© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 289/14 Vereinbarkeit eines Totalverbots von Fracking mit dem Grundrecht der Forschungsfreiheit Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 2 Vereinbarkeit eines Totalverbots von Fracking mit dem Grundrecht der Forschungsfreiheit Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 289/14 Abschluss der Arbeit: 07.01.2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben beim Einsatz von Risikotechnologien 5 3. Eingriff in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit 6 3.1. Forschung 6 3.2. Anwendungsbezogene Forschung 6 3.3. Kein Ausschluss der Risikoforschung 7 3.4. Kein Ausschluss der Industrieforschung 7 3.5. Eingriff 7 4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 8 4.1. Eignung/Erforderlichkeit 8 4.2. Angemessenheit 8 4.2.1. Eingriffsintensität und Gefahrenprognose 8 4.2.2. Möglichkeiten der Risiko- und Schadensminimierung 9 5. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Der Umgang mit dem Einsatz von Risikotechnologien ist problematisch. Wenn darüber hinaus – wie beim Einsatz der Fracking-Technologie – große Ungewissheit über Art und Ausmaß der Risiken herrscht, 1 steht der Gesetzgeber vor der Entscheidung, die Technologie entweder zu verbieten, sie zu erlauben oder sie unter strengen Auflagen und Aufsicht zumindest vorübergehend zuzulassen . Die letztgenannte Alternative kann bezeichnet werden als eine „behutsame, revisionsoffene Regulierung für die >Initiierungsphase<, die eine Einhegung und Steuerung der Anwendung der Technologie (…) vorsehen und versuchen kann, das entstehende Wissen für die Kontrolle (insbesondere durch Aufsichtsbehörden) zugänglich und fruchtbar zu machen“.2 Mit dem Entwurf des Fracking-Gesetzes (Gesetz zur Änderung der wasser- und naturschutzrechtlichen Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking- Technologie, Stand: 19.11.2014) liegt eine solche „revisionsoffene Regulierung“ vor, die zunächst nur und unter (strengen) Anforderungen forschungsbezogene Fracking-Vorhaben zulässt. Das grundsätzliche Fracking-Verbot (für Maßnahmen oberhalb von 3000 Metern Tiefe) folgt dabei aus der Änderung verschiedener Gesetze, insbesondere aus der Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG), das eine Gewässernutzung im Rahmen von Fracking ausdrücklich untersagt (§ 9 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 13a Abs. 1 WHG-Entwurf). Vom Verbot nicht umfasst sind nach § 13a WHG- Entwurf „Erprobungsmaßnahmen mit dem Zweck, die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Umwelt, insbesondere den Untergrund und den Wasserhaushalt, wissenschaftlich zu erforschen“. Danach ist also der Einsatz der Fracking-Technologie zu Forschungszwecken möglich (Forschungsprivileg ). Eine Erlaubniserteilung zu Forschungszwecken unterliegt zudem zahlreichen (strengen) Anforderungen, die im Entwurf des Fracking-Gesetzes vorgesehen sind. Ebenfalls vorgesehen ist eine weitere und spätere Ausnahme vom Fracking-Verbot, nämlich die mögliche kommerzielle Nutzung im Anschluss von Erprobungsmaßnahmen, § 13a Abs. 7 WHG-Entwurf. Die im Entwurf des Fracking-Gesetzes gewählte Regelungsoption kann man als (Fracking-)Verbot mit Forschungsprivileg und kommerzieller Nutzungsoption bezeichnen. Die vorliegende Frage zielt nicht darauf ab, die im Fracking-Gesetzentwurf gewählte Regelungsoption auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit hin zu untersuchen. Vielmehr ist zu prüfen, ob die gewählte forschungs- und entwicklungsoffene Behandlung der Fracking-Problematik verfassungsrechtlich geboten ist - oder anders gewendet, ob ein Fracking-Verbot ohne Forschungsprivileg, also ein Totalverbot von Fracking - hier wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Forschungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG - verfassungsrechtlich unzulässig wäre. 1 Zu den zahlreichen „Unsicherheiten“ und „Wissensdefiziten“ beim Einsatz der Fracking-Technologie Meiners u.a., Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten – Risikobewertung, Handlungsempfehlungen und Evaluierung bestehender rechtlicher Regelungen und Verwaltungsstrukturen (2012), abrufbar unter: http://www.bmub.bund.