Deutscher Bundestag Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass eines City-Maut Gesetzes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 288/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 2 Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass eines City-Maut Gesetzes Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 288/12 Abschluss der Arbeit: 31. Oktober 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Einleitung 4 3. Die City-Maut als Gebühr zur Nutzung der innerstädtischen Verkehrsinfrastruktur 4 4. Gesetzgebungskompetenzen des Bundes 5 5. Gesetzgebungskompetenz zur Regelung einer City-Maut 6 5.1. Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG 6 5.1.1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse 7 5.1.2. Wahrung der Rechtseinheit 8 5.1.3. Wahrung der Wirtschafteinheit 9 5.1.4. Ergebnis zu Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG 10 5.2. Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 GG 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 4 1. Zusammenfassung Eine abschließende Beurteilung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein City-Maut Gesetz ist nicht möglich, ohne die konkrete gesetzliche Ausgestaltung zu kennen. Nach vorläufiger Einschätzung dürfte eine bundesgesetzliche Kompetenz für die Einführung eines City-Maut Gesetzes auf der Grundlage von Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 Variante 4 GG ausscheiden , da die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung dieser Materie kaum zu begründen erscheint. Demgegenüber dürfte sich eine Bundeskompetenz für ein City-Maut Gesetz jedoch aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 Varianten 2 und 3 GG im Bereich der Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung ergeben, soweit die Regelung schwerpunktmäßig auf diese Materie bezogen ist. Für die Regelungsmaterien Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung setzt das Grundgesetz kein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung für das Gesetzgebungsrecht des Bundes voraus. 2. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung untersucht das Gesetzgebungsrecht des Bundes zur Einführung eines City-Maut Gesetzes mit Ausnahme der finanzverfassungsrechtlichen Regelungskompetenzen des Bundes. Letztere werden in einer gesonderten Ausarbeitung des Fachbereichs WD 4 (Haushalt und Finanzen) dargestellt. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Ausarbeitung lag kein Gesetzentwurf oder eine andere schriftliche Festlegung der inhaltlichen Eckwerte eines City-Maut Gesetzes vor. Die Ausarbeitung stützt sich daher als Begutachtungsgrundlage auf die in der Literatur vorhandenen Beschreibungen der City-Maut. 3. Die City-Maut als Gebühr zur Nutzung der innerstädtischen Verkehrsinfrastruktur Als City-Maut oder Nahverkehrsabgabe wird eine Gebühr zur Nutzung der Verkehrsinfrastruktur eines bestimmten Stadtgebiets bezeichnet.1 In der Regel wird hierzu ein innerstädtischer Bereich abgegrenzt und die Einfahrt in den Bereich, also das Überfahren einer Grenze (Kordonsystem), oder alle Fahrten innerhalb des Bereichs, also der Aufenthalt in einem Stadtbezirk (Gebietssystem ), mit einer Gebühr belegt. Daneben gibt es die Möglichkeit, eine Streckengebühr für das Befahren einer bestimmten Straße zu erheben. Zweck einer solchen Gebühr ist zum einen, den Ausbau und Erhalt der Straßen zu finanzieren und somit die Verkehrsinfrastruktur auszubauen.2 Daneben soll der innerstädtische Verkehr zu 1 Kloas/Voigt, Erfolgsfaktoren von City-Maut-Systemen, Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 9/2007, 133, 138. 