Deutscher Bundestag Der Zugang zu Bundesarchivgut für wissenschaftliche Forschungsvorhaben nach dem Bundesarchivgesetz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 303/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 2 Der Zugang zu Bundesarchivgut für wissenschaftliche Forschungsvorhaben nach dem Bundesarchivgesetz Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 303/12 Abschluss der Arbeit: 16. November 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Allgemeiner Zugang zum Bundesarchivgut nach dem Bundesarchivgesetz 4 2.1. Anwendungsbereich 4 2.2. Zugangsberechtigte 5 2.3. Zugangsverfahren 5 2.4. Zugangsart und Zugangsumfang 5 3. Spezielle Regelungen zur Zugangsberechtigung für wissenschaftliche Forschungsvorhaben 7 3.1. Tatbestand zur Verkürzung der Frist 7 3.2. Ermessen der Behörde 8 4. Spezielle Regelungen zur Zugangsberechtigung in Bezug auf Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger 10 4.1. Personen der Zeitgeschichte 10 4.2. Amtsträger 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 4 1. Einleitung Das Bundesarchivgesetz1 (BArchG) normiert einen allgemeinen Anspruch des Bürgers, sich aus archivierten Unterlagen zu informieren. Der Anspruch von Wissenschaftlern, die Zugang zum Archivgut zu Forschungszwecken begehren, wird zudem durch das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gestützt. Dieses allgemeine Zugangsrecht wird allerdings durch den Grundrechtsschutz Dritter, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht, und grundrechtsbegrenzende Verfassungsprinzipien beschränkt. Um diese unterschiedlichen Rechte in einen Ausgleich zu bringen, hat das Bundesarchivgesetz differenzierte Regelungen über die allgemeine Zugangsvoraussetzungen sowie den Zeitpunkt und Umfang der Nutzungsberechtigungen getroffen. Die Normen des Bundesarchivgesetzes gehen dabei dem Informationsfreiheitsgesetz 2 (IFG) vor, wie § 1 Abs. 3 IFG ausdrücklich anordnet. Auch die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetz 3 (BDSG) sind gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG subsidiär gegenüber dem Bundesarchivgesetz . Der folgende Beitrag zielt darauf ab, die Regelungen des Bundesarchivgesetzes über die Nutzung des Archivguts darzulegen. Zunächst werden unter 2. die allgemeinen Zugangsregelungen erläutert . Im Anschluss soll genauer auf die spezifischen Regelungen im Zusammenhang mit einem Zugang zum Zwecke wissenschaftlicher Forschungsvorhaben (3.) und im Zusammenhang mit Zugang zu Unterlagen über Personen der Zeitgeschichte (4.) eingegangen werden. 2. Allgemeiner Zugang zum Bundesarchivgut nach dem Bundesarchivgesetz 2.1. Anwendungsbereich Das Bundesarchivgesetz findet Anwendung auf alle Unterlagen, die dem Bundesarchiv nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 BArchG von abgabepflichtigen Stellen angeboten und übergeben worden sind. Darüber hinaus sind gemäß § 5 Abs. 8 S. 1 BArchG die Regelungen des Bundesarchivgesetzes , die sich auf den Zugang zu Archivgut beziehen, entsprechend auf Unterlagen anzuwenden, die älter als 30 Jahre sind und sich noch in der Verfügungsgewalt der abgabepflichtigen Stelle befinden. Damit wird eine allgemeine Aktenöffentlichkeit nach Ablauf von 30 Jahren begründet, die unabhängig davon bleibt, ob die Unterlagen bereits in die Verfügungsgewalt des Bundesarchivs übergeben worden sind.4 In diesem Fall entscheidet die abgabepflichtige Behörde, ob ein 1 Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz - BArchG) vom 6. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722), http://www.gesetze-im-internet.de/barchg/index.html . 2 Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG) vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722), http://www.gesetze-im-internet.de/ifg/ . 