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/ allgemein/application/pdf/gutachten_fracking_2012.pdf, A40, A59, A75, A86. Zur Anschlussstudie vgl. Dannwolf u.a., Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas insbesondere aus Schiefergaslagerstätte (2014), abrufbar unter: http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen /texte_53_2014_kurzfassung.pdf. 2 Reimer, Grundrechtlicher Schutz riskanter Forschung? Grundrechtsdogmatische Lehren aus der Gentechnik- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: Britz (Hrsg.), Forschung in Freiheit und Risiko (2012), 47, 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 5 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben beim Einsatz von Risikotechnologien Die Entscheidung über Verbot, Zulassung oder beschränkte Zulassung von Risikotechnologien hat der Gesetzgeber unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu treffen. Neben verfassungsrechtlichen Vorgaben formeller Art (z.B. Kompetenzvorschriften) bereiten vor allem die materiell-rechtlichen Vorgaben Schwierigkeiten. Betroffen sind in der Regel zahlreiche verfassungsrechtliche Schutzgüter (bzw. Rechtsgüter), und zwar – in abwehrrechtlicher Dimension – z.B. die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), das Eigentum (Art. 14 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) oder die Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und – in der Schutzpflichtdimension – das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder sonstige verfassungsrechtliche Schutzgüter wie die natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG). Bei der Wahl eines bestimmten Regelungsmodells für den Einsatz von Risikotechnologien muss der Gesetzgeber die betroffenen Schutzgüter ausbalancieren bzw. abwägen. Im Hinblick auf die Einschätzung, wie schwer die betroffenen Rechtsgüter einerseits beeinträchtigt sind und wie groß andererseits der Nutzen für andere Rechtsgüter oder Allgemeinwohlinteressen ist, kommt ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht – je nach Regelungsbereich und Intensität der Grundrechtsbetroffenheit – ein Einschätzungs-, Prognose- und Gestaltungsspielraum zu.3 In Situationen wissenschaftlicher Unklarheit sind diese Spielräume größer, denn es obliegt dem Gesetzgeber, „die Gefahrenlagen und Risiken zu bewerten“.4 Verfassungsrechtlich bzw. verfassungsgerichtlich kontrollierbar sind solche Einschätzungen nur insoweit, als sie auf Erwägungen beruhen, die „so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die angegriffene gesetzgeberische Maßnahme abgeben können“.5 Unter diesen Maßgaben dürfte ein Fracking-Verbot zum Schutz der menschlichen Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) weder gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verstoßen (Art. 3 Abs. 1 GG) noch die betroffenen Unternehmer in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) verletzen.6 Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass eine gesetzgeberische Wertung, wonach die Risiken der Fracking-Technologie so schwer wiegen, dass sie eine wirtschaftliche Nutzung nicht tragen, auf Erwägungen beruhten, die offensichtlich fehlerhaft sind. Fraglich ist aber, ob man diese Bewertung auch auf die Forschungsfreiheit übertragen und damit Eingriffe in die Forschungsfreiheit rechtfertigen kann. Doch zunächst müsste ein umfassendes Fracking-Verbot überhaupt einen Eingriff in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit darstellen. 