© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 284/20 Sanktionierung von Verstößen gegen die Hausordnung des Bundestages Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 284/20 Seite 2 Sanktionierung von Verstößen gegen die Hausordnung des Bundestages Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 284/20 Abschluss der Arbeit: 14. Dezember 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 284/20 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit der Frage, ob es vom Hausrecht des Bundestagspräsidenten nach Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG gedeckt wäre, Abgeordneten, die Besuchern einen unbegleiteten Aufenthalt in den Bundestagsliegenschaften ermöglicht haben und deren Besucher dabei eine Ordnungswidrigkeit nach § 112 OWiG oder eine Straftat nach den §§ 105, 106, 106b StGB begangen haben, den Empfang von Besuchern für eine bestimmte Zeit zu verbieten. Des Weiteren wurde gefragt, ob es mit dem freien Mandat vereinbar wäre, Abgeordneten, die wiederholt Besucher unbegleitet gelassen haben, zumindest zeitweise von der sog. sechs-Personen-Regel auszunehmen. 2. Hausrecht des Bundestagspräsidenten Nach Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG übt der Bundestagspräsident das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages aus. Das Hausrecht umfasst alle sich aus dem Eigentum oder einem sonstigen Nutzungsrecht ergebenden Befugnisse.1 Ihm zuzurechnen ist daher auch die Entscheidung darüber, wer sich in dem vom Hausrecht gedeckten Bereich aufhalten darf und wie sich eine Person dort zu verhalten hat.2 Das Bundesverfassungsgericht hat sich zum Hausrecht des Bundestagspräsidenten folgendermaßen geäußert: „Art. 40 GG ist Ausdruck der Parlamentsautonomie. Zum Schutz der Räume des Bundestags gegen Eingriffe von Exekutive und Judikative begründet Art. 40 Abs. 2 GG eigenständige Kompetenzen des Bundestagspräsidenten, in dessen Hände Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG das dem Parlament zustehende Hausrecht gelegt hat (vgl. BVerfGE 108, 251 <273>). Die Ausübung dieses Rechts muss der verfassungsrechtlichen Funktion des Bundestags Rechnung tragen und dient infolgedessen einem hochrangigen öffentlichen Interesse [...]. Das dem Bundestagspräsidenten eingeräumte Ermessen darüber, wie die Räume des Parlaments funktionsgerecht zu nutzen sind, ist auch von den Fachgerichten und dem Bundesverfassungsgericht zu achten.“3 In Ausübung des Hausrechts erlässt der Bundestagspräsident gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) die Hausordnung des Bundestages (HO).4 Aus der Hausordnung und der dazugehörigen Anlage 2, den „Zugangs- und Verhaltensregeln für den Bereich der Bundestagsliegenschaften“ (ZuV) ergeben sich Vorschriften, die den Zugang von Besuchern zu Bundestagsliegenschaften und die dort einzuhaltenden Verhaltensregeln bestimmen. Der Zutritt von Gästen der Abgeordneten ist grundsätzlich in § 2 Abs. 6 HO geregelt, nach dem Gäste entweder aufgrund einer Einlasskarte oder aufgrund eines Tagesausweises (gegen Hinterlegung eines amtlichen Ausweises) Zutritt erhalten. Der Zutritt über die Einlasskarte erfolgt insbesondere bei Besuchergruppen, die auf Einladung von Abgeordneten den Bundestag besuchen und während des Besuchs vom Besucherdienst begleitet werden. Gäste, die nicht durch den Besucherdienst be- 1 Brocker, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 45. Edition 15.11.2020, Art. 40 Rn. 45. 2 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 40 Rn. 57. 3 BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2005, NJW 2843 (2843). 4 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 40 Rn. 158. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 284/20 Seite 4 treut werden, erlangen in der Regel Zutritt mittels eines Tagesausweises. Diese Gäste sind grundsätzlich bei der Einlasskontrolle anzumelden. Bei allen Besuchern erfolgt grundsätzlich eine polizeiliche Zuverlässigkeitsüberprüfung. Eine Ausnahme findet sich in Abschnitt III Nr. 4 ZuV: Danach können Abgeordnete bis zu sechs Gäste empfangen, ohne dass diese angemeldet werden und eine Zuverlässigkeitsüberprüfung durchlaufen müssen (sechs-Personen-Regel). Unabhängig von der Art, wie die Gäste eines Abgeordneten ins Haus gelangt sind, müssen sie, wenn sie nicht durch den Besucherdienst betreut werden, in jedem Fall durch den Abgeordneten oder durch einen schriftlich beauftragten Mitarbeiter begleitet werden (Abschnitt III Nr. 4 ZuV und Abschnitt III Nr. 7 ZuV). 3. Sanktionierung von Verstößen gegen die Hausordnung 3.1. Allgemeine Möglichkeit der Sanktionierung Verstöße gegen Hausordnungen sind grundsätzlich sanktionsfähig. § 112 Abs. 1 OWiG sieht Sanktionen bei Verstößen gegen Anordnungen vor, die ein Gesetzgebungsorgan oder sein Präsident „über das Betreten des Gebäudes des Gesetzgebungsorgans oder des dazugehörigen Grundstücks oder über das Verweilen oder die Sicherheit und Ordnung im Gebäude oder auf dem Grundstück allgemein oder im Einzelfall erlassen hat“. § 106b Abs. 1 StGB stellt in einer ähnlich formulierten Vorschrift die Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans unter Strafe. Beide Normen beziehen sich unter anderem auf die Ahndung von Verstößen gegen die Hausordnung des Bundestages.5 Die Hausordnung des Bundestages selbst sieht für den Fall eines Verstoßes gegen ihre Vorschriften eine Sanktion in Form der Verweisung aus den Gebäuden des Bundestages vor (§ 7 Abs. 2 HO). Das in § 7 Abs. 3 HO normierte Hausverbot ist hingegen keine Sanktion, sondern eine Gefahrenabwehrmaßnahme . Der präventive Charakter des Hausverbots setzt voraus, dass die Gefahr weiterer Störungen besteht.6 Eine Sanktion dient hingegen der Bestrafung eines bereits begangenen Fehlverhaltens , sodass eine Wiederholungsfahr nicht erforderlich ist. Eine Regelung, die ein mögliches Besuchsverbot oder eine Aufhebung der sogenannten sechs-Personen-Regel daran anknüpft, dass Besucher entgegen den Vorschriften der Hausordnung nicht begleitet wurden (und die ein bestimmtes Fehlverhalten begangen haben), kann daher unabhängig davon vollzogen werden, ob ein solches Vorkommnis erneut droht. 3.2. Sanktionierung gegenüber Abgeordneten Wie eine Regelung zur Sanktionierung von Verstößen gegen die Hausordnung des Deutschen Bundestages konkret ausgestaltet sein kann, ist zum einen eine Frage der Verhältnismäßigkeit, zum anderen ist, wenn die Vorschrift gegenüber Abgeordneten gelten soll, deren verfassungsrechtliche 5 Vgl. Gerhold, in: Graf (Hrsg.), BeckOK OWiG, 28. Edition Stand: 1.10.2020, § 112 Rn. 13; Valerius, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), 48. Edition Stand: 1.11.2020, § 106b StGB Rn. 2. 6 Kalscheuer/Jacobsen, Zu der Rechtsnatur und den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines behördlichen Hausverbots , in: NVwZ 2020, 370 (373). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 284/20 Seite 5 Stellung zu berücksichtigen. Die Verhängung von Sanktionen gegen Abgeordnete wegen Pflichtverletzungen ist grundsätzlich zulässig.7 Dies zeigt bereits die Möglichkeit der Erteilung von Ordnungsmaßnahmen durch den Bundestagspräsidenten nach § 44a Abs. 4 Abgeordnetengesetz und den §§ 36 ff. GO-BT. Vom Anwendungsbereich der bereits genannten Vorschriften § 112 Abs. 1 OWiG und § 106b Abs. 1 StGB, die Verstöße gegen die Hausordnung sanktionieren, sind Abgeordnete (des Bundestages und der Landtage) ausdrücklich ausgenommen (§ 112 Abs. 3 OWiG, § 106b Abs. 2 StGB). Dies wird in der juristischen Literatur damit begründet, dass die Abgeordneten den spezifischen Ordnungsmaßnahmen des Parlamentspräsidenten unterlägen.8 Eines Rückgriffs auf das OWiG bzw. StGB bedürfe es daher nicht. Die Tatbestandsausschlüsse in § 112 Abs. 3 OWiG und § 106b Abs. 2 StGB werden demzufolge nicht auf verfassungsrechtliche Erwägungen