© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 287/15 Fragen zum Beschluss der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD vom 5. November 2015 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 2 Fragen zum Beschluss der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD vom 5. November 2015 Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 287/15 Abschluss der Arbeit: 24. November 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Zu den unterschiedlichen Vorhaben im Einzelnen 4 2.1. Einheitlicher Ausweis und Datenbank für Asylbewerber und Flüchtlinge 4 2.2. Beschleunigtes Verfahren für Bewerber mit geringer Aussicht auf Anerkennung 5 2.2.1. Anlehnung an das sog. Flughafenverfahren 5 2.2.2. Unterbringung in besonderen Aufnahmeeinrichtungen mit verschärfter Residenzpflicht 6 2.2.3. Konsequenzen bei Verstößen gegen die Residenzpflicht 6 2.2.3.1. Wegfall des Leistungsanspruchs 7 2.2.3.2. Ruhen des Asylantrages bzw. sofortige Ausweisung 8 2.3. Einschränkung des Familiennachzugs 10 2.3.1. Kein Anspruch auf Familiennachzug 10 2.3.2. Anspruch auf „angemessene Berücksichtigung“ 10 2.4. Eigenbeteiligung an den Kosten der Sprach- und Integrationsförderung 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 4 1. Fragestellung Am 5. November 2015 haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD einen Beschluss über beabsichtigte Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegung getroffen, der insbesondere Maßnahmen zur Beschleunigung von Asylverfahren vorsieht.1 Gefragt wird, inwieweit die dort vorgesehenen Maßnahmen verfassungsrechtliche Probleme mit sich bringen würden. Der Beschluss vom 5. November 2015 enthält Absichtserklärungen sowie Ankündigungen von Gesetzen und Gesetzesänderungen. Dabei beschränkt sich der Beschluss auf eine grobe Skizzierung der geplanten Maßnahmen. Da die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes(änderungs)vorhabens stets im besonderen Maße von seiner konkreter Ausgestaltung abhängt und im vorliegenden Fall zum jetzigen Zeitpunkt noch keine hinreichend konkreten entsprechenden Angaben vorliegen, kann im Folgenden keine vertiefte Bewertung der im Beschluss vorgesehenen Vorhaben in verfassungsrechtlicher Hinsicht erfolgen. Die folgende Ausarbeitung muss sich daher darauf beschränken, einen Überblick über die jeweiligen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und die einschlägige Rechtsprechung zu den wesentlichsten Punkten2 des Beschlusses zu geben. 2. Zu den unterschiedlichen Vorhaben im Einzelnen 2.1. Einheitlicher Ausweis und Datenbank für Asylbewerber und Flüchtlinge Der Beschluss sieht die Schaffung eines einheitlichen Ausweises und einer Datenbank für Asylbewerber und Flüchtlinge mit den für die Durchführung der Verfahren in Deutschland erforderlichen Daten vor. Hierzu soll ein entsprechendes Gesetz mit klaren Festlegungen des zu speichernden Datenkranzes und der Zugriffsrechte der betroffenen Behörden erlassen werden. Ein solches Vorhaben ist nicht von vornherein als verfassungsrechtlich problematisch zu beurteilen. Allerdings muss der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Regelungen den nach dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Schutz der personenbezogenen Daten der Betroffenen sicherstellen.3 Einschränkungen des Grundrechts – die nur in einem überwiegenden Allgemeininteresse zulässig sind – bedürfen dabei einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen für den Betroffenen klar und erkennbar ergeben. 1 Abrufbar unter https://www.spd.de/scalableImageBlob/131046/data/20151105_koabeschluss-data.pdf (letzter Abruf am 16. November 2015). 2 Darüber hinaus erwähnt der Beschluss zahlreiche weitere Aspekte (bspw. Beschaffung von Papieren für Personen, die Deutschland wieder verlassen müssen, Präzisierung von Rahmenbedingungen für Erstellung ärztlicher Atteste im Zusammenhang mit Abschiebungen, Wiederherstellung des Schutzes der Außengrenzen, Beendigung illegaler Schleusungen und Migration, Einberufung eines EU-Türkei-Gipfels, Beteiligung an der Stabilisierung von Afghanistan , Ermöglichung der Integration der aufgenommenen Ausländer), die jedoch mangels hinreichender Konkretisierung in die vorliegende Untersuchung nicht miteinbezogen werden können. 