© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 302/18 Zum Versammlungsrecht von Ausländern Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 302/18 Seite 2 Zum Versammlungsrecht von Ausländern Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 302/18 Abschluss der Arbeit: 23. August 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 302/18 Seite 3 1. Einführung Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) garantiert allen Deutschen Versammlungsfreiheit. Beschränkungen sind nach Maßgabe des Abs. 2 nur durch oder auf Grund eines Gesetzes zulässig. Darunter fallen die Versammlungsgesetze der Länder und des Bundes. Anders als Art. 8 Abs. 1 GG eröffnen die einfachrechtlichen Versammlungsgesetze den Schutzbereich für jedermann. Es stellt sich die Frage nach dem Grund dieser Diskrepanz. Im Hinblick auf das Versammlungsgesetz des Bundes ist die Gesetzgebungskompetenz und Mitwirkungsbefugnis des Bundesrats von Interesse. 2. Das Versammlungsrecht von Ausländern 2.1. Verfassungs- und primäres Unionsrecht Das Grundgesetz unterscheidet zwischen sogenannten Jedermann-Grundrechten (auch: Menschenrechte ), auf die sich jeder berufen kann, und Deutschen-Grundrechten (auch: Bürgerrechte), welche nur für Deutsche im Sinne des Art. 116 GG gelten. Die Versammlungsfreiheit ist als Deutschen -Grundrecht ausgestaltet.1 In Art. 8 Abs. 1 GG heißt es: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“2 Ausländer aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union können sich indes auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) berufen,3 wonach den Mitgliedstaaten „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten“ ist. Hiernach dürfen EU-Ausländer (auch) im Hinblick auf ihr Versammlungsrecht nicht schlechter gestellt werden als Deutsche. In der Rechtswissenschaft ist umstritten, ob dies zur Folge hat, dass Art. 8 Abs. 1 GG auf EU-Ausländer anzuwenden ist oder ob für sie „nur“ die Allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG gilt.4 Im Ergebnis müssen beide Lösungen auf denselben Schutzstandard hinauslaufen. 1 Depenheuer in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblatt, 82. Ergänzungslieferung 2018, Art. 8 Rn. 109. 2 Hervorhebung durch den Verfasser. 3 Die Versammlungsfreiheit nach Art. 12 der Grundrechtecharta der Europäischen Union spielt hingegen wegen ihres beschränkten Anwendungsbereichs (vgl. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh) eine untergeordnete Rolle. 4 Grundlegend Bauer/Kahl, Europäische Unionsbürger als Träger von Deutschengrundrechten?, JZ 1995, 1077; zur Diskussion mit weiteren Nachweisen Schulze-Fielitz in: Dreier, Grundgesetz Band I, 3. Auflage 2013, Art. 8 Rn. 49 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 302/18 Seite 4 2.2. Völkerrecht Auch auf völkerrechtlicher Ebene ist die Versammlungsfreiheit anerkannt. Zu nennen sind Art. 20 Nr. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR),5 Art. 21 des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt)6 und Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).7 Sie alle verstehen die Versammlungsfreiheit als Menschenrecht . Im letztgenannten Artikel heißt es: „Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln […]“.8 Dabei kommt den Bestimmungen EMRK eine herausgehobene Rolle zu. Zwar gilt auch sie – wie andere völkerrechtliche Verträge (vgl. Art. 59 GG) – formal nur im Range eines einfachen Gesetzes . Allerdings leitet das Bundesverfassungsgericht aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ab, dass die gesamte deutsche Rechtsordnung einschließlich der Grundrechte im Lichte der EMRK auszulegen ist, soweit der Wortlaut dies zulässt.9 Hierdurch erlangt die EMRK einen gewissen „Zwischenrang“ zwischen einfachem Gesetz und Verfassungsrecht.10 2.3. Einfaches Recht Auf einfachgesetzlicher Ebene gelten das Versammlungsgesetz des Bundes sowie die Versammlungsgesetze der Länder, sofern und soweit diese eines erlassen haben.11 Das Versammlungsrecht hat nicht nur den Anforderungen des Art. 8 GG, sondern auch den unions- und völkerrechtlichen Verpflichtungen zu genügen. Daher ist die Versammlungsfreiheit in sämtlichen Versammlungsgesetzen als „Jedermannsrecht“ ausgestaltet.12 Hierauf können sich neben Deutschen auch EU-Ausländer , Ausländer aus Drittstaaten und Staatenlose berufen.13 5 Abrufbar unter http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf. 6 Abrufbar unter https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen /ICCPR/iccpr_de.pdf. 7 Abrufbar unter https://dejure.org/gesetze/MRK/. 