3 BVerfGE 50, 290, 332 f. 4 BVerfGE 128, 1, 39. 5 BVerfG, NJW 2012, 1062, 1063. 6 Ausführlich dazu und zur Nichtbetroffenheit des Eigentumsgrundrechts , Förderung von unkonventionellem Erdgas – Möglichkeiten der rechtlichen Beschränkung, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 – 3000 – 372/10); zur gleichheitsrechtlichen Prüfung siehe , Gesetzliche Regulierung des Einsatzes von Fracking-Technologien – Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer konventionellen und unkonventionellen Lagerstätten differenzierenden Verbotsregelung (WD 3 – 3000 – 094/13). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 6 3. Eingriff in den Schutzbereich der Forschungsfreiheit 3.1. Forschung Art. 5 Abs. 3 GG schützt die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Als Teil der Wissenschaft umfasst Forschung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG „jede wissenschaftliche Tätigkeit, d.h. alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“.7 Insbesondere die Fragestellung, die Grundsätze der Methodik, die Bewertung der Forschungsergebnisse und ihre Verbreitung werden geschützt.8 Trotz der Weite des so definierten Schutzbereichs greift die Forschungsfreiheit nicht schon dann, wenn Grundrechtsträger ihr Verhalten bloß als Forschung deklarieren oder es subjektiv für Forschung halten. Vielmehr sind Wissenschaftlichkeit und Erkenntnisstreben plausibel zu machen.9 3.2. Anwendungsbezogene Forschung Nicht von vornherein vom Schutzbereich der Forschungsfreiheit ausgeschlossen ist der Einsatz bestimmter Technologien. Die Vorstellung, man könne die Produktion wissenschaftlichen Wissens von ihrer Anwendungsseite trennen, mit der Folge, dass die Anwendungsseite, also der Einsatz einer bestimmten Technik dann (nur) den wirtschaftsbezogenen Grundrechten (Art. 12 – Berufsfreiheit , Art. 14 – Eigentum) unterfiele, überzeugt nicht. Vielmehr werden technische Mittel und Konstruktion gerade auch genutzt, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen. Techniken und Technologien können damit inhärente Bestandteile von Forschungsprozessen sein.10 Erst recht ist der Forschungsbezug vorhanden, wenn eine Technologie selbst der Gegenstand der Forschung ist und z.B. durch ihren Einsatz und den insoweit erlangten Erkenntnissen weiterentwickelt werden soll.11 Insoweit beschränkt sich der Schutz der Forschungsfreiheit nicht auf abgegrenzte Räume und Laborbedingungen, sondern umfasst die für die Forschung notwendigen Räume, also auch die „Experimente in der Welt“.12 Die Fracking-Technologie gilt bisher als unausgereifte Technologie. Soweit ihr Einsatz in der Natur dazu genutzt werden soll, die Technologie weiterzuentwickeln , kann das Grundrecht der Forschungsfreiheit einschlägig sein. 7 BVerfGE 35, 79, 112 - Hervorhebung d. Verf. 8 BVerfGE 35, 79, 112. Vgl. auch , Schutzbereich der Forschungsfreiheit, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 – 3000 – 197/13). 9 Am Beispiel des Kieler-Cannabiskonzepts (Fn. 8), 4 f. 10 Ausführlich Trute, Wissenschaft und Technik, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts IV (2006), § 88 Rn. 21 ff. 11 Trute (Fn. 10), § 88 Rn. 24. 12 In seiner Entscheidung zum Gentechnikgesetz führt das BVerfG (BVerfGE 128, 1, 40) insoweit aus: „Art. 5 Abs. 3 GG ist also auch betroffen, wenn die Forschung außerhalb des geschlossenen Systems stattfindet und die Umwelt einschließlich der Rechtsgüter Dritter in das kontrollierte Experiment einbezieht.