 500 Angehörige der Bundeswehr unterstützen schließlich die Tätigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Nach den Worten der Bundesministerin der Verteidigung richtet sich die Bundeswehr darauf ein, dauerhaft mit Personal und der großen Erfahrung in Führung und Organisation Flüchtlingshilfe zu leisten.2 Darüber hinaus werden zum Teil größere Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern gefordert, wie zum Beispiel die Übernahme von Aufgaben des Grenzschutzes.3 Die vorliegende Ausarbeitung stellt vor diesem Hintergrund zunächst die verfassungsrechtlichen Grundlagen einer Verwendung der Streitkräfte im Innern dar (2.) und bewertet sodann verschiedene Arten von Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Rahmen der Flüchtlingshilfe (3.). 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen einer Verwendung der Streitkräfte im Innern Einem Einsatz der Bundeswehr im Innern sind verfassungsrechtlich enge Grenzen gesetzt. Gemäß Artikel (Art.) 87a Absatz (Abs.) 2 Grundgesetz (GG) dürfen die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz dies ausdrücklich zulässt. Neben der selbstverständlich auch im Inland zulässigen Erfüllung des Verteidigungsauftrages4 werden darüber hinaus folgende Einsatzvarianten im Inland voneinander abgegrenzt: - Einsatz zum Objektschutz und zur Verkehrsregelung im Verteidigungs- oder Spannungsfall (sog. äußerer Notstand, Art. 87a Abs. 3 GG), - Einsatz zum Objektschutz sowie zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer bei einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes (sog. Innerer Notstand, Art. 87a Abs. 4 GG), - Hilfe bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen (Art. 35 Abs. 2 und 3 GG), - Verwendung der Streitkräfte im Rahmen der Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG). 1 Bundeswehr, Überblick: Flüchtlingshilfe der Bundeswehr in Deutschland, http://www.bundeswehr.de (Stand: 30. November 2015). 2 Bundeswehr, Überblick: Flüchtlingshilfe der Bundeswehr in Deutschland, http://www.bundeswehr.de (Stand: 30. November 2015). 3 Vgl. Frankfurter Allgemeine, Einsatz der Bundeswehr im Grenzschutz?, FAZ vom 18. November 2015. 4 Vgl. Hölscheidt/Limpert, Einsatz der Bundeswehr innen und außen, JA 2009, S. 86 (88). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 4 2.1. Einsatz im Verteidigungs- und Spannungsfall Der Verteidigungsfall ist gegeben, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Art. 115a GG). Der Spannungsfall (Art. 80a GG) ist eine Vorstufe des Verteidigungsfalls.5 Die aus Art. 87a Abs. 3 S. 1 GG resultierende Aufgabenübertragung ist auf den Schutz ziviler Objekte von militärischer Bedeutung sowie auf die Verkehrsregelung beschränkt. Art. 87a Abs. 3 S. 2 GG erlaubt ferner die ausdrückliche Übertragung des zivilen Objektschutzes auf die Streitkräfte zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen, etwa wenn die Polizei dadurch für andere dringende Aufgaben freigestellt werden kann.6 Zuständigkeit und Form des Übertragungsaktes lässt das Grundgesetz offen. Jedenfalls ist die Mitwirkung der Länder als Inhaber der Polizeigewalt und des Bundes als Inhaber der Wehrhoheit geboten.7 Die Feststellung des Verteidigungsfalles erfolgt auf Antrag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages (Art. 115a Abs. 1 S. 2 GG). Die Befugnisse des Art. 87a Abs. 3 S. 1 GG wachsen den Streitkräften automatisch zu, die Befugnisse nach Art. 87a Abs. 3 S. 2 GG bedürfen eines besonderen Übertragungsaktes.8 Ziel der Norm ist es, Kampfhandlungen zwischen der Polizei und gegnerischen Streitkräften zu vermeiden, wenn ein Konflikt auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgetragen wird.9 Einzelne Eingriffsmaßnahmen bedürfen in allen Fällen einer materiellrechtlichen Befugnisnorm.10 2.2. Einsatz im Falle eines inneren Notstandes Art. 87a Abs. 4 GG knüpft den Streitkräfteeinsatz im Falle eines inneren Notstandes an drei Voraussetzungen : Ein solcher Einsatz ist in Entsprechung zu Art. 91 Abs. 1 GG erstens nur zulässig zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes.11 Zweitens ist der Einsatz subsidiär gegenüber der Regelung des Art. 91 Abs. 2 GG, wonach vorausgesetzt wird, dass das Land, in dem die Gefahr droht, nicht 5 Hölscheidt/Limpert, Einsatz der Bundeswehr innen und außen, JA 2009, S. 86 (88). 6 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. (2008), Art. 87a Rn. 26. 