Deutscher Bundestag Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 3 EUV - Ratifizierungsverfahren in den EU-Mitgliedstaaten Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD) Dies gilt für den ersten Absatz auf Seite 4 dieser Ausarbeitung. Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 –290/15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 2 Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 3 EUV - Ratifizierungsverfahren in den EU-Mitgliedstaaten Aktenzeichen: WD 3 – 3000 –290/15 Abschluss der Arbeit: 21. Januar 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: +49-30-227-32325 Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zusammenfassung 5 3. Antworten aus den Mitgliedstaaten 6 3.1. Belgien 6 3.2. Dänemark 6 3.3. Deutschland 7 3.4. Estland 8 3.5. Finnland 8 3.6. Frankreich 8 3.7. Griechenland 9 3.8. Irland 9 3.9. Kroatien 10 3.10. Lettland 10 3.11. Litauen 11 3.12. Niederlande 11 3.13. Österreich 12 3.14. Polen 12 3.15. Portugal 13 3.16. Rumänien 13 3.17. Schweden 14 3.18. Slowakische Republik 15 3.19. Slowenien 15 3.20. Spanien 16 3.21. Tschechische Republik 16 3.22. Ungarn 17 3.23. Vereinigtes Königreich 17 3.24. Zypern 17 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 4 1. Einleitung Am 22. Juni 2015 haben fünf Präsidenten europäischer Institutionen und Einrichtungen, d.h. der Präsident der Europäischen Kommission, der Präsident des Euro-Gipfels, der Präsident der Euro- Gruppe, der Präsident der Europäischen Zentralbank und der Präsident des Europäischen Parlaments einen Plan vorgelegt, wie die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) bis 2025 vollendet werden soll.1 Vor diesem Hintergrund ist die Frage gestellt worden, wie die Veränderungen der Europäischen Verträge im ordentlichen Änderungsverfahren in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert werden und ob gerade bei den im 5-Präsidenten-Plan vorgeschlagenen Änderungen dafür in den Mitgliedstaaten eine Befragung der Bevölkerung (Referendum) oder eine Verfassungsänderung notwendig wäre.3 Diese Fragen wurden an alle Parlamente in den Mitgliedstaaten weitergeleitet.4 Daraufhin sind Antworten aus insgesamt 23 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingegangen. Es handelt sich dabei um Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Kroatien, Irland, Lettland, Litauen, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Slowakei, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn, das Vereinigte Königreich und Zypern. Die Antworten von Bulgarien, Italien, Luxemburg und Malta stehen noch aus. Sollten die Antworten noch eingehen, werden sie nachgereicht. Die nachfolgenden Erläuterungen zu den einzelnen Staaten geben ausschließlich die übersetzten und überwiegend zusammengefassten Antworten der jeweiligen Parlamente wieder. Weitere Informationsquellen wurden nicht genutzt. 1 Im Internet aufrufbar unter: http://ec.europa.eu/priorities/economic-monetary-union/docs/5-presidents-report _de.pdf.; vgl. dazu auch die Schorkopf, Zukunftsorientierung oder Realitätsleugnung? Der Präsidentenbericht zur Reform der Europäischen Union, ZSE 2015, 356. 2 Ebenso: Schorkopf, Zukunftsorientierung oder Realitätsleugnung ? Der Präsidentenbericht zur Reform der Europäischen Union, ZSE 2015, 356, 372. 3 Die erste Frage dieses Auftrags zum Ablauf des Europäischen Konvents nach Art. 48 Abs. 3 EUV wurde bereits vom Referat PE 6 Europa in einem gesonderten Gutachten beantwortet. 4 Den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages wurde bereits im Jahr 2011 eine ähnliche Frage vorgelegt. Auf der Basis dieser Antworten wurde das Gutachten WD 3 – 393/11 erstellt. Da dies aber nunmehr rund vier Jahre alt ist, bat der Auftraggeber, eine neue Anfrage zu stellen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 5 2. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der überwiegenden Zahl der Mitgliedstaaten bei einer Übertragung von weiteren Kompetenzen auf die Europäische Union eine qualifizierte Mehrheit für die Zustimmung zu dem Vertrag notwendig ist, z.B. von zwei Dritteln, drei Fünfteln oder auch drei Vierteln der Abgeordneten oder Mitglieder der Parlamente. Nur in Belgien, Estland, Frankreich, Litauen, Portugal und im Vereinigten Königreich ist die einfache Mehrheit ausreichend (teilweise ist dann aber ein Referendum notwendig: Vereinigtes Königreich), soweit die Kompetenzübertragung keine Verfassungsänderung notwendig macht. Eine einfache Vertragsänderung ohne Kompetenzübertragung verlangt in der Regel nur die einfache bzw. absolute Mehrheit . Die Durchführung eines Referendums ist nur in Ausnahmefällen obligatorisch, so in Irland (wenn weitere Kompetenzen übertragen werden) und dem Vereinigten Königreich. Teilweise ist ein Referendum in besonderen Fällen zwingend durchzuführen, z.B. wenn wichtige Fragen des Staates (Litauen, Lettland) betroffen sind oder wenn die Ratifikation nur mit einer Änderung der Verfassung möglich ist (Estland, Frankreich, Schweden, Tschechische Republik). Umstritten ist die Frage der Erforderlichkeit eines Referendums in Österreich. Fakultativ können Referenden, oft auf entsprechenden Beschluss des Parlaments in Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland , Kroatien, Polen, Rumänien, Schweden, Slowenien und in Spanien durchgeführt werden. Nur in Belgien, Deutschland, Ungarn