3 Vertiefend zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz , Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art. 2 Abs. 1 Rn. 114 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 5 2.2. Beschleunigtes Verfahren für Bewerber mit geringer Aussicht auf Anerkennung Weiter sieht der Beschluss vom 5. November 2015 die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern, mit Wiedereinreisesperren, mit Folgeanträgen oder ohne Mitwirkungsbereitschaft vor. 2.2.1. Anlehnung an das sog. Flughafenverfahren In Anlehnung an das sog. Flughafenverfahren sollen die zeitlichen Abläufe so gestaltet werden, dass das Verwaltungsverfahren innerhalb einer Woche und das Rechtsmittelverfahren innerhalb von zwei Wochen durchgeführt werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat sich seiner Entscheidung von 1996 zum sog. Flughafenverfahren mit verfahrensrechtlichen Vorgaben des Grundrechts auf Asyl aus Art. 16a GG und den Vorgaben des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG befasst.4 So führt das Gericht in Hinblick auf Art. 16a GG aus, dass Verfahren, die mit gleichsam konstitutiver Wirkung die Geltendmachung einer grundrechtlichen Gewährleistung regelten, von Verfassungs wegen „sachgerecht , geeignet und zumutbar“ sein müssten.5 Dem Gesetzgeber komme dabei in Bezug auf Organisation und Verfahren ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber verfolgten Interesses, unberechtigte Asylbegehren möglichst schnell zurückzuweisen, und der auf der anderen Seite bestehenden besonderen Schwierigkeiten der Betroffenen, ihr Asylgesuch trotz der Sprachschwierigkeiten, fehlender Rechtskenntnis und sonstiger Belastungen geltend zu machen, hat das Bundesverfassungsgericht für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Asylgrundrechts aus Art. 16a GG folgende Leitlinien aufgestellt: „Sowohl bei der Wahl des Zeitpunkts der Anhörung, auf deren Grundlage das Bundesamt über den Antrag entscheidet, als auch bei der erforderlichen Vorbereitung des Antragstellers auf die Anhörung und bei deren Durchführung ist auf seine physische und psychische Verfassung Rücksicht zu nehmen. Ferner ist – soweit möglich – alles zu vermeiden, was zu Irritationen und in deren Gefolge zu nicht hinreichend zuverlässigem Vorbringen in der Anhörung beim Bundesamt führen kann. Auch im Übrigen ist – etwa in Bezug auf den Einsatz hinreichend geschulten und sachkundigen Personals und zuverlässiger Sprachmittler oder die Art der Unterbringung der Asylbewerber während des Verfahrens – auf die Schaffung von Rahmenbedingungen Bedacht zu nehmen, unter denen tragfähige Entscheidungsgrundlagen erzielt und die Asylantragsteller vollständige und wahrheitsgetreue Angaben machen können.“6 In Hinblick auf den gerichtlichen Rechtsschutz und das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG fordert das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum sog. Flughafenverfahren Vorkehrungen, „daß die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes nicht durch die obwaltenden Umstände (insbesondere Abgeschlossensein des asylsuchenden Ausländers 4 BVerfGE 94, 166. 5 BVerfGE 94, 166 (200). 6 BVerfGE 94, 166 (202), Hervorhebungen nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 6 im Transitbereich, besonders kurze Fristen, Sprachunkundigkeit) unzumutbar erschwert oder gar vereitelt wird“.7 2.2.2. Unterbringung in besonderen Aufnahmeeinrichtungen mit verschärfter Residenzpflicht In Deutschland sollen laut Beschluss besondere Aufnahmeeinrichtungen geschaffen werden, die hinsichtlich des eingangs genannten Personenkreises für die Asylantragstellung, die Antragsbearbeitung und -entscheidung, das Rechtsmittelverfahren und die Rückführung abgelehnter Bewerber ausschließlich zuständig sind. Während des Aufenthalts in der Aufnahmeeinrichtung gilt für den Bewerber nach den Plänen eine verschärfte Residenzpflicht, bezogen auf den Bezirk der unteren Ausländerbehörde. Die Unterbringung der