Tornado-Aufklärungsflüge als Amtshilfe - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 299/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Tornado-Aufklärungsflüge als Amtshilfe Ausarbeitung WD 3 – 299/07 Abschluss der Arbeit: 7. August 2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhalt 1. Ausgangssituation 4 2. Hilfe bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen 4 3. Einfache Amtshilfe 5 3.1. Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG 5 3.1.1. Gefahrenabwehr 6 3.1.2. Spezifisch militärische Waffen 7 3.1.3. Zwischenergebnis 7 3.2. Weitergehende Einschränkungen bei Art. 35 Abs. 1 GG 7 3.2.1. Eingriffscharakter der Flüge 7 3.2.2. Bewaffnetes Vorgehen 11 3.2.3. Innenpolitische Relevanz 12 4. Ergebnis 12 - 4 - 1. Ausgangssituation Die Bundesregierung hat über den Umfang der Aufklärungsflüge mit den so genannten „Recce-Tornados“ („REConnaissanCE“, mit Aufklärungssensoren ausgestatteter Tornado )1 beim G8-Gipfel in Heiligendamm folgende Auskunft2 gegeben: „Im Rahmen der Amtshilfe nach entsprechender Beantragung durch die zuständige Polizeidirektion Rostock (BAO KAVALA) erfolgten Flüge zur Aufklärung aus der Luft am 15. Mai, 22. Mai, 30. Mai, 31. Mai, 4. Juni sowie am 5. Juni 2007. Darüber hinausgehend wurde am 3. Mai eine Mission zur Demonstration der Aufklärungsfähigkeiten des Recce- Tornado durchgeführt, die nicht von BAO KAVALA beantragt worden war. Insgesamt handelte es sich um sieben Missionen der Recce- Tornados an sieben Einsatztagen. Dabei konnten die für den 30. Mai und 4. Juni beauftragten Missionen aufgrund von technischen Fehlfunktionen bzw. wegen schlechten Wetters nicht in Gänze durchgeführt werden und wurden am Folgetag vervollständigt. Die aufzuklärenden Strecken und Gebiete umfassten Straßen und Bereiche im Raum zwischen Wismar, Heiligendamm, Sanitz und Rechlin. Ziel dieser Maßnahmen war die Erkennung möglicher Erddepots sowie die Erfassung von Manipulationen an wichtigen Straßenzügen im Einsatzraum. […] Es wurden Luftbilder der durch BAO KAVALA zur Aufklärung beantragten Bereiche um Reddelich, Wichmannsdorf sowie dem Camp Rostock an die Polizei übergeben. Auf einigen dieser Bilder sind Personen erkennbar; eine Identifizierung ist jedoch nicht möglich.“ 2. Hilfe bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen Nach Art. 87a Abs. 2 GG dürfen die Streitkräfte „[a]ußer zur Verteidigung […] nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Eine solche Erlaubnis ist in Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG für „Naturkatastrophen oder einen besonders 1 http://www.luftwaffe.de/portal/a/luftwaffe/waff/jets/torn; Weber/Mehl/Müller, Recce-Tornado, Strategie und Technik 02/2007, 34. 2 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/5698 vom 14. Juni 2007 – Einsatz der Bundeswehr im Inneren anlässlich des G8-Gipfels, BT-Drs. 16/6046, vom 11. Juli 2007, S. 10 und 11, zu Frage 19 lit. a und lit. d. - 5 - schweren Unglücksfall“ vorgesehen. In diesem Fall dürfen Streitkräfte im Innern hoheitliche Befugnisse ausüben. Für den G8-Gipfel in Heiligendamm war ein solcher Einsatz der Streitkräfte wohl nicht zulässig. Denn etwaige Sicherheitsrisiken eines Staatsgipfels oder damit zusammenhängenden Demonstrationen dürften nicht als „Unglücksfall “ im Sinne des Art. 35 Abs. 2 GG anzusehen sein.3 3. Einfache Amtshilfe Der Vorbehalt in Art. 87a Abs. 2 GG greift jedoch nur, soweit es um einen Einsatz geht, also die Ausübung hoheitlicher Befugnisse der Streitkräfte4, um „beispielsweise gefährdete Grundstücke abzusperren und Verkehrsregelungen zu treffen“.5 Daher dürfte es auch ohne qualifizierte Erlaubnis der Verfassung grundsätzlich zulässig sein, wenn die Bundeswehr nach Art. 35 Abs. 1 GG Amtshilfe leistet, indem sie der Polizei technische Mittel zur Verfügung stellt, ohne selbst hoheitliche Befugnisse auszuüben.6 3.1. Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zur Amtshilfe der Bundeswehr nach Art. 35 Abs. 1 GG bislang noch nicht Stellung genommen. Allerdings hat das BVerfG in seiner Entscheidung7 zum Luftsicherheitsgesetz8 den Begriff der „Hilfe“ nach Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG („Hilfe bei Unglücksfall“) präzisiert: Ein „Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen“ sei „bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen nicht erlaubt“. Daher dürften „beispielsweise die Bordwaffen eines Kampfflugzeugs“ nicht zum Einsatz gebracht werden. Zulässig seien hingegen technische Mittel, „die den Polizeikräften der 3 Vgl. Erbguth in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl., 2007, Art. 35 Rn. 38; Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz Kommentar, 10. Aufl., 2004, Art. 35 Rn. 38. 4 Vgl. Pieroth in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 9. Aufl., 2007, Art. 87a Rn. 7; Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz Kommentar, 10. Aufl., 2004, Art. 35 Rn. 20 und Rn. 39; Kokott in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl., 2007, Art. 87a Rn. 15, stellt auch auf das Kriterium der Bewaffnung ab; Schmidt-Jörtzig, Verfassungsänderung für Bundeswehreinsätze im Innern Deutschlands?, Die Öffentliche Verwaltung 2002, 773 (775). 5 So die Beispiele des BVerfG, Urteil vom 15. Februar 2006, Neue Juristische Wochenschrift 2006, 751 (756) unter Verweis auf BT-Drs. 5/2873, S. 10 zu Art. 35 Abs. 2 GG. 6 Vgl. Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz Kommentar, 10. Aufl., 2004, Art. 35 Rn. 20; Kokott in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl., 2007, Art. 87a Rn. 15; Pieroth in: Jarass /Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 9. Aufl., 2007, Art. 87a Rn. 7; Dürig in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand Juni 2006, Art. 87a Rn. 31; Schmidt-Jörtzig, Verfassungsänderung für Bundeswehreinsätze im Innern Deutschlands?, Die Öffentliche Verwaltung 2002, 773 (776). 7 Urteil vom 15. Februar 2006, Neue Juristische Wochenschrift 2006, 751. 8 Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005, BGBl. I S. 78. - 6 - Länder für die Erledigung ihrer Aufgaben originär zur Verfügung stehen .“ Dabei sei die „Aufgabe […] der Gefahrenabwehrbehörden der Länder“ entscheidend.9 Mit dieser Entscheidung zu Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG hat das BVerfG zwar keine Aussage getroffen, ob Amtshilfe der Bundeswehr nach Art. 35 Abs. 1 GG zulässig ist. Unterstellt man mit der einhelligen Kommentierung die grundsätzliche Zulässigkeit, dürften für die Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG die Einschränkungen des BVerfG erst Recht gelten. Denn bei der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG werden ebenfalls technische Mittel verwandt, allerdings mit dem Unterschied zur Hilfe nach Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG, dass Streitkräfte mit hoheitlichen Befugnissen nicht zum Einsatz kommen. 3.1.1. Gefahrenabwehr Ob ein technisches Mittel im vorgenannten Sinne des BVerfG „den Polizeikräften der Länder für die Erledigung ihrer Aufgaben originär zur Verfügung steht“ dürfte nach der Wortwahl des BVerfG funktional zu beurteilen sein. Das Mittel müsste demnach der Gefahrenabwehr dienen. Entscheidend ist daher nicht, ob die Polizei über ein technisches Mittel traditionell oder aktuell selbst verfügt. Denn das Erscheinungsbild polizeilicher Gefahren kann sich jederzeit wandeln, so dass bei entsprechender „Aufrüstung “ Krimineller denkbar wäre, dass die Polizei zur Gefahrenabwehr künftig technische Geräte oder Waffen anschaffen müsste, die aktuell nur die Streitkräfte vorhalten. Der Einsatz der mit Aufklärungssensoren ausgestatteten Tornados diente nach Angaben der Bundesregierung dazu, „mögliche Erddepots“ sowie etwaige „Manipulationen an wichtigen Straßenzügen“ zu erkennen.10 Die Verwendung erfolgte damit zur Gefahrenabwehr . Die „Mission zur Demonstration der Aufklärungsfähigkeiten des Recce-Tornado“11 vom 3. Mai 2007 dürfte eine Vorfeldmaßnahme zu einer Gefahrenabwehr gewesen sein. 9 Neue Juristische Wochenschrift 2006, 751 (755) [Hervorhebung durch Verfasser]. 