8 Hervorhebung durch den Verfasser. 9 BVerfGE 111, 307, 317 ff. 10 Siehe zur Bedeutung der EMRK für die deutsche Gesetzgebung bereits eingehend die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste WD 3 – 3000 – 162/16. 11 Bislang haben nur der Bayern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ein eigenes Versammlungsgesetz erlassen bzw. das Versammlungsgesetz des Bundes in Landesrecht überführt. In den übrigen Bundesländern gilt das Versammlungsgesetz des Bundes fort. 12 Kloepfer in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VII, 3. Auflage 2009, § 164 Rn. 48 f. 13 Enders in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2016, § 1 Rn. 24; Kloepfer in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VII, § 164 Rn. 48 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 302/18 Seite 5 3. Gesetzgebungskompetenz Bis 2006 gehörte das Versammlungsrecht zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG, alte Fassung). Im Zuge der Föderalismusreform entfiel dieser Kompetenztitel jedoch . Seither liegt das Versammlungsrecht in ausschließlicher Länderkompetenz (Art. 30, 70 Abs. 1 GG). Lediglich auf Grundlage der Übergangsvorschrift des Art. 125a Abs. 1 GG gilt das Versammlungsgesetz des Bundes fort. Darin heißt es: „Recht, dass als Bundesrecht erlassen worden ist, aber wegen der Änderung des Artikels 74 Abs. 1 […] nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Es kann durch Landesrecht ersetzt werden.“ Die Mehrheit der Bundesländer hat hiervon bislang keinen Gebrauch gemacht. Im Hinblick auf das fortbestehende Bundesgesetz verbleibt dem Bund jedoch eine eingeschränkte Anpassungskompetenz.14 Andernfalls drohte die Gefahr einer „Versteinerung der Rechtslage“:15 Weder die Länder, die das Bundesgesetz nur im Ganzen ersetzen können, noch der Bund dürften kleinere Änderungen am Gesetz vornehmen. Daher oblässt die Rechtsprechung dem Bund die Befugnis , von ihm selbst geschaffene Gesetze im Detail an veränderte Umstände anzupassen. Grundlegende Neuerungen bleiben den Ländern vorbehalten.16 Würde der persönliche Anwendungsbereich fortan auf Deutsche (und ggf. EU-Ausländer) beschränkt , wäre dies als Paradigmenwechsel zu bewerten. Das in § 1 aller Versammlungsgesetze aufgestellte Jedermannsrecht der Versammlungsfreiheit setzt den Fluchtpunkt sämtlicher Folgeregelungen , insbesondere der polizeilichen Eingriffsbefugnisse.17 Vor diesem Hintergrund fehlt es bereits an einer Anpassungskompetenz des Bundes. Die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit eines solchen Gesetzes stellt sich insofern nicht. Anderweitige Änderungen des Versammlungsgesetzes, die sich im Rahmen der Anpassungskompetenz halten, sind hingegen zustimmungsfrei. Bundesgesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrats nur, wo das Grundgesetz dies ausdrücklich bestimmt (vgl. Art. 77 Abs. 2a GG; ausdrückliche Zustimmungserfordernisse finden sich etwa in Art. 23 Abs. 1 S. 2, Abs. 7, 73 Abs. 2, 74 Abs. 2, 84 Abs. 1 S. 6 GG). Andernfalls liegt ein Einspruchsgesetz vor. Für das Versammlungsrecht ist ein solcher Zustimmungsvorbehalt nicht vorgesehen. *** 14 Uhle in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 125a Rn. 27. 15 Seiler in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, 37. Edition Stand 15.02.2018, Art. 125a Rn. 4. 16 Mit Beispielen und Nachweisen aus der Rechtsprechung Seiler, ebd. 17 Enders in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, § 1 Rn. 1.