3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) vom 14. Januar 2003 (BGBl. I S. 66), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2814), http://www.gesetze-im-internet.de/bdsg_1990/ . 4 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 122; Manegold, Archivrecht, 2002, S. 345. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 5 Zugang nach den Normen des Bundesarchivgesetzes gewährt werden kann. Bei dieser Behörde erfolgt schließlich bei einem positiven Bescheid auch der Zugang.5 2.2. Zugangsberechtigte Der Zugang zu den Archivalien des Bundesarchivs ist in § 5 Abs. 1 BArchG als subjektives öffentliches „Jedermann“-Recht ausgestaltet.6 Damit fallen auch ausländische Staatsbürger in den Kreis der Anspruchsberechtigten. 2.3. Zugangsverfahren Prozedurale Voraussetzungen für einen Zugang zum Archivgut und dessen Benutzung ist für Betroffene (§ 4 Abs. 2 S. 1 BArchG), die einen Auskunftsanspruch geltend machen wollen sowie für „jedermann“ (§ 5 Abs. 1 S. 1 BArchG), der die Nutzung des Archivgutes begehrt, ein Antrag, der an das Bundesarchiv zu richten ist. In diesem Antrag wird nicht die Darlegung eines rechtlichen oder sonstigen berechtigten Interesses verlangt.7 Weitere formale Regelungen zur Antragstellung enthält das Gesetz nicht, sodass das Verwaltungsverfahrensgesetz zur Anwendung kommt.8 2.4. Zugangsart und Zugangsumfang Hinsichtlich der Zugangsart ist danach zu unterscheiden, ob es sich bei der Person um einen Betroffenen oder einen „Jedermann“ handelt. Betroffene in diesem Sinne sind diejenigen, die das Objekt des jeweiligen Aktenvortrags bilden. Hingegen reicht es nicht aus, dass sie namentlich erwähnt werden.9 Betroffenen steht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BArchG ein Auskunftsrecht zu. Soweit zu einem Betroffenen Archivgut existiert, das durch den Namen dieser Person erschlossen ist, muss Auskunft über die vorhandenen Daten erteilt werden.10 Ist das Archivgut nicht oder noch nicht nach Namen der Person erschlossen, wird das Bundesarchiv gesetzlich ermächtigt und im Rahmen der fehlerfreien Ermessensausübung auch verpflichtet, anstelle einer Auskunft Akteneinsicht zu gewähren.11 Im Rahmen seiner 5 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 123. 6 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 11 f. 7 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 13. 8 Nadler, Die Archivierung und Benutzung staatlichen Archivgutes nach den Archivgesetzen des Bundes und der Länder, 1995, S. 38. 9 Nadler, Die Archivierung und Benutzung staatlichen Archivgutes nach den Archivgesetzen des Bundes und der Länder, 1995, S. 33. 10 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 4 Rn. 5 f. 11 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 4 Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 6 Ermessensausübung hat die Behörde schutzwürdige öffentliche und private Belange angemessen zu berücksichtigen.12 Nach § 5 Abs. 1 S. 1 BArchG besteht unabhängig von der persönlichen Betroffenheit ein Zugangsrecht für „jedermann“. In welcher Gestalt vom Nutzungsrecht Gebrauch gemacht wird, ist dabei gesetzlich nicht näher geregelt. Das Nutzungsrecht unterliegt unterschiedlichen Einschränkungen in Form archivgesetzlicher Schutzfristen, mit Ausnahme von Unterlagen, die bereits bei ihrer Entstehung zur Veröffentlichung bestimmt waren gemäß § 5 Abs. 4 BArchG. Grundsätzlich kann die Nutzung von Archivgut nur gewährt werden, wenn 30 Jahre seit der Entstehung der Dokumente vergangen sind (Schutzfrist)13, es sei denn die Frist wurde vom Bundesarchiv gemäß § 5 Abs. 5 S. 1 BArchG verkürzt oder gemäß § 5 Abs. 5 S. 5 BArchG um höchstens 30 Jahre verlängert. Archivgut mit personenbezogene Informationen darf im Grundsatz erst 30 Jahre nach dem Tod der Betroffenen zur Verfügung gestellt