10 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/5698 vom 14. Juni 2007 – Einsatz der Bundeswehr im Inneren anlässlich des G8-Gipfels, BT-Drs. 16/6046, vom 11. Juli 2007, S. 10, zu Frage 19 lit. a. 11 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/5698 vom 14. Juni 2007 – Einsatz der Bundeswehr im Inneren anlässlich des G8-Gipfels, BT-Drs. 16/6046, vom 11. Juli 2007, S. 10, zu Frage 19 lit. a. - 7 - 3.1.2. Spezifisch militärische Waffen Einen „Kampfeinsatz […] mit spezifisch militärischen Waffen“ dürften die Aufklärungsflüge der Tornados beim G8-Gipfel eher nicht dargestellt haben, da es wohl schon an einer entsprechenden bewaffneten Auseinandersetzung gefehlt hat. 3.1.3. Zwischenergebnis Die in der Entscheidung des BVerfG zum Luftsicherheitsgesetz im Hinblick auf Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG aufgestellten Kriterien dürften bei den Aufklärungsflügen anlässlich des G8-Gipfels erfüllt gewesen sein. 3.2. Weitergehende Einschränkungen bei Art. 35 Abs. 1 GG Die vorgenannten Kriterien des BVerfG gelten für den Fall des Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG, der einen „Einsatz“ von Streitkräften im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG ausdrücklich zulässt. Demgegenüber ermöglicht die Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG keinen „Einsatz “ der Streitkräfte, sondern nur technische Hilfe. Im Verhältnis zwischen „Einsatz“ der Streitkräfte und „Amtshilfe“ der Streitkräfte gilt Folgendes: „’Einsatz’ der Streitkräfte und Amtshilfe der Streitkräfte für die Polizei nach Art. 35 Abs. 1 GG schließen sich aus“.12 Zur Abgrenzung der Amtshilfe gegenüber einem Einsatz werden folgende Kriterien angeführt: - Keine Verwendung der Bundeswehr mit Eingriff in Grundrechte - Keine bewaffnete Verwendung - Innenpolitische Neutralität der Verwendung. 3.2.1. Eingriffscharakter der Flüge Das von der Bundeswehr beim G8-Gipfel zur Verfügung gestellte technische Gerät haben nicht Polizeikräfte bedient, sondern Piloten der Luftwaffe. Dieser Umstand ist beachtlich, wie folgendes Beispiel verdeutlicht: Die Polizei nutzt mit Räumschilden ausgestattete Fahrzeuge13 der Streitkräfte, um von Demonstranten errichtete Barrikaden zu durchbrechen. Steuern Polizisten die Räumungsfahrzeuge, dürfte die Überlassung der Fahrzeuge technische Hilfe im Sinne des Art. 35 Abs. 1 GG sein. Steuern aber Sol- 12 Wiefelspütz, Bundeswehr und Amtshilfe für die Polizei, Bundeswehrverwaltung 2004, 121 (123) mit weiteren Nachweisen. [Hervorhebung durch Verfasser] 13 Z. B. „Pionierpanzer 2 Dachs“, vgl. Eggers, Pionierpanzer DACHS, Wehrtechnik 1989, 72; siehe auch unter: www.deutschesheer.de. - 8 - daten die Fahrzeuge, dürfte nicht mehr nur technische Hilfe, sondern stattdessen ein Einsatz von Streitkräften vorliegen.14 Denn im Unterschied zu Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG („Hilfe bei Unglücksfall“) ist bei der einfachen Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG nicht zulässig, dass Streitkräfte einen Sachverhalt regeln oder in Rechte der Bürger eingreifen .15 Ein Eingriff in eine subjektive Rechtsposition von Betroffenen ist beim G8-Gipfel denkbar im Hinblick auf die informationelle Selbstbestimmung. Nach Angaben der Bundesregierung wurden „Bilder des besiedelten Camps Wichmannsdorf und […] des besiedelten Camps Reddelich erstellt und an die Polizei übergeben“.16 Personen17 oder Kfz-Kennzeichen18 seien auf den Luftbildern jedoch nicht identifizierbar