© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 298/19 Zur praktischen Umsetzung und Evaluierung von Gesetzen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 298/19 Seite 2 Zur praktischen Umsetzung und Evaluierung von Gesetzen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 298/19 Abschluss der Arbeit: 30. Januar 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 298/19 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand beschäftigt sich mit der Umsetzung und Evaluierung von Gesetzen in Deutschland. Dabei wird auch auf die Rechtsetzungsbefugnis der Exekutivorgane durch Erlass von Rechtsverordnungen eingegangen und es werden die Rolle und die Kontrollmöglichkeiten des Deutschen Bundestages dargestellt. 2. Zur Rechtsetzungsbefugnis der Exekutivorgane Der Deutsche Bundestag kann im Grundsatz alle Fragen, die überhaupt einer abstrakt-generellen Regelung zugänglich sind, durch Gesetz normieren. Unter bestimmten Voraussetzungen kann er Rechtsetzungsbefugnisse auf die Exekutivorgane delegieren. Auf Bundesebene folgt dies aus Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Nach Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG können die Bundesregierung, Bundesminister oder Landesregierungen durch Bundesgesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Die Ermächtigungsnorm sollte zudem erkennen lassen, ob der Ermächtigungsadressat zum Erlass einer Rechtsverordnung verpflichtet ist oder ihm ein Ermessen eingeräumt werden soll. Da jede Ermächtigungsnorm sowie der mit dem Erlass der jeweiligen Rechtsverordnung verbundene Aufwand unterschiedlich sein kann, variiert die Umsetzungsdauer. Insofern kommt es auf den Einzelfall an. Ausfertigung, Verkündung und Bekanntmachung von Rechtsverordnungen richten sich nach Art. 82 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen und Bekanntmachungen. Danach werden diese im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger verkündet. Der Deutsche Bundestag kann sich in der Verordnungsermächtigung Mitwirkungsrechte vorbehalten. Die Mitwirkungsrechte umfassen beispielsweise Kenntnisgabe-, Begründungs- und Anhörungsvorbehalte . Auch kann das Parlament sich vorbehalten, die Verordnung durch Beschluss in oder außer Geltung zu setzen (Zustimmungs- und Aufhebungsvorbehalt). Auch nichtstaatliche Dritte werden in der Praxis im Vorfeld zum Erlass einer Rechtsverordnung einbezogen, indem beispielsweise Sachverständige, Beiräte oder Interessensverbände angehört oder zur Stellungnahme aufgefordert werden. 3. Zur praktischen Umsetzung von Gesetzen und Rechtsverordnungen Zur Frage, wie häufig die Umsetzung von Gesetzen oder Rechtsverordnung in der Praxis auf Schwierigkeiten stößt, können keine Angaben gemacht werden. Die Bundesregierung hat im Dezember 2018 beschlossen, eine Beteiligungsplattform für alle veröffentlichten Gesetzentwürfe der Bundesregierung einzurichten, die der transparenten Beteiligung von Bürgern und Verbänden dienen soll. Bis diese Online-Plattform zur Verfügung steht, veröffentlichen die Bundesministerien Entwürfe für Gesetze auf ihrem jeweiligen Internetauftritt. Die Einführung neuer Regelungen wird häufig mit Broschüren, Leitfäden und/oder erklärenden Hinweisen auf dem Internetaufritt der zuständigen Bundesministerien begleitet. Wenn es sich um Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 298/19 Seite 4 Reformen handelt, die die Rechte der Bürgerinnen und Bürger besonders betreffen, können im Einzelfall auch besondere Maßnahmen wie zum Beispiel Informations- und Aufklärungskampagnen ergriffen werden, um alle Beteiligten über die neuen Regelungen und ihre Folgen in Kenntnis zu setzen. Zudem haben Verwaltungsbehörden die Aufgabe, Bürgerinnen und Bürger bei Verständnisschwierigkeiten in Bezug auf Gesetze zu beraten. 4. Gesetzesfolgenabschätzung und Gesetzesevaluation Eine Abschätzung von Gesetzesfolgen kann ex ante bereits vor der Erarbeitung von Gesetzentwürfen bzw. begleitend zum Gesetzgebungsverfahren erfolgen sowie ex post nach Inkrafttreten des Gesetzes durch eine sogenannte retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung oder Gesetzesevaluation. In Deutschland kam bisher vor allem der Gesetzesfolgenabschätzung ex ante großes Gewicht zu. Zuständig für die Folgenabschätzung bei Gesetzentwürfen der Bundesregierung ist zunächst das federführende Bundesministerium. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 5, § 44 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) hat es die voraussichtlichen Gesetzesfolgen, insbesondere die beabsichtigten Wirkungen, die unbeabsichtigten Nebenwirkungen sowie den auf die Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung zukommenden Erfüllungsaufwand und die sonstigen Kosten zu analysieren und darzustellen. Zudem hat es Angaben der beteiligten Fachkreise und Verbände einzuholen. Darüber hinaus wurde im Jahre 2006 der sogenannte Nationale Normenkontrollrat (NKR) eingerichtet. Dieser prüft insbesondere, ob die Darstellungen des Erfüllungsaufwandes und der sonstigen Kosten nachvollziehbar und methodengerecht sind. Dabei steht der NKR im Austausch mit allen am Gesetzgebungsprozess Beteiligten, insbesondere der Bundesregierung und den Bundesministerien, dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat, mit