Deutscher Bundestag Berufshaftpflichtversicherung für ärztliche und nichtärztliche Gesundheitsberufe Gesetzgebungskompetenz des Bundes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 301/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 301/11 Seite 2 Berufshaftpflichtversicherung für ärztliche und nichtärztliche Gesundheitsberufe Gesetzgebungskompetenz des Bundes Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 301/11 Abschluss der Arbeit: 04. Oktober 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 301/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes 5 2.1. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG – Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe 5 2.2. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG – Sozialversicherung 7 2.3. Artikel 74 Absatz 1 Nr. 11 GG – das Recht der Wirtschaft 7 2.3.1. Privatrechtliches Versicherungswesen 7 2.3.2. Erforderlichkeitsklausel nach Art. 72 Abs. 2 GG 8 3. Zusammenfassung 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 301/11 Seite 4 1. Einleitung Vor dem Hintergrund einer Erhöhung der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung zum 1. Juli 2010 startete der Deutsche Hebammenverband im Mai 2010 eine Online-Petition mit dem Ziel, eine wohnortnahe Versorgung von Frauen mit Hebammenhilfe sicherzustellen.1 Nach Ansicht des Hebammenverbandes sind die Hebammen aufgrund der höheren Versicherungsbeiträge gezwungen, die Geburtshilfe aufzugeben, und eine flächendeckende Versorgung bei der Geburtshilfe ist daher nicht mehr gewährleistet.2 Auch andere ärztliche und nichtärztliche Gesundheitsberufe sind von steigenden Beiträgen zur Berufshaftpflichtversicherung betroffen, wobei diese Entwicklung vor allem auf die gewachsenen Schadenshöhen, die Patienten in der Vergangenheit durch die Gerichte zugesprochen worden sind, zurückzuführen ist.3 Als Reaktion auf diese schwer kalkulierbaren Schadenshöhen und die Zunahme von Schadensersatzverfahren insgesamt haben sich viele Versicherer vom Markt der Heilberufshaftpflichtversicherungen abgewendet oder begrenzen ihre Deckungszusagen auf die medizinischen Fachrichtungen, in denen die wirtschaftlichen Folgen eines schadensträchtigen Verhaltens kalkulierbar bleiben.4 Die vorliegende Ausarbeitung untersucht, inwieweit der Bund für Änderungen des Versicherungsvertragswesens im Bereich der ärztlichen und nichtärztlichen Heilberufe gesetzgebungsbefugt ist.5 Gegenstand der Untersuchung ist zum einen eine Änderung dahingehend, dass die Versicherungsunternehmen verpflichtet werden, Gesundheitsberufe zu versichern. Die Einführung einer derartigen Vertragsabschlusspflicht für Haftpflichtversicherer soll zudem einhergehen mit der Schaffung einer Haftungsgemeinschaft in Form einer Poollösung für Gesundheitsberufe nach dem Vorbild des ehemaligen Deutschen Luftpools6 oder des Pharmapools. Bei einem derartigen Versicherungspool handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Versicherungsunternehmen zur gemeinschaftlichen Deckung großer und schwerer Risiken, wobei sich jedes Poolmitglied entsprechend einer festgelegten Quote an den Erträgen und Aufwendungen des Poolgeschäfts beteiligt.7 1 Vgl. Petition des Deutschen Hebammenverbandes: http://www.hebammenverband.de/index.php?id=1340 (letzter Aufruf: 28.9.2011). 2 Schmollack, Simone, Hebammen starten Online-Petition, abrufbar unter: http://www.taz.de/!52799/ (letzter Aufruf: 28.09.2011). 3 Vorbemerkung der Fragesteller zur Kleinen Anfrage der Abgeordneten Stefan Schwartze, Mechthild Rawert, Bärbel Bas, weitere Abgeordnete und der Fraktion der SPD, Bundestag Drucksache 17/4570. 