Deutscher Bundestag Einsatz von IMSI-Catchern und Funkzellenabfragen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 295/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 2 Einsatz von IMSI-Catchern und Funkzellenabfragen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 295/11 Abschluss der Arbeit: 29. September 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Hintergrund und Fragestellung 5 3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 6 3.1. Grundrechtseingriff 6 3.1.1. Fernmeldegeheimnis 6 3.1.2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung 7 3.1.3. Versammlungsfreiheit 7 3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 8 3.2.1. Bestimmtheitsgrundsatz 8 3.2.2. Legitimer Zweck 9 3.2.3. Geeignetheit 9 3.2.4. Erforderlichkeit 9 3.2.5. Angemessenheit 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 4 1. Zusammenfassung Funkzellenabfragen greifen in das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Darüber hinaus kann ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit vorliegen, wenn man einen Einschüchterungseffekt auf (potentielle) Versammlungsteilnehmer bejaht. Dies gilt auch für den Einsatz von IMSI-Catchern, die darüber hinaus auch in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, mangels Bezugs zu einem konkreten Kommunikationsvorgang aber nicht in das Fernmeldegeheimnis eingreifen. In der Literatur wird die Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von IMSI-Catchern zur Terrorismusbekämpfung im BKA-Gesetz als zu unbestimmt kritisiert. Gegen die Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe bestehen keine Bedenken, soweit sie die zu ermittelnden Straftäter bzw. „Störer“ betrifft. Problematisch ist hingegen der Umstand, dass es technisch bedingt zu einer großen Anzahl von Grundrechtseingriffen gegenüber unbeteiligten Dritten (z.B. Anwohnern) kommt. Dies kann dazu führen, dass eine Maßnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist und nicht durchgeführt werden darf. Die Regelungen der StPO über die Benachrichtigung unbeteiligter Dritter sind derzeit so ausgestaltet , dass regelmäßig eine Benachrichtigung unterbleiben kann und Drittbetroffene mangels Kenntnis keinen Rechtsschutz suchen. Dies erscheint angesichts des Ausmaßes der Drittbetroffenheit problematisch. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 5 2. Hintergrund und Fragestellung Am 19. Februar 2011 fanden in Dresden Demonstrationen gegen drei von Gruppen aus dem rechten Lager angemeldete Aufmärsche statt. Anlässlich dieser Gegendemonstrationen kam es zu einer umstrittenen umfangreichen Erfassung von Handydaten durch die Polizei.1 Dieser auch „Handygate“ bezeichnete Vorfall führte u.a. zum Rücktritt des Dresdner Polizeipräsidenten. Mittlerweile liegt ein Untersuchungsbericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten zu den Vorgängen am 19. Februar 2011 vor.2 Ferner hat die Sächsische Landesregierung jüngst einen Entwurf für ein Gesetz zur Neuregelung der nichtindividualisierten Verkehrsdatenerhebung in den Bundesrat eingebracht.3 Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordert in einer Entschließung vom 27. Juli 2011 eine Einschränkung der sog. Funkzellenabfrage.4 Funkzellenabfragen sind ein Instrument, um in einem räumlich und zeitlich begrenzten Gebiet Telekommunikationsdaten zu erheben. Hierzu zählen technische Informationen über die betreffende Funkzelle, Daten der Kommunikation nach Tag, Monat, Jahr, Uhrzeit, Dauer und Art (ankommend , ausgehend, SMS, MMS, Interneteinwahl) sowie die Telefonnummer der Teilnehmer in der Funkzelle und die der angerufenen Personen.5 IMSI-Catcher sind Geräte, mit denen die individuelle Nummer einer Mobilfunkkarte bzw. die individuelle Gerätenummer eines Mobiltelefons sowie der jeweilige Standort ermittelt werden können. Hierfür simuliert der IMSI-Catcher eine Mobilfunkzelle und veranlasst dadurch Handys in der Umgebung sich in dieser Funkzelle anzumelden. Vor diesem Hintergrund stellen sich folgende Fragen: Sind die bundesrechtlichen Regelungen zur Funkzellenabfrage und zum Einsatz von IMSI- Catchern, z.B. §§ 100g Abs. 2, 100i Strafprozessordnung (StPO)6; § 20n Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG)7, §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 4 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)8, § 3 BND-Gesetz 1 Vgl. aus der umfangreichen Berichterstattung, Mal eben ausgespäht, TAZ vom 19. Juni 2011; Offensive gegen Riesendatenberge, SZ vom 7. Juli 2011. 