Deutscher Bundestag Erfolgsaussichten von Bußgeldverfahren gegen Webseitenbetreiber aktualisierte Fassung vom 7. Oktober 2011 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 288/11 neu Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/11 neu Seite 2 Erfolgsaussichten von Bußgeldverfahren gegen Webseitenbetreiber Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 288/11 neu Abschluss der Arbeit: 7. Oktober 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/11 neu Seite 3 1. Einleitung Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) hat am 19. August 2011 ein Arbeitspapier mit dem Titel „Datenschutzrechtliche Bewertung der Reichweitenanalyse durch Facebook“ veröffentlicht.1 Auf Grundlage seiner technischen und rechtlichen Analyse kommt das ULD zu dem Ergebnis, dass sogenannte Fanpages bei Facebook und Social- Plugins wie der „Gefällt mir“-Button gegen das Telemediengesetz (TMG)2 und gegen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)3 verstoßen. In einer Pressemitteilung vom gleichen Tag fordert das ULD alle Webseitenbetreiber in Schleswig-Holstein auf, ihre Fanpages bei Facebook und Social- Plugins auf ihren Webseiten zu entfernen. Das UDL erwarte, dass sie umgehend die Datenweitergaben über ihre Nutzenden an Facebook in die USA einstellen, indem sie die entsprechenden Dienste deaktivieren. Erfolge dies nicht bis Ende September 2011, so werde das ULD weitergehende Maßnahmen – bei öffentlichen Stellen Beanstandungen nach § 42 LDSG SH4, bei privaten Stellen Untersagungsverfügungen nach § 38 Abs. 5 BDSG sowie Bußgeldverfahren – ergreifen.5 Vorliegende Ausarbeitung untersucht die Erfolgsaussichten etwaiger Bußgeldverfahren gegen Webseitenbetreiber in formeller Hinsicht. Dahingestellt bleibt, inwieweit der rechtlichen Bewertung des ULD zuzustimmen ist und etwaige Bußgeldverfahren daher materiell-rechtlich begründet wären.6 Die Begutachtung der Erfolgsaussichten beschränkt sich vielmehr auf die Darstellung der Zuständigkeit für die angedrohten Bußgeldverfahren sowie des Verfahrensablaufs. 2. Formelle Voraussetzungen für Bußgeldverfahren gegen Webseitenbetreiber § 43 BDSG enthält einen umfangreichen Katalog von Bußgeldtatbeständen, wobei sich die Tatbestände in Absatz 1 auf Verstöße gegen Verfahrensvorschriften beziehen, Absatz 2 dagegen auf Verstöße gegen materielle Datenschutzbestimmungen abstellt. Absatz 3 sieht für Verstöße nach Absatz 1 eine Geldbuße von bis zu fünfzigtausend Euro, für Verstöße nach Absatz 2 Geldbußen von bis zu dreihunderttausend Euro vor. Für den Anwendungsbereich des TMG beinhaltet au- 1 Abrufbar unter: https://www.datenschutzzentrum.de/facebook/facebook-ap-20110819.pdf (31.08.2011). 2 Telemediengesetz (TMG) vom 26.2.2007 (BGBl. I S. 179), zuletzt geändert durch Artikel 1 1. Telemedienänderungsgesetz vom 31.05.2010 (BGBl. I S. 692). 3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.01.2003 (BGBl. I S. 66) zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften vom 14.08.2009 (BGBl. I S. 2814). 4 Schleswig-Holsteinischen Gesetz zum Schutz personenbezogener Informationen (Landesdatenschutzgesetz - LDSG -) vom 09.02.2000 (GVOBl. Schl.-H. S. 169), zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes zur Neuregelung des Beamtenrechts in Schleswig-Holstein vom 26.03.2009 (GVOBl. Schl.-H. S. 93). 5 Pressemitteilung des ULD vom 19.08.2011, abrufbar unter: https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20110819-facebook.htm (31.08.2011). 6 Eine Untersuchung der rechtlichen Bewertung des ULD wird Gegenstand der Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 293/11 sein. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/11 neu Seite 4 ßerdem § 16 TMG Bußgeldtatbestände; nach § 16 Abs. 3 TMG können diese Ordnungswidrigkeiten mit Geldbußen von bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden. 2.1. Zuständigkeit des ULD Die Bußgeldtatbestände des BDSG und des TMG enthalten keine Regelungen über die zuständige Verwaltungsbehörde, es gelten vielmehr die allgemeinen Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)7.8 Nach § 36 Abs. 1 OWiG ist für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten die Behörde sachlich zuständig, die durch Gesetz bestimmt wird bzw. mangels einer solchen die fachlich zuständige oberste Landesbehörde oder das fachlich zuständige Bundesministerium , soweit das Gesetz von Bundesbehörden ausgeführt