4 Großkopf, Volker/Knoch, Stefan, Die Situation der Haftpflichtversicherungen im Heilwesen, Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen 2011, 12 f. 5 Unberücksichtigt bleibt, inwieweit die Änderungen im Übrigen mit dem Grundgesetz vereinbar wären, insbesondere mit der Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmer nach Art. 12 Abs. 1 GG und der Eigentumsgarantie nach Art. 14. Abs. 1 S. 1 GG. 6 Seit dem Jahr 2004 handelt es sich beim DLP (Deutscher Luftpool) nur noch um eine Servicegesellschaft. Änderungen innerhalb des europäischen Kartell- und Wettwerbsrechts führten zu dieser neuen Entwicklung (so: http://www.versicherungsarchiv.de/versicherungsvergleich/dlp/ (letzter Aufruf: 04.10.2011)). Europa- und kartellrechtliche Aspekte werden in der vorliegenden Ausarbeitung im Hinblick auf eine Poollösung nicht untersucht . 7 Der Brockhaus Wirtschaft, Leipzig, Mannheim, 2008. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 301/11 Seite 5 2. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes Nach Art. 70 Abs. 1 Grundgesetz (GG) haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund die Gesetzgebungskompetenz verleiht. 2.1. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG – Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe In Betracht kommt die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG für die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe. Unter den Begriff der ärztlichen Heilberufe fallen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Berufe des Arztes, des Zahnarztes und des Tierarztes.8 Andere Heilberufe i. S. d. Nr. 19 sind solche, die die Heilkunde unmittelbar zum Gegenstand haben. Hierzu gehören insbesondere die sogenannten Heilhilfsberufe, wie Hebammen und Entbindungspfleger, Krankenpfleger , Krankengymnasten, Diätassistenten und auch Heilpraktiker und Orthopädisten, nicht jedoch Apotheker und Optiker, da diese unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Recht der Wirtschaft, fallen.9 Der Begriff der Zulassung ist eng auszulegen und umfasst nur die Gestattung der Berufsaufnahme und nicht die Vorschriften über die Berufsausübung.10 Umfasst werden „im wesentlichen die Vorschriften, die sich auf Erteilung, Zurücknahme und Verlust der Approbation oder auf die Befugnis zur Ausübung des Berufs beziehen“.11 Der Bundesgesetzgeber ist also befugt, über die Beschreibung der Berufsbilder und die Festlegung der Zulassungsbedürftigkeit hinaus die Zulassungsvoraussetzungen und deren Nachweis sowie das Prüfungswesen zu regeln.12 Das Recht der Berufsausübung fällt dagegen in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder.13 Die Einführung einer Vertragsabschlusspflicht der Haftpflichtversicherungsunternehmen dahingehend , dass diese verpflichtet sind, Angehörige von Gesundheitsberufen zu versichern, steht in keinem Zusammenhang mit der Zulassung zu Gesundheitsberufen. Denn die Einführung einer 8 BVerfGE 33, 125 (154). 9 Oeter, Stefan, in: von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage, München 2010, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Rn. 136. 10 Maunz, Theodor, in: Maunz/Dürig, Günter, Grundgesetz Kommentar, 61. Ergänzungslieferung, München 2011, Art. 74 Rn. 215. 11 BVerfGE 33, 125 (154 f.). 12 Sannwald, Rüdiger, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Hofmann, Hans/Hopfauf, Axel, Grundgesetz Kommentar, 12. Auflage, Köln 2011, Art. 74 Rn. 237. 13 Oeter (Fn.9), Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Rn. 136. