© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 303/14 Einzelfragen zur Suizidbeihilfe durch Ärzte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/14 Seite 2 Einzelfragen zur Suizidbeihilfe durch Ärzte Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 303/14 Abschluss der Arbeit: 16. Dezember 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/14 Seite 3 1. Kann der Bundesgesetzgeber eine Vorschrift (etwa in der Bundesärzteordnung) erlassen, nach der die Zurücknahme der Approbation auf Grund einer getätigten Beihilfe zur Selbsttötung untersagt wird? Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz (GG) hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz unter anderem für die Zulassung zu ärztlichen Heilberufen. Der Begriff der Zulassung umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „die Vorschriften, die sich auf Erteilung, Zurücknahme und Verlust der Approbation oder auf die Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs beziehen“.1 Regelungen der Berufsausübung der Ärzte zählen nicht hierzu, sondern unterliegen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder.2 Dies gilt auch für die Regelung der ärztlichen Berufsgerichtsbarkeit3 sowie der Pflichtmitgliedschaft in Ärztekammern.4 Die Länder haben in Ausübung ihrer Gesetzgebungskompetenz Heilberufsgesetze bzw. Heilberufe- Kammergesetze erlassen, die insbesondere Berufspflichten der Ärzte aufstellen und die Errichtung von Ärztekammern sowie die Berufsgerichtsbarkeit regeln. Als Träger funktionaler Selbstverwaltung der Ärzteschaft in der Rechtsform öffentlich-rechtlicher Körperschaften werden die Ärztekammern zur autonomen Satzungsgebung ermächtigt. Auf dieser Grundlage erlassen die Ärztekammern insbesondere die Berufsordnungen, die die gesetzlichen Generalpflichten konkretisieren .5 Berufsausübungsregelungen für Ärzte ergeben sich damit zum einen aus den Landesgesetzen , zum anderen aus den Berufsordnungen der Ärztekammern, die als landesrechtliche Satzungen ebenfalls zum Landesrecht zählen. Die Berufsordnungen der Landesärztekammern orientieren sich weitgehend an der von der Bundesärztekammer, einer Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern, erarbeiteten Musterberufsordnung . Hierbei handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche Empfehlung an die Landesärztekammern mit dem Ziel einer bundeseinheitlichen Rechtslage.6 1 BVerfGE 33, 125 (154 f.) 2 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 23. Ergänzungslieferung), Art. 74 Rn. 215. 3 BVerfGE 4, 74 (83). 4 BVerwGE 39, 110 (112). 5 Vgl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Auflage 2009, Abschnitt II Rn. 24. 6 Vgl. Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Auflage 2014, Abschnitt 350, Vorbemerkung Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/14 Seite 4 Die Musterberufsordnung sieht seit ihrer Änderung durch den 114. Ärztetag 2011 in Kiel zur Frage der Sterbehilfe folgende Regelung vor:7 „§ 16 Beistand für Sterbende Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Satz 3 untersagt die Beihilfe zum Suizid. Diese Regelung ist in die Berufsordnungen der meisten Landesärztekammern übernommen worden.8 Teilweise ist das Verb „dürfen“ in Satz 3 durch „sollen“ ersetzt worden.9 Das zwingende Verbot wird damit zu einem grundsätzlichen Verbot, das jedoch ein Abweichen in Ausnahmefällen zulässt. Die Berufsordnungen der Ärztekammern, die die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich untersagen, gehen über das in § 216 Strafgesetzbuch (StGB) ausgesprochene Verbot der Tötung auf Verlangen hinaus: Suizid ist nicht strafbar, so dass aufgrund der Akzessorietät der Strafbarkeit auch eine Beihilfe zum Suizid nicht strafbar sein kann.10 Auch ein standesrechtliches Verbot der Beihilfe zum Suizid begründet wegen der unterschiedlichen Ordnungsfunktionen der Rechtsgebiete keine