Betroffenen in besonderen Aufnahmeeinrichtungen und die Auferlegung einer Residenzpflicht begegnet nicht von vornherein verfassungsrechtlichen Bedenken. In einer Entscheidung aus 1997 hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsmäßigkeit einer räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsgestattung (also des Rechts, sich zur Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland aufhalten zu dürfen) für Asylbewerber befasst.8 Das Gericht hat die Residenzpflicht allein am Maßstab des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG gemessen, da das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. Art. 104 GG) von vornherein nicht eine Befugnis gewährleiste, sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hin bewegen zu dürfen.9 Werde – wie in dem Fall der vom Bundesverfassungsgericht zu beurteilenden Residenzpflicht – durch die gesetzliche Beschränkung der freien Persönlichkeitsentfaltung ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung nicht beeinträchtigt, müsse jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen würden.10 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung die jederzeitige Erreichbarkeit des Asylbewerbers für die Zwecke seines Verfahrens und die beschleunigte Durchführung des Asylverfahrens als solche Gemeinwohlbelange angesehen und die zu überprüfenden Regelungen – unter anderem aufgrund einer Ausnahmeregelung zur Vermeidung einer unbilligen Härte – auch als verhältnismäßig angesehen.11 2.2.3. Konsequenzen bei Verstößen gegen die Residenzpflicht Der Beschluss vom 5. November 2015 sieht vor, dass Verstöße gegen die Residenzpflicht den Wegfall des Leistungsanspruchs und das Ruhen des Asylantrages zur Folge haben sollen.12 Zur 7 BVerfGE 94, 166 (206), Hervorhebungen nicht im Original. 8 BVerfGE 96, 10. 9 BVerfGE 96, 10 (21). 10 BVerfGE 96, 10 (21). 11 BVerfGE 96, 10 (22 ff.). 12 Siehe den Beschluss vom 5. November 2015 unter B.4. Da in B.3. von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gesprochen wird, ist davon auszugehen, dass der hier vorgesehene Wegfall des Leistungsanspruchs sich auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezieht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 7 Wiederaufnahme eines ruhenden Asylantrages ist nach den Plänen ein Wiederaufnahmeantrag erforderlich, der nur einmal und nur in der zuständigen Einrichtung gestellt werden kann. Ein erneuter Verstoß gegen die Residenzpflicht soll das Erlöschen des Antrages und die sofortige Ausweisung zur Folge haben. Aufenthaltsbeende Maßnahmen können dabei unabhängig von einem eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. 2.2.3.1. Wegfall des Leistungsanspruchs Eine Regelung, die beim erstmaligen Verstoß eines Betroffenen gegen die Residenzpflicht den Wegfall dessen Leistungsanspruchs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorsieht, wäre am Maßstab des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zu messen. Fehlen einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen, noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat danach im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfeberechtigten zur Verfügung stehen.13 Mit dieser objektiven Verpflichtung korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass der genaue Umfang des Leistungsanspruchs nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden könne, sondern im Einzelnen vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen sei.14 Dem Gesetzgeber stehe insoweit ein Gestaltungsspielraum zu.15 Dieser Gestaltungsspielraum werde jedoch durch eine absolute Untergrenze begrenzt. Zudem stellt das Gericht klar, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren sei.16 Aufgrund des Umstandes, dass im vorliegenden Fall aufgrund der mangelnden Konkretheit des Beschlusses ungeklärt bleibt, ob der Leistungsausschluss tatsächlich vollständig und ausnahmslos gelten soll17, kann hier keine abschließende verfassungsrechtliche Beurteilung erfolgen.18 In Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schütze, eine Sicherstellung des 13 Siehe z.B. BVerfGE 125, 175 (222). 