2 Trommer, Auswirkungen einer City-Maut in Deutschland, 2008, S. 18f.; Kossak, Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung, in: Bracher/Lembrock, Steuerung des städtischen Kfz-Verkehrs, Difu-Impulse Bd. 6/2008, S. 25, 32 ff., 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 5 Stoßzeiten entzerrt und Stau abgebaut werden.3 Der City-Maut kommt damit auch eine Verkehrslenkungsfunktion zu.4 Insbesondere werktäglicher innerstädtischer Stau könnte so reduziert werden. Durch die Verringerung des Verkehrsaufkommens sollen zudem Umweltbelastungen sinken, etwa indem Schadstoffemissionen und Verkehrslärm verringert werden.5 Auch durch einen staureduzierten und deshalb effizienten Verkehrsablauf könnten Emissionen gesenkt werden . Damit unterliegt die City-Maut unterschiedlichen Regelungsmöglichkeiten und –Zwecken, die Raum für eine Ausgestaltung im Einzelfallen lassen. Von Seiten der Bundesregierung findet zurzeit jedoch keine politische Auseinandersetzung über das Einführen einer City-Maut durch Bundesgesetz statt und folglich auch keine Konkretisierung der vielseitigen Ausgestaltungsmöglichkeiten . So gibt auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer an, „eine City-Maut steht nicht auf der Tagesordnung der Bundesregierung“6. Der folgende Beitrag legt daher den aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zugrunde. 4. Gesetzgebungskompetenzen des Bundes Gemäß Artikel 30, 70 Abs. 1 GG liegt die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern, es sei denn das Grundgesetz weist dem Bund eine Gesetzgebungsbefugnis zu. Will der Bund gesetzgeberisch tätig werden, muss er sich auf eine ausdrückliche Kompetenzzuweisungsnorm berufen. Kompetenzzuweisungsnormen finden sich im Rahmen der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes in Artikel 73 Abs. 1 GG i.V.m. Artikel 71 GG und im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes in Artikel 74 Abs. 1 i.V.m Artikel 72 Abs. 1 GG. Weist eine Grundgesetznorm dem Bund eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit zu, Artikel 73 Abs. 1 GG i.V.m. Artikel 71 GG, besitzt der Bund exklusive Regelungskompetenz. Das Land ist in diesem Fall vollständig von einer Gesetzgebung ausgeschlossen.7 Eine Ausnahme hierzu bildet lediglich der Fall, dass der Bund das Land explizit dazu ermächtigt, ein Gesetz zu erlassen, Artikel 71 GG. Dem Bund kann durch das Grundgesetz die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit zugewiesen sein, Artikel 74 Abs. 1 i.V.m Artikel 72 Abs. 1 GG. Der Bundesgesetzgeber kann die ihm 3 Trommer, Auswirkungen einer City-Maut in Deutschland, 2008, S. 117. 4 Kossak, Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung, in: Bracher/Lembrock, Steuerung des städtischen Kfz-Verkehrs, Difu-Impulse Bd. 6/2008, S. 49. 5 Kossak, Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung, in: Bracher/Lembrock, Steuerung des städtischen Kfz-Verkehrs, Difu-Impulse Bd. 6/2008, S. 36, 44 ff., 63. 6 ZDF heute, City-Maut gegen klamme Kassen, http://m.heute.de/ZDF/zdfportal/xml/object/24613578; vgl. zudem Badische Zeitung vom 5. Oktober 2012, Eine City-Maut für den Straßenbau?, http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/eine-city-maut-fuer-den-strassenbau--64271079.html. 7 Haratsch, in: Sodan, GG, 2009, Art. 71 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 6 zugeordneten Sachbereiche dann uneingeschränkt regeln.8 Nur wenn der Bundesgesetzgeber die Sachmaterie nicht ordnet, können die Länder gesetzgeberisch tätig werden und die Materie umfassend oder teilweise regeln. Die Entscheidung liegt folglich beim Bund die Regelung einer Materie an sich zu ziehen. Im Grundsatz kann der Bund in diesem Fall ohne zusätzliche Anforderungen tätig werden. Bei den in Artikel 74 Abs. 2 GG genannten Kompetenztiteln werden jedoch weitere kompetenzrechtliche Voraussetzungen aufgestellt, die vorliegen müssen, damit dem Bund das Gesetzgebungsrecht zusteht (sogenannte Bedarfskompetenz). Das Recht zur Gesetzgebung besitz der Bund in diesen Bereichen nur dann, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. 