Strafbarkeit .11 Die Landesärztekammern haben gemäß den zugrundliegenden Kammergesetzen allerdings die Pflicht, die Einhaltung der Berufsordnungen zu überwachen und Verstöße gegebenenfalls durch Rügen oder durch Maßnahmen im Rahmen eines berufsgerichtlichen Verfahrens zu sanktionieren.12 Im berufsgerichtlichen Verfahren kann je nach Landesrecht auf verschiedene Sanktionen erkannt werden (etwa Warnung, Verweis, Geldbuße, Entzug von mitgliedschaftlichen Rechten in der Kammer), jedoch nie auf einen wie auch immer gearteten Entzug der Approbation. Denn die Frage des Verlusts der Approbation unterliegt, wie ausgeführt, der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Regelungen zur Rücknahme und zum Widerruf der Approbation finden sich § 5 Bundesärzteordnung (BÄO). Die Rücknahme ist die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht ergangen ist. Bei der Rücknahme 7 Zum Folgenden bereits , Verfassungsmäßigkeit der in Berufsordnungen der Ärztekammern normierten Verbote der Beihilfe zum Suizid, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 - 3000 - 215/14), 2014, S. 4. 8 Vgl. Pethke, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Auflage 2014, Abschnitt 350, § 16 Rn. 7. Eine Ausnahme stellen u.a. Baden-Württemberg und Bayern dar. 9 So etwa in der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 22. März 2012, MBl. NRW S. 150 ff. 10 Zur strafrechtlichen Problematik insbesondere hinsichtlich einer Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung vgl. Kutzer, Strafrechtliche Rechtsprechung des BGH zur Beteiligung an einem freiverantwortlichen Suizid, ZRP 2012, 135. 11 Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, Anmerkungen zu den §§ 211 ff., Rn. 35a m.w.N. 12 Hierzu Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Auflage 2014, Abschnitt 350, Vorbemerkung Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/14 Seite 5 werden die Rechtswirkungen der Approbation rückwirkend (ex tunc) beseitigt.13 Im Falle des Widerrufs hingegen wird die rechtmäßig erteilte Approbation aus Gründen, die nach ihrer Erteilung eingetreten sind, für die Zukunft (ex nunc) aufgehoben.14 Nach § 5 Abs. 2 S. 1 BÄO ist die Approbation zu widerrufen, wenn nachträglich die Voraussetzung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO weggefallen ist. Hiernach darf sich der Antragsteller nicht eines Verhaltens schuldig gemacht haben, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Unwürdig ist, wer durch sein Verhalten das zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen bei der Bevölkerung nicht besitzt; unzuverlässig ist, wer aufgrund seines bisherigen Verhaltens nach seiner Gesamtpersönlichkeit keine ausreichende Gewähr für eine ordnungsgemäße künftige Berufsausübung bietet.15 Zur ordnungsgemäßen Berufsausübung zählt insbesondere die Beachtung sämtlicher für die ärztlicher Berufsausübung geltender Regelungen, also auch der in den Landesgesetzen und in den Berufsordnungen normierten Berufspflichten. Bundesrechtliche und landesrechtliche Regelungen des Berufsrechts der Ärzte sind an dieser Stelle insoweit verzahnt, als die Verletzung landesrechtlich normierter Berufspflichten die Feststellung der Unzuverlässigkeit im approbationsrechtlichen (bundesrechtlichen) Sinne zur Folge haben kann. Diese Verzahnung ändert jedoch nichts daran, dass die Festlegung der Widerrufstatbestände Sache des Bundesgesetzgebers ist. Er kann diese auch dahingehend beschränken, dass Verstöße gegen bestimmte landesrechtliche Berufsausübungsregelungen (wie etwa des Suizidbeihilfeverbots) nicht den Widerruf der Approbation rechtfertigen. Eine Aushöhlung der Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Berufsausübungsrecht der Ärzte ist damit nicht verbunden. Beide Regelungsmaterien verfolgen unterschiedliche Ziele. Die landesrechtlichen Berufsausübungsregelungen werden nicht dadurch sanktionslos, dass bei Zuwiderhandlungen nicht der Widerruf der Approbation droht. Die Sanktionierung von Verstößen gegen landesrechtlich normierte Berufspflichten erfolgt vielmehr durch Rügen bzw. Maßnahmen im berufsgerichtlichen Verfahren auf der Grundlage der Heilberufsgesetze bzw. Heilberufe-Kammergesetze der Länder. Nicht jede Berufsausübungsregelung muss auch auf das Approbationsrecht „durchschlagen“. Eine entsprechende bundesgesetzliche Regelung ist insoweit zulässig. 