14 BVerfGE 125, 175 (224). 15 BVerfGE 125, 175 (224 f.). 16 BVerfGE 132, 134 (173). 17 Dies kann nicht zweifelsfrei angenommen werden, da in anderen Quellen beispielsweise lediglich von „Nachteilen beim Leistungsanspruch“ gesprochen wird, siehe die Darstellung unter „Wie sollen Verfahren für Bewerber mit geringer Aussicht auf Anerkennung beschleunigt werden?“ auf http://www.spd.de/aktuelles/fluechtlingsgipfel / (letzter Abruf am 18. November 2015). 18 Vertiefend zu Leistungskürzungen für Asylsuchende die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 7. September 2015, Zulässigkeit genereller Leistungskürzungen für Asylsuchende aus West-Balkanstaaten – Verfassungsrechtliche Maßstäbe, WD 3 - 3000 - 194/15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 8 Existenzminimums in jedem Einzelfall verlange19, kann jedoch festgehalten werden, dass ein vollständiger und ausnahmsloser Leistungsausschluss verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Zwar verweisen einzelne Gerichte im Rahmen der Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses ausländischer Unionsbürger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch auf den weiten Spielraum, den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besitze.20 Hierauf gestützt argumentieren sie, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Existenzminimums berücksichtigen dürfe, dass es ausländischen Unionsbürgern ohne Weiteres rechtlich möglich, aber auch zumutbar sei, in das Heimatland zurückzukehren, wenn das Existenzminimum in Deutschland nicht gesichert sei, im Heimatland aufgrund der dort geltenden Bestimmungen aber gesichert wäre.21 Ob eine solche Rückkehrmöglichkeit bei den Betroffenen im vorliegenden Fall angenommen werden kann, erscheint jedoch fraglich. Darüber hinaus wird auch in Bezug auf ausländische Unionsbürger mit einer solchen Rückkehrmöglichkeit die Erforderlichkeit der Übernahme der Kosten für die Rückreise und den bis dahin erforderlichen Aufenthalt angenommen.22 2.2.3.2. Ruhen des Asylantrages bzw. sofortige Ausweisung Die in dem Beschluss vom 5. November 2015 für Verstöße gegen die Residenzpflicht vorgesehenen Konsequenzen (Ruhen des Asylantrages bzw. sofortige Ausweisung) sind vergleichbar mit den bereits heute im Asylgesetz (AsylG) enthaltenen verfahrensrechtlichen Regelungen, nach denen unter bestimmten Voraussetzungen ein Asylantrag als zurückgenommen gilt (sog. Rücknahmefiktion, z.B. in § 32a Abs. 2 AsylG, § 33 AsylG, § 81 AsylG). Sowohl die Rücknahmefiktion als auch die hier in Frage stehenden Konsequenzen von Verstößen gegen die Residenzpflicht sollen der Beschleunigung des Asylverfahrens in Form der Durchsetzung der verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten des Asylbewerbers dienen und wirken sich auf die Aufenthaltsberechtigung des Betroffenen aus. Insofern sind bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der hier in Frage stehenden Konsequenzen die entsprechende Literatur und Rechtsprechung zur asylverfahrensrechtlichen Rücknahmefiktion heranzuziehen. Laut Literatur bestehen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rücknahmefiktionen im Asylgesetz.23 Verwiesen wird jedoch auf enge verfassungsrechtliche Grenzen für die Auslegung und Anwendung der Regelungen, die sich zum einen aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 19 BVerfGE 125, 175 (253). 20 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Februar 2010 – L 15 AS 30/10 B ER, Rn. 30 (zitiert nach juris); SG Karlsruhe, BeckRS 2014, 66783, Rn. 78. 21 Siehe SG Karlsruhe, BeckRS 2014, 66783, Rn. 78; ähnlich auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Juni 2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B, Rn. 39 (zitiert nach juris). 22 Siehe z.B. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER, Rn. 66 (zitiert nach juris). 