gewesen. Auch war nach Angaben der Bundesregierung die Identifizierung einzelner Personen offenbar nicht Ziel der Beobachtungsflüge.19 Allerdings dürfte nicht nur auf die tatsächliche Identifizierbarkeit abzustellen sein, sondern auch auf die grundsätzliche Möglichkeit, Bilder individuell identifizierbarer Personen herzustellen. Denn ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung könnte auch in Betracht kommen, wenn der Betroffene eine Aufnahme seines Bildes für möglich halten kann („Einschüchterungseffekt“).20 Das BVerfG hat ausgeführt: „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen . Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung 14 Vgl. Wiefelspütz, Bundeswehr und Amtshilfe für die Polizei, Bundeswehrverwaltung 2004, 121 (123), unter Verweis auf Jahn/Riedel, Streitkräfteeinsatz im Wege der Amtshilfe, Die Öffentliche Verwaltung 2002, 957 (960). 15 Erbguth in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl., 2007, Art. 87a Rn. 15. Vgl. auch die entsprechende Rechtsauffassung der Bundesregierung, BT-Drs. 16/6046 (oben Fn. 2) vom 11. Juli 2007, S. 2. 16 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Homburger, Christian Ahrendt, Elke Hoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/6010 – Unterstützungsleistungen der Bundeswehr beim G8-Gipfel, BT-Drs. 16/6166, S. 6 zu Frage 28. 17 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/5698 vom 14. Juni 2007 – Einsatz der Bundeswehr im Inneren anlässlich des G8-Gipfels, BT-Drs. 16/6046, vom 11. Juli 2007, S. 11, zu Frage 19 lit. d. 18 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Homburger, Christian Ahrendt, Elke Hoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/6010 – Unterstützungsleistungen der Bundeswehr beim G8-Gipfel, BT-Drs. 16/6166, S. 6 zu Frage 28. 19 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/5698 vom 14. Juni 2007 – Einsatz der Bundeswehr im Inneren anlässlich des G8-Gipfels, BT-Drs. 16/6046, vom 11. Juli 2007, S. 11, zu Frage 19 lit. a. 20 Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 9. Aufl., 2007, Art. 2 Rn. 44; Murswiek in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl., 2007, Art. 2 Rn. 88a: „Einschüchterungseingriff“. - 9 - oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art 8, 9 GG) verzichten.21 [Die informationelle Selbstbestimmung] dient dabei [...] auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. […] Ein von der Grundrechtsausübung abschreckender Effekt fremden Geheimwissens muss nicht nur im Interesse der betroffenen Einzelnen vermieden werden.“22 Daher kommt schon durch die Aufnahme der Bilder unabhängig von der tatsächlichen Identifizierbarkeit ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung in Betracht, insoweit die Recce-Tornados aus Sicht der Betroffenen hätten Bilder fertigen können, die eine Identifizierung von Personen ermöglichen. In einer Informationsquelle der Bundeswehr heißt es zu den unter dem Rumpf der Tornados montierten Recce- Aufklärungseinheiten: „Die Negative haben DIN A 4-Blatt-Größe, und entsprechend sind auf den Vergrößerungen der Aufnahmen aus rund 2.000 Metern selbst Nummernschilder zu erkennen.“23 Ferner hat das Bundesministerium der Verteidigung im Nachhinein bestätigt, dass die Tornados mit einer „hochauflösenden Telelens-Kamera“ ausgerüstet werden können, die „unter günstigsten Bedingungen“ entsprechend detaillierte Bilder hätte anfertigen können.24 Bei einer tatsächlichen Flughöhe von zum Teil lediglich 120 bis 300 Metern25 21 Entscheidungen des BVerfG, 65. Band, 1 (43). 22 Entscheidungen des BVerfG, 113. Band, 29 (46); vgl. auch BVerfG, Urteil vom 23. Februar 2007, Die Öffentliche Verwaltung 2007, 606: „Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das Verhalten der Betroffenen lenken“. 