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 7 3.3. Kein Ausschluss der Risikoforschung Dem Grundrecht der Forschungsfreiheit sind Forschungsvorhaben, die andere Schutzgüter, z.B. die Gesundheit Dritter beeinträchtigen können, nicht von vornherein entzogen.13 Vielmehr entspricht es dem Wesen von Wissenschaft und Forschung, sich in die Bereiche des Unbekannten vorzuwagen , so dass Ungewissheiten über den Verlauf von Experimenten und die Beeinträchtigung von Rechten Dritter nicht auszuschließen sind. Somit unterfällt auch die sog. Risikoforschung grundsätzlich dem Schutz der Forschungsfreiheit.14 Die (mögliche) Beeinträchtigung von anderen Schutzgütern kann aber staatliche Forschungsbeschränkungen rechtfertigen. 3.4. Kein Ausschluss der Industrieforschung Das Grundrecht der Forschungsfreiheit schützt alle, die tatsächlich im verfassungsrechtlichen Sinne forschen.15 Träger des Grundrechts sind nicht nur universitäre Einrichtungen und ihre Mitarbeiter oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, sondern alle Forscher, auch aus der Privatwirtschaft.16 Forschungsvorhaben von privaten Unternehmen zur Weiterentwicklung der Fracking-Technologie würden somit dem Schutz der Forschungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG unterfallen (Industrieforschung). Soweit ersichtlich wären Träger von Fracking-Forschungsvorhaben primär private Unternehmen. Diese dürften mit der Forschung allerdings auch erwerbswirtschaftliche Zwecke verfolgen (Stichwort: kommerzielle Nutzungsoption nach dem Gesetzentwurf zum Fracking), die unter den Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) fallen. Soweit aber nicht ausschließlich erwerbswirtschaftliche Zwecke verfolgt werden, ist der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit eröffnet.17 3.5. Eingriff Das Grundrecht der Forschungsfreiheit schützt den Grundrechtsträger vor staatlichen Beschränkungen (Abwehrdimension). Das hier fragliche Verbot von Fracking betrifft nicht die Fracking- Forschung an sich (z.B. Laborforschungen zu Fracking-Flüssigkeiten). Es verhindert aber die Erprobung der Fracking-Technologie in der Natur und stellt insoweit einen (staatlichen) Eingriff in die Forschungsfreiheit dar. 13 v. Münch/Kunig, Grundgesetz (6. Aufl. 2012), Rn. 101a zu Art. 5; Reimer (Fn. 2), 51; Schwabenbauer, Wissenschaftsfreiheit im Zeichen von Ungewissheit – am Beispiel des Urteils des BVerfG vom 24. November 2010 zum Gentechnikgesetz, in: Grimm/Schleissig (Hrsg.), Grüne Gentechnik: Zwischen Forschungsfreiheit und Anwendungsrisiko (2012), 107, 110 f. 14 (Fn. 8), 3. 15 BVerfGE 35, 79, 112. 16 Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog u.a., Grundgesetz, Stand 2014, Rn. 98 zu Art. 5 Abs. 3. 17 BVerfGE 128, 1, 67; Schwabenbauer (Fn. 13), 110. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 8 4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Eingriffe in die Forschungsfreiheit als vorbehaltlosem Grundrecht können nur zum Schutz von Rechtsgütern mit Verfassungsrang gerechtfertigt werden.18 Mit dem Schutz der menschlichen Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) liegen solche (wichtigen) Rechtsgüter mit Verfassungsrang vor.19 Fraglich ist, ob ein Totalverbot von Fracking zum Schutz der genannten Rechtsgüter verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen wäre. 4.1. Eignung/Erforderlichkeit Ein Totalverbot von Fracking, das auch Forschungsvorhaben umfasst, ist geeignet, durch Fracking ausgelöste Gesundheits- und Umweltschäden sicher auszuschließen. Weniger belastend für die Wahrnehmung der Forschungsfreiheit wären Ausnahmen vom Fracking-Verbot für Forschungszwecke , die mit (strengen) Zulässigkeitsanforderungen verbunden sind, unter (strenger) Aufsicht stehen und weitreichenden Haftungsregelungen unterfallen. Bei gleicher