gestützt, die auch die Sanktionierung von Verstößen gegen die Hausordnung durch Abgeordnete an einem anderen Regelungsort generell ausschlössen. Bei einer Sanktionierung gegenüber Bundestagsabgeordneten ist allerdings das freie Mandat nach Art. 38 GG Abs. 1 S. 2 zu berücksichtigen. Das freie Mandat gewährleistet das Recht, über die Art der Mandatsausübung grundsätzlich frei zu entscheiden und nur dem Wähler gegenüber verpflichtet zu sein.9 Eine der Grundbedingungen des freien Mandats ist eine von staatlicher Einflussnahme freie Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und ihren Wählern.10 Dazu gehört auch ein Recht der Abgeordneten, zu bestimmen, wer sich in den ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten aufhalten darf und zu welchem Zweck dies geschieht.11 Abgeordnete haben somit grundsätzlich das Recht, Besucher zu empfangen. Dieses Recht legitimiert die Abgeordneten allerdings nicht, darüber zu entscheiden, unter welchen Bedingungen die Besucher in den Bundestag gelangen, da diese Entscheidung dem Hausrecht des Bundespräsidenten unterfällt.12 Eine Einschränkung des freien Mandats ist möglich, wenn konkurrierende Verfassungsrechtspositionen bestehen.13 Zu diesen Positionen gehören unter anderem die Funktionsfähigkeit des Bundestages sowie das freie Mandat der anderen Abgeordneten.14 Eine Einschränkung der Möglichkeit zum Empfang von Besuchern erscheint daher grundsätzlich möglich, wenn Abgeordnete entgegen der 7 Vgl. Magiera, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 73. 8 Rogall, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 112 Rn. 7. 9 Butzer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 45. Edition Stand: 15.11.2020, Art. 38 Rn. 123. 10 Müller, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 51. 11 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 40 Rn. 168. 12 Dazu auch Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 40 Rn. 168: „Eine von Abgeordneten und Fraktionen hinzunehmende formale Einschränkung ihres Rechts, in ihren Räumen diejenigen Besucher zu empfangen, die sie dort zu sehen wünschen, enthält § 2 Abs. 4 der Hausordnung, der verlangt, dass solche Besucher über eine Gäste- oder Einlasskarte verfügen oder sich einen Besucherschein ausstellen lassen müssen.“ 13 Butzer, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 45. Edition Stand: 15.11.2020, Art. 38 Rn. 158. 14 Morlok, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 160. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 284/20 Seite 6 Hausordnung Besucher unbegleitet lassen und die Besucher die Tätigkeit des Bundestages stören oder Abgeordnete in ihrer Mandatswahrnehmung behindern.15 Eine Regelung, die (wenn auch befristet) Abgeordneten jeglichen Empfang von Besuchern verbietet, entspricht allerdings nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es kommen Möglichkeiten in Betracht, die weniger oder gar nicht in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG eingreifen, wie etwa die Verhängung einer Geldbuße. Auch eine Einschränkung der sog. sechs-Personen-Regel erscheint in Bezug auf das freie Mandat als milderes Mittel im Vergleich zum Besuchsverbot. Des Weiteren ist anzumerken, dass eine Regelung, die daran anknüpft, dass Besucher eine Ordnungswidrigkeit nach § 112 OWiG oder eine Straftat nach den §§ 105, 106 oder 106b StGB begangen haben, unzweckmäßig sein könnte: So könnte aus rechtsstaatlichen Gründen vertreten werden, dass im Falle einer solchen Regelung erst das entsprechende Ordnungswidrigkeiten- bzw. Strafverfahren abgeschlossen sein müsste, bevor die Sanktion verhängt würde. *** 15 Ähnlich auch Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 40 Rn. 168, der darauf hinweist, der Bundestagspräsident könne einschreiten, wenn Abgeordnete ihr eigenes Hausrecht missbrauchten, insbesondere, wenn sich dies störend auf die Funktionen des Bundestages auswirke.