und Zypern besteht in solchen Fällen nicht die Möglichkeit , Referenden abzuhalten. Zu der Frage, ob die im 5-Präsidenten-Plan vorgeschlagenen Maßnahmen Verfassungsänderungen erfordern würden, konnte die überwiegende Zahl der Parlamente keine Aussage machen, da die Pläne derzeit noch nicht konkret ausgehandelt und ausformuliert seien. Die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung wird eher in Frankreich, Österreich, Polen, Portugal, Schweden und der Tschechischen Republik gesehen. In der Antwort aus Griechenland wird eine Verfassungsänderung für eher unwahrscheinlich gehalten. In der Aussage aus dem Vereinigten Königreich wird ausgeführt, dass das verfahrensmäßige Vorgehen des Unterhauses in Bezug auf den 5-Präsidenten -Plan darauf schließen lässt, dass sein Inhalt im Unterhaus als nicht unproblematisch angesehen wird. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 6 3. Antworten aus den Mitgliedstaaten 3.1. Belgien Die Änderung der Europäischen Verträge bedarf in Belgien der Zustimmung der Abgeordnetenkammer mit einfacher Mehrheit.5 Mit der sechsten Staatsreform vom 25. Mai 2014 wurde die vormals auch notwendige Zustimmung des Senats zu solchen Verträgen abgeschafft. Soweit ein völkerrechtlicher Vertrag (auch) in den Kompetenzbereich der belgischen Regionalparlamente fällt, müssen auch diese dem Vertrag nach Maßgabe der belgischen Verfassung zustimmen. Bezieht sich ein völkerrechtlicher Vertrag allein auf den Kompetenzbereich einer Region, so kann diese Region den Vertrag selbst abschließen. Durch Art. 34 der Verfassung wird eine weitere Übertragung von bestimmten Hoheitsrechten auf die Europäische Union ermöglicht. Nach der Rechtsprechung des obersten belgischen Gerichts ist eine Verfassungsänderung nur notwendig, wenn und soweit die Vertragsbestimmungen über die Übertragung dieser genannten Hoheitsrechte hinausgehen und diese Vertragsbestimmungen gegen andere Verfassungsregeln verstoßen, die sich nicht auf die Ausübung der Hoheitsgewalt beziehen . Ist eine Verfassungsänderung notwendig, bedarf sie der doppelten Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern: Bei einer notwendigen Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder jeder Kammer müssen jeweils mindestens zwei Drittel der abgegebenen Stimmen für die Änderung stimmen. Die Durchführung von Referenden ist in der belgischen Verfassung nicht vorgesehen. 3.2. Dänemark Änderungen der Europäischen Verträge unterliegen in Dänemark der Zustimmung des Parlaments , das grundsätzlich mit einfacher Mehrheit entscheidet. Werden durch die Änderungen Hoheitsrechte auf internationale Organisationen übertragen, müssen dem entsprechenden Zustimmungsgesetz mindestens fünf Sechstel der Mitglieder des Parlaments zustimmen.6 Falls dieses Quorum verfehlt wird, das Gesetz aber mit der einfachen Mehrheit im Parlament angenommen wurde und die Regierung an ihm festhalten will, muss sie das entsprechende Zustimmungsgesetz den Wählern in einem Referendum vorlegen. Das Gesetz gilt erst dann als abgelehnt, wenn sich die Mehrheit der Wähler dagegen ausgesprochen hat und diese Mehrheit mindestens 30% der Wahlberechtigten repräsentiert. Vor einer Entscheidung über die geplanten Änderungen der Europäischen Verträge erstellt das dänische Justizministerium einen Bericht zu der Frage, ob mit der Vertragsänderung eine Übertragung von Hoheitsrechten einhergeht und ob dafür eine Verfassungsänderung notwendig ist. 5 Art. 167 § 2, Art. 53 Verfassung des Königreichs Belgien. 6 § 20 Verfassung des Königreichs Dänemark. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 7 Werden mit den im 5-Präsidenten-Plan vorgeschlagenen Änderungen die Kompetenzen der Union in den relevanten Politikbereichen geändert oder erweitert, würde sich dies auf die erforderliche Mehrheit für die Ratifikation der Vertragsänderungen auswirken. Die Einzelheiten hängen von der Natur der konkret vorgeschlagenen Änderungen ab. 3.3. Deutschland Eine Änderung der Europäischen Verträge im ordentlichen Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV unterliegt in Deutschland der Ratifikation durch den Bundestag und der Zustimmung des Bundesrates.7 Soweit das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, bedarf diese Änderung der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.8 Auch ein mit diesen Mehrheiten beschlossenes Zustimmungsgesetz unterliegt inhaltlichen Beschränkungen. So darf die Identität der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch eine entsprechende Vertragsänderung nicht aufgehoben werden. Zur von der Ewigkeitsklausel geschützten Identität Deutschlands gehören die föderale Gestaltung, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung, ihre demokratische, rechts- und sozialstaatliche Struktur sowie ihre Bindung an die Menschenrechte.9 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon (2009) entschieden, dass der wesentliche Kern der Hoheitsrechte, die die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse in Deutschland gestalten, nicht auf die Europäische Union übertragen werden darf.10 In einer weiteren Entscheidung (2010) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass der Bundestag stets die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten müsse und damit die so genannte Budgethoheit ebenfalls nicht auf die Europäische Union