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 301/11 Seite 6 derartigen Pflicht auf Seiten der Versicherungsunternehmen lässt eine Pflicht seitens der Ärzte und der anderen Angehörigen von Heilberufen, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen , unberührt. Eine solche Versicherungspflicht besteht derzeit für Ärzte nach den Berufsordnungen verschiedener Bundesländer.14 In § 21 der Deutschen Ärztinnen und Ärzte (Muster-) Berufsordnung heißt es hierzu „Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, sich hinreichend gegen Haftpflichtansprüche im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit zu versichern“.15 Diese Pflicht ist lediglich als Berufspflicht zu betrachten; die Erteilung der Approbation ist – anders als beispielsweise im Falle der Zulassung eines Rechtsanwalts – nicht an den Nachweis des Abschlusses einer Haftpflichtversicherung gebunden.16 Allein die Einführung eines derartigen Haftpflichtversicherungszwangs auch für die Angehörigen der Heilberufe wäre aus hiesiger Sicht als Zulassungsvoraussetzung zu betrachten und daher unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zu subsumieren.17 In manchen Bundesländern ist in den jeweiligen Berufsordnungen mancher Heilberufe bereits eine derartige Versicherungspflicht normiert.18 Die Einführung einer Vertragsabschlusspflicht der Versicherungsunternehmen – anders als ein ggf. damit korrespondierender Versicherungszwang für die Angehörigen der Heilberufe – hätte jedoch - jedenfalls unmittelbar - keine Auswirkung auf die Zulassung zu den Heilberufen. Ebenso wenig hätte die Schaffung eines Versicherungspools für die Berufshaftpflichtversicherer Auswirkungen auf die Zulassungsvoraussetzungen für Heilberufe. Dass durch die Schaffung eines solchen Pooles die Finanzierungsmöglichkeiten der Berufshaftpflichtversicherung in dieser Branche eventuell verbessert werden könnten, wäre natürlich auch im Interesse der Angehörigen dieser Berufe. Jedoch besteht auch diesbezüglich kein Zusammenhang zur Zulassung zu den Heilberufen. Insgesamt würde eine Änderung des Versicherungsvertragswesens in dem im Rahmen der Einleitung skizzierten Umfang daher nicht unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG fallen . 14 Vgl. Großkopf/Knoch (Fn. 4), S. 16. Die Autoren weisen zudem auf entsprechende landesrechtliche Vorschriften für Angehörige anderer Gesundheitsberufe hin. 15 (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte - MBO-Ä 1997 - in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetags 2011 in Kiel, abrufbar unter: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/MBO_08_20111.pdf (letzter Aufruf: 28.9.2011). 16 Teichner, Matthias/Schröder, Birgit, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der ärztlichen Berufshaftpflichtversicherung am Beispiel der so genannten kosmetischen Chirurgie, Medizinrecht 2005, 127 (128). Vergleiche hierzu kritisch Rieger, Hans-Jürgen, Ausübung ärztlicher Tätigkeit ohne Berufshaftpflichtversicherung, Medizinrecht 2009, 693. 17 Die Bundesregierung äußert sich hierzu allerdings in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stefan Schwartze, Mechthild Rawert, Bärbel Bas, weitere Abgeordnete und der Fraktion der SPD (Drucksache 17/4570), Bundestag Drucksache 17/4747, Antwort Frage 16, wie folgt: „Ein Haftpflichtversicherungszwang wäre landesrechtlich zu regeln. Die entsprechende Verpflichtung ist in den meisten Heilberufs- und Kammergesetzen der Länder enthalten.“ 18 Vgl. Großkopf/Knoch (Fn. 4), S. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 301/11 Seite 7 2.2. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG – Sozialversicherung Der Begriff der Sozialversicherung i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG umfasst Systeme, die das soziale Bedürfnis nach Ausgleich besonderer Lasten – insbesondere Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall – erfüllen und dazu selbstständige Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechts als Träger vorsehen, die ihre Mittel im Wesentlichen durch Beiträge aufbringen.19 Bei der Sozialversicherung handelt es sich zudem um eine öffentlich-rechtliche Versicherung, bei der das Versicherungsverhältnis nicht durch Vertragsabschluss, sondern von Gesetzes wegen bei Vorliegen bestimmter Merkmale eintritt.20 Das Sozialversicherungsrecht steht daher im Gegensatz zum Privatversicherungsrecht.21 Eine Änderung des Versicherungsvertragswesens würde in den Bereich des Privatversicherungsrechts und daher nicht unter den Titel der Sozialversicherung fallen . 