5. Gesetzgebungskompetenz zur Regelung einer City-Maut Eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die zu regelnde Materie ist nicht ersichtlich. Eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zum Erlass eines City-Maut Gesetzes könnte sich jedoch im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung aus Artikel 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 GG ergeben . 5.1. Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes könnte zunächst aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG folgen. Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 Variante 4 GG gewährt dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zur „Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen“. Als öffentliche Straßen gelten im Sinne dieser Norm nicht nur die Bundesstraßen des Fernverkehrs, sondern alle Straßen, die der Allgemeinheit zugänglich sind und für den Straßenverkehr bestimmt sind.9 Der Bund kann daher auch Regelungen über wegerechtliche Straßenbenutzungsgebühren treffen.10 Dies ergibt sich insbesondere aus dem Vergleich mit Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 Variante 3 GG, der die Kompetenz des Bundes bezüglich den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen ausdrücklich auf den Fernverkehr beschränkt, während in der Variante 4 der Norm auf eine solche Beschränkung verzichtet wird. Gemäß Artikel 72 Abs. 2 GG besteht das Gesetzgebungsrecht des Bundes jedoch unter der Voraussetzung , dass die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzli- 8 Haratsch, in: Sodan, GG, 2009, Art. 72 Rn. 1; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 65. EL 2012, Art. 72 Rn. 14; Ipsen, Staatsrecht I, 23. Auflage, 2011, § 10 Rn. 555. 9 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 65. EL 2012, Art. 74 Rn. 243; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 98. 10 Vgl. Jachmann, Die Einführung einer Nahverkehrsabgabe durch Landesgesetz, NVwZ 1992, 932 (936). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 7 che Regelung erforderlich macht (Erforderlichkeit der bundesgesetzlichen Regelung). Der Bund kann folglich ein Gesetz nur erlassen, wenn er geltend machen kann, dass eine mögliche Regelung durch den Landesgesetzgeber den Anforderungen der Sachlage nicht gerecht wird und unterschiedliche oder fehlende Landesregelungen gewichtige Nachteile für Bund und Länder mit sich bringen.11 5.1.1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist ein Tätigwerden des Bundes nur dann erforderlich , wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.12 Dabei ist das Rechtsgut „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ nicht schon dann einschlägig, wenn der Bund eine Maßnahme für sozialpolitisch sinnvoll hält oder Unterschiede zwischen der Bundesländern abbauen will.13 Vielmehr muss ein handfester Missstand in einem oder mehreren Bundesländern oder ein erhebliches Wohlstandgefälle gerade zu dieser bundeseinheitlichen Korrektur drängen.14 Dabei ist zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgesetzgeber einen Einschätzungs- und Prognosespielraum zubilligt.15 Die gesetzgeberische Prognoseentscheidung hat jedoch nur dann vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand, wenn der Gesetzgeber plausibel darlegen kann, dass er die bundeseinheitliche Regelung für erforderlich halten musste, weil keine vernünftige Alternative im Gesetzgebungsverfahren erkennbar war.16 Dies ist jedenfalls nicht der Fall, wenn regional differenzierende Regelungen bestehende Disparitäten nachhaltiger auflösen könnten.17 Im Hinblick auf den Erlass eines City-Maut Gesetzes erscheint die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zweifelhaft. Zwar würde ein solches Gesetz auch dem Straßenbau sowie der Straßenpflege dienen und damit letztlich dem bundesweiten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den