oder auf eine intergouvernementale Einrichtung übertragen werden dürfe.11 In den Entscheidungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus hat das Gericht die möglichen deutschen Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 190,0248 Milliarden Euro unter den in der Entscheidung genannten Voraussetzungen nicht als eine Verletzung der Budgethoheit des Bundestages angesehen.12 7 Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG. 8 Art. 23 Abs. 1 Satz 3, Art. 79 Abs. 2 und Abs. 3 GG. 9 Art. 79 Abs. 3 GG. 10 BVerfGE 123, 267, 350 ff. Zu diesen wesentlichen Hoheitsrechten zählt das Gericht die Staatsbürgerschaft, das materielle und formelle Strafrecht, die Verfügung über das Gewaltmonopol polizeilich nach innen und militärisch nach außen, die fiskalischen Grundentscheidungen über Einnahmen und – gerade auch sozialpolitisch motivierte – Ausgaben der öffentlichen Hand, die sozialstaatliche Gestaltung von Lebensverhältnissen und kulturell besonders bedeutsame Entscheidungen etwa im Familienrecht, Schul- und Bildungssystem oder über den Umgang mit religiösen Gemeinschaften. 11 BVerfGE 129, 124, 178ff, – Griechenland-Hilfe/Euro-Rettungsschirm. 12 BVerfGE 132, 195 – Europäischer Stabilitätsmechanismus/Eilverfahren; BVerfGE 135, 137 - Europäischer Stabilitätsmechanismus /Hauptsache. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 8 3.4. Estland Der Abschluss und die Änderung der Europäischen Verträge (wie auch anderer völkerrechtlicher Verträge) sind in Estland von der Zustimmung des Parlaments mit einfacher Mehrheit abhängig.13 Ein Referendum ist grundsätzlich nicht erforderlich. Falls eine Änderung der Europäischen Verträge allerdings zu einem Verstoß gegen die estnische Verfassung führen würde, wäre ein Referendum vor der Ratifizierung durch das Parlament notwendig . 3.5. Finnland Änderungen der Europäischen Verträge werden durch das finnische Parlament ratifiziert. Die erforderliche Mehrheit ist abhängig vom Inhalt der jeweiligen Vertragsänderungen, in den meisten Fällen ist eine einfache Mehrheit ausreichend. In Finnland gibt es keine Mindestanforderungen an die Beschlussfähigkeit des Parlaments. Nach Art. 95 der finnischen Verfassung benötigen Verträge und Vertragsänderungen, die sich auf die Vorschriften der Verfassung auswirken, das Gebiet der Republik ändern oder eine signifikante Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU bedeuten , eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Würde sich die Frage ergeben, ob ein Vertrag oder eine Vertragsänderung mit der Verfassung im Einklang stehen, würde der Verfassungsrechtsausschuss um ein Gutachten gebeten werden. Der Ausschuss würde in einer „quasi-gerichtlichen “ Funktion eine bindende Aussage darüber treffen, ob der Vertrag bzw. die Vertragsänderung von der finnischen Verfassung abweichen oder ob es sich dabei um eine „signifikante“ Übertragung von Hoheitsrechten handeln würde, und daher die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Parlaments notwendig ist. Wäre letzteres der Fall und würde eine Vertragsänderung die notwendige Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen erhalten, wird sie als „beschränkte Abweichung von der Verfassung“ wirksam, d.h. es wäre nicht notwendig, den Wortlaut der Verfassung zu ändern. Das Parlament kann beschließen, ein Referendum zu einer Frage abzuhalten, dessen Ergebnis jedoch nicht bindend ist. Bislang gab es lediglich zwei Referenden: 1931 zur Abschaffung der Prohibition und 1994 zur Frage des Beitritts zur Europäischen Union. 3.6. Frankreich Änderungen der Europäischen Verträge müssen in Frankreich durch Gesetz beschlossen werden, das von beiden Kammern – Nationalversammlung und Senat – mit einfacher Mehrheit angenommen werden muss.14 13 Art. 121 Verfassung der Republik Estland. 14 Art. 53 Verfassung der Republik Frankreich. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 9 Ist der Vertrag mit einer Verfassungsänderung verbunden, muss das verfassungsändernde Gesetz mit Mehrheit in beiden Kammern beschlossen werden. Außerdem ist grundsätzlich ein Referendum erforderlich. Dieses wird jedoch nicht durchgeführt, wenn beide Kammern – als Kongress einberufen – dem Änderungsentwurf mit einer Mehrheit von drei Fünfteln zustimmen.15 Aus Art. 88-1 der Verfassung leitet das französische Verfassungsgericht ab, dass es bei jeder Kompetenzübertragung auf die EU, welche die nationale Souveränität oder die „grundlegenden (wörtlich übersetzt: essentiellen) Bedingungen der Ausübung der nationalen Souveränität“ betrifft, einer Verfassungsänderung bedarf.16 Sollten die im 5-Präsidenten-Plan diskutierten Vorschläge umgesetzt werden, könnte eine Verfassungsänderung in Frankreich notwendig werden. 