© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 285/14 Voraussetzungen für die Untersagung der Einreise eines Ausländers nach Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 2 Voraussetzungen für die Untersagung der Einreise eines Ausländers nach Deutschland Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 285/14 Abschluss der Arbeit: 03.12.2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 3 1. Fragestellung Medienberichten zufolge beabsichtigt die amerikanische Organisation Real Social Dynamics in Deutschland Seminare über das sog. Aufreißen von Frauen anzubieten. Den Medienberichten ist weiter zu entnehmen, dass im Rahmen dieser Seminare zu sexueller Gewalt aufgerufen werde, weshalb Australien, Großbritannien und Brasilien gegen einen Angehörigen dieser Organisation bereits ein Einreiseverbot verhängt hätten.1 Vor diesem Hintergrund wird um eine Darstellung der Voraussetzungen, die in Deutschland für die Verhängung eines Einreiseverbotes vorliegen müssen, gebeten sowie gefragt, ob es in diesem Zusammenhang – ähnlich wie in Australien – in Deutschland eine Liste mit „unerwünschten Personen“ gibt. 2. Voraussetzungen für die Untersagung der Einreise eines Ausländers Hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Ausländer die Einreise nach Deutschland untersagt werden kann, ist insbesondere nach der Staatsangehörigkeit des Ausländers zu differenzieren. Dabei sind zwei Hauptpersonengruppen zu unterscheiden: EU-Bürger auf der einen Seite (hierzu 2.1.) sowie Nicht-EU-Bürger auf der anderen Seite (hierzu 2.2.). Besondere Regelungen gelten für Asylsuchende, für Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen sowie für Staatsangehörige der Schweiz.2 2.1. Einreise von EU-Bürgern 2.1.1. Grundsatz der Freizügigkeit Gemäß Art. 21 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat jeder EU-Bürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Zu den damit geschützten Verhaltensweisen gehört auch die Einreise in andere Mitgliedstaaten.3 Anknüpfend an die gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsgarantien gewährt § 2 Abs. 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern und deren Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt.4 Für die Einreise bedürfen EU-Bürger nach § 2 Abs. 4 S. 1 FreizügG/EU keines Visums. Das Aufenthaltsgesetz 1 Siehe z.B. http://www.spiegel.de/panorama/leute/pickup-artist-julien-blanc-darf-nicht-nach-grossbritannien-einreisen -a-1003904.html; http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-11/real-social-dynamics-julien-blanc. 2 Die Voraussetzungen für deren Einreise bestimmen sich nach dem Asylverfahrensgesetz bzw. nach Regelungen des Völkerrechts. 3 Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Kommentar, 4. Aufl. 2011, Art. 21 AEUV Rn. 4. 4 Wer freizügigkeitsberechtigt ist, bestimmt sich nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Vom Anwendungsbereich des Freizüg G/EU ebenfalls erfasst werden Staatsangehörige von Island, Liechtenstein und Norwegen, § 12 FreizügG/EU. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 4 (AufenthG) findet dementsprechend grundsätzlich keine Anwendung auf die Einreise von EU- Bürgern und deren Familienangehörigen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). 2.1.2. Verlust des Rechts auf Einreise Allerdings kann nach § 6 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit auch einem EU-Bürger die Einreise verweigert werden, wobei ausdrücklich auf die europarechtlichen Grundlagen in Art. 45 Abs. 3 und Art. 52 Abs. 1 AEUV verwiesen wird. Durch den Verweis auf den AEUV wird klargestellt, dass es sich bei den Begriffen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit um gemeinschaftsrechtliche Begriffe handelt. Dementsprechend sind die Begriffe gemäß dem Unionsrecht und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH zu bestimmen.5 Von besonderer Bedeutung ist dabei die Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG). Festzuhalten ist zunächst, dass die Begriffe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit i.S.d. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU als Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit eng auszulegen sind.6 2.1.2.1. Öffentliche Ordnung und Sicherheit Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die öffentliche Ordnung bei einer Verletzung innerstaatlicher Vorschriften betroffen, wobei eine „tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung“ (also eine Gefahr weiterer Rechtsverletzungen) vorliegen muss, „die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.7 Eine hinreichend schwere Gefährdung ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn „gegenüber dem gleichen Verhalten, das von eigenen Staatsangehörigen ausgeht, keine Zwangsmaßnahmen oder andere tatsächlich effektive Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Verhaltens “ ergriffen werden.8 Hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit hat der EuGH entschieden, dass sie sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaates erfasst.9 Der EuGH hat ferner entschieden, dass die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen das Schutzgut der öffentliche Sicherheit berühren 5 Vgl. Huber, Aufenthaltsgesetz, Kommentar, 2010, § 6 FreizügG/EU Rn. 5; Alexy, in: Hofmann/Hoffmann (Hrsg.), Handkommentar Ausländerrecht, 2008, § 6 FreizügG/EU Rn. 19. 6 Siehe hierzu auch die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht , Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 6 FreizügG/EU Rn. 13 sowie bei Alexy, in: Hofmann/Hoffmann (Hrsg.), Handkommentar Ausländerrecht, 2008, § 6 FreizügG/EU Rn. 9. 7 EuGH, Rs. C-30/77, Slg. 1977, 1999 (2013) – Boucherau. 8 EuGH, Rs. C-115 und 116/81, Slg. 1982, 1665 (1708) – Adoui und Cournuaille. 9 Siehe bspw. EuGH, Rs. C-273/97, Slg. 1999, I-7432, Rn. 17 – Sirdar; EuGH, Rs. C-186/01, Slg. 2003, I-2479, Rn. 32 – Dory. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 5 können.10 Der EuGH hat jedoch klargestellt, dass daraus nicht folge, dass strafrechtliche Normen zum Schutz des Bürgers zwingend von dem Begriff der öffentlichen Sicherheit auszunehmen seien.11 Vielmehr könnten auch schwerwiegende Straftaten, die die Ruhe und Sicherheit der Bevölkerung bedrohen, unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit subsumiert werden.12 Entscheidend sei dabei, ob die Art und Weise der Begehung der Straftat besonders schwerwiegende Merkmale aufweise.13 Die Auslegung des Begriffes der öffentlichen Sicherheit ist jedoch nicht abschließend geklärt.14 § 6 Abs. 2 FreizügG/EU bestimmt näher, unter welchen Voraussetzungen nach einer strafrechtlichen Verurteilung eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU in Betracht kommt.15 Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt danach für sich genommen nicht, um die Einreise zu verweigern (S. 1). Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte Verurteilungen herangezogen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (S. 2). Diese Gefährdung muss tatsächlich sowie hinreichend schwer sein und damit ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (S. 3). Die Vorschrift setzt damit teilweise wörtlich Art. 27 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie um, wobei diese wiederum an die Rechtsprechung des EuGH anknüpft.16 Auf die strafrechtliche Verurteilung bezogen muss eine gewichtige Straftat vorliegen, um eine schwere Gefährdung darlegen zu können. Ausreichend sind dabei grundsätzlich mittlere oder schwere Straftaten wie Gewalt- oder schwere Drogendelikte.17 Ebenfalls vorliegen müssen jedoch die weiteren Erfordernisse einer konkreten Gefährdung. Erforderlich ist dabei das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr. Im Unterschied zum Gefahrenbegriff i.S.d. deutschen Polizeirechts ist eine hinreichende – unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierende – Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen 10 Siehe die Nachweise bei EuGH, Rs. C-145/09, Slg. 2010, I-11979, Rn. 44 – Tsakouridis. 11 EuGH, Rs. C-145/09, Slg. 2010, I-11979, Rn. 45 ff. – Tsakouridis. 12 Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: 86. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 81. Aktualisierung 2013), § 6 FreizügG/EU Rn. 30; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 6 FreizügG/EU Rn. 39. 13 EuGH, Rs. C-348/09, veröffentlicht in der digitalen Sammlung, Rn. 28 – P.I. 14 Siehe Huber, Aufenthaltsgesetz, Kommentar, 2010, § 6 FreizügG/EU Rn. 8; BVerfG (Kammer), NVwZ 2009, 519 (520). 15 Siehe hierzu Alexy, in: Hofmann/Hoffmann (Hrsg.), Handkommentar Ausländerrecht, 2008, § 6 FreizügG/EU Rn. 18 ff. 16 Alexy, in: Hofmann/Hoffmann (Hrsg.), Handkommentar Ausländerrecht, 2008, § 6 FreizügG/EU Rn. 10. 17 Siehe Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: 86. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 81. Aktualisierung 2013), § 6 FreizügG/EU Rn. 33 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung, siehe auch Alexy, in: Hofmann /Hoffmann (Hrsg.), Handkommentar Ausländerrecht, 2008, § 6 FreizügG/EU Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 6 wird, ausreichend.18 An den Nachweis einer konkreten Wiederholungsgefahr werden in der Rechtsprechung des EuGH zunehmend strengere Anforderungen gestellt.19 2.1.2.2. Öffentliche Gesundheit Die Verweigerung der Einreise aus Gründen der öffentlichen Gesundheit kann nach § 6 Abs. 1 S. 3 FreizügG/EU nur erfolgen, wenn es sich um Krankheiten mit epidemischen Potential im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation und sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten handelt, sofern gegen diese Krankheiten Maßnahmen im Bundesgebiet getroffen werden.20 Für die Beantwortung der Frage, ob gegen eine Krankheit entsprechende Maßnahmen im Bundesgebiet getroffen worden sind, kann auf die Rechtsprechung zur vorherigen Rechtslage, d.h. zu § 12 Abs. 6 Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft21, zurückgegriffen werden.22 Danach kann die Aufnahme von Krankheiten in das Bundesseuchengesetz – heute das Infektionsschutzgesetz – ein Indiz für schwerwiegende Krankheiten sein, die eine Freizügigkeitsbeschränkung rechtfertigen.23 2.2. Einreise von Nicht-EU-Bürgern Hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen einem Nicht-EU-Bürger die Einreise nach Deutschland verweigert werden kann, ist zwischen dem europäischen und dem deutschen Recht zu unterscheiden. 2.2.1. Voraussetzungen nach europäischem Recht Auf europäischer Ebene finden sich die wesentlichen Regelungen über die Einreise von Nicht-EU- Bürgern im Schengener Grenzkodex (Verordnung (EG) Nr. 562/2006), im Visakodex (Verordnung (EG) Nr. 810/2009) sowie in der EU-Visa-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 539/2001). Nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 Schengener Grenzkodex wird einem Nicht-EU-Bürger, der nicht alle Einreisevoraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Schengener Grenzkodex erfüllt und der nicht zu dem in Art. 5 Abs. 4 Schengener Grenzkodex genannten Personenkreis gehört, die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verweigert. Folgende Einreisevoraussetzungen muss ein Nicht-EU-Bürger, der 18 BVerwG, NVwZ 2005, 220 (222). 19 Siehe Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: 86. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 81. Aktualisierung 2013), § 6 FreizügG/EU Rn. 39 mit entsprechenden Nachweisen aus der Rechtsprechung. 20 Vgl. Art. 29 Abs. 1 Freizügigkeitsrichtlinie. 21 Aufgehoben mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch Gesetz vom 30. Juli 2004, siehe jetzt das FreizügG/EU. 22 Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: 86. Aktualisierung 2014 (Kommentierung 81. Aktualisierung 2013), § 6 FreizügG/EU Rn. 59. 23 Vgl. Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 6 FreizügG/EU Rn. 46. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 7 einen Aufenthalt von bis zu 90 Tagen in einem Bezugszeitraum von 180 Tagen anstrebt, nach Art. 5 Abs. 1 Schengener Grenzkodex grundsätzlich erfüllen: – Er muss im Besitz eines gültigen Reisedokuments sein, das bestimmten weiteren Vorgaben entspricht. – Er muss im Besitz eines gültigen Visums sein, es sei denn, die Visapflicht gilt für ihn nicht oder er ist Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder eines gültigen Visums für einen längerfristigen Aufenthalt.24 – Er muss den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen, und er muss über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben. – Er darf nicht zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem (SIS)25 ausgeschrieben sein. – Er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die nationalen Beziehungen eines Mitgliedstaates darstellen und darf insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein.26 Zur Prüfung, dass von dem Nicht-EU-Bürger keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Schengener Grenzkodex ausgeht, wird in Deutschland unter anderem eine automatisierte Abfrage des Ausländerzentralregisters sowie von Inpol27 durchgeführt.28 24 Eine Liste der Staaten, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen der EU im Besitz eines Visums sein müssen sowie eine Liste der Staaten, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind, finden sich in der EU-Visa-Verordnung. 