wird. Hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 16 TMG ist zu differenzieren. Für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 TMG wurde die Zuständigkeit durch § 38 Abs. 6 Medienstaatsvertrag HSH9 der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein zugewiesen. Diese Ordnungswidrigkeiten betreffen die Impressumspflicht und das Verbot, den Absender oder kommerziellen Charakter einer E-Mail zu verschleiern. Die übrigen Tatbestände des § 16 Abs. 2 TMG betreffen Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften des TMG. Die Zuständigkeit für die Ahndung dieser Ordnungswidrigkeiten wird in der – ausschließlich in Online-Medien geführten Diskussion – unterschiedlich beurteilt. Nach einer Auffassung10 soll die Zuständigkeit mangels anderer ausdrücklicher gesetzlicher oder untergesetzlicher Regelung nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 lit. a OWiG dem Landesinnenministerium als fachlich zuständiger oberster Landesbehörde zustehen. Demgegenüber beruft sich das ULD auf die Regelung des § 45 Abs. 1 LDSG11, wodurch eine gesetzliche Zuweisung der ursprünglich dem Landesinnenministerium obliegenden Aufgaben an das ULD erfolgt sei. § 45 Abs. 1 LDSG bestimmt , dass die am 30. Juni 2000 dem bei dem Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Land- 7 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.02.1987 (BGBl. I S. 602) zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2353). 8 Klebe, Thomas in: Däubler, Wolfgang/Klebe, Thomas/Wedde, Peter/Weichert, Thilo, Bundesdatenschutzgesetz Kompaktkommentar, 3. Auflage 2010, § 43 Rn. 23; Heckmann, in: jurisPK-Internetrecht, 2. Auflage 2009, Kap. 1.16 Rn. 17. 9 Staatsvertrag über das Medienrecht in Hamburg und Schleswig-Holstein (Medienstaatsvertrag HSH) vom 13.06.2006 in der Fassung des Staatsvertrags zur Änderung des Staatsvertrags über das Medienrecht in Hamburg und Schleswig-Holstein (Zweiter Medienänderungsstaatsvertrag HSH) vom 03./04.06.2008, abrufbar unter: http://www.ma-hsh.de/cms/upload/downloads/Rechtsvorschriften/1.1_MedienStV0908.pdf (Stand: 05.09.2011). 10 Diskussionsbeitrag von Rocknrolla vom 22. August 2011 zum Beitrag Keine Zuständigkeit für Bußgeldbescheide im Blog Socialmediarecht, abrufbar unter: http://socialmediarecht.wordpress.com/2011/08/22/uld-facebookkeine -zustandigkeit-fur-busgeldbescheide/ (abgerufen am 7. Oktober 2011). 11 Abrufbar unter: https://www.datenschutzzentrum.de/facebook/faq_de.html (abgerufen am 7. Oktober 2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/11 neu Seite 5 tages eingerichteten Landesbeauftragten für den Datenschutz sowie der Datenschutzaufsichtsbehörde im Innenministerium obliegenden Aufgaben am 1. Juli 2000 auf das ULD übergehen. Fraglich ist allerdings, ob hiervon auch die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten erfasst ist. Die Gesetzgebungsmaterialien, soweit sie allgemein zugänglich sind, enthalten zu dieser Frage keine Hinweise. Es dürfte zwar anzunehmen sein, dass die genannten Stellen für die Verfolgung und Ahndung datenschutzrechtlicher Ordnungswidrigkeiten in der Vergangenheit zuständig waren. Dies kann allerdings nicht anhand des Wortlauts des Gesetzes nachvollzogen werden. Die übergegangenen Aufgaben werden nicht näher bezeichnet. Zudem ist nicht ersichtlich, ob durch diese Übertragung auch typischerweise ministerielle Aufgaben dem ULD zufallen und dieses dadurch zur obersten Landesbehörde in Sachen Datenschutz werden sollte. In der Diskussion werden daher Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit des § 45 Abs. 1 LDSG hinsichtlich der Zuständigkeitsübertragung geäußert.12 Das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Bestimmtheitsgebot fordert, dass staatliches Handeln – insbesondere bei Eingriffen in die Rechtssphäre des Einzelnen – für die Rechtsunterworfenen berechenbar sein muss.13 Hierzu dürfte auch die Frage zählen, durch wen der Staat gegenüber dem Bürger tätig werden darf. Es erscheint jedenfalls zweifelhaft, ob die Regelung des § 45 LDSG diesen Anforderungen genügt, zumal die Zuständigkeit für die Ahndung anderer datenschutzrechtlicher Verstöße durch das ULD ausdrücklich in einer Zuständigkeitsverordnung14 geregelt ist. Hieraus kann gefolgert werden, dass der Verordnungsgeber eine Regelung der Zuständigkeitsfragen für Verstöße gegen Datenschutzvorschriften für regelungsbedürftig hielt und nicht von einer „Generalzuständigkeit“ des ULD