3.7. Griechenland Die Ratifikation von Änderungen der Europäischen Verträge erfolgt in Griechenland durch Parlamentsgesetz , dem drei Fünftel der Mitglieder des Parlaments zustimmen müssen.17 Obligatorische Referenden sieht die griechische Verfassung nicht vor. Hinsichtlich besonders wichtiger nationaler Fragen kann der Präsident der Republik die Durchführung eines Referendums anberaumen , sofern dies zuvor von der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments auf Vorschlag des Ministerrates beschlossen wurde.18 Nach derzeitiger Einschätzung des 5-Präsidenten-Plans würde die Umsetzung der dort beschriebenen Maßnahmen keine Verfassungsänderung notwendig machen, da die entsprechende Übertragung von Hoheitsaufgaben auf die Union von den bestehenden Verfassungsvorgaben (Art. 28 der griechischen Verfassung) wohl gedeckt wäre. 3.8. Irland Einfache Änderungen der Europäischen Verträge bedürfen in Irland der Zustimmung von beiden Kammern des Parlaments. Wenn mit der Änderung eine weitere Übertragung von Kompetenzen auf die Union verbunden ist, muss ein Referendum durchgeführt werden.19 Der Begriff „Kompetenzen “ hat in diesem Zusammenhang eine weite Bedeutung. Es umfasst im Grundsatz alle Politikbereiche , in denen die Union allein oder auch zusammen mit den Mitgliedstaaten (geteilte Kompetenzen) handeln kann. Ein solches Referendum wird im Rahmen des Verfahrens für eine Verfassungsänderung abgehalten. Nach Art. 46 der irischen Verfassung muss der Vorschlag, die Verfassung zu ändern, als Gesetzentwurf in das irische Unterhaus eingebracht werden. Wenn beide Kammern des irischen Parlaments diesem Entwurf zustimmen, muss es der Bevölkerung zur Abstimmung als Referendum vorgelegt werden. Stimmt die Mehrheit für die Verfassungsänderung (und damit für die Vertragsänderung), wird das Änderungsgesetz vom irischen Präsidenten unterschrieben. 15 Art. 89 Verfassung der Republik Frankreich. 16 Entscheidung Nr. 2007-560 DC des Conseil Constitutionnelle vom 20. 12. 2007 über den Vertrag von Lissabon. 17 Art. 28 Abs. 2 Verfassung der Republik Griechenland. Ausweislich einer Interpretationsklausel in der Verfassung stellt Art. 28 die Grundlage für die Mitgliedschaft Griechenlands in der Europäischen Union dar. 18 Art. 44 Abs. 2 Verfassung der Republik Griechenland. 19 Vgl. Entscheidung Crotty v An Taoiseach [1987] Irish Reports 713. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 10 Da die Einzelheiten der im 5-Präsidenten-Plan beschriebenen Vorschläge noch nicht bekannt sind, kann noch nicht abgesehen werden, ob im Rahmen einer auf dieser Basis notwendigen Vertragsänderung ein Referendum durchzuführen wäre. Dies wird von der Natur und der Form der dann vorgeschlagenen Änderungen abhängen. Zum Beispiel musste im Rahmen der Ratifizierung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Vertrag zur Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus ) kein Referendum durchgeführt werden. Es war jedoch für die Ratifizierung des Europäischen Fiskalpaktes (Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts - und Währungsunion) notwendig. 3.9. Kroatien Verträge, durch die der Europäischen Union oder anderen internationalen Organisationen Kompetenzen der kroatischen Verfassung übertragen werden, bedürfen einer zustimmenden Mehrheitsentscheidung von zwei Dritteln der Abgeordneten des Parlaments.20 Dies gilt auch bei einer Änderung der entsprechenden Verträge.21 Ein Referendum ist nicht vorgeschrieben. Das Parlament kann jedoch die Durchführung eines Referendums über eine geplante Verfassungsänderung, einen Gesetzentwurf oder ähnliche Vorhaben, die in seine Kompetenz fallen, beschließen. Auf entsprechenden Wunsch der Regierung kann der Präsident ebenfalls ein Referendum durchführen , wenn es dabei um eine geplante Änderung der Verfassung oder eine andere Frage geht, die er für die Unabhängigkeit, Einheit und das Bestehen der Republik für bedeutend erachtet.22 Das Parlament soll ein Referendum über diese Fragen ausschreiben, wenn zehn Prozent der Wahlberechtigten der Republik Kroatien es verlangen. In solchen Referenden entscheidet die Mehrheit der Stimmen der teilnehmenden Wahlberechtigten. Diese Entscheidung ist bindend. Über die Entscheidung soll ein Gesetz erlassen werden.23 Aufgrund eines derzeit noch fehlenden konkreten Vorschlags zur Änderung der EU-Verträge (auf der Basis des 5-Präsidenten-Plans) kann nicht beurteilt werden, ob dies die Änderung der kroatischen Verfassung notwendig machen würde. 3.10. Lettland Alle völkerrechtlichen Verträge, die Gegenstände der Gesetzgebung regeln, erfordern eine Ratifikation durch das Parlament. In einem völkerrechtlichen Vertrag darf Lettland einen Teil seiner Hoheitsaufgaben auf internationale Institutionen übertragen. Solche Verträge bedürfen einer qualifizierten Zustimmung des Parlaments: Bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Parlaments müssen mindestens zwei Drittel der anwesenden Mitglieder für die Ratifizierung stimmen. Die Mitgliedschaft von Lettland in der Europäischen Union konnte nur aufgrund eines nationalen Referendums beschlossen werden, das von dem Parlament vorgeschlagen werden musste. Bei substantiellen Änderungen der Verträge der Europäischen Union muss ein nationales Referendum 20 Art. 140 Abs. 2 Verfassung der Republik Kroatien. 21 Art. 140 Abs. 2 der Verfassung i.V.m. Art. 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Parlaments und der Regierung der Republik Kroatien in Europäischen Angelegenheiten. 22 Art. 87 Abs. 1 Abs. 2 Verfassung der Republik Kroatien. 23 Art. 87 Abs. 3 bis Abs. 6 Satz 1 Verfassung der Republik Kroatien. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 11 durchgeführt werden, wenn ein solches Referendum mindestens von der Hälfte der Mitglieder des Parlaments gefordert wird. 3.11. Litauen Änderungen der Europäischen Verträge bedürfen in Litauen der Zustimmung des Parlaments mit einfacher Mehrheit bei Anwesenheit von mindestens zwei Fünfteln seiner Mitglieder24. Nach Art. 9 Abs. 1 und 2 der Verfassung der Republik Litauens sollen allerdings wichtige Fragen des Staates und der Nation durch ein Referendum entschieden werden, das vom Gesetzgeber beschlossen werden kann oder auf Initiative von mindestens 300.000 Wahlberechtigten durchgeführt werden muss. Referenden können bindenden oder konsultativen Charakter haben. Gemäß Art. 4 Abs. 4 des Gesetzes über Referenden soll ein bindendes Referendum über die Frage der Mitgliedschaft Litauens in internationalen Organisationen abgehalten werden. Dies gilt auch, wenn diese Mitgliedschaft mit der teilweisen Übertragung von Kompetenzen auf diese Organisation einhergeht. Litauen hielt anlässlich seines Beitritts zur EU ein Referendum ab. Zusammen mit dem Beitritt zur EU wurde außerdem ein Verfassungsakt zur Mitgliedschaft Litauens in der EU erlassen. Art. 1 dieses Aktes erlaubt die Übertragung von Kompetenzen auf die EU entsprechend den Verträgen der EU und in dem Umfang, in dem Litauen gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten seine Mitgliedschaftsverpflichtungen und -rechte erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt kann die Frage, wie die einzelnen im 5-Präsidenten-Plan dargestellten Maßnahmen in Litauen zu ratifizieren sind, nicht abschließend beantwortet werden. Möglicherweise reicht die „einfache“ Zustimmung des Parlaments. Es ist aber auch möglich, dass ein Referendum durchgeführt oder die Verfassung geändert werden muss. Allerdings bedurften der Vertrag über die Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (auch Fiskalpakt genannt) und die Umsetzung seiner Vorschriften weder eines Referendums noch einer Verfassungsänderung , sondern konnten in dem üblichen Verfahren vom Parlament ratifiziert werden. Es könnte somit sein, dass zur Umsetzung der Maßnahmen des 5-Präsidenten-Plans die „einfache“ Zustimmung des Parlaments genügt. Jedoch könnte das Parlament auch in diesem Falle frei beschließen , ob es über diese Frage ein Referendum abhalten will. 3.12. Niederlande Der Änderung der Europäischen Verträge müssen beide Kammern des niederländischen Parlaments mit absoluter Mehrheit zustimmen.25 Soweit mit der Änderung weitere Hoheitsrechte übertragen werden oder die Änderungen gegen die Verfassung verstoßen, bedarf es zur Annahme eines entsprechenden Gesetzes der Zweidrittelmehrheit der Stimmen in beiden Kammern.26 24 Art. 181 Abs. 1 Geschäftsordnung des Parlaments. 25 Art. 91 Ziff. 1 und 92 Verfassung des Königreichs Niederlanden. Die notwendigen Mehrheiten, die für diese Zustimmung und auch sonst bei der Ratifizierung von völkerrechtlichen Verträgen notwendig sind, sind im niederländischen „Law on Treaty Approval“ festgelegt. Danach ist die absolute Mehrheit in beiden Kammern erforderlich . 26 Art. 91 und 92 Verfassung des Königreichs Niederlanden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 12 Ein Referendum ist nicht notwendig und in der Verfassung auch nicht vorgesehen. Allerdings ist auf der Grundlage eines einmaligen ad-hoc-Gesetzes ein konsultatives Referendum möglich; von dieser Möglichkeit wurde erstmals und bisher einmalig bei der Abstimmung über die Europäische Verfassung im Jahr 2005 – mit negativem Ausgang – Gebrauch gemacht. 3.13. Österreich27 Jede Änderung der EU-Verträge im ordentlichen Vertragsänderungsverfahren gemäß Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV muss in Österreich durch den Nationalrat und den Bundesrat genehmigt werden. Dafür gelten besondere Beschlusserfordernisse, nämlich die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Abgeordneten und eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Die Frage, ob eine Vertragsänderung einer Volksabstimmung gemäß Art. 44 Abs. 3 Bundesverfassungsgesetz (B-VG) unterzogen werden kann oder unterzogen werden muss, ist umstritten. Die Formulierung in Art. 50 Abs. 4 B-VG („unbeschadet“) lässt mehrere Interpretationen zu. Grundsätzlich geht es dabei um die Frage, ob direkt über den Vertragstext abgestimmt werden kann, oder ob es erforderlich ist, ein weiteres Verfassungsgesetz zu schaffen, über welches dann eine Volksabstimmung stattfindet.28 Auch die in dem 5-Präsidenten-Plan angesprochenen Vertragsänderungen würden die Ratifikationserfordernisse nicht verändern. Allerdings könnte es möglich sein, dass eine dieser Vertragsänderungen eine „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG bewirkt.29 In diesem Fall wäre eine Volksabstimmung (Referendum) zwingend erforderlich. Auch hierbei stellt sich die Frage, ob dies unmittelbar über den Vertrag oder mittelbar über ein Verfassungsgesetz erfolgen müsste. Weitere Änderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes und allenfalls anderer Bundesverfassungsgesetze würden wahrscheinlich nötig sein. Im Unterschied zu Deutschland ist eine Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes und weiterer Bundesverfassungsgesetze in Österreich aber relativ einfach möglich und geschieht regelmäßig. Aber auch in diesem Fall wäre zu prüfen, ob nicht die erforderlichen Verfassungsänderungen zu einer Gesamtänderung führen würden. 