2. Würde durch eine Regelung im BGB, die den ärztlich assistierten Suizid unter bestimmten, gesetzlich genau beschriebenen Voraussetzungen erlaubt, eine standesrechtliche Vorschrift (etwa in den Berufsordnungen), die den ärztlich assistierten Suizid generell untersagt, unwirksam ? Formelle Gesetze stehen normenhierarchisch über Vorschriften des Satzungsrechts. Im Falle einer Normenkollision, wenn also eine gesetzliche Regelung für denselben Sachverhalt eine andere 13 Vgl. Spickoff, in: Spickoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Abschnitt 50, § 5 BÄO Rn. 1. 14 Vgl. Spickoff, in: Spickoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Abschnitt 50, § 5 BÄO Rn. 1. 15 Vgl. Haage, BÄO, 1. Aufl. 2013, § 3 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 303/14 Seite 6 Rechtsfolge vorsieht als eine satzungsrechtliche Regelung, setzt sich daher das Gesetz durch. Das entgegenstehende Satzungsrecht ist unanwendbar. Zudem bricht nach Art. 31 GG Bundesrecht Landesrecht. Regelungen in Bundesgesetzen haben also Vorrang sowohl vor formellen Landesgesetzen (etwa den Heilberufsgesetzen bzw. Heilberufe-Kammergesetzen der Länder) als auch vor den Berufsordnungen der Landesärztekammern. Berufsrechtliche Regelungen des Landesrechts, die im Widerspruch zu bundesgesetzlichen Regelungen stehen, wären daher unanwendbar. Das setzt aber voraus, dass die bundesgesetzliche Regelung kompetenzgemäß erlassen worden ist, insbesondere von einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes gedeckt ist. Eine Regelung, die Ärzten die Suizidassistenz unter bestimmten, gesetzlich näher beschriebenen Voraussetzungen erlaubt (und ihnen im Umkehrschluss die Suizidassistenz bei Nichteinhaltung dieser Voraussetzungen verbietet), stellt eine Berufsausübungsregelung für Ärzte dar. Berufsausübungsregelungen für Ärzte aber liegen, wie ausgeführt, in der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Der Bundesgesetzgeber ist daher nicht befugt, Berufsausübungsregelungen für Ärzte zu erlassen. Demgegenüber verleiht Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG dem Bund die Gesetzgebungskompetenz unter anderem für das bürgerliche Recht, das primär im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) kodifiziert ist. Der Kompetenztitel „bürgerliches Recht“ lässt sich nicht trennscharf definieren. Angesichts einer rechtsgeschichtlichen Entwicklung, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht, kommt nach dem Bundesverfassungsgericht dem Merkmal des „Traditionellen“ und „Herkömmlichen“ bei der Auslegung dieses Kompetenztitels wesentliche Bedeutung zu.16 Vereinfachend lässt sich das bürgerliche Recht als Gesamtheit derjenigen Normen beschreiben, die die den Personen als Privatpersonen zukommende rechtliche Stellung und die Verhältnisse, in denen sie als Privatpersonen untereinander stehen, regeln.17 Hierzu zählen auch Regelungen des Privatrechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient, etwa im Hinblick auf Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag und auf Haftungsfragen . Hoheitliche Berufsausübungsregelungen für Ärzte können jedoch nicht auf die Gesetzgebungskompetenz für das bürgerliche Recht gestützt werden. Zivilrechtliche Regelungen des Arzt-Patienten-Verhältnisses würden standesrechtliche Berufsausübungsregelungen unberührt lassen. 16 BVerfGE 42, 20 (29). 17 Ähnlich BVerfGE 42, 20 (30).