7 Hölscheidt/Limpert, Einsatz der Bundeswehr innen und außen, JA 2009, S. 86 (88). 8 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. (2008), Art. 87a Rn. 22. 9 Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. (2014), Art. 87a Rn. 41. 10 In Betracht kommt etwa das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw) oder die Straßenverkehrsordnung (StVO). 11 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. (2008), Art. 87a Rn. 29. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 5 selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage ist.12 Drittens müsste auch der Einsatz der vorhandenen Kräfte der Bundespolizei nicht ausreichen.13 Dies vorausgesetzt könnte die Bundeswehr zum Schutz ziviler Objekte (z. B. Infrastruktureinrichtungen , Institutionen der Daseinsvorsorge14) und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer eingesetzt werden. In letzterem Fall richtet sich die Beurteilung danach, ob die Polizei der Länder und des Bundes den Aufständischen aufgrund ihrer Zahl und Bewaffnung gewachsen sind, weshalb im Grunde nur zwei Szenarien, nämlich ein Militärputsch oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen, die von Art. 87a Abs. 4 GG vorausgesetzte äußerste Gefahrenlage auslösen können.15 Die Entscheidung über einen solchen Einsatz trifft die Bundesregierung in alleiniger Verantwortung und ohne Beteiligung von Bundestag und Bundesrat als Kollegialorgan.16 Der Einsatz der Streitkräfte ist jedoch einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen (Art. 87a Abs. 4 S. 2 GG). 2.3. Hilfe bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen Nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG können die Streitkräfte zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall eingesetzt werden. Unter einer Naturkatastrophe werden unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß verstanden, die durch Naturereignisse wie Erdbeben, Hochwasser, Eisgang, Unwetter, Waldund Großbrände, Dürre oder Massenerkrankungen ausgelöst werden.17 Ein besonders schwerer Unglücksfall liegt bei Schadensereignissen von großem Ausmaß und von Bedeutung für die Öffentlichkeit vor, die durch Unfälle, technisches oder menschliches Versagen ausgelöst oder von Dritten absichtlich herbeigeführt wurden.18 Das Bundesverfassungsgericht19 hat klargestellt, dass nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3 GG darstellt, der einen Streitkräfteeinsatz erlaubt. Erfasst seien vielmehr nur Ereignisse von „katastrophischer Dimension“. Dazu zählen z. B. schwere Verkehrsunfälle, schwere Flugzeug- 12 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. (2008), Art. 87a Rn. 29. 13 Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. (2014), Art. 87a Rn. 44. 14 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. (2008), Art. 87a Rn. 30. 15 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. (2008), Art. 87a Rn. 31. 16 Hölscheidt/Limpert, Einsatz der Bundeswehr innen und außen, in: JA 2009, S. 86 (88). 17 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. (2006), Art. 35 Rn. 29. 18 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. (2014), Art. 35 Rn. 42. 19 BVerfGE 132, 1ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 6 oder Eisenbahnunglücke, Stromausfall mit Auswirkungen auf lebenswichtige Einrichtungen, Großbrände durch Brandstiftung oder Unfälle mit Strahlenrisiko.20 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts21 ist die von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG vorgegebene unterstützende Funktion der Streitkräfte in diesen Fällen nicht auf die aktuell oder potentiell polizeirechtlich zulässigen Einsatzmittel beschränkt. Zur Ermöglichung einer wirksamen Gefahrenabwehr sei auch die Verwendung spezifischer militärischer Mittel zulässig. Soweit sich der Notfall auf das Gebiet eines Landes bezieht (regionaler Notstand) erfolgt die Unterstützung der Streitkräfte aufgrund der Anforderung des betreffenden Landes (Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG). Im Falle eines überregionalen Notstandes kann der Streitkräfteeinsatz gemäß Art. 35 Abs. 3 S. 1 GG von der Bundesregierung angeordnet werden. Der Bundesrat kann eine unverzügliche Aufhebung von Maßnahmen der Bundesregierung verlangen (Art. 35 Abs. 3 S. 2 GG). 