den Ländern und Kommunen sowie mit Fachkreisen und Verbänden. In der Praxis haben mittlerweile auch die retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung und die Ex- Post-Evaluation an Bedeutung gewonnen. Gemäß § 44 Abs. 7 GGO muss das federführende Bundesministerium in der Begründung des Gesetzentwurfs festlegen, ob, in welchen Rahmen und zu welchen Zeitpunkt eine Gesetzesevaluation stattfinden soll. Im Januar 2013 beschloss der Staatssekretärsausschuss „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ ein Konzept zur systematischen Evaluierung neuer Regelungsvorhaben. Damit wurde erstmals ein verbindlicher Rahmen zur systematischen Überprüfung von Gesetzen und Rechtsverordnungen geschaffen. Danach sollen grundsätzlich alle wesentlichen Gesetze und Rechtsverordnungen drei bis fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten evaluiert werden. Ein Vorhaben ist wesentlich, sobald der geschätzte jährliche Erfüllungsaufwand für Verwaltung oder Wirtschaft den Betrag von einer Million Euro übersteigt oder wenn der Aufwand für Bürgerinnen und Bürger mindestens eine Million Euro oder 100.000 Stunden beträgt. Dieses Konzept wurde mit Beschluss des Staatssekretärsausschuss „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ vom 26. November 2019 fortentwickelt und konkretisiert. Die Bundesministerien verpflichten sich nun unter anderem dazu, Länder, Kommunen und Verbände im Rahmen einer Evaluierung angemessen einzubinden und die Ergebnisse von Evaluierungen zu veröffentlichen. Außerdem soll die Qualität von Evaluierungen, die die Bundesministerien selbst durchführen, künftig durch eine unabhängige Stelle überprüft werden. Nach Angaben der Bundesregierung stehen in den kommenden Jahren über 330 Evaluierungen an. Bisher wurde keine speziell zuständige Instanz für die Evaluierung eingerichtet. Vielmehr werden einzelfallabhängig die Bundesministerien selbst, speziell eingerichtete Gremien oder Arbeitsgruppen oder Forschungsinstitute oder Universitäten mit der Evaluierung beauftragt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 298/19 Seite 5 5. Kontrollmöglichkeiten des Parlaments Eine explizite und verfassungsrechtlich institutionalisierte Gesetzesbeobachtungspflicht gibt es nicht. Gleichwohl leitet das Bundesverfassungsgericht aus der Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) grundsätzlich eine Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers bei Gesetzen ab. Der Deutsche Bundestag verfügt grundsätzlich über mannigfaltige Techniken zur Umsetzung der Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht. Allerdings fehlt es an einer Institutionalisierung der Selbstkontrolle und an einem formalisierten Verfahren der Evaluation von Gesetzen. Über das Gesetzgebungsverfahren und die oben genannte Möglichkeit, sich Mitwirkungsrechte beim Erlass von Rechtsverordnungen vorzubehalten, ist das Parlament in den Prozess der Gesetzesfolgenabschätzung eingebunden. Es existiert keine spezielle Einrichtung des Deutschen Bundestages, die die Umsetzung von Gesetzen kontrolliert. Diese Aufgabe wird durch die Abgeordneten, das Plenum sowie durch die jeweiligen Fachausschüsse des Deutschen Bundestages wahrgenommen. Dem Parlament stehen verschiedene Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung zum Zwecke der Gesetzesevaluation zur Verfügung. Es kann zum einen durch entsprechende gesetzliche Regelungen die Rahmenbedingungen für Gesetzesevaluationen schaffen und auf diese Weise selbst die Informationsbeschaffung leisten. Zum anderen kann es bestehende Informationsquellen nutzen. Zu nennen sind hier insbesondere die (periodischen) Berichte der Exekutive, denen eine zentrale Rolle bei der Informationsbeschaffung zukommt. Das Parlament und die Abgeordneten haben weiter die Möglichkeit , die Auswirkungen eines Gesetzes nachzuverfolgen, indem sie ihr Frage- und Informationsrecht gegenüber der Bundesregierung ausüben. So besteht etwa gemäß §§ 100, 104 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) die Möglichkeit, Große und Kleine Anfragen des Bundestages an die Bundesregierung zu richten. Der Bundestag kann auch wissenschaftlichen Sachverstand heranziehen , sachkundige Kommissionen berufen oder Untersuchungsaufträge vergeben. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch auf das Petitionsrecht nach Art. 17 GG und auf den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hinzuweisen. Mit dem Petitionsrecht steht den Bürgerinnen und Bürgern ein direkter Weg zum Parlament offen. Neben Beschwerden über konkretes Verwaltungshandeln und der Möglichkeit, auf Missstände hinzuweisen, können über diesen Weg auch Anregungen für die Gesetzgebung an das Parlament gerichtet werden. Der Petitionsausschuss hilft damit dabei festzustellen, ob beschlossene Gesetze das beabsichtigte Ziel erreichen oder zu neuen Problemen führen. Die Abgeordneten stehen in ihrem Wahlkreis, den sie im Bundestag vertreten, im direkten Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern und Behörden. Nicht zuletzt hierüber besteht die Möglichkeit, über Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Gesetzen bzw. ungewünschte Nebenfolgen informiert zu werden sowie die Gesetzesfolgen insgesamt mit den Betroffenen zu erörtern. ***