werden, § 5 Abs. 2 Satz 1 BArchG. Sowohl diese Schutzfrist als auch die allgemeine Schutzfrist von 30 Jahren nach Entstehung des Archivgutes können jedoch verkürzt werden, wenn der Betroffene einem früheren Zugang zustimmt,14 oder wenn die Benutzung für ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen unerlässlich ist.15 Als berechtigte Interessen gelten existenzielle berufliche oder persönliche Belange, die ohne die Benutzung der Archivalien verletzt oder unzumutbar belastet würden.16 Gleichwohl muss gewährleistet sein, dass eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange anderer durch angemessene Maßnahmen, wie z.B. eine Anonymisierung personenbezogener Daten oder Verpflichtungserklärungen der Verwender, ausgeschlossen wird. Eine Verkürzung der Frist kann weiterhin erfolgen bezüglich Archivalien über Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger in Ausübung ihres Amtes, wobei die schutzwürdigen Belange des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden müssen.17 Auf Unterlagen, die den Rechtsvorschriften des Bundes über Geheimhaltung unterliegen, kann gemäß § 5 Abs. 3 BArchG grundsätzlich erst 60 Jahre nach Entstehung zugegriffen werden. Diese Schutzfrist kann um höchstens 30 Jahre verlängert werden.18 Eine Benutzung ist grundsätzlich ausgeschlossen nach § 5 Abs. 6 BArchG, soweit das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde (Nr. 1), schutzwürdige Belange Dritter entgegenstehen (Nr. 2), der Erhaltungszustand des Archivs gefährdet würde (Nr. 3), der konkrete Verwaltungsaufwand nicht vertretbar wäre (Nr. 4) oder Rechtsvorschriften 12 Günther, Rechtsprobleme der Archivbenutzung, in: Polley (Hrsg.), Archivgesetzgebung in Deutschland , 1991, S. 120, 135. 13 Zum Fristbeginn kommt es auf die Entstehung der Urkunden an. Vgl. BT-Drs. 11/1215, S. 14. 14 § 5 Abs. 5 S. 2 BArchG. 15 § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG. 16 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 77. 17 § 5 Abs. 5 S. 4 BArchG. 18 § 5 Abs. 5 S. 5 BArchG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 7 über Geheimhaltung verletzt würden (Nr. 5). Auf schutzwürdige Belange Dritter (Nr. 2) ist damit unabhängig von den Schutzfristen durch sachgerechte Güterabwägung in jedem Einzelfall Rücksicht zu nehmen.19 3. Spezielle Regelungen zur Zugangsberechtigung für wissenschaftliche Forschungsvorhaben Wissenschaftler, die Zugang zu Archivgut aus dem Bundesarchiv begehren, fallen als „Jedermann “ unter die Regelung aus § 5 BArchG. Danach kann Zugang gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 BArchG erst nach einer Schutzfrist von 30 Jahren seit Entstehung der Unterlagen gewährt werden. Handelt es sich um Unterlagen mit personenbezogenen Informationen und willigt der Betroffene nicht in den Zugang zu den Unterlagen ein, kann die Nutzung erst nach einer Schutzfrist von 30 Jahre nach dem Tod der betroffenen Person gewährt werden, § 5 Abs. 2 S. 1 BArchG. Mit solchen Schutzfristen wird nach der Rechtsprechung ein angemessener Ausgleich geschaffen zwischen den Interessen der Personen, die durch die Informationen betroffen sind, und der Notwendigkeit, kulturell bedeutsames Archivgut dauerhaft zu erhalten und der Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen.20 Zu welchem Zeitpunkt Zugang zu Archivgut tatsächlich erfolgen kann, hängt folglich von der Art der Informationen ab, die in den Unterlagen enthalten sind. Das Bundesarchiv prüft daher zunächst , ob für das konkrete Zugangsbegehren auch eine anonymisierte Reproduktion von personenbezogenen Unterlagen ausreicht. Ist dies der Fall, hat das zum einen zur Folge, dass lediglich die Schutzfrist aus § 5 Abs. 1 S. 1 BArchG angewandt wird, wonach Zugang schon 30 Jahre nach Entstehung der Unterlagen zulässig