23 Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand der Kommentierung: 90. EL (Mai 2015), § 32a AsylVfG Rn. 12; siehe auch Bergmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 33 AsylVfG Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 9 GG und zum anderen aus der verfahrensrechtlichen Relevanz des Asylgrundrechts aus Art. 16a Abs. 1 GG ergeben würden.24 Auch das Bundesverfassungsgericht hat – unter Betonung der verfassungsrechtlichen Grenzen für die Auslegung und Anwendung – die asylverfahrensrechtliche Erledigungsfiktion nach ergebnisloser Aufforderung, das Verfahren zu betreiben (Betreibensaufforderung), als im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich unproblematisch angesehen.25 Das Gericht verweist dabei auf die vom Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang entwickelten Grundsätze.26 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müssen danach zum einen zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Interesses des Betroffenen an einer Sachentscheidung bestehen, die den späteren Eintritt der Fiktion als gerechtfertigt erscheinen ließen. Solche Anhaltspunkte könnten sich aus der Vernachlässigung einer gesetzlich geregelten Mitwirkungspflicht ergeben. Zum anderen dürfe der Betroffene innerhalb der Frist nicht substantiiert dargetan haben, warum sein Interesse an einer Sachentscheidung trotz der sich aus der Betreibensaufforderung ergebenden Zweifel nicht entfallen sei. An anderer Stelle hat das Bundesverfassungsgericht die im Asylgesetz27 normierte Verpflichtung des Asylbewerbers zur Angabe jeder Anschriftenänderung und deren Sanktion durch eine Zustellungsfiktion28 als verfassungsrechtlich zulässig – insbesondere vereinbar mit Art. 16a GG – erachtet.29 In diesem Zusammenhang verweist das Gericht darauf, dass die wirksame Durchsetzung des Asylgrundrechts in besonderer Weise auf eine geeignete verfahrensrechtliche Ausgestaltung angewiesen sei.30 Gleichzeitig betont das Gericht jedoch, dass der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Zustellungsfiktion erleiden könne, nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich sei, wenn der Betroffene auf die für ihn geltenden Obliegenheiten und die Folgen bei deren Nichtbeachtung hingewiesen werde.31 Betrachtet man im vorliegenden Fall die Residenzpflicht als verfahrensrechtliche Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers und geht von den oben erläuterten Grundsätzen der Rechtsprechung aus, sind die hier in Frage stehenden Konsequenzen von Verstößen gegen die Residenzpflicht nicht von vornherein als verfassungsrechtlich problematisch zu bewerten. Dies gilt insbesondere 24 Siehe zu den verfahrensrechtlichen Vorgaben des Grundrechts auf Asyl aus Art. 16a GG oben unter 2.2.1. 25 BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Mai 1993 – 2 BvR 1972/92, Rn. 14 (zitiert nach juris). 26 Das Bundesverfassungsgericht nimmt insbesondere Bezug auf BVerwGE 71, 213 (218), siehe auch BVerwG, NVwZ 2014, 158 (159). 27 Damals Asylverfahrensgesetz. 28 Die Zustellungsfiktion bewirkt den Lauf einer gesetzlichen Frist und kann damit für den Betroffenen einschneidende Folgen haben, siehe hierzu Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand der Kommentierung: 64. EL (Juni 2009), § 10 AsylVfG Rn. 25 ff. 29 BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. März 1994 – 2 BvR 2371/93, Rn. 14 ff. (zitiert nach juris). 30 BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. März 1994 – 2 BvR 2371/93, Rn. 15 (zitiert nach juris). 31 BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. März 1994 – 2 BvR 2371/93, Rn. 19 ff. (zitiert nach juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 10 vor dem Hintergrund, dass ein von einer Ausweisung betroffener Ausländer nicht schutzlos gestellt ist (vgl. § 60 Abs. 5 und 7, § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)). 