25 Bei dem Schengener Informationssystem handelt es sich um gemeinsames Fahndungssystem, das die Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit 1995 unterhalten. Einträge zu gesuchten Personen dürfen von Zoll-, Polizei -, Justiz- oder Verwaltungsbehörden eines Landes vorgenommen werden. Mögliche Eintragsgründe sind bspw.: Einreiseverweigerung für Personen, die nicht das Recht haben, den Schengen-Raum zu betreten bzw. sich dort aufzuhalten; Aufenthaltsermittlung und Festnahmen von Personen, für die ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt wurde; Unterstützung bei Personenfahndungen gemäß den Anforderungen von Strafverfolgungsund Justizbehörden. 26 In Deutschland ist das Ausländerzentralregister die entsprechende Datenbank, siehe hierzu auch unter 3. 27 Inpol ist das elektronische Informationssystem der Polizei, welches unter anderem Daten zu den von deutschen Polizei- oder Justizbehörden gesuchten Personen enthält. 28 Vgl. BT-Drs. 17/11016, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 8 Nach Art. 22 Visakodex ist bei der Visa-Erteilung für bestimmte Nicht-EU-Bürger zudem eine vorherige Konsultation der zentralen Behörden anderer Mitgliedstaaten durchzuführen.29 In Deutschland werden in einem solchen Fall das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst , das Bundeskriminalamt, der Militärische Abschirmdienst und das Zollkriminalamt beteiligt.30 Ist ein Nicht-EU-Bürger bereits Inhaber eines gültigen, von einem Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitels, so kann er sich nach Art. 21 Schengener Durchführungsübereinkommen höchstens bis zu drei Monate frei im Hoheitsgebiet der anderen Schengen-Staaten bewegen, soweit er die oben dargestellten Einreisevoraussetzungen aus Art. 5 Abs. 1 Schengener Grenzkodex erfüllt und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste des betroffenen Schengen-Staates (in Deutschland dem Ausländerzentralregister) steht.31 2.2.2. Voraussetzungen nach deutschem Recht Auf nationaler Ebene gilt in Deutschland für die Einreise von Nicht-EU-Bürgern das AufenthG. Die Zurückweisung eines Ausländers an der Grenze (d.h. die Verweigerung der Einreise) bestimmt sich dabei nach § 15 AufenthG. 2.2.2.1. Zurückweisung wegen Versuchs der unerlaubten Einreise Gemäß § 15 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, der unerlaubt einreisen will, an der Grenze zurückgewiesen . Nach § 14 AufenthG bestimmt sich, wann die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet unerlaubt ist. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer – einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG nicht besitzt, – den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt, – zwar ein nach § 4 AufenthG erforderliches Visum bei Einreise besitzt, dieses aber durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurde und deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder annulliert wird, oder – nach § 11 Abs. 1 AufenthG32 nicht einreisen darf, es sei denn, er besitzt eine Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 AufenthG. 29 Informationen darüber, für welche Länder und Personengruppen derzeit das Schengen-Konsultationsverfahren gilt, stellt die Europäische Kommission gemäß Art. 53 Abs. 2 Visakodex den Mitgliedstaaten und der Öffentlichkeit zur Verfügung. 30 Vgl. BT-Drs. 17/11016, S. 6. 31 Das gleiche gilt für Nicht-EU-Bürger, die Inhaber eines von einem Schengen-Staat ausgestellten vorläufigen Aufenthaltstitels sowie eines von diesem Schengen-Staat ausgestellten Reisedokuments sind. 32 § 11 Abs. 1 AufenthG regelt ein Einreiseverbot für Ausländer, die ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden sind. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 9 2.2.2.2. Ermessensabhängige Zurückweisung Nach § 15 Abs. 2 AufenthG steht die Zurückweisung eines Ausländers im Ermessen, wenn – ein Ausweisungsgrund vorliegt, – der begründete Verdacht besteht, dass der Aufenthalt nicht dem angegeben Zweck dient, – er nur über ein Schengen-Visum verfügt oder für einen kurzfristigen Aufenthalt von der Visumpflicht befreit ist und beabsichtigt, entgegen § 4 Abs. 3 S. 1 AufenthG eine Erwerbstätigkeit auszuüben oder – er die Voraussetzungen für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien nach Art. 5 Schengener Grenzkodex nicht erfüllt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Zurückweisung bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes. Ein Ausweisungsgrund i.S.d. § 15 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG kann dem Betroffenen schon bei Verwirklichung eines Ausweisungstatbestandes nach §§ 53 bis 55 AufenthG entgegengehalten werden; auf die Möglichkeit einer im Einzelfall ermessensfehlerfreien Ausweisungsverfügung kommt es dabei nicht an.33 So kann bspw. nach der Generalklausel in § 55 Abs. 1 AufenthG ein Ausländer ausgewiesen werden , wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt. Die Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind dabei i.S.d. deutschen Polizeirechts zu verstehen.34 Die öffentliche Sicherheit umfasst damit die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates. Der Schutz der öffentlichen Ordnung umfasst den nicht durch Rechtsvorschriften geschützten Bereich, der nach den jeweils herrschenden Anschauungen zu den unerlässlichen Voraussetzungen eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens gehört. Soweit eine Ausweisung allein auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gestützt wird, ist eine Gefahrenprognose nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen erforderlich.35 § 55 Abs. 2 AufenthG nennt zur Konkretisierung der Generalklausel in § 55 Abs. 1 AufenthG beispielhaft Sachverhalte für die Erfüllung des Ausweisungstatbestandes. So kann bspw. gemäß § 55 Abs. 2 Nr.2 AufenthG ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten 33 Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 15 AufenthG Rn. 20; Huber, Aufenthaltsgesetz, Kommentar, 2010, § 15 AufenthG Rn. 5. 34 Siehe die Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum AufenthG vom 26. Oktober 2009, Nr. 55.1.1.1, dort auch zur Definition der Begriffe. 35 Siehe die Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum AufenthG vom 26. Oktober 2009, Nr. 55.1.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 285/14 Seite 10 oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebietes eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. 2.2.2.3. Ermessensabhängige Zurückweisung bei genehmigungsfreier Einreise Nach § 15 Abs. 3 AufenthG kann ein Ausländer, der für einen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit ist, zurückgewiesen werden, wenn er nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AufenthG (Passpflicht) und des § 5 Abs. 1 AufenthG (Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel) erfüllt. Zu den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach § 5 Abs. 1 AufenthG zählt insbesondere auch das Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrundes. Diesbezüglich kann auf die entsprechenden Ausführungen unter 2.2.2.2. verwiesen werden. 2.2.2.4. Zurückweisungsverbote und -hindernisse Nach § 15 Abs. 4 AufenthG sind die Abschiebungsverbote und -hindernisse aus § 60 Abs. 1 bis 3, 5 und 7 bis 9 AufenthG entsprechend auf Zurückweisungen anzuwenden. Dies betrifft bspw. die Zurückweisung in Staaten, in denen die Gefahr politischer Verfolgung, von Todesstrafe und Folter droht.36 3. Erfassung von Einreisebedenken im Ausländerzentralregister Bedenken deutscher Behörden hinsichtlich der Einreise von bestimmten Ausländern werden zentral im Ausländerzentralregister geführt. Das Register wird vom Bundesverwaltungsamt als zentrale Informationsdrehscheibe im Ausländer- und Asylrecht denjenigen Behörden zur Verfügung gestellt, die mit der Durchführung einschlägiger Vorschriften betraut sind. § 2 Ausländerzentralregistergesetz regelt die Fälle, in denen Daten eines Ausländer in dem Register gespeichert werden dürfen. Danach können unter anderem Daten von Ausländern gespeichert werden, gegen deren Einreise Bedenken bestehen, weil die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht vorliegen oder öffentlich-rechtliche Geldforderungen aus früheren Aufenthalten oder wegen aufenthaltsbeendender Maßnahmen bestehen und denen die Einreise und der Aufenthalt nicht erlaubt werden soll. Außerdem ist die Speicherung von Daten von Ausländern zulässig, die zur Festnahme ausgeschrieben sind oder bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass sie in Deutschland bestimmte Straftaten planen, begehen oder begangen haben. ( ) 36 Hierzu Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 15 Aufenth G Rn. 34 ff.