ist. Zum anderen wird durch dieses Vorgehen verhindert, dass personenbezogene Informationen von Nicht-Betroffenen in diesem Fall genutzt werden, sodass die tatsächliche Nutzung von personenbezogenen Information durch Nicht-Betroffene auf die notwendigen Fälle beschränkt werden kann.21 3.1. Tatbestand zur Verkürzung der Frist Die dargelegten Schutzfristen können verkürzt werden, wenn ein Verkürzungstatbestand aus § 5 Abs. 5 BArchG greift. Für Zugangsgesuche im Rahmen von wissenschaftlichen Forschungsarbeiten kommt insbesondere § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG in Betracht: „Liegt die Einwilligung des Betroffenen nicht vor, können die Schutzfristen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 verkürzt werden, wenn die Benutzung für ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben […] unerlässlich ist, […] und eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange durch angemessene Maßnahmen, insbesondere durch Vorlage anonymisierter Reproduktionen , ausgeschlossen werden kann.“ 19 Nadler, Die Archivierung und Benutzung staatlichen Archivgutes nach den Archivgesetzen des Bundes und der Länder, 1995, S. 41 f. 20 LG Hamburg, Urteil vom 30.05.2008, Az. 324 O 711/07, unter 1. b. bb. (c), zitiert nach beck-online. 21 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 75. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 8 Dafür muss es sich zunächst um eine wissenschaftliche Tätigkeit handeln. Eine solche liegt bei allem vor, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.22 Das wissenschaftliche Vorhaben muss dabei bestimmt genug dargelegt werden, da Zugang auch nur für ein bestimmtes Forschungsvorhaben gewährt werden kann.23 Die Benutzung des Archivguts muss zudem für das wissenschaftliche Vorhaben unerlässlich sein. Dies ist der Fall, wenn das Forschungsvorhaben zwingend auf die fraglichen Archivalien angewiesen ist und die Informationen nicht aus anderen Quellen gewonnen werden können.24 3.2. Ermessen der Behörde Liegen die Voraussetzungen des Tatbestands vor, hat das Bundesarchiv in der Rechtsfolge ein Ermessen, den Anspruch zu gewähren oder nicht. Im Rahmen seines Ermessens muss das Bundesarchiv das Interesse an der wissenschaftlichen Forschung und die Wissenschaftsfreiheit sorgfältig berücksichtigen, da es sich hierbei nach Art. 5 Abs. 3 GG um ein Rechtsgut von Verfassungsrang handelt. Dabei ist das Interesse an der wissenschaftlichen Forschung desto gewichtiger , je mehr das Forschungsvorhaben auch im öffentlichen Interesse liegt.25 Das Bundesarchiv muss jedoch, insbesondere wenn der Antragsteller einen Zugang zu Informationen mit Personenbezug begehrt, das Interesse an der wissenschaftlichen Forschung gegen den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und das darin enthaltene Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG im Einzelfall abwägen. Dabei kommt dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine größere Bedeutung zu, je sensibler die Informationen sind, in die Zugang gewährt werden soll.26 Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung muss das Bundesarchiv angemessene Maßnahmen anordnen, durch die ausgeschlossen wird, dass schutzwürdige Belange beeinträchtigt werden, § 5 Abs. 3 S. 3 BArchG. Der fehlerfreie Ermessensgebrauch ist folglich davon abhängig, dass die Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange bei der Benutzung des Archivguts durch geeignete Vorkehrungen ausgeschlossen wird.27 Unter schutzwürdige Belange im Sinne des § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG fallen zum einen staatliche Sicherheitsinteressen und zum andere schutzwürdige Belange betroffener Personen, über die Informationen in den Archivalien enthalten sind.28 Was als schutzwürdiger Belang betroffener Personen von der Norm umfasst ist, wurde in der Rechtsprechung – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden. In der Literatur wird vertreten, dass schutzwürdige Belange Betroffener nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Art der Daten und ihres konkreten Verwendungszwecks 22 BVerfGE 35, 79, 113. 