2 LT-Drs. 5/6787. 3 BR-Drs. 532/11. 4 Abrufbar unter: http://www.saechsdsb.de/ueberblick-alle-themen/418-entschliessung-derdatenschutzbeauftragten -des-bundes-und-der-laender-vom-27-juli-2011 (abgerufen am 14. September 2011). 5 Zu den Details, Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten (Fn. 2), S. 9. 6 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 23. Juni 2011 (BGBl. I S. 1266) geändert worden ist. 7 Bundeskriminalamtgesetz vom 7. Juli 1997 (BGBl. I S. 1650), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 6. Juni 2009 (BGBl. I S. 1226) geändert worden ist. 8 Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), das zuletzt durch Artikel 1a des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2499) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 6 (BNDG)9; § 5 MAD-Gesetz (MADG)10 mit den Grundrechten auf Telekommunikationsfreiheit, informationelle Selbstbestimmung und Demonstrationsfreiheit vereinbar? Besteht aus verfassungsrechtlichen Gründen Bedarf für eine Änderung der entsprechenden Bestimmungen , z.B. hinsichtlich Anwendungsumfang, Bestimmtheit oder Benachrichtigungspraxis? 3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Der Einsatz von IMSI-Catchern und Funkzellenabfragen könnte gegen das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Versammlungsfreiheit verstoßen. 3.1. Grundrechtseingriff 3.1.1. Fernmeldegeheimnis Das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG schützt die Vertraulichkeit der Fernmeldekommunikation gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter.11 Dazu zählt in erster Linie der Schutz der Kommunikationsinhalte.12 Funkzellenabfragen bzw. IMSI-Catcher dienen nicht der Erfassung der ausgetauschten Informationsinhalte, insoweit ist das Fernmeldegeheimnis nicht betroffen. Allerdings unterfallen auch die näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs dem Fernmeldegeheimnis . Hierzu zählen die Informationen über die Teilnehmer, Anschlüsse und Nummern, über die die Teilnehmer miteinander in Kontakt treten. Die Erfassung derartiger Daten ist das Ziel einer Funkzellenabfrage, so dass ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis vorliegt. Anders zu beurteilen ist der Einsatz von IMSI-Catchern, da hierüber keine Daten über Kommunikationsvorgänge zwischen Mobilfunkteilnehmern erfasst werden, sondern der IMSI-Catcher der Ermittlung des Standorts eines Mobiltelefons dient. Dies geschieht wiederum über einen Austausch von Daten zwischen Mobiltelefon und IMSI-Catcher, ohne dass eine Telefongespräch oder SMS-Versand stattfindet. Nach einem Beschluss des BVerfG vom 22. August 200613 fällt diese Art der Datenerfassung nicht unter das Fernmeldegeheimnis. 9 BND-Gesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2979), das zuletzt durch Artikel 1b des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2499) geändert worden ist. 10 MAD-Gesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2977), das zuletzt durch Artikel 3 u. 10 Absatz 2 des Gesetzes vom 5. Januar 2007 (BGBl. I S. 2) geändert worden ist. 11 Gusy in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 1, 6. Auflage, 2010, Art. 10 Rdnr. 45. 12 BVerfGE 67, 157, 172; 85, 386, 396. 