Wirksamkeit dieser Alternativen zum Schutz der o.g. Rechtsgüter wäre ein Totalverbot nicht erforderlich. Angesichts der wissenschaftlich ungewissen Situation kommt dem Gesetzgeber bei der Bewertung der Gefahren ein großer Einschätzungs- und Prognosespielraum zu (siehe oben unter Ziff. 2). Anhaltspunkte dafür, dass die Alternativen als gleich wirksam eingeschätzt werden müssten – zumindest dürfte bei aller Vorsorge ein Restrisiko nie auszuschließen sein – bestehen nicht, so dass ein Totalverbot auch als erforderlich eingestuft werden kann. 4.2. Angemessenheit Ein Totalverbot von Fracking wäre auch angemessen, wenn die Schwere des Eingriffs in die Forschungsfreiheit (Eingriffsintensität) nicht außer Verhältnis zur Wichtigkeit und Dringlichkeit der zu schützenden Rechtsgüter steht und dabei die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt wird.20 4.2.1. Eingriffsintensität und Gefahrenprognose Vom Einsatz der Fracking-Technologie gehen erhebliche Gefahren für die menschliche Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen aus. Neben der Erdbebengefahr und dem Flächenverbrauch werden insbesondere Gefahren für das Grund- und Trinkwasser diskutiert.21 Unklar ist allerdings, wie hoch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist. Im Falle des Schadenseintritts wäre das Ausmaß der Schäden, z.B. durch kontaminiertes Grund- und Trinkwasser oder durch Erdbeben allerdings erheblich. Angesichts der Unsicherheiten über die Auswirkungen der 18 BVerfGE 47, 327, 369; 122, 89, 107. 19 Vgl. BVerfGE 128, 1, 41 f. 20 Vgl. BVerfGE 90, 145, 173 m.w.N. 21 Ramsauer/Wendt, Einsatz der Fracking-Technologie insbesondere aus der Sicht des Gewässerschutzes, NVwZ 2014, 1401 ff.; (Fn. 6), 5 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 9 Fracking-Technologie kommt dem Gesetzgeber bei der Einschätzung der Risiken (Schadenswahrscheinlichkeit ) und der Folgen (Schadensausmaß) ein Prognosespielraum zu (siehe oben unter Ziff. 2). Auf der anderen Seite würde ein Totalverbot von Fracking die Forschungsfreiheit erheblich beeinträchtigen . Ausweichmöglichkeiten für die Erforschung der Fracking-Technologie dürften nicht bestehen. Zwar mag an einzelnen Aspekten der Fracking-Technologie auch ohne Erprobung in der Natur geforscht werden können, doch gerade weil Hauptgegenstand der Fracking-Forschung die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sind, bedarf es des Einsatzes in der Natur. Auch Forschungsmöglichkeiten im Ausland schmälern die Betroffenheit der Forschungsfreiheit im Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht. Ein Totalverbot von Fracking würde die Erforschung und Weiterentwicklung der Fracking- Technologie nahezu vollständig verhindern. Neben dem wissenschaftlichen Interesse wären auch wirtschaftliche Interessen betroffen sowie das Allgemeininteresse an der Erschließung neuer Energieressourcen. Angesichts dieser Beeinträchtigungen könnte es unangemessen sein, Forschungsvorhaben zum Fracking auch dann auszuschließen, wenn sich die Gefahren für die betroffenen Schutzgüter durch besondere Vorkehrungen auf ein zumutbares Maß reduzieren lassen. 4.2.2. Möglichkeiten der Risiko- und Schadensminimierung Angesichts der wissenschaftlich ungeklärten Situation sind nicht alle Risiken der Fracking- Technologie bekannt. Im Hinblick auf die bekannten Risiken sind allerdings zahlreiche Vorsorgemaßnahmen denkbar: Begrenzung der Standortwahl: keine trinkwasserrelevanten Gebiete, keine Naturschutzgebiete etc.; keine Verwendung wassergefährdender Chemikalien (Fracking- Fluid); Auflagen bzgl. der Entsorgung des Flowback-Wassers; wissenschaftliche Begleitung der Erprobung; Öffentlichkeitsbeteiligung (Umweltverträglichkeitsprüfung); strenge behördliche