3.14. Polen Wird durch einen völkerrechtlichen Vertrag staatliche Gewalt auf eine internationale Organisation übertragen, bedarf es zur Ratifikation eines Gesetzes, dem beide Kammern des Parlamentes (Sejm und Senat) zustimmen müssen. Für das Gesetz müssen jeweils zwei Drittel der anwesenden Mitglieder stimmen, wobei jeweils mindestens die Hälfte der gesetzlichen Mitglieder der beiden Kammern anwesend sein muss.30 Es ist davon auszugehen, dass für die im 5-Präsidenten-Plan 27 Es handelt sich bei den Ausführungen um die leicht gekürzte Originalantwort des österreichischen Nationalrates, die in deutscher Sprache eingereicht wurde. 28 Zu den Gründen für diese Diskussion siehe Siess-Scherz, Staatsverträge und Bundesverfassung, in: Lienbacher /Wielinger (Hrsg.), Öffentliches Recht. Jahrbuch 2009, Wien 2009, S. 77. 29 Zur Frage der Gesamtänderung im Überblick Öhlinger, Verfassungsrecht, facultas: Wien 2009, Rn. 62 ff. 30 Art. 90 Abs. 1 Verfassung der Republik Polen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 13 dargestellten Maßnahmen und Vertragsänderungen dieses Ratifikationsverfahren in Polen anzuwenden ist. Der Sejm kann bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder außerdem mit einfacher Mehrheit beschließen , die Ratifizierung vom positiven Ausgang eines Referendums abhängig zu machen. Die Initiative dazu kann auch vom Präsidenten der Republik ausgehen, der dafür die Zustimmung der Senatsmehrheit benötigt.31 Nehmen an dieser Volksabstimmung mehr als die Hälfte der Wahlbeteiligten teil, hat sie bindende Wirkung.32 Die Vorschläge im 5-Präsidenten-Plan könnten zudem auch eine Verfassungsänderung notwendig machen. Ein entsprechendes Gesetz bedarf mindestens der Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen in dem Sejm und im Senat, wobei in beiden Kammern jeweils mindestens die Hälfte der gesetzlichen Mitglieder anwesend sein müsste.33 In bestimmten Fällen, die aber vorliegend voraussichtlich nicht einschlägig sein werden, könnte auf Antrag von einem Fünftel der Mitglieder des Sejm, des Senats oder des Präsidenten der Republik eine bindende Volksabstimmung durchgeführt werden.34 3.15. Portugal Das Parlament muss Änderungen der Europäischen Verträge mit einfacher Mehrheit zustimmen. Ein Referendum ist nicht obligatorisch, kann aber über die Europäischen Verträge, die den Aufbau und die Vertiefung der Europäischen Union betreffen, abgehalten werden.35 Die Anforderungen an die Ratifizierung durch das Parlament sind nach der portugiesischen Verfassung stets gleich und würden damit auch für die im 5-Präsidenten-Plan genannten Vertragsänderungen gelten. Es ist aber nicht auszuschließen, dass mit Blick auf die Bereiche Haushalt, Finanzen und Wirtschaft auch eine Verfassungsänderung notwendig werden könnte. 3.16. Rumänien In Rumänien unterliegt die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge der Zustimmung der Abgeordnetenkammer und des Senats.36 Eine Vertragsänderung muss grundsätzlich im gleichen Verfahren wie der ursprüngliche Vertrag ratifiziert werden, soweit im Vertrag oder im Zustimmungsgesetz nichts anderes bestimmt ist.37 Nach Angaben der Abgeordnetenkammer muss die Zustimmung in einer gemeinsamen Sitzung der Abgeordnetenkammer und des Senats mit jeweils einer Mehrheit von zwei Dritteln der jeweiligen Mitglieder erteilt werden. Nach Auskunft des Senats hingegen, bedarf es jeweils nur einer absouten Mehrheit der Mitglieder der Abgeordnetenkammer und des Senats. 31 Art. 90 Abs. 3, Art. 125 Verfassung der Republik Polen. 32 Art. 125 Abs. 3 Verfassung der Republik Polen. 33 Art. 235 Verfassung der Republik Polen. 34 Art. 235 Abs. 6 Verfassung der Republik Polen. 35 Art. 295, 115 Verfassung der Republik Portugal. 36 Art. 91 Verfassung Rumäniens. 37 Artikel 32 des Gesetzes Nr. 590 vom 22.12.2003 über Vertragsverhandlungen und -abschlüsse. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 14 Ein Referendum ist in der rumänischen Verfassung nicht ausdrücklich vorgesehen. Nach Art. 90 der rumänischen Verfassung kann jedoch der Präsident, nach einer Konsultaion mit dem Parlament, in Angelegenheiten von nationalem Interesse das Volk auffordern, in einem Referendum ihren Willen auszudrücken. In Bezug auf die Umsetzung der im 5-Präsidenten-Plan dargestellten Vertragsänderungen wird von der Abgeordnetenkammer darauf hingewiesen, dass auch diesen mit zwei Dritteln der Stimmen der Abgeordnetenkammer und des Senats in einer gemeinsamen Sitzung zugestimmt werden müsste. Dadurch werden die internationalen Verträge bzw. ihre Änderungen (einfaches) nationales Recht und haben keinen Vorrang vor dem nationalen Verfassungsrecht (Art. 11 Abs. 2 der Verfassung Rumäniens). Über die Verfassungsmäßigkeit von Verträgen und internationalen Abkommen entscheidet in Rumänien das Verfassungsgericht. Würde es in diesem Zusammenhang zu einer weitreichenden Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU-Institutionen kommen, würde das Verfassungsgericht jeden möglichen Verfassungskonflikt zwischen den verschiedenen Rechtssystemen prüfen und über die Änderung der Verfassung entscheiden. Außerdem besteht die erwähnte Möglichkeit des Präsidenten, über Fragen im nationalen Interesse das Volk in einem Referendum zu befragen. 