2.3. Einschränkung des Familiennachzugs Weiter soll nach dem Beschluss mittels einer Gesetzesänderung für Antragsteller mit subsidiärem Schutz der Familiennachzug für einen Zeitraum von zwei Jahren ausgesetzt werden. Mangels konkreter Regelungsvorschläge kann eine abschließende verfassungsrechtliche Beurteilung, die beispielsweise auch Fragen der Gleichbehandlung verschiedener Ausländergruppen nach Art. 3 Abs. 1 GG umfassen würde, nicht erfolgen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf das in erster Line betroffene Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1 GG und die daraus folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben. 2.3.1. Kein Anspruch auf Familiennachzug Die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1 GG zum Schutz von Ehe und Familie stehen Beschränkungen des Familiennachzugs nicht grundsätzlich entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seinem grundlegenden Beschluss aus dem Jahr 1987 festgestellt, dass die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen des Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1 GG keinen grundrechtlichen Anspruch auf Familiennachzug begründen.32 Vielmehr überantworte das Grundgesetz es der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt festzulegen, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Fremden der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werde.33 2.3.2. Anspruch auf „angemessene Berücksichtigung“ Aus dem grundrechtlichen Gehalt des Art. 6 GG als wertentscheidende Grundsatznorm folgert das Bundesverfassungsgericht aber einen Anspruch darauf, dass „die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG die bestehenden ehelichen und familiären Bindungen des Antragstellers an im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise berücksichtigen, die der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz in seinem Art. 6 dem Schutz von Ehe und Familie erkennbar beimisst. Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinen im Bundesgebiet lebenden nahen Angehörigen ständigen Aufenthalt zu nehmen.“34 Diese aus Art. 6 GG folgende Berücksichtigungspflicht bindet nach Art. 1 Abs. 3 GG auch den Gesetzgeber.35 Die hier vorgesehene gesetzliche Einschränkung des Familiennachzugs könnte gegen 32 BVerfGE 76, 1, 47 f. 33 BVerfGE 76, 1, 46. 34 BVerfGE 76, 1, 49 f., Hervorhebung nicht im Original. 35 Vgl. dazu auch Uhle, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck‘scher Online-Kommentar, Grundgesetz, Stand: September 2015, Art. 6 Rn. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 11 die Berücksichtigungspflicht verstoßen, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Vernachlässigung des Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1 GG erweist. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es darauf an, ob die gesetzliche Regelung einen legitimen Zweck verfolgt und insofern ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel darstellt. Legitim ist ein Zweck in diesem aufenthaltsrechtlichen Zusammenhang nicht erst, wenn er dem Schutz von Rechtsgütern mit Verfassungsrang dient.36 Vielmehr kann sich der Gesetzgeber auch auf allgemeine Interessen zur Begrenzung der „Zuwanderung von Ausländern ins Bundesgebiet“37 berufen. Befristete Einschränkungen des Familiennachzugs dürften – unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung – jedenfalls die mit dem bisher geltenden privilegierten Familiennachzug verbundenen Anreizwirkungen schmälern und damit ein geeignetes Mittel zur Begrenzung der Zuwanderung darstellen. Ob im Sinne der Erforderlichkeit weniger belastende, gleich wirksame Beschränkungen des Familiennachzugs in Betracht kommen und ob die Beschränkungen unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter angemessen sind, kann aber nur anhand eines konkreten Regelungsvorschlages geprüft werden. Die Schaffung einer erforderlichen und angemessenen Beschränkung des Familiennachzugs erscheint jedoch nicht ausgeschlossen. Insoweit ist auf Seiten der Familiennachzugswilligen zwar zu berücksichtigen , dass dem international subsidiär Schutzberechtigten die Herstellung der Familieneinheit durch eine Rückkehr ins Herkunftsland nicht zuzumuten wäre. Auf der anderen Seite fällt aber ins Gewicht, dass vorliegend gerade kein absoluter Ausschluss des Familiennachzugs nach dem Modell des § 29 Abs. 3 S. 3 AufenthG geplant ist, sondern „nur“ eine zweijährige Maßnahme. Angesichts der großen Zahl der Familiennachzugswilligen besteht ferner ein schützenswertes Interesse, die Anreizwirkungen des Familiennachzugs zu beschränken. Eine zweijährige