WD 3 - 3000 - 295/20 (05.01.2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Gefragt wird, ob Kommunen Schutzmaßnahmen im Wege der Allgemeinverfügung erlassen können, die der Verhütung und Bekämpfung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) dienen. § 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ermächtigt die Landesregierungen, Rechtsverordnungen zum Schutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten zu erlassen. Gemäß § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a IfSG darf die zuständige Behörde darüber hinaus notwendige Schutzmaßnahmen treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können seuchenrechtliche Maßnahmen grundsätzlich auch im Wege der Allgemeinverfügungen erlassen werden.1 Fraglich ist, wie dies mit Blick auf die Corona-Schutzmaßnahmen zu bewerten ist. Allgemeinverfügungen dürfen gemäß § 35 S. 2 VwVfG nur erlassen werden, wenn der adressierte Personenkreis nach allgemeinen Merkmalen bestimmt oder bestimmbar ist. Rechtsverordnungen beziehen sich dagegen auf eine unbestimmte Anzahl von Personen in einer unbestimmten Anzahl von Fällen.2 Maßgeblich für die Differenzierung zwischen Rechtsverordnung und Allgemeinverfügung ist das Merkmal des Einzelfalls.3 Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Allgemeinverfügung ist daher, dass ein konkreter Regelungsgegenstand besteht. In Bezug auf die Corona-Maßnahmen wird in der Literatur eingewandt, dass die Gefahr der Übertragung des Virus nicht auf bestimmte Lebenssituationen wie den Genuss bestimmter Lebensmittel beschränkt sei, sondern vielmehr bei jeder Form menschlichen Kontakts bestehe.4 Die Maßnahmen erfassten daher grundsätzlich alle Lebensaspekte. Da es sich um eine globale Pandemie handle, richteten sich die Maßnahmen an die gesamte Bevölkerung. Es handle sich somit nicht um ein 1 BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1961 - I C 54/57 (Stuttgart), NJW 1961, 2077 (2078). 2 Vgl. Guckelberger, NVwZ-Extra 9a/2020, 1 (14). 3 Vgl. Kießling, in: Kießling, Infektionsschutzgesetz-Kommentar, Werkstand: 1. Auflage 2020, § 32 Rn. 9 f. 4 Martini/Thiessen/Ganter, NJOZ 2020, 929 (933). Siehe dort auch zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Infektionsschutzmaßnahmen im Wege der Allgemeinverfügung Kurzinformation Infektionsschutzmaßnahmen im Wege der Allgemeinverfügung Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 konkretes Vorkommnis. Für flächendeckende Maßnahmen, etwa Versammlungsverbote, müsse daher die Rechtsform der Rechtsverordnung gewählt werden. Das Verwaltungsgericht Aachen hat entsprechend in seiner Entscheidung vom 23.12.2020 die Allgemeinverfügung des Kreises Euskirchen als voraussichtlich teilweise rechtswidrig beurteilt.5 Die Regelung einer Ausgangsbeschränkung betreffe eine Vielzahl von Lebenssachverhalten und müsse deshalb mittels Rechtsverordnung geregelt werden. Auch das Verwaltungsgericht München stufte eine für ganz Bayern geltende Regelung, wonach physische Kontakte zu vermeiden und ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten war, als nicht durch eine Allgemeinverfügung regelbar ein.6 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hielt hingegen die Anordnung der Schließung von Einzelhandelsgeschäften im Wege der Allgemeinverfügung für zulässig.7 Es handle sich um „die Regelung eines Einzelfalls für den bestimmten Personenkreis der Inhaber von Ladengeschäften des Einzelhandels, mithin um eine konkret-generelle Regelung [...]. Ihr Regelungsgehalt bezieht sich ausschließlich auf die infektionsschutzrechtlich notwendige Bekämpfung des Coronavirus SARS- CoV-2, das sich seit Februar 2020 epidemisch in Deutschland verbreitet und mithilfe der Regelungen in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung an einer raschen Ausbreitung gehindert werden soll [...].“ Auch das Verwaltungsgericht Regensburg hat eine Ausgangssperre im Stadtgebiet Passau, wonach das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes erlaubt ist, im Wege der Allgemeinverfügung für zulässig erachtet.8 Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum im Stadtgebiet Jena zu bestimmten Uhrzeiten auf ausdrücklich benannten Straßen, Wegen und Plätzen sowie Haltestellenbereichen durch eine Allgemeinverfügung hielt zudem der vorläufigen Überprüfung des Verwaltungsgerichts Gera stand.9 Zu berücksichtigen ist, dass alle hier zitierten Entscheidungen Beschlüsse im Eilverfahren sind, in denen nur eine vorläufige Entscheidung auf Grundlage einer summarischen Überprüfung stattgefunden hat. Festzuhalten ist, dass die Beurteilung der Frage, ob die Allgemeinverfügung als Handlungsform für den Erlass von Schutzmaßnahmen in Betracht kommt, vom konkreten Regelungsgegenstand abhängig ist. Darüber hinaus kommt es für die Rechtsmäßigkeit einer Allgemeinverfügung, die in Freiheitsrechte eingreift, darauf an, dass diese dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhält. Dieser verlangt, dass die Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt und überdies geeignet, erforderlich und angemessen ist. Ob dies der Fall ist, kann nur anhand des Einzelfalles beurteilt werden. *** 5 VG Aachen, Beschluss vom 23.12.2020, 7 L 951/20, bisher liegt nur die Pressemitteilung des VG Aachen vor. 6 VG München, Beschluss vom 24.03.2020, M 26 S 20.1255, juris Rn. 22. 7 VGH München, Beschluss vom 30.03.2020, 20 CS 20.611, NJW 2020, 1240 (1241). 8 VG Regensburg, Beschluss vom 2.12.2020, RN 14 S 20.2948, juris Rn. 64. 9 VG Gera, Beschluss vom 1.12.2020, 3 E 1801/20; juris Rn 24.