13 BVerfG 2. Senat, 1. Kammer, NJW 2007, 351 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 7 3.1.2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung Funkzellenabfragen und der Einsatz von IMSI-Catchern könnten in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Dieses vom BVerfG als Ausprägung des in Art. 1 und 2 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts entwickelte „Datenschutzgrundrecht“ gewährleistet – unabhängig vom Vorliegen einer Kommunikation – die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen und zu entscheiden , wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden .14 Zudem müssen Betroffene wissen können, wer, was, wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Durch eine Funkzellenabfrage werden zahlreiche Daten über die Mobilfunkteilnehmer, die sich in der jeweiligen Funkzelle aufhalten, gesammelt. Dies geschieht notwendigerweise verdeckt, so dass die Betroffenen nicht über die Preisgabe ihrer Daten entscheiden können. Funkzellenabfragen greifen folglich auch in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dies dürfte auch für den Einsatz von IMSI-Catchern gelten, da hierdurch die individuellen Gerätedaten von Mobiltelefonen, die sich in der simulierten Funkzelle aufhalten, gesammelt werden .15 Über die Netzbetreiber ist eine Identifizierung der Mobilfunkbesitzer möglich. Die Datenpreisgabe an einen IMSI-Catcher geschieht verdeckt und ohne Einflussmöglichkeit der betroffenen Mobiltelefonbesitzer. 3.1.3. Versammlungsfreiheit Darüber hinaus könnte auch die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG betroffen sein, da staatliche Datenerhebung bei Versammlungen einen Einschüchterungseffekt haben kann. So hat das VG Münster für polizeiliche Videoaufnahmen angenommen, dass Versammlungsteilnehmer sich durch die Präsenz einer Kamera veranlasst sehen könnten, von ihrem Versammlungsrecht nicht mehr oder nicht in vollem Umfang Gebrauch zu machen.16 Zwar ist für einen Versammlungsteilnehmer im Gegensatz zur Videoüberwachung nicht erkennbar, ob eine Funkzellenabfrage stattfindet oder ein IMSI-Catcher eingesetzt wird, dies spricht jedoch nicht gegen einen Einschüchterungseffekt dieser Maßnahmen. Es ließe sich sogar gegenteilig argumentieren, dass gerade die Möglichkeit einer verdeckten Datenerhebung Verunsicherung bei Versammlungsteilnehmern stiften kann. Jedenfalls dürfte ein Einschüchterungseffekt und damit ein Grundrechtseingriff vorliegen, wenn sich Funkzellenabfragen und der Einsatz von IMSI-Catchern in der Praxis etablieren und Versammlungsteilnehmer regelmäßig bzw. bei bestimmten Arten von Versammlungen damit rechnen müssen, dass ihre Mobilfunkdaten heimlich erfasst werden. 14 BVerfGE 65, 1 ff. 15 Harnisch/Pohlmann, Der Einsatz des IMSI-Catchers zur Terrorismusbekämpfumg durch das Bundeskriminalamt , NVwZ 2009, 1328, 1330. 16 VG Münster, NWVBl. 2009, 487f.; Gusy (Fn. 11), Art. 8 Rdnr. 70. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 8 3.2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Funkzellenabfragen bzw. der Einsatz von IMSI-Catchern erfolgen auf Grundlage der unter 1. genannten gesetzlichen Vorschriften und könnten dadurch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. An der formellen Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschriften bestehen keine Zweifel. In materieller Hinsicht müssten die Regelungen dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen, einen legitimen Zweck verfolgen und verhältnismäßig sein. 3.2.1. Bestimmtheitsgrundsatz Die Befugnisnormen müssen dem Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung tragen, d.h. sie müssen Anlass , Zweck und Grenzen der Eingriffsbefugnis klar festlegen. Der Bürger muss erkennen können, unter welchen Voraussetzungen eine Erfassung seiner Mobilfunkdaten möglich ist.17 Unter diesem Gesichtspunkt wird in der Literatur die Ermächtigungsgrundlage des § 20n BKAG kritisiert.18 Nach §§ 20n Abs. 1, 20l Abs. 1 Nr. 2 BKAG ist der Einsatz von IMSI-Catchern zulässig , wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten nach § 4a Abs. 1 