23 Albring, Aufklärung – Augen auf Afghanistan, Y. Magazin der Bundeswehr vom 11. Juli 2007, http://www.y-punkt.de/portal/a/bwde/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKL94s3D_ IBSZnFO8YbuvnpR8LEglJS9X098nNT9b31A_QLciPKHR0VFQE2ToKX/delta/base64xml/L2dJ QSEvUUt3QS80SVVFLzZfTl83Ukw!?yw_contentURL=%2F01DB131000000001%2FW273FD VQ504INFODE%2Fcontent.jsp. 24 Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung, vom 4. Juli 2007, S. 6, Jungs Ministerium rechtfertigt „Tornado“- Flüge: „Die Bilder hätten sich nicht zur Identifizierung von Personen oder von Kfz-Kennzeichen geeignet, heißt es in dem Bericht. Auch eine nachträgliche Bearbeitung lasse solche Identifizierungen nicht zu. ‚Die hierzu unter günstigsten Bedingungen geeignete hochauflösende Telelens- Kamera, die im gegenwärtigen Isaf-Einsatz in Afghanistan genutzt wird, wurde bei keiner der oben angeführten Missionen mitgeführt’, versichert das Ministerium. Auf den Kopien der Luftbilder von den Camps der Gipfelgegner sind in der Tat nur umrisshaft Menschengruppen erkennbar.“ 25 Vgl. die tatsächliche Flughöhe von ca. 120 Metern am 5. Juni 2007, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Homburger, Christian Ahrendt, Elke Hoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/6010 – Unterstützungsleistungen der Bun- - 10 - für die Flüge anlässlich des G8-Gipfels dürften daher aus Sicht der Betroffenen Bildaufnahmen in Betracht kommen, die eine Identifizierung einzelner Personen ermöglichen .26 Die Flüge könnten aus Sicht der Betroffenen auch als entsprechende Überwachungsmaßnahme aufgefasst worden sein. Presseberichte um die technischen Aufklärungsfähigkeiten der deutschen Luftwaffe in Afghanistan könnten das Bewusstsein der Öffentlichkeit insoweit geschärft haben.27 Unter diesen Voraussetzungen könnten die Aufklärungsflüge als Grundrechtseingriff angesehen werden. Ob dieser Eingriff grundrechtlich gerechtfertigt sein könnte, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Greift die Bundeswehr bei ihrer Tätigkeit in Grundrechte ein, liegt organisationsrechtlich keine Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG vor, sondern ein Einsatz nach Art. 87 Abs. 2 GG vor. Aus diesem Grunde ist auch unerheblich, ob die Polizei auf einfachgesetzlicher Ebene nach § 32 Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern28 bzw. nach § 12a Versammlungsgesetz29 befugt gewesen wäre, entsprechende Bildaufnahmen zu tätigen. Im Übrigen wird auch vertreten, dass ein informationeller „Einschüchterungseffekt“ zugleich einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit bewirken kann: Die „demonstrative Einschüchterung der Demonstranten durch die polizeiliche Informationserhebung [ist] ebenso eine verfassungswidrige Verletzung des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit […] wie beispielsweise die ‚systematische Versammlungsüberwachung’ mit deswehr beim G8-Gipfel, BT-Drs. 16/6166, S. 7 zu Frage 32; vgl. ferner die Mindestflughöhe von ca. 150 Metern des Aufklärungsflugs am 5. Juni 2007, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/5698 vom 14. Juni 2007 – Einsatz der Bundeswehr im Inneren anlässlich des G8-Gipfels, BT-Drs. 16/6046, vom 11. Juli 2007, S. 10, zu Frage 19 lit. d. 26 Vgl. auch http://www.focus.de/politik/ausland/bundeswehr_did_14685.html: „Zur Überwachung sind diese mit Kameras versehenen Aufklärungseinheiten unter dem Rumpf der Tornados montiert worden. Die Tornados können damit gestochen scharfe Fotos aus großer und niedriger Höhe machen .“; BILD vom 3. Juli 2007: „BILD zeigt das erste Tornado-Foto vom G8-Camp […] Foto aus der Tornado-Kamera: das Zeltlager der G8-Gegner […] Gut zu sehen: Zelte, Autos und Transparente der Globalisierungsgegner.