2.4. Unterstützung im Rahmen der Amtshilfe Eine Verwendung22 der Bundeswehr im Innern ist schließlich auf der Grundlage des Art. 35 Abs. 1 GG denkbar. Danach leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Amts- und Rechtshilfe. Auch die Bundeswehr zählt zu den Behörden im Sinne des Absatzes 1.23 Die Verpflichtung zur Amtshilfe setzt das Ersuchen einer anderen Behörde voraus, da staatsorganisationsrechtlich jede Behörde für ihren Aufgabenbereich eigenverantwortlich zu prüfen hat, ob und inwieweit sie Hilfe benötigt, fremde Unterstützungsleistungen für zulässig und zweckmäßig erachtet, und von welcher anderen Behörde sie Hilfe anfordern will.24 Da es sich bei der Amtshilfe um Hilfe auf Ersuchen handelt, bleibt die Verfahrensherrschaft für das Gesamtverfahren bei der ersuchenden Behörde und die Amtshilfe auf unselbständige und untergeordnete Teilabschnitte beschränkt; Einleitung und Schluss des Hauptverfahrens sind stets der ersuchenden Behörde vorbehalten, Teilhandlungen können selbständig und mit Außenwirkung von der ersuchten Behörde vorgenommen werden.25 Mit Blick auf ein Tätigwerden der Bundeswehr in Amtshilfe sind außerdem die besonderen Grenzen zu beachten, die sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben. Es ist anerkannt, dass ein streitkräftemäßiger Einsatz der Bundeswehr nicht auf Art. 35 Abs. 1 GG gestützt werden kann, da die Vorschrift keine Ermächtigungsgrundlage darstellt, welche die Handlungs- und Eingriffsbefugnisse der beteiligten Behörden erweitert.26 Eine Verwendung der Bundeswehr, die keinen Einsatz 20 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. (2006), Art. 35 Rn. 29. 21 BVerfGE 132, 1 (30). 22 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Einsatz und bloßer Verwendung der Streitkräfte: Ziff. 2.5. 23 Hölscheidt/Limpert, Einsatz der Bundeswehr innen und außen, JA 2009, 86 (89). 24 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 19. 25 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 20. 26 Sanwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. (2014), Art. 35 Rn. 21, 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 7 der vollziehenden Gewalt darstellt, wäre hingegen nicht zu beanstanden, so dass rein technische Hilfe grundsätzlich zulässig wäre.27 2.5. Der Einsatzbegriff in Rechtsprechung und Literatur Die in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Abgrenzungsformel hinsichtlich zulässiger Verwendungsmöglichkeiten der Streitkräfte hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 3. Juli 201228 bestätigt: Demnach ist ein Streitkräfteeinsatz im Innern zwar auf äußerste Ausnahmefälle begrenzt. Art. 87a Abs. 2 GG bindet jedoch nicht jede Nutzung personeller und sachlicher Mittel der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang. Eine solche Verwendung liegt allerdings nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential genutzt werden. Gemäß dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 200629, das in der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich in Bezug genommen wird30, erfasst der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG nur solche Verwendungen, bei denen die Streitkräfte der Bundeswehr hoheitlichen Zwang einsetzen dürfen, wozu die Anwendung von Waffengewalt, Eingriffe in Rechte Dritter und die (bewaffnete) Bewachung von Objekten gehören. Vor dem Hintergrund der genannten abstrakten Abgrenzungskriterien stuft Heun31 Verwendungen zu Repräsentationszwecken, technisch – karitative Hilfsleistungen im Inland und Ausland (Evakuierungen, Nahrungsmittel- und Krankentransporte), die Bereitstellung von Arbeitskräften oder sonstige „Good – will – Veranstaltungen“ (Kriegsgräberfürsorge, Musikveranstaltungen) als unstreitig nicht von Art. 87 Abs. 2 GG erfasst ein. Demgegenüber erfüllten der unbewaffnete Einsatz als Streikbrecher oder die technische Unterstützung bei polizeilichen Fahndungen den Einsatzbegriff. Depenheuer32 zählt zu den Verwendungen unterhalb der Einsatzschwelle die Bereitstellung technischer , wissenschaftlicher und logistischer Fähigkeiten der Streitkräfte, ihres Personals und ihrer Sachmittel, wenn und soweit die Soldaten selbst keinen Zwang anwenden. Das gelte für schlichthoheitliche Verwendungen im In- und Ausland. In Betracht komme auch die Mitwirkung zur Abwehr von Anschlägen mit nuklearen, biologischen oder chemischen Mitteln. 27 Hölscheidt/Limpert, Einsatz der Bundeswehr innen und außen, JA 2009, 86 (89). 28 BVerfGE 132, 1 ff. 29 BVerwGE 132, 110 (119 f.). 30 BVerfGE 132, 1 (50). 31 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 15. 