Städten nutzen. Wenngleich sich dadurch bestehende Unterschiede in der Lebensqualität zwischen den Bundesländern abbauen ließen, erscheint es aber nicht alternativlos, die dafür erforderlichen Mittel im Wege einer bundesgesetzlichen City-Maut zu erwirtschaften. Die notwendigen Mittel für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hinsichtlich der Bundesstraßen im innerstädtischen Bereich ließen sich auf Bundesebene beispielsweise auch durch die gesetzliche Einführung einer Autobahn-Maut generieren . Darüber hinaus könnten auch landesgesetzliche Maßnahmen zur Einführung einer regio- 11 Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 115. 12 BVerfGE 106, 62 (144); BVerfGE 111, 226 (253); BVerfGE 112, 226 (244). 13 Morlock/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Auflage, 2013, § 8 Rn. 452. 14 BVerfGE 112, 226 (245). 15 BVerfGE 106, 62 (151). 15 BVerfGE 112, 226 (245). 16 Morlock/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Auflage, 2013, § 8 Rn. 451. 17 Vgl. Stettner, in Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl., Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 8 nalen City-Maut den finanziellen Spielraum der Länder im erforderlichen Umfang erweitern, um das Landesstraßennetz an den erforderlichen innerstädtischen Stellen mit dem Ziel auszubauen, ungleichwertige Lebensverhältnisse zwischen den Bundesländern abzubauen. 5.1.2. Wahrung der Rechtseinheit Die Wahrung der Rechtseinheit begründet ein Erfordernis für eine bundesgesetzliche Regelung, wenn eine untragbare Rechtszersplitterung im Bundesgebiet zu besorgen ist.18 Zu dieser Annahme reicht jedoch nicht die Gefahr, dass unterschiedliche Rechtslagen für die Bürger entstehen.19 Denn dies ist eine notwendige Folge des föderalen Systems der Bundesrepublik.20 Vielmehr erfüllt eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene die Voraussetzungen für eine bundesgesetzliche Regelung erst dann, wenn sie eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann. Gerade die Unterschiedlichkeit des Gesetzesrechts oder der Umstand, dass die Länder eine regelungsbedürftige Materie ungeregelt lassen, müssen die Erhaltung einer funktionsfähigen Rechtsgemeinschaft bedrohen.21 Dies wäre der Fall, wenn eine gravierende Störung des länderübergreifenden Rechtsverkehrs zu befürchten wäre.22 Würden abweichende landesgesetzliche Regelungen im Bereich der City-Maut von den Ländern getroffen werden, entstünde eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit der einzelnen Bürger. Der länderübergreifende Rechtsverkehr dürfte aber dadurch nicht unzumutbar behindert sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich diese mögliche Normenvielfalt auf Länderebene noch im Rahmen dessen bewegt, was dem bundesstaatlichen Aufbau inhärent ist und hingenommen werden muss. Durch eine regionale und dezentrale Gestaltung wird letztlich dem Subsidiaritätsprinzip Geltung verliehen,23 wonach die Länder grundsätzlich eine sachnähere Lösung finden können und deswegen erstrangig handeln sollen. Dass in einem Land eine City-Maut nicht erhoben wird, während sie in anderen Ländern verlangt wird oder dass die Länder unterschiedlich hohe Gebühren festlegen, stellt keine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen dar. Denn die landesrechtlichen Regelungsunterschiede im Bereich der City-Maut bleiben übersichtlich und der schnellen und eindeutigen Information durch die Normanwender zugänglich. Der Rechtsverkehr würde somit kaum unzumutbar behindert. Das wird auch dadurch belegt, dass bereits heute die Passage besonderer Straßenbauprojekte, wie zum Beispiel Tunnel, mit einer Benutzungsgebühr belastet sind24, ohne dass dadurch gravierende Rechtsverunsicherungen einge- 18 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Auflage, 2013, § 8 Rn. 454. 19 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 56. 