3.17. Schweden In Schweden erfolgt die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge durch den Reichstag (Parlament).38 Einem Vertrag, der Hoheitsrechte auf die Europäische Union überträgt, muss das Parlament mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegeben Stimmen bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Abgeordneten zustimmen. Als Grenze für die Übertragung der Hoheitsrechte nennt die Verfassung die grundlegenden Prinzipien der schwedischen Staatsform sowie die Wahrung der Grundrechte entsprechend der schwedischen Verfassung und der Europäischen Konvention über Menschenrechte (EMRK).39 Die Zustimmung kann auch in dem Verfahren zur Änderung der Verfassung gegeben werden. Um die schwedische Verfassung zu ändern, muss der Reichstag zwei gleichlautende Beschlüsse fassen, zwischen denen zumindest neun Monate liegen. In dieser Zeit muss eine Neuwahl durchgeführt worden sein und der neugewählte Reichstag muss sich neu konstituiert haben. Über eine geplante Verfassungsänderung muss zudem ein Referendum durchgeführt werden, wenn mindestens 10% der Reichstagsabgeordneten dies beantragen und mindestens ein Drittel der Abgeordneten für diesen Antrag stimmt. Das Referendum ist bindend abgelehnt, wenn die Mehrheit der Abstimmenden dagegen stimmt und es sich dabei auch um mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen handelt. Wird das Referendum nicht in dieser Form abgelehnt, entscheidet der Reichstag endgültig in einer (zweiten) Abstimmung über die Verfassungsänderung.40 38 Kapitel 10 Art. 3, Kapitel 4 Art. 7 Verfassung des Königreichs Schweden. 39 Kapitel 10 Art. 6 Verfassung des Königreichs Schweden. 40 Kapitel 8 Art. 14 und 16 Verfassung des Königreichs Schweden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 15 Ferner kann ein konsultatives Referendum zu jeder Frage, die durch ein Gesetz geregelt wird, abgehalten werden.41 Bisher waren alle in Schweden abgehaltenen Referenden – einschließlich der Frage über die Mitgliedschaft Schwedens in der Europäischen Union – konsultativ. In Bezug auf den 5-Präsidenten-Plan kann keine abschließende Bewertung abgegeben werden, da die Vorschläge derzeit noch beraten werden. Aufgrund der erheblichen Änderungen, die der Plan beispielsweise bei der Einführung von Durchgriffsrechten von Institutionen der EU in den nationalen Haushalt vorsieht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass dafür die Verfassung geändert werden muss. Daher kann im Rahmen des oben beschriebenen Verfahrens auch ein bindendes Referendum nicht ausgeschlossen werden. Dies wäre dann das erste bindende Referendum, das in Schweden abgehalten würde. 3.18. Slowakische Republik Völkerrechtliche Verträge, die Befugnisse auf die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union übertragen, werden in der Slowakischen Republik durch Gesetz ratifiziert, das einer Mehrheit von drei Fünfteln der Abgeordneten des Nationalrats (Parlament) bedarf.42 Ein Referendum ist nur dann erforderlich, wenn der Gegenstand des Vertrages der Ein- oder Austritt in bzw. aus einem Verband mit anderen Staaten ist. In allen anderen Fällen kann ein fakultatives Referendum durchgeführt werden. Da die in dem 5-Präsidenten-Papier erwähnten möglichen Vertragsänderungen derzeit noch nicht konkret und im Detail beschrieben sind, kann zu diesem Zeitpunkt noch keine Auskunft darüber gegeben werden, ob diese Änderungen mit der Verfassung in Einklang stehen oder ob eine Verfassungsänderung notwendig werden würde. 3.19. Slowenien In Slowenien werden völkerrechtliche Verträge, die hoheitliche Rechte auf zwischenstaatliche Organisationen übertragen, durch das Parlament ratifiziert. Erforderlich ist dafür die Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten.43 Andere völkerrechtliche Verträge bedürfen – abhängig vom Inhalt – der Zustimmung der einfachen Mehrheit der Abgeordneten. Die Verfassung schreibt kein obligatorisches Referendum vor. Vor der Ratifizierung kann das Parlament ein bindendes Referendum durchführen lassen. Die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt für die Annahme des Referendums. Wurde ein völkerrechtlicher Vertrag dem Volk zur Abstimmung vorgelegt, kann diese Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden . 41 Kapitel 8 Art. 2 Verfassung des Königreichs Schweden. 42 Art. 7 Abs. 2, Art. 84 Abs. 4 Verfassung der Slowakischen Republik. 43 Art. 3a Abs. 1 Verfassung der Republik Slowenien. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 16 3.20. Spanien Zum Abschluss oder zur Änderungen von Verträgen, durch die einer internationalen Organisation oder Institution die Ausübung von aus der spanischen Verfassung abgeleiteten Kompetenzen übertragen wird, bedarf eines so genannten verfassungsausführenden Gesetzes.44 Ein solches verfassungsausführendes Gesetz bedarf der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Kongresses der Abgeordneten.45 Fragen von besonderer politischer Bedeutung können den Bürgern gemäß Art. 92 der spanischen Verfassung in einem konsultativen Referendum vorgelegt werden. Dieses Verfahren wurde bei der Ratifizierung der Europäischen Verfassung im Februar 2005 angewandt. Ein Referendum ist damit aber nicht zwingend. In Bezug auf die Vorschläge des 5-Präsidenten-Plans ist festzuhalten, dass internationale Verträge , die mit der spanischen Verfassung in Widerspruch stehen, erst einer Verfassungsänderung bedürfen, bevor der Vertrag ratifiziert werden kann.46 Bestehen Zweifel darüber, ob ein solcher Widerspruch besteht, können sowohl die Regierung als auch beide Kammern des Parlaments vor der Ratifizierung diese Frage dem spanischen Verfassungsgericht vorlegen.47 