aufgrund von § 45 Abs. 1 LDSG ausging. Schließlich ist anzumerken, dass die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach § 16 TMG eine Aufgabe ist, die erst mit dem Inkrafttreten des TMG im Jahr 2007 entstanden ist und daher keine Aufgabe ist, die durch die Regelung des § 45 Abs. 1 LDSG im Jahr 2000 auf das ULD übergegangen sein kann. Etwas anderes würde allenfalls gelten, wenn das ULD durch die Regelung in § 45 Abs. 1 LDSG zur obersten Landesbehörde geworden wäre und das Landesinnenministerium keine Aufgaben im Bereich des Datenschutzes mehr wahrnehmen könnte. Dies wäre – jedenfalls auf Bundesebene – eine sehr ungewöhnliche Aufgabenverteilung bzw. -entziehung. Folgt man der Auffassung, dass § 45 Abs. 1 LDSG keine Zuständigkeitsübertragung für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach dem TMG regelt, wäre das ULD für die Verhängung eines 12 Strunk („Kielanwalt“), Bußgeld-Androhung des ULD wegen angeblicher Verstöße gegen das TMG ist rechtswidrig , im Blog LEGALIT, abrufbar unter: http://blawg.legalit.de/2011/08/22/bussgeld-androhung-des-uld-wegenangeblichem -verstoss-gegen-das-tmg-rechtswidrig/ (abgerufen am 7. Oktober 2011). 13 Sommermann, Karl-Peter in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 2, 6. Auflage, 2010, Art. 20 Rn. 289. 14 Landesverordnung zur Bestimmung der zuständigen Behörden für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (Ordnungswidrigkeiten-Zuständigkeitsverordnung - OWiZustVO) vom 22.01.1988 (GVOBL. Schl.-H. 2008, S. 32). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 288/11 neu Seite 6 Bußgeldes nach § 16 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 TMG nicht zuständig.15 Stattdessen wäre das Landesinnenministerium nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 lit. a OWiG zuständig. Im Hinblick auf die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 43 BDSG ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des ULD aus Nr. 3.5.2 der Anlage zur schleswig-holsteinischen Landesverordnung zur Bestimmung der zuständigen Behörden für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (OWiZustVO).16 2.2. Verfahren nach dem OWiG Die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach dem BDSG setzt keinen Antrag eines Geschädigten voraus, vielmehr können Anzeigen durch jedermann erfolgen.17 Gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 OWiG liegt die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde . Kommt die Behörde – im Rahmen des sogenannten Vorverfahrens – zu dem Ergebnis, dass ein Bußgeldtatbestand verwirklicht wurde, so kann sie gemäß § 65 OWiG einen entsprechenden Bußgeldbescheid erlassen, bei Geringfügigkeit der Ordnungswidrigkeit gemäß § 56 O- WiG eine Verwarnung aussprechen oder das Verfahren gemäß § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG einstellen. All diese Entscheidungen liegen im Ermessen der Behörde, das Opportunitätsprinzip beherrscht das Verfahren.18 Wird ein Bußgeldbescheid erlassen und wehrt sich der Betroffene hiergegen nicht, so führt dies dazu, dass der Bescheid rechtskräftig und vollstreckbar wird. Der Betroffene hat aber auch die Möglichkeit, gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 67 Abs. 1 OWiG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch einzulegen. Der Einspruch leitet in das sogenannte Zwischenverfahren ein, in welchem die Verwaltungsbehörde, die Staatsanwaltschaft und das Gericht mit der Sache befasst werden können.19 Führt auch das Zwischenverfahren zu keiner Erledigung, so schließt sich gemäß den §§ 71 ff. OWiG das gerichtliche Hauptverfahren erster Instanz an. 15 So auch Härting, Niko, Öffentlichkeitsarbeit einer Landesbehörde, CR 2011, 585, 588, abrufbar unter: http://www.computerundrecht.de/media/2011_08- 22_Haerting_Oeffentlichkeitsarbeit_einer_Landesbehoerde.pdf (Stand: 05.09.2011). 16 Landesverordnung zur Bestimmung der zuständigen Behörden für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (Ordnungswidrigkeiten-Zuständigkeitsverordnung - OWiZustVO) vom 22.01.1988 (GVOBL. Schl.-H. 2008, S. 32). 17 Klebe, Thomas in: Däubler, Wolfgang/Klebe, Thomas/Wedde, Peter/Weichert, Thilo, Bundesdatenschutzgesetz Kompaktkommentar, 3. Auflage 2010, § 43 Rn. 23. 18 Mitsch, Wolfgang, Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Auflage 2005, § 22 Rn. 3. 19 Mitsch, Wolfgang, Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Auflage 2005, § 22 Rn. 4.