“, http://www.bild.t-online.de/BTO/news/2007/07/04/g8-tornado/fotocamp .html; tagesschau.de vom 23. Juni 2007: „Der Einsatz der Tornado-Flugzeugen hatte diese Woche erneut für heftige Kritik gesorgt. In verschiedenen Medien wurde berichtet, der Pilot sei in einer Höhe von etwa 110 Metern auch über ein Camp geflogen, in dem sich Gipfel-Kritiker niedergelassen hatten. Sie hätten so präzise Fotos geschossen, dass auf den Uhren der Demonstranten die Zeit hätte abgelesen werden können.“, http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID 6919674_NAV_REF1,00.html; Im Nachhinein hat das Bundesministerium der Verteidigung allerdings ausgeschlossen, dass „geeignete hochauflösende Telelens-Kameras […]mitgeführt“ wurden, Süddeutsche Zeitung, vom 4. Juli 2007, S. 6, Jungs Ministerium rechtfertigt „Tornado“-Flüge. 27 Vgl. nur Die Welt vom 31. Januar 2007, S. 3a, „Mit Luftbildkameras gegen die Taliban“. 28 Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. März 1998, GVOBl. S. 335. 29 Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978, BGBl. I S. 1789, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 24. März 2005, BGBl. I S. 969. - 11 - Einschüchterungseffekt“.30 Für einen relevanten Einschüchterungseffekt könnte der Umstand sprechen, dass die Informationserhebung durch militärische Kampfflieger erfolgte . 3.2.2. Bewaffnetes Vorgehen Unabhängig vom Eingriffscharakter dürfte keine Amtshilfe, sondern ein Einsatz nach Art. 87a Abs. 2 GG vorliegen, wenn die Streitkräfte bei ihrer Verwendung bewaffnet gewesen wären.31 Dabei dürfte unerheblich sein, ob die Waffen lediglich mitgeführt wurden und ob ein Waffeneinsatz überhaupt beabsichtigt oder militärrechtlich32 zulässig gewesen wäre. Art. 87a Abs. 2 GG will den Anwendungsbereich der Streitkräfte im Innern so weit als möglich, d. h. für Ausnahmefälle, begrenzen.33 Dem würde es widersprechen , wenn Streitkräfte bei einer zivilen Verwendung Waffen bei sich führen würden , z. B. bei einem Ernteeinsatz oder bei der Vermisstensuche. Bei einem Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG wäre hingegen eine Bewaffnung jedenfalls zum Eigenschutz zulässig.34 In der Grundversion ist der Tornado offenbar nicht mit Waffen ausgestattet. Die Bewaffnung mit „Mauser-Bordkanonen (27mm)“ und anderen Bordwaffen ist nach Angaben der Bundeswehr nur „optional“.35 Sollten die anlässlich des G8-Gipfels verwendeten Tornados mit entsprechenden „optionalen“ Bordkanonen ausgestattet gewesen sein, dürfte dies dafür sprechen, dass der Einsatz verfassungswidrig gewesen ist. Etwas anderes könnte sich im konkreten Fall nur ergeben, wenn etwaig montierte Bordkanonen nur mit unverhältnismäßigem Aufwand hätten vor den Aufklärungsflügen entfernt werden können, bei dem Einsatz ungeladen waren und im Übrigen für die Personen am Boden kein Drohpotential entfalteten. 30 Götz, Polizeiliche Bildaufnahmen von öffentlichen Versammlungen - Zu den Neuregelungen in §§ 12a, 19a VersammlG, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1990 112 (115). 31 Vgl. Hernekamp in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 5. Aufl., 2003, Art. 87a Rn. 13; Kokott in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl., 2007, Art. 87a Rn. 15; Dürig in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand Juni 2006, Art. 87a Rn. 29 am Ende. 32 Vgl. z. B. Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen vom 12. August 1965, BGBl. I S. 796, geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 11. September 1998, BGBl. II S. 2405. 33 Kokott in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl., 2007, Art. 87a Rn. 11; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 15. Februar 2006, Neue Juristische Wochenschrift 2006, 751 (754): „Maßgeblich für die Auslegung und Anwendung des Art. 87a II GG ist daher das Ziel, die Möglichkeiten für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern durch das Gebot strikter Texttreue zu begrenzen“. 34 Vgl. Hernekamp in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 5. Aufl., 2003, Art. 87a Rn. 13. 