S. 2 BKAG (§§ 129a Abs. 1 und 2 StGB, Bildung terroristischer Vereinigungen) vorbereitet werden. Es wird jedoch nicht näher bestimmt, wann eine derartige (straffreie) Vorbereitungshandlung angenommen werden kann. Die Einschätzung, welche Tatsachen für eine Begründung der Annahme, dass Straftaten vorbereitet werden, ausreichen, obliegt allein dem BKA. Der Gesetzgeber hat es unterlassen, konkretere Vorgaben, etwa durch Definitionen oder Regelbeispiele, festzuschreiben. Derartige Vorgaben sind regelungstechnisch durchaus möglich, wie die Regelung in § 23a Abs. 2 Zollfahndungsdienstgesetz19 zeigt. Darin werden beispielhaft bestimmte Handlungen als Vorbereitungshandlungen benannt: „Vorbereitung von Straftaten im Sinne von Absatz 1 Satz 1 ist eine Handlung, die darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen, das geschützte Rechtsgut aber nicht unmittelbar gefährdet. Insbesondere fallen darunter das Führen von Verhandlungen über die Lieferung von Gütern oder das Erbringen von Dienstleistungen, das Anbieten, der Erwerb, die Herstellung oder die Überlassung von Gütern, das Anbieten von Dienstleistungen, die Beschaffung von Transportmitteln für die Lieferung von Gütern oder das Anwerben von Teilnehmern, soweit dies der Begehung der Straftat nützlich sein soll.“ Es ließe sich aber wohl auch argumentieren, dass die Ermächtigungsgrundlage aus §§ 20n Abs. 1, 20l Abs. 1 Nr. 2 BKAG noch dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt, da der Begriff „bestimmte Tatsachen “ das Vorliegen mehrerer Tatsachen, also dem Beweis zugänglicher Umstände, fordert und bloße Spekulationen nicht ausreichen lässt. 17 Vgl. BVerfGE 113, 348, 375ff.. 18 Harnisch/Pohlmann (Fn. 15) S. 1331. 19 Zollfahndungsdienstgesetz vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. April 2011 (BGBl. I S. 617) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 9 Jedenfalls wäre eine nähere Konkretisierung der Eingriffsgrundlage geeignet, Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz auszuräumen. Hinsichtlich der weiteren Ermächtigungsgrundlagen zum Einsatz von IMSI-Catchern bzw. für Funkzellenabfragen bestehen keine Bedenken an der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz . 3.2.2. Legitimer Zweck Die Ermächtigungsgrundlagen dienen der Verfolgung legitimer Zwecke. Zu nennen sind insbesondere Zwecke der Strafverfolgung und die Verhütung von Straftaten sowie die Wahrung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und Sicherung des Bestandes des Staates und seiner Einrichtungen. 3.2.3. Geeignetheit Funkzellenabfragen und der Einsatz von IMSI-Catchern sind geeignet, die genannten Zwecke zu verfolgen, da sie der Informationsgewinnung über Personen dienen, die möglicherweise Straftaten verübt haben oder vorbereiten bzw. zur geheimdienstlichen Aufklärung von Interesse sind. 3.2.4. Erforderlichkeit Die Ermächtigungsgrundlagen müssten zudem erforderlich sein, d.h. es dürften keine milderen gleich geeigneten Mittel zur Erreichung des Zwecks zur Verfügung stehen. Mildere aber gleich geeignete Mittel, um die Informationen über den Standort von Mobiltelefonen bzw. der Kommunikationsvorgänge zu gewinnen, sind nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Anwendung der Instrumente im Einzelfall wird Kriterium der Erforderlichkeit in den Ermächtigungsgrundlagen ausdrücklich als Voraussetzung benannt: § 20g Abs. 1 BKAG: „wenn die Abwehr der Gefahr oder die Verhütung der Straftaten auf andere Weise aussichtslos ist oder wesentlich erschwert wäre“ § 3 BNDG: „dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist“ § 8a Abs. 2 BVerfSchG: „soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist“ § 5 MADG: „soweit es zur Erfüllung seiner Aufgaben nach § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 sowie zur Erforschung der dazu erforderlichen Quellen (…) erforderlich ist“ § 100g Abs. 1 StPO: „soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich ist“ Die jeweiligen Ermächtigungsgrundlagen verpflichten die zuständigen Behörden demnach, im Einzelfall die Erforderlichkeit einer Maßnahme zu prüfen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 10 3.2.5. Angemessenheit Schließlich dürften die durch Funkzellenabfragen und IMSI-Catcher verursachten Grundrechtseingriffe nicht außer Verhältnis zu den genannten Zwecke stehen. Bei diesen Zwecken handelt es sich um bedeutende Belange des Gemeinwohls, die einen Eingriff in die Grundrechtspositionen eines Straftäters bzw. „Störers“ – wie auch bei anderen polizeilichen oder geheimdienstlichen Ermittlungsmaßnahmen – zu rechtfertigen vermögen. Problematisch ist hingegen der Umstand, dass technisch bedingt zahlreiche Daten unbeteiligter Dritter erhoben werden, die sich ebenfalls in der Funkzelle bzw. in der vom IMSI-Catcher simulierten Funkzelle aufhalten. Dies betrifft sowohl andere Versammlungsteilnehmer als auch Anwohner , deren Mobiltelefon sich in der Wohnung befindet. Um Grundrechtseingriffe Drittbetroffener abzumildern, hat der Gesetzgeber u.a. in § 101 StPO Benachrichtigungspflichten geregelt. Danach sind grundsätzlich die Kommunikationsteilnehmer, deren Daten durch eine Funkzellenabfrage erfasst wurden, zu benachrichtigen und auf die Möglichkeit eines nachträglichen Rechtsschutzes nach § 101 Abs. 7 StPO hinzuweisen. Allerdings kann diese Benachrichtigung unterbleiben, wenn eine Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, nur unerheblich betroffen war und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Diese Regelung erscheint mit Blick auf die Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung problematisch, da sie im Ergebnis dazu führen dürfte, dass Drittbetroffene einer Funkzellenabfrage regelmäßig nicht informiert werden und somit eine große Anzahl von Grundrechtseingriffen unentdeckt bleibt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht könnte insoweit über eine Änderung der Benachrichtigungsregeln bzw. –praxis nachgedacht werden. Der Sächsische Vorschlag für eine Änderung der StPO sieht bspw. vor, dass in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft von der Benachrichtigung der Betroffenen absehen möchte, sie stattdessen den zuständigen Datenschutzbeauftragten informieren muss. In der Gesetzesbegründung zu Funkzellenabfragen nach § 100g Abs. 2 S. 2 StPO wird ausdrücklich auf die Problematik der Drittbetroffenen hingewiesen. Es sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, inwieweit Dritte von der Maßnahme mit betroffen werden. Im Einzelfall könne dies eine zeitliche und örtliche Begrenzung erforderlich machen oder dazu führen, dass eine Maßnahme unterbleiben muss.20 Die Ermächtigungsgrundlagen sind jeweils als Ermessenvorschriften ausgestaltet, so dass eine Berücksichtigung der Belange unbeteiligter Dritter erfolgen kann. Dies spricht für die Angemessenheit der gesetzlichen Regelungen. Im Einzelfall kann das Ausmaß der Drittbetroffenheit allerdings sehr groß sein, wie die Vorfälle in Dresden zeigen. Hier wurden durch mehrere Funkzellenabfragen 896.027 Verkehrsdatensätze 20 BT-Drs. 16/5846 S. 55. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 295/11 Seite 11 und 257.858 Rufnummern erfasst.21 Nach Einschätzung des Sächsischen Datenschutzbeauftragen waren diese Maßnahmen unverhältnismäßig.22 Im Ergebnis dürften die Ermächtigungsgrundlagen für Funkzellenabfragen und den Einsatz von IMSI-Catchern verhältnismäßig sein und auch eine verhältnismäßige Anwendung dieser Instrumente in der Praxis ermöglichen. Sofern sich jedoch in der behördlichen Praxis eine unverhältnismäßige Anwendung etablieren sollte, wären restriktivere Vorschriften über die Zulässigkeit der Datenerhebung und die Benachrichtigungspraxis gegenüber Drittbetroffenen zu erwägen. 21 Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten (Fn. 2), S. 4. 22 Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten (Fn. 2), S. 42 ff.