Aufsicht; Auskunftspflichten der Betreiber etc. Von besonderer Bedeutung für die Risiko- und Schadensminimierung dürften darüber hinaus Regelungen zur Haftung (ggf. verschuldensunabhängig und inkl. Versicherungspflicht) und zur Beweislast sein. Abgesehen von dem Risikovorsorge -Effekt, dass (zu) große Risiken in der Praxis ggf. nicht versicherbar wären, würden Haftungsregelungen möglicherweise eintretende Schäden mindern.22 Fraglich ist, ob der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum überschreiten würde, wenn er Ausnahmen vom Fracking-Verbot für Forschungszwecke trotz denkbarer Risiko- und Schadensminimierung nicht zuließe. Zwei Konstellationen sind insoweit denkbar. Die Regelung des Totalverbots könnte auf der tatsächlichen Einschätzung beruhen, dass die Maßnahmen zur Risiko- und Schadensminimierung untauglich oder nur von geringem Nutzen sind. Diese Einschätzung fällt in wissenschaftlich unklaren Situationen zwar grundsätzlich in den Prognosespielraum des Gesetzgebers. Eine Überschreitung dieses Spielraums liegt aber vor, 22 Vgl. dazu BVerfGE 128, 1, 85: „Mit der strengen, verschuldensunabhängigen Haftung kann Forschung dahingehend gesteuert werden, dass Risiken frühzeitig bedacht und Experimente so organisiert und durchgeführt werden, dass Einträge von gentechnisch veränderten Organismen auf andere Grundstücke und damit verbundene Nachteile für Dritte und die Allgemeinheit vermieden oder auf ein Mindestmaß reduziert werden.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 289/14 Seite 10 wenn sich die Einschätzungen als offensichtlich fehlerhaft erweisen. Ob die genannten oder auch andere Möglichkeiten der Risiko- und Schadensminimierung einen durchgreifenden Effekt hätten, kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Eine deutliche Risiko- und Schadensminimierung erscheint jedoch nicht unplausibel. Geht man davon aus, dass Risiken und Schäden durch Vorsorge - und Haftungsmaßnahmen deutlich minimiert werden können, dürfte ein Totalverbot unangemessen sein. Die Regelung des Totalverbots könnte auch auf der gesetzgeberischen Wertung beruhen, dass trotz erheblicher Risiko- und Schadensminimierung die Forschungsfreiheit hinter dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der natürlichen Lebensgrundlagen zurücktreten müsse. Auch diese Argumentation wäre nicht unproblematisch, denn nach der Rechtsprechung des BVerfG sind gewisse (Rest-)Risiken, die trotz bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht auszuschließen sind, von der Allgemeinheit durchaus hinzunehmen. Dazu heißt es in der sog. Kalkar-Entscheidung des BVerfG: „Ungewissheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft haben ihre Ursache in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens; sie sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen.“23 Nach alledem dürfte ein Totalverbot von Fracking nur dann angemessen sein, wenn keine Maßnahmen denkbar sind, die nach vertretbarer tatsächlicher Einschätzung zu einer deutlichen Risikound Schadensminimierung führen würden. Die Plausibilität möglicher Maßnahmen zur Risiko- und Schadensminimierung spricht allerdings dafür, dass eine Risiko- und Gefahrenvorsorge betrieben werden kann, die Forschungsausnahmen – unter Inkaufnahme zumutbarer Restrisiken – als verfassungsrechtlich geboten erscheinen lassen. 5. Fazit Ein Fracking-Verbot ohne Forschungsausnahmen lässt sich vor dem Hintergrund von (wirksamen) Maßnahmen zur Risiko- und Schadensminimierung verfassungsrechtlich kaum rechtfertigen. Abgesehen von dem Fall, dass Maßnahmen zur Risiko- und Schadensminimierung – nach vertretbarer Einschätzung – untauglich wären, dürften Forschungsausnahmen daher verfassungsrechtlich geboten sein. 23 BVerfGE 49, 89, 143.