35 http://www.luftwaffe.de/portal/a/luftwaffe/waff/jets/torn. - 12 - 3.2.3. Innenpolitische Relevanz Zur Abgrenzung der Amtshilfe von einem Einsatz der Bundeswehr könnte auch die innenpolitische Neutralität eine Rolle spielen. Beseitigen z. B. Soldaten Abfallberge, die sich bei einem Streik der Müllabfuhr angehäuft haben36, könnte hierin „ein Machtmissbrauch durch Missbrauch der Bundeswehr“37 gesehen werden: „Die Bundeswehr ist Armee des ganzen Volkes; wer sie vorschnell in der Normallage einsetzt, bloß um mit ihrer Hilfe innenpolitische Differenzen zu entscheiden, zweckentfremdet und missbraucht sie.“38 Zwar haben die Tornado-Flüge – für sich genommen – die Bundeswehr in eine innenpolitische Diskussion „verwickelt“39. Jedoch dürfte mit den Flügen der Recce-Tornados wohl keine konkrete innenpolitische Differenz, z. B. um den räumlichen Geltungsbereich des Demonstrationsrechts, entschieden oder beeinflusst worden sein. Denkbar ist aber auch, Amtshilfe der Bundeswehr bei Demonstrationen grundsätzlich auszuschließen, weil sie wie eine „Parteinahme für die Polizeikräfte und […] deren Einsatz “ erscheinen könnte.40 Bei dieser Betrachtungsweise einer strikten „innenpolitischen Neutralität“ wären die Flüge der Recce-Tornados wohl keine Amtshilfe, sondern ein unzulässiger Einsatz der Bundeswehr im Innern gewesen. 4. Ergebnis Die Aufklärungsflüge der Recce-Tornados anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm können nicht als „Hilfe der Streitkräfte bei einem Unglücksfall“ im Sinne des Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG angesehen werden, wohl aber als Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG in Form der Verwendung technischer Geräte der Bundeswehr durch die Polizei. Es ist vertretbar, gegen eine Amtshilfe und für einen verfassungswidrigen Einsatz außerhalb einer Ermächtigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG folgende Aspekte anzuführen: - Eingriffscharakter: In den Aufklärungsflügen könnte ein „Einschüchterungseingriff “ in die informationelle Selbstbestimmung am Boden befindlicher Personen gesehen werden, insoweit aus deren subjektiver Sicht die Recce-Tornados grundsätzlich hätten Bilder anfertigen können, auf denen sich Personen identifizieren las- 36 Beispiel bei Dürig in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand Juni 2006, Art. 87a Rn. 31. 37 Dürig in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand Juni 2006, Art. 87a Rn. 31. 38 Dürig in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand Juni 2006, Art. 87a Rn. 31 [Hervorhebung durch Verfasser]; Martínez Soria, Polizeiliche Verwendungen der Streitkräfte, Deutsches Verwaltungsblatt 2004, 597 (600). 39 So Dürig in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand Juni 2006, Art. 87a Rn. 31. 40 Spranger, Innere Sicherheit durch Streitkräfteeinsatz?, Neue Juristische Wochenschrift 1999, 1003; Jahn/Riedel, Streitkräfteeinsatz im Wege der Amtshilfe, Die Öffentliche Verwaltung 2002, 957 (960). - 13 - sen. Zum Teil wird vertreten, dass eine einschüchternde Informationserhebung zugleich einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit bedeuten kann. - Innenpolitische Neutralität: Von diesem Kriterium macht ein Teil der Literatur die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Amtshilfe abhängig. Gegen eine innenpolitische Neutralität spricht, dass die Aufklärungsflüge wie eine Parteinahme der Bundeswehr für die Polizeikräfte und deren Einsatz erscheinen könnten. Im Übrigen wäre für eine Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG erforderlich, dass die Tornados unbewaffnet waren, d. h. etwaige Bordwaffen nur mit unverhältnismäßigem Aufwand vor Durchführung der Flüge hätten abmontiert werden können, ungeladen waren und im Übrigen für die Personen am Boden kein Drohpotential entfalteten.