20 BVerfGE 106, 62 (145). 21 BVerfGE 106, 62 (145). 22 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Auflage, 2013, § 8 Rn. 454. 23 Vgl. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 72 Rn. 42 f. 24 So die der Herrentunnel zwischen Lübeck und Travemünde und der Warnowtunnel in Rostock, vgl. http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Herrentunnel&printable=yes Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 9 treten sind. Eine bundeseinheitliche Regelung zur City-Maut dürfte sich folglich eher nicht mit der Wahrung der Rechtseinheit im Sinne des Artikel 72 Abs. 2 GG begründen lassen. 5.1.3. Wahrung der Wirtschafteinheit Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes könnte letztlich aus der Erforderlichkeit zur Wahrung der Wirtschaftseinheit resultieren. Zur Wahrung der Wirtschaftseinheit kann der Bund gesetzgeberisch handeln, wenn Regelungen die wirtschaftliche Integration sichern sollen und durch unterschiedliche oder mangelnde länderrechtliche Regelungen eine wirtschaftspolitisch bedrohliche Sachlage entstünde.25 Die Wirtschafteinheit ist daher nicht schon bei ökonomischen Unterschieden zwischen den Bundesländern gefährdet, sondern dann, wenn Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gemeinwirtschaft mit sich brächten.26 Zu denken ist beispielsweise an eine gravierend unterschiedliche Verteilung von Personen und Gütern in den Ländern, die zum Erliegen des bundesweiten Wirtschaftkreislaufs führen können .27 So könnte die Unterbrechung der beruflichen Mobilität zu den zuvor beschriebenen Verteilungsungleichgewichten in den Bereichen Personen und Gütern führen.28 Die Einführung einer City-Maut beeinflusst in nicht unerheblichem Umfang die betroffenen Wirtschaftsstandorte . Standorte, die von einem ausgebauten Verkehrssystem profitieren, dessen Finanzierung durch die Einführung einer City-Maut erleichtert würde, sind im nationalen Wettbewerb mit anderen Standorten im Vorteil. Andererseits könnten Einzelhandelsunternehmen in den Innenstädten, die insbesondere auf hohe Kundenzahlen und gute Erreichbarkeit angewiesen sind, durch die City-Maut Kunden verlieren, die ins Umland abwandern.29 Dadurch würde die Wirtschaftkraft der betroffenen Region geschwächt. Im Ergebnis dürfte die ökonomische Unterschiede zwischen den Bundesländern jedoch kaum die Verteilung von Personen und Gütern derart stark beeinflussen, dass ein Erliegen des bundesweiten Wirtschaftskreislaufs droht. Eine wirtschaftpolitisch bedrohliche Sachlage ist daher bei landesgesetzlich unterschiedlichen City-Maut Regelungen nicht ernsthaft zu erwarten. Es bestehen daher erhebliche Zweifel, das eine City-Maut Gesetz auf bundesgesetzlicher Ebene zur Wahrung der Wirtschafteinheit erforderlich ist. 25 BVerfGE 106, 62, 146f. 26 BVerfGE 111, 226 (253); BVerfGE 112, 226 (246). 27 BVerfGE 106, 62 (146). 28 Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 1. Auflage, 2013, § 8 Rn. 453. 29 Trommer, Auswirkungen einer City-Maut in Deutschland, 2008, S. 118; a.A. Kossak, Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung, in: Bracher/Lembrock, Steuerung des städtischen Kfz-Verkehrs, Difu-Impulse Bd. 6/2008, S. 53 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 10 5.1.4. Ergebnis zu Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein City-Maut Gesetz aufgrund Artikel 74 Abs. 1 Nr. 22 GG erscheint vor dem Hintergrund der kaum begründbaren Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zweifelhaft. 5.2. Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 GG Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein City-Maut Gesetz könnte sich auch aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 Varianten 2 und 3 GG ergeben. Demnach obliegt dem Bund die Kompetenz, Gesetze zur Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung zu erlassen. Eine Luftverunreinigung liegt bei einer Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe vor, § 3 Abs.4 BImSchG. Ein Gesetz, das auf die Luftreinhaltung abzielt, kann sowohl zur Gefahrenabwehr als auch zur Gefahrenvorsorge erlassen werden.30 Die City-Maut als Gebühr zur Nutzung innerstädtischer Verkehrsinfrastruktur verfolgt unter anderem die Lenkungsfunktion, den Verkehr im innerstädtischen Bereich zu verringern. Zum einen sollen dadurch verkehrbedingte Schadstoffemissionen reduziert werden. Dies hätte zur Folge, dass die Feinstaubkonzentration in der Luft abnimmt. Zum anderen können Schadstoffemissionen durch einen effizienten Verkehrsablauf und die Verringerung der Verkehrsdichte, wie durch die City-Maut beabsichtigt, verringert werden, da Kraftfahrzeuge während eines stockenden Verkehrs signifikant mehr Schadstoffe emittieren, als im fließenden Verkehr.31 Lärmbekämpfung bedeutet die Vermeidung, Unterbindung oder Minderung störender Geräusche .32 Der Rückgang des Verkehrsaufkommens im innerstädtischen Bereich trägt ferner zur Verringerung des Verkehrslärms bei. Die Norm nimmt jedoch Regelungen zum Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm aus der Kompetenzzuweisung des Bundes heraus, Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. Hiervon umfasst sind Regelungen über Lärm von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung dienen oder eine soziale Zweckbestimmung haben, sowie über Lärm, der auf dem sozialen Verhalten von Menschen beruht und vom Betrieb einer Anlage unabhängig ist.33 Unter Einrichtungen in diesem Sinne sind insbesondere Anlagen, die dem Sport und der Freizeit dienen, Festplätze, Hotels oder Biergärten zu verstehen.34 Der Begriff des anlagenbezogenen Lärms setzt zunächst voraus, dass eine Anlage an seiner Entstehung beteiligt ist. Motorgetriebene Geräte fallen unter den Anlagenbegriff.35 Hinsichtlich der Abgrenzung zwischen anlagebezogenem und 30 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 311. 31 Kossak, Die City-Maut im Instrumentarium der städtischen Verkehrssteuerung, in: Bracher/Lembrock, Steuerung des städtischen Kfz-Verkehrs, Difu-Impulse Bd. 6/2008, S. 63f.; Mietsch, City-Maut (Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2007, S.38 f. 32 Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 107. 33 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 315. 34 Haratsch in: Sodan, GG, 2009, Art. 74 Rn. 50. 35 Hansmann, NVwZ 2007, 17 (19). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/12 Seite 11 verhaltensbezogenem Lärm ist entscheidend, ob die den Lärm auslösende Benutzung der Anlage noch dem bestimmungsgemäßen Gebrauch zugerechnet werden kann.36 Unter verhaltensbezogenem Lärm fällt nur die nicht mehr bestimmungsgemäße Nutzung einer Anlage oder Einrichtung .37 Die Schaffung diesbezüglicher Regelungen fallen in die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Eine City-Maut auf die Nutzung öffentlicher Straßen durch Kraftfahrzeuge im innerstaatlichen Bereich knüpft hingegen an den bestimmungsgemäßen Betrieb von Anlagen (Kraftfahrzeugen) an. Eine diesbezügliche Regelung ist daher von der Kompetenzzuweisung des Artikel 74 Abs. 1 Nr. 24 Variante 3 GG gedeckt. Im Ergebnis dürfte dem Bund daher die konkurrierende Gesetzgebung für ein City-Maut Gesetz aufgrund der Kompetenztitel aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 Varianten 2 und 3 GG zustehen. Dies setzt jedoch voraus, dass eine Regelung des Bundes auch im Schwerpunkt auf die Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung abzielt.38 Ein Gesetz könnte sich hingegen nicht auf diesen Kompetenztitel stützen, wenn die Regelungen die Materien des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 Varianten 2 und 3 GG nur am Rande betreffen. 36 Hansmann, NVwZ 2007, 17 (20). 37 Hansmann, NVwZ 2007, 17 (20). 38 Vgl. BVerfGE 98, 265, 302.