2.3. Artikel 74 Absatz 1 Nr. 11 GG – das Recht der Wirtschaft 2.3.1. Privatrechtliches Versicherungswesen Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG umfasst alle Normen, die das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regeln.22 Die in Klammern genannten Sachbereiche sind nach der herrschenden Meinung nicht als erschöpfende, sondern als beispielhafte Aufzählung zu verstehen.23 Das privatrechtliche Versicherungswesen umfasst dabei Personenvereinigungen und Unternehmungen zum Tragen von Schäden oder besonderen Belastungen, die nur Einzelne treffen, durch eine Gesamtheit.24 Der Bundesgesetzgeber kann jedenfalls dann auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG tätig werden, „wenn sich seine Regelungen auf Versicherungsunternehmen beziehen, die in Wettbewerb mit anderen durch privatrechtliche Verträge Risiken versichern, die Prämien grundsätzlich am individuellen Risiko und nicht am Erwerbseinkommen des Versicherungsnehmers orientieren und die vertraglich zugesagten Leistungen im Versicherungsfall aufgrund eines kapitalgedeckten Finanzierungssystems erbringen“.25 Nicht erfasst werden dagegen „öffentlich-rechtliche Versicherungsträger der Länder, die als Zwangsoder Monopolanstalten das Versicherungsgeschäft nicht auf wettbewerblicher Grundlage betreiben , sondern bei denen das Versicherungsverhältnis hoheitlich ausgestaltet ist“.26 19 Sannwald (Fn. 12), Art. 74 Rn. 148. 20 Hedderich, Katharina Sophie, Pflichtversicherung, Tübingen 2011, S. 8. 21 Wandt, Manfred, Versicherungsrecht, 5. Auflage, Köln 2010, S. 1 Rn. 5. 22 BVerfGE 8, 143 (149). 23 Maunz (Fn. 10), Art. 74 Rn. 135. 24 Maunz (Fn. 10), Art. 74 Rn. 148. 25 BVerfGE 103, 197 (216 f.). 26 BVerfGE 10, 141 (162). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 301/11 Seite 8 Im Rahmen seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der privaten Pflegeversicherung hat das BVerfG außerdem keinen Widerspruch zwischen einem dem Versicherungsunternehmen auferlegten Kontrahierungszwang und dem Begriff des privatrechtlichen Versicherungswesens i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gesehen, mit der Begründung, dass auch das Privatrecht Kontrahierungszwänge kennt.27 Zudem sah das BVerfG auch in der Finanzierung der privaten Pflegeversicherung nach § 111 SGB XI keine Überschreitung der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.28 Nach § 111 SGB XI müssen sich die Versicherungsunternehmen, die eine private Pflegeversicherung i. S. d. SGB XI betreiben, am Ausgleich der Versicherungsrisiken beteiligen und dazu ein Ausgleichsystem schaffen, dem sie angehören. Zweck dieser Regelung ist es, eine finanzielle Überforderung der Versicherungsunternehmen zu verhindern, die vor allem dann droht, wenn es aufgrund des in § 110 SGB XI festgelegten Kontrahierungszwangs zu einer Häufung sogenannter „schlechter Risiken “ bei einem Versicherungsunternehmen kommt.29 Auch die Schaffung einer Haftungsgemeinschaft in Form eines Versicherungspools würde somit keinen Widerspruch zum Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG darstellen. 