23 Bizer, Forschungsfreiheit und Informationelle Selbstbestimmung, 1992, S. 247. 24 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 74. 25 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 76. 26 Vgl. Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 71. 27 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 78, 82. 28 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 78. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 9 bestimmt werden können.29 Zur Beurteilung eines schutzwürdigen Belangs dürfte darauf abzustellen sein, wie schwer der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG wiegt. Handelt es sich bloß um einen leichten Eingriff, liegt die Betroffenheit schutzwürdiger Belange im Sinne des § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG eher fern.30 Ein leichter Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht liegt zum Beispiel vor, wenn Unterlagen in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt werden und der Benutzer die personenbezogenen Daten nur mit unverhältnismäßigem Aufwand einer Person zuordnen könnte.31 Hingegen ist ein schutzwürdiger Belang wohl in der Regel dann betroffen, wenn die Person, über die Daten im Archivgut enthalten sind, der Nutzung ihrer Daten widersprochen hat.32 Sind schutzwürdige Belange berührt, müssen Maßnahmen getroffen werden, die eine Beeinträchtigung dieser Belange ausschließen. Angemessene Maßnahmen können etwa als Nebenbestimmungen zur Nutzungsgenehmigung erlassen werden, so zum Beispiel in Form von Auflagen oder Bedingungen.33 Als Maßnahmen kommen beispielsweise besondere Verpflichtungserklärungen des Benutzers bezüglich seiner Auswertung des Archivguts oder die Beschränkung des Zugangs auf einschlägige Stellen in Betracht.34 Eine Verpflichtungserklärung kann etwa dahin gehen, dass sich der Benutzer verpflichtet, personenbezogene Informationen so auszuwerten und zu veröffentlichen , dass keine Rückschlüsse auf die Identität der Betroffenen gezogen werden können.35 Kann durch Maßnahmen eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange nicht ausgeschlossen werden, ist auch die Verkürzung der Schutzfrist gemäß § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG nicht zulässig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat im Zweifelsfall Vorrang.36 29 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und Informationelle Selbstbestimmung, 1992, S. 245 zur allgemeinen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „schutzwürdige Belange“; Lennarzt, Verarbeitung personenbezogener Daten zu wissenschaftlichen Zwecken, RDV 1988, 132, 137 über die Auslegung „schutzwürdiger Belange“ im Rahmen des § 11 BDSG a.F. 30 Bizer, Forschungsfreiheit und Informationelle Selbstbestimmung, 1992, S. 245. 31 Di Fabio in: Maunz/Dürig, GG, 65. EL 2012, Art. 2 Rn. 183; BVerfG Beschluss vom 24-09-1987 - 1 BvR 970/87, NJW 1987, 2085, 2087; BVerfG Beschluss vom 28-09-1987 - 1 BvR 1063/87, NJW 1988, 962 f. 32 Vgl. Di Fabio in: Maunz/Dürig, GG, 65. EL 2012, Art. 2 Rn. 177; Lennarzt, Verarbeitung personenbezogener Daten zu wissenschaftlichen Zwecken, RDV 1988, 132, 137 über die Auslegung „schutzwürdiger Belange“ im Rahmen des § 11 BDSG a.F. 33 Manegold, Archivrecht, 2002, S. 313. 34 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 78. 35 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 80. 