Wartefrist könnte darüber hinaus dazu dienen, den Ausländer mit international subsidiärer Schutzberechtigung zu befähigen, die Lasten des Familiennachzugs z.B. durch eine Erwerbstätigkeit selbst oder weitgehend selbst zu tragen. Eine Verzögerung des Familiennachzugs um zwei Jahre dürfte danach nicht grundsätzlich unverhältnismäßig sein. 2.4. Eigenbeteiligung an den Kosten der Sprach- und Integrationsförderung Schließlich ist laut des Beschlusses vom 5. November 2015 geplant, in Hinblick auf die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch für die Erbringung von Sprach- und Integrationskursen künftig generelle eine angemessene Eigenbeteiligung (in Hinblick auf den Anteil des sozio-kulturellen Existenzminimums) vorzusehen. Es stellt sich also die Frage, ob die Gewährleistung des sozio-kulturellen Existenzminimums (zumindest teilweise) in Form von Sachleistungen, konkret in Form des Angebots von Sprach- und Integrationskursen, erfolgen kann. Das Bundesverfassungsgericht führt in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 zur Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch aus, dass sich der grundrechtliche Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sowohl auf die physische Existenz des Menschen, als auch auf die Sicherung der Möglichkeiten zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben beziehe.38 Gleichzeitig stellt 36 BVerfGE 76, 1, 53. 37 BVerfGE 76, 1, 47. 38 BVerfGE 125, 175 (223); siehe auch BVerfGE 132, 134 (160); BVerfGE 137, 34 (72). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 287/15 Seite 12 das Gericht jedoch klar, dass es grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen bleibe, ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichere.39 Zudem komme dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu, der enger sei, soweit er das physische Existenzminimum konkretisiere, und weiter sei, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe.40 In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 18. Juli 2012 ist keine Abkehr von dieser grundsätzlichen Aussage erkennbar.41 Dies gilt auch für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juli 2014 über die Verfassungsmäßigkeit bestimmter sozialrechtlicher Regelbedarfsleistungen . Dort führt das Gericht in Bezug auf Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 29 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (sog. Bildungspaket) aus, dass es auch im Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege, solche Leistungen nicht unmittelbar durch eigene Sachleistungen, sondern in Form von Gutscheinen über die Kosten für vorhandene kommunale Angebote zu erbringen.42 Erst wenn Gutscheinen kein nutzbares Angebot gegenüberstünde, wäre die Leistungserbringung durch Gutscheine aus verfassungsrechtlichen Gründen zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des Umstandes, dass im vorliegenden Fall wohl nur ein begrenzter Teil der Leistungen zur Gewährleistung des sozio-kulturellen Existenzminimums in Form von Sachleistungen erfolgen soll, erscheint die Berücksichtigung der Sprach- und Integrationskurse bei der Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch nicht von vornherein verfassungsrechtlich problematisch.43 Auch hier gilt jedoch, dass eine vertiefte verfassungsrechtliche Überprüfung erst bei Vorliegen eines konkreten Regelungsvorschlages und nur bei entsprechenden Gesamtbetrachtung der Leistungsgewährung möglich ist. Ende der Bearbeitung 39 BVerfGE 125, 175 (224); siehe auch BVerfGE 132, 134 (161). 40 BVerfGE 125, 175 (224 f.), siehe auch BVerfGE 132, 134 (161). 41 BVerfGE 132, 134 (177 f.): „Unter der Voraussetzung und in der Annahme, dass Sachleistungen aktuell das menschenwürdige Existenzminimum tatsächlich decken […]“. 42 BVerfGE 137, 34 (97). 43 Vertiefend zur Gewährung von Sachleistungen zur Gewährleistung des sozio-kulturellen Existenzminimums die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 7. September 2015, Zulässigkeit genereller Leistungskürzungen für Asylsuchende aus West-Balkanstaaten – Verfassungsrechtliche Maßstäbe, WD 3 - 3000 - 194/15, S. 11 f.