32 Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 6, EL 53, Oktober 2008, Art. 87a Rn. 103. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 8 In Ergänzung hierzu sei nach Krieger33 die Bewaffnung der Streitkräfte zwar ein Indiz für das Vorliegen eines Einsatzes. Ein solcher sei aber auch dann gegeben, wenn es sich um eine zwar unbewaffnete , aber innenpolitisch nicht neutrale Verwendung der Bundeswehr34 handle. Dementsprechend sei etwa die Bereitstellung von LKW für die Polizei, die Überlassung von Sanitätsfahrzeugen und die Nutzung einer Bundeswehrkaserne zur Unterbringung von Polizisten kein Einsatz. Fallkonstellationen, in denen die Verwendung der Streitkräfte zwar nicht mit der unmittelbaren Erlaubnis der Ausübung hoheitlichen Zwangs verbunden ist, polizeiliches Handeln jedoch unterstützt wird, liegen in diesem Zusammenhang in einem Grenzbereich. Als Beispiel hierfür dienen die Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Rahmen des G 8 – Gipfels in Heiligendamm im Juni 2007. In tatsächlicher Hinsicht handelte es sich dabei zum einen um Aufklärungsflüge von Flugzeugen des Typs Tornado und zum anderen um die Aufklärung durch Panzerspähwagen, wobei die Bundeswehr in beiden Fällen Informationen an die Polizeikräfte weitergab. Die weiträumige Überwachung sollte der Polizei eine „schnelle und frühzeitige Verdichtung des Lagebildes“ ermöglichen , ein etwaiges Einschreiten gegen Störer blieb jedoch den Polizeikräften vorbehalten.35 Das Bundesverfassungsgericht setzte mit Beschluss vom 4. Mai 201036 in dem von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen angestrengten Organstreitverfahren zwar dem parlamentarischen Zustimmungserfordernis Grenzen, traf jedoch keine Entscheidung darüber, ob die genannten Unterstützungsleistungen einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG darstellen. Aus diesem Grund ist die Bewertung dieser im Grenzbereich liegenden Streitkräfteverwendungen in der Literatur nach wie vor umstritten. Ein Einsatz liege nach der Auffassung von Ladiges37 in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht bereits dann vor, wenn die Streitkräfte im Sinne einer Machtdemonstration (sog. show of force) überhaupt sichtbar in Erscheinung treten, da sie im Regelfall – anders als die Polizei – ohnehin keine Eingriffsbefugnisse im Bereich der inneren Sicherheit hätten. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Unterstützung bei Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu einer engen Verzahnung zwischen dem Handeln der Polizei und der Streitkräfte führt, so dass insgesamt eine Tätigkeit der Streitkräfte in einem Eingriffszusammenhang vorliege. Maßgeblich sei deshalb nicht, ob „modernes Kriegsgerät“ eingesetzt werde, sondern welche konkreten Aufgaben den Streitkräften übertragen werden.38 Daher stellten Tätigkeiten im Bereich der Aufklärung zur Feststellung von Straftätern oder Störern einen Einsatz dar, wenn Informationen an die Polizei übermittelt werden. Im Rahmen dieses arbeitsteiligen Vorgehens sei es auch unbeachtlich , dass die Bundeswehr im Hinblick auf den G 8 – Gipfel in Heiligendamm selbst keine Zwangsmaßnahmen vorgenommen habe.39 33 Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. (2014), Art. 87a Rn. 39. 34 Zum Beispiel die Verwendung der Bundeswehr bei arbeitsrechtlichen Streiks. 35 Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075. 36 BVerfGE 126, 55. 37 Ladiges, Verfassungsrechtliche Grundlagen für den Einsatz der Streitkräfte, JuS 2015, S. 598 (599). 38 Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075 (1077). 39 Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075 (1078). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 9 3. Verwendung der Bundeswehr im Rahmen der Flüchtlingshilfe Vor dem Hintergrund der dargestellten verfassungsrechtlichen Systematik stellen sich Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Rahmen der Flüchtlingshilfe wie folgt dar: 3.1. Keine Grundlage für einen Einsatz der Bundeswehr Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch die Streitkräfte wäre nur im Rahmen eines Einsatzes zulässig, wenn ein solcher gemäß Art. 87a Abs. 2 GG auf eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Befugnis gestützt werden könnte. Dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen angesichts der gegenwärtigen Flüchtlingssituation vorliegen, dürfte abzulehnen sein. Nachdem die Annahme des Verteidigungs- oder Spannungsfalles gemäß Art. 87a Abs. 3 GG, eine drohende Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes (Art. 87a Abs. 4 GG) bzw. der Eintritt einer Naturkatastrophe (Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG) fernliegen dürften, wäre ein Einsatz der Bundeswehr allenfalls dann zulässig, wenn in der gegenwärtigen Situation ein „besonders schwerer Unglücksfall“ gesehen werden könnte. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts , wonach für die Annahme eines solchen Unglücksfalls nicht jede Überforderung von Polizeibehörden ausreicht, sondern ein Ereignis „katastrophischen Ausmaßes“ vorausgesetzt wird, könnte ein Einsatz der Bundeswehr letzten Endes auf keine der in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen gestützt werden. Eine Verwendung der Streitkräfte zur Flüchtlingshilfe bleibt damit auf nicht – hoheitliche Maßnahmen beschränkt. 3.2. Zulässige Unterstützungsleistungen im Rahmen der Amtshilfe Verfassungsrechtlich unbedenklich ist damit eine Verwendung der Bundeswehr im Rahmen der Flüchtlingshilfe, soweit es sich dabei um technische Unterstützungsleistungen unterhalb der Einsatzschwelle handelt. Darunter fallen insbesondere die Unterbringung von Flüchtlingen in Liegenschaften der Bundeswehr, die Bereitstellung von Zelten, mobilen Röntgengeräten und Transportkapazitäten, der Aufbau und Betrieb von Zelten, Containern und Feldküchen sowie organisatorische und sanitätsdienstliche Leistungen. Im Hinblick auf eine Unterstützung der Amtsgeschäfte des BAMF bedarf es einer differenzierten Betrachtung. Da bei der Entscheidung über Asylanträge unmittelbar in die Rechte Dritter eingegriffen wird (Art. 16a GG), handelt es sich insoweit um eine hoheitliche Tätigkeit, die von Angehörigen der Bundeswehr wegen der aus Art. 87a Abs. 2 GG resultierenden Beschränkungen auch nicht im Wege der Amtshilfe ausgeübt werden dürfte. Zulässig ist in diesem Zusammenhang jedoch die Übernahme untergeordneter Tätigkeiten, solange die Entscheidung über asylrechtsbezogene Eingriffe den Beschäftigten des BAMF vorbehalten bleibt. 3.3. Sonderfall: Verwendung zur Grenzsicherung Diese Grundsätze gelten schließlich auch bei der Erwägung, die Bundeswehr zur Sicherung der Landesgrenze bzw. zur Grenzkontrolle einzusetzen. Der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes stellt eine bundespolizeiliche Aufgabe dar (§ 2 Abs. 1 Bundespolizeigesetz (BPolG)). Diese umfasst u. a. die polizeiliche Überwachung der Grenzen, die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs, einschließlich der Überprüfung der Grenzübertrittspapiere sowie die Gefahrenabwehr (§ 2 Abs. 2 S. 1 BPolG). Zur Erfüllung dieser gesetzlich normierten Aufgabe ist die Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/15 Seite 10 Bundespolizei gemäß § 14 Abs. 1 BPolG ermächtigt, die zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen zu treffen. Insbesondere die Durchsuchung von Personen40 und der Schusswaffengebrauch im Grenzdienst41 sind als besondere (und schwere) polizeiliche Eingriffe ausdrücklich geregelt und den Kräften der Polizei vorbehalten (§ 9 UZwG). Außerhalb eines nach Art. 87a Abs. 2 GG zulässigen Einsatzes könnte die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG zur Unterstützung grenzpolizeilicher Aufgaben nur verwendet werden, soweit damit kein Eingriff in die Rechte Dritter verbunden ist. Die Durchsuchung von Personen und Sachen an der Grenze, das Festhalten von Personen oder gar der Schusswaffengebrauch durch Angehörige der Bundeswehr wären damit unzulässig. Soweit die Bundespolizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf technisches Gerät der Bundeswehr angewiesen sein sollte, könnte dieses im Rahmen der Amtshilfe zur Verfügung gestellt werden. Auch in diesem Zusammenhang dürften bei gegebenenfalls erforderlicher Bedienung durch Angehörige der Bundeswehr keine Eingriffe in die Rechte Dritter oder eine Mitwirkung hierbei ausgehen. Ein Einsatz militärischer Waffen durch die Bundespolizei wäre mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig.42 Die Bundespolizei ist gemäß § 2 Abs. 4 UZwG auf die Verwendung der dienstlich zugelassenen Hieb- und Schusswaffen, Reizstoffe und Explosivmittel beschränkt. Ende der Bearbeitung 40 § 42 BPolG (Durchsuchung von Personen). 41 § 11 UZwG (Schusswaffengebrauch im Grenzdienst). 42 Ruthig, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes (2014), UZwG, § 1 Rn. 10 ff.