36 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 10 4. Spezielle Regelungen zur Zugangsberechtigung in Bezug auf Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger Wird Zugang zu Informationen begehrt, die Informationen über Personen der Zeitgeschichte oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes betreffen, kommt eine Verkürzung der Schutzfristen nach § 5 Abs. 5 S. 4 BArchG in Betracht: „Für Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger in Ausübung ihres Amtes können die Schutzfristen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 verkürzt werden, wenn die schutzwürdigen Belange des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden.“ 4.1. Personen der Zeitgeschichte Personen der Zeitgeschichte werden unterteilt in absolute und relative Personen der Zeitgeschichte .37 Absolute Personen der Zeitgeschichte sind Personen, die sich durch Geburt, Leistungen , Fähigkeiten oder Ämter dergestalt aus der Allgemeinheit hervorheben, dass sie allgemein im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen.38 Relative Personen der Zeitgeschichte hingegen treten in Zusammenhang mit einer bestimmten Begebenheit an die Öffentlichkeit, ihnen kommt Bedeutung daher nur aufgrund dieses speziellen Ereignisses zu.39 Handelt es sich um eine Person der Zeitgeschichte, über die Informationen im Archivgut enthalten sind, und wird die Nutzung dieser Informationen begehrt, steht es gemäß § 5 Abs. 5 S. 4 BArchG im Ermessen des Bundesarchivs, die Schutzfristen zu verkürzen und zu einem früheren Zeitpunkt Zugang zu gewähren. Im Rahmen seines Ermessens muss das Bundesarchiv jedoch die schutzwürdigen Belange der Betroffenen berücksichtigen. Anders als bei einer Verkürzung der Fristen nach § 5 Abs. 5 S. 3 BArchG verlangt die Norm dabei nicht, dass die Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange durch Maßnahmen ausgeschlossen wird. Vielmehr ist ausreichend , dass die Behörde schutzwürdige Belange im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen ermittelt und in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt. Insbesondere bei personenbezogenen Informationen muss das Bundesarchiv folglich das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und das darin enthaltene informationelle Selbstbestimmungsrecht gegen das öffentliche Informationsinteresse an Vorgängen , die Personen der Zeitgeschichte betreffen, abwägen. Im Rahmen dieser Abwägung ist zu beachten , dass die exponierte öffentliche Stellung absoluter oder relativer Personen der Zeitgeschichte ein besonderes Informationsinteresse an Vorgängen begründet, die mit der Teilnahme 37 Erstmals Neumann-Duesberg, Bildberichterstattung über absolute und relative Personen der Zeitgeschichte , JZ 1960, 114 ff.; statt vieler: BGH, Urteil vom 12.12.1995, Az: VI ZR 223/94, NJW 1996, 985, 986; BGH, Urteil vom 01.10.1996, Az: VI ZR 206/95, NJW 1997, 1152, 1153. 38 Vgl. Gass in: Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, 2. Auflage 2000, § 23 KUG Rn. 6 zur Auslegung des Begriffs „Person der Zeitgeschichte“ im Kunsturhebergesetz. 39 Vgl. Gass in: Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, 2. Auflage 2000, § 23 KUG Rn. 11 zur Auslegung des Begriffs „Person der Zeitgeschichte“ im Kunsturhebergesetz. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 11 dieser Personen am öffentlichen Leben verbunden sind.40 Insbesondere diese zeitgeschichtliche Rolle, die Personen der Zeitgeschichte einnehmen, kann in der Retrospektive einer kritischen Würdigung unterzogen werden.41 Dem Recht auf Persönlichkeitsschutz bei Personen der Zeitgeschichte kommt insoweit eine geringere Bedeutung zu als bei anderen Personen. Umfassend trifft dies jedoch nur auf absolute Personen der Zeitgeschichte zu, während für relative Personen der Zeitgeschichte der Persönlichkeitsschutz nur bezüglich des Sachverhalts verkürzt