Die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung bei der Umsetzung der im 5-Präsidenten-Plan vorgeschlagenen Vertragsänderungen hängt von ihrer genauen Ausgestaltung ab. 3.21. Tschechische Republik Die Anforderungen an die Ratifizierung von Änderungen der Europäischen Verträge hängt in der Tschechischen Republik davon ab, ob mit den Änderungen Hoheitsrechte übertragen werden sollen .48 Im Falle der Übertragung von Hoheitsrechten ist die Zustimmung von drei Fünfteln aller Abgeordneten sowie von drei Fünfteln aller anwesenden Senatoren erforderlich.49 Anstelle der parlamentarischen Abstimmung über die Vertragsänderung selbst kann das Parlament ein verfassungsausführendes Gesetz im dem Inhalt erlassen, dass für die Vertragsänderung ein Referendum erforderlich ist.50 Soweit keine Hoheitsrechte übertragen werden, ist lediglich die einfache Mehrheit in beiden Häusern für die Ratifizierung der Vertragsänderungen erforderlich. Soweit demnach die Umsetzung der Vorschläge im 5-Präsidenten-Plan eine Übertragung von Hoheitsrechten erforderlich machen würde, wäre eine entsprechende Abstimmung mit einer Mehrheit von drei Fünfteln der Mitglieder in beiden Kammern oder ein Referendum notwendig. Ob darüber hinaus eine Verfassungsänderung erforderlich wäre, hängt von dem Umfang und der Na- 44 Art. 93 Verfassung des Königreichs Spanien. 45 Art. 93 und Art. 81 Abs. 2 Verfassung des Königreichs Spanien. 46 Art. 166 ff. Verfassung des Königreichs Spanien. 47 Art. 95 Abs. 2 Verfassung des Königreichs Spanien. 48 Art. 49 Verfassung der Tschechischen Republik. 49 Art. 10a und 39 Abs. 4 Verfassung der Tschechischen Republik. 50 Art. 10a Verfassung der Tschechischen Republik. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 17 tur der möglichen Vorhaben im Bereich des nationalen Budgetrechts ab. Das nationale Budgetrecht ist in der tschechischen Verfassung ausdrücklich der Abgeordnetenkammer übertragen. Die Änderung der Verfassung würde ebenfalls eine Mehrheit von drei Fünfteln aller Abgeordneten sowie von drei Fünfteln aller anwesenden Senatoren erfordern. 3.22. Ungarn In Ungarn ist für Änderungen der Europäischen Verträge die Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten im Parlament notwendig.51 Ein Referendum ist grundsätzlich nicht erforderlich. Zu den Vorschlägen des 5-Präsidenten-Plans kann nicht Stellung genommen werden, da bisher noch keine entsprechenden Vertragstexte vorliegen. 3.23. Vereinigtes Königreich Nach dem European Union Act von 201152 bedarf eine Änderung der Europäischen Verträge im ordentlichen Änderungsverfahren (Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV) der einfachen Mehrheit im Parlament sowie der Annahme in einem Referendum mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.53 Ein Referendum ist nicht erforderlich, wenn die vorgeschlagenen Änderungen nur die bisher gängige Praxis kodifiziert, die Änderungen das Vereinigte Königreich wegen seiner Sonderstellung („opt out“) nicht betreffen54 oder ein neuer Mitgliedstaat in die EU aufgenommen werden soll. Sollten in einer Vertragsänderung zur Aufnahme eines neuen Mitglieds zugleich Kompetenzen vom Königreich auf die EU übertragen werden, wäre ebenfalls ein Referendum notwendig. Das European Scrutiny Committee hat in seinem Report vom 18. November 2015 den 5-Präsidenten -Plan in Bezug auf die „Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion“ nicht lediglich zur Kenntnis genommen, sondern für eine Plenardebatte empfohlen.55 Dies steht zwar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit möglicherweise aus diesem Plan folgenden späteren Vertragsänderungen , zeigt jedoch, dass das House of Commons diese Pläne nicht als unproblematisch ansieht . 3.24. Zypern Der Ministerrat darf internationale Verträge (und Änderungen daran) ohne Zustimmung des Parlaments abschließen, wenn sich der Inhalt des Vertrags auf die Wirtschaftspolitik, auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und ihre Umsetzung bzw. Ausführung bezieht. Allen anderen Verträgen bzw. ihren Änderungen muss das Parlament durch ein Gesetz zustimmen.56 51 Art. E Abs. 4 der Verfassung der Republik Ungarn. 52 Im Internet abrufbar unter: http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2011/12/contents. 53 Abschnitt 2 European Union Act. 54 Dies betrifft allerdings lediglich Vorschläge, die Titel V AEUV – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – betreffen. 55 http://www.publications.parliament.uk/pa/cm201516/cmselect/cmeuleg/342-ix/34205.htm. 56 Art. 169 Verfassung der Republik Zypern. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 –290/15 Seite 18 Ob das Parlament den im 5-Präsidenten-Plan dargestellten Vertragsänderungen zustimmen muss, hängt somit von ihrem Inhalt und der konkreten Ausgestaltung ab. Sollte für die Umsetzung der im 5-Präsidenten-Plan genannten Vertragsänderungen die Verfassung geändert werden müssen, wäre hierfür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.57 Allerdings legt Art. 1A der zypriotischen Verfassung fest, dass die verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht so ausgelegt werden dürfen, dass sie bestimmte legislative Maßnahmen der Union aufheben bzw. ihrer Wirkung im zyprischen Recht entgegenstehen. Referenden sind von der Verfassung nicht vorgesehen. Ende der Bearbeitung 57 Art. 182 Verfassung der Republik Zypern.