2.3.2. Erforderlichkeitsklausel nach Art. 72 Abs. 2 GG Gemäß Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund auf dem Gebiet des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG – Recht der Wirtschaft – das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Das Bundesverfassungsgericht stellt grundsätzlich hohe Anforderungen an diese Voraussetzungen und gewährt dem Gesetzgeber nur insoweit einen Prognosespielraum, als es um künftige, noch nicht absehbare Entwicklungen geht.30 Das bedeutet, dass der Bund nur dann gesetzgeberisch tätig werden darf, wenn im Falle verschiedener oder fehlender landesrechtlicher Regelungen gewichtige Nachteile entstehen, die nur durch eine übergeordnete Regelung abzuwenden sind.31 Solch gewichtige Nachteile sind im Hinblick auf die Alternative „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ dann anzunehmen, „wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet “.32 Zur Wahrung der Rechtseinheit darf der Bund tätig werden, wenn die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung aufgrund verschiedener oder fehlender landesrechtlicher Regelungen gefähr- 27 BVerfGE 103, 197 (218). 28 BVerfGE 103, 197 (219 f.). 29 Wilcken, Christine, in: Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand: 1.9.2011, zu §111 SGB XI. 30 Siehe insbesondere: BVerfGE 106, 62 („Altenpflege“); Seiler, Christian, in: Beck’scher Online-Kommentar GG, Stand: 1.7.2011, Art. 72 Rn., Art. 72 Rn. 16. 31 Seiler (Fn. 31), Art. 72 Rn. 10. 32 BVerfGE 106, 62 (144); Sannwald (Fn. 12), Art. 72 Rn. 53. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 301/11 Seite 9 det ist.33 Ein gesetzgeberisches Tätigwerden zur Wahrung der Wirtschaftseinheit setzt voraus, dass dies zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums erforderlich ist.34 Erforderlich ist ein Bundesgesetz i. d. S. dann, wenn es in seinem konkreten Umfang, also seinem Regelungsinhalt und seiner Regelungsdichte geeignet und notwendig ist.35 Ob eine bundesgesetzliche Regelung in dem im Rahmen der Einleitung skizzierten Umfang erforderlich i. S. d. Art. 72 Abs. 2 GG ist, ist fraglich. Die Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung könnte auf das Kriterium „gleichwertige Lebensverhältnisse“ gestützt werden: Man könnte in diesem Sinne argumentieren, dass nur durch eine bundesweit einheitliche Regelung gewährleistet werden kann, dass die Angehörigen der Gesundheitsberufe überall Zugang zu einer Berufshaftpflichtversicherung finden und dadurch eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung , wie sie eingangs nach Ansicht des Deutschen Hebammenverbandes z. B. für den Bereich der Hebammen als gefährdet angesehen wird, gesichert wird. Auch auf die „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ könnte man u. U. die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung stützen. Denn unterschiedliche Regelungen zur Frage der Vertragsabschlusspflicht der Haftpflichtversicherer in Bezug auf Heilberufe in den Ländern könnten u. U. störende Grenzen im Bundesgebiet aufrichten, weil sie zu einer Ballung bzw. Ausdünnung in diesem Berufssektor in bestimmten Regionen führen und so erhebliche Nachteile für die Situation der Heilberufe im Gesamtstaat begründen könnten.36 3. Zusammenfassung Eine Änderung des Versicherungsvertragswesens dahingehend, dass die Haftpflichtversicherer zum Abschluss von Verträgen mit Angehörigen der Heilberufe verpflichtet werden und diese sich zur Finanzierung der damit einhergehenden hohen Risiken zu einem Versicherungspool zusammenschließen, wäre wohl als Änderung des privatrechtlichen Versicherungswesens i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zu betrachten. Dagegen würde eine solche Änderung nicht unter den Kompetenztitel der Zulassung zu Heilberufen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG und nicht unter den Begriff der Sozialversicherung i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG fallen. Ob eine derartige Änderung erforderlich i. S. d. Art. 72 Abs. 2 GG wäre, ließe sich aus hiesiger Sicht wohl begründen. Im Ergebnis wäre eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu bejahen. 33 Seiler (Fn. 31), Art. 72 Rn. 13. 34 Sannwald (Fn. 12), Art. 72 Rn. 59. 35 Sannwald (Fn. 12), Art. 72 Rn. 68 f. 36 So ähnlich in der Argumentation für unterschiedliche Ausbildungs- und Zulassungsvoraussetzungen in der Altenpflege: BVerfGE 106, 62, (47).