wird, aufgrund dessen sie in die Öffentlichkeit getreten sind.42 Denn das öffentliche Informationsbedürfnis beschränkt sich darauf. Betreffen die in den Unterlagen enthaltenen Informationen hingegen die Intimsphäre des Betroffenen – unabhängig ob es sich um eine absolute oder relative Person der Zeitgeschichte handelt – überwiegt wohl der Persönlichkeitsschutz des Betroffenen.43 Denn die Intimsphäre als Kernbereich privater Lebensgestaltung bleibt auch bei Personen der Zeitgeschichte unantastbar.44 Ein Sachverhalt ist dann der Intimsphäre zuzuordnen, wenn er den innersten Geheimbereich betrifft und sein Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist.45 Eine abschließende Beurteilung hängt jedoch vom Einzelfall ab.46 4.2. Amtsträger Eine Verkürzung der anzuwendenden Schutzfrist kommt gemäß § 5 Abs. 5 S. 4 Alt. 2 BArchG auch dann in Betracht, wenn die Nutzung von Unterlagen begehrt wird, die Informationen über Amtsträger in Ausübung ihres Amtes enthalten. Es reicht folglich nicht aus, das Amtsträger betroffen sind, die Informationen müssen sich darüber hinaus auf die Ausübung des Amtes, also auf amtliche Handlungen, beziehen. Die Norm zielt so darauf ab, der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit der dienstlichen Tätigkeit von Amtsinhabern zu befassen.47 Deswegen findet etwa bei einem Begehren auf Einsicht in die Personalakte des Amtsträgers die Norm nur in Bezug auf diese Unterlagen Anwendung, die sich auf die Amtsführung beziehen. Richtet sich die begehrte Nutzung auf Unterlagen über Amtsträger in Ausübung ihres Amtes, trifft das Bundesarchiv gemäß § 5 Abs. 5 S. 4 BArchG eine Ermessensentscheidung, ob die jeweils anzuwendende Schutzfrist verkürzt werden soll. Dabei verlangt die Norm nach ihrem Wortlaut zwar, dass das Bundesarchiv auch in diesem Fall die schutzwürdigen Belange des Betroffenen angemessen berücksichtigt. Ein Amtsträger, der gerade eine amtliche Tätigkeit vor- 40 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 84. 41 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 85. 42 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 86. 43 Manegold, Archivrecht, 2002, S. 296. 44 Vgl. Di Fabio in: Maunz/Dürig, GG, 65. EL 2012, Art. 2 Rn. 158; Manegold, Archivrecht, 2002, S. 296. 45 BVerfGE 34, 238, 248. 46 BVerfGE 109, 279, 314 f. 47 Vgl. amtliche Begründung des gleich lautenden § 9 Abs. 6 LArchG Schleswig-Holstein, LT-Drs. 12/1615, S. 29. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 303/12 Seite 12 nimmt, kann jedoch situationsbezogen keinen Persönlichkeitsschutz beanspruchen.48 Denn nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die Vertreter staatlicher Gewalt, sie dienen folglich als Abwehrrechte gegen staatliche Gewalt. Ein Amtsträger, der in Ausübung seines Amtes handelt, übt aber staatliche Gewalt gegenüber Dritten aus und ist damit an die Grundrechte Dritter gebunden .49 Er kann daher nicht im selben Moment Schutz vor staatlicher Gewalt in Form des Grundrechtsschutzes in Anspruch nehmen.50 Diese Ausnahme vom Grundrechtsschutz für die Ausübung des Amtes wird auf die Dokumentation staatlicher Tätigkeit in den im Archivgut enthaltenen Unterlagen übertragen.51 In der Regel wird daher das Ermessen der Behörde, sobald die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und es sich folglich um einen Amtsträger in Ausübung seines Amtes handelt, auf Null reduziert sein.52 Das Bundesarchiv wird einer Fristverkürzung in einem solchen Fall in der Regel stattgeben müssen. 48 Becker/Oldenhage, BArchG, 1. Auflage 2006, § 5 Rn. 87. 49 Vgl. Herdegen in Maunz/Dürig, GG, 65. EL, Art. 1 Abs. 3 Rn. 3. 50 Bizer, Forschungsfreiheit und Informationelle Selbstbestimmung, 1992, S. 273 f. 51 Manegold, Archivrecht, 2002, S. 289 f. 52 Manegold, Archivrecht, 2002, S. 290.