© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 282/20 Entzug des Reisepasses deutscher Staatsangehöriger wegen Steuerflucht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 282/20 Seite 2 Steuerflucht Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 282/20 Abschluss der Arbeit: 11. Dezember 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 282/20 Seite 3 1. Fragestellung Es wurden die Fragen aufgeworfen, ob einem deutschen Staatsbürger der Reisepass aufgrund einer Steuerflucht entzogen werden kann und ob ein Entzug des Reisepasses eines deutschen Staatsbürgers , der sich in der Schweiz aufhält, zu einem Ende des Aufenthaltsrechts in der Schweiz führen würde. 2. Entzug des Reisepasses Der Entzug des Reisepasses ist in § 8 Passgesetz (PassG) i.V.m. § 7 Abs. 1 PassG geregelt. Danach kann der Pass dem Inhaber entzogen werden, wenn Tatsachen bekanntwerden, die nach § 7 Abs. 1 PassG die Passversagung rechtfertigen würden. Von den elf in § 7 Abs. 1 PassG aufgeführten Gründen für eine Passversagung könnten vorliegend Nr. 4 (Entzug steuerlicher Verpflichtungen) und Nr. 2 (Entzug der Strafverfolgung) in Betracht kommen. 2.1. Entzug steuerlicher Verpflichtungen Nach § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG kann ein Pass entzogen werden, wenn sich eine Person ihren steuerlichen Verpflichtungen entziehen will. Auch beabsichtigte Verstöße gegen das Zoll- und Monopolrecht oder das Außenwirtschaftsrecht können zu einem Passentzug führen. Die Vorschrift setzt voraus, dass eine Steuerschuld besteht. Objektiv muss zumindest ein vollziehbarer Steuerbescheid, der nicht offensichtlich rechtswidrig ist, vorliegen, aus dem sich erhebliche Steuerrückstände ergeben.1 In subjektiver Hinsicht muss ein Steuerfluchtwille hinzutreten, also die Absicht, ins Ausland auszureisen oder den Aufenthalt im Ausland fortzusetzen. Gefordert wird damit ein Kausalzusammenhang zwischen den steuerlichen Verpflichtungen im Inland und der Ausreiseabsicht bzw. der Absicht, den Auslandsaufenthalt fortzusetzen.2 2.2. Entzug der Strafverfolgung Nach § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 2 PassG kann ein Pass entzogen werden, wenn sich eine Person der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung entziehen will. Die Vorschrift setzt voraus, dass bereits eine Straftat begangen worden ist und dass ein Strafverfahren anhängig oder eine Strafe noch nicht vollstreckt worden ist. Hinzukommen müssen bestimmte Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Person sich dem durch Flucht ins Ausland entziehen will.3 1 Beimowski/Gawron in: Beimowski/Gawron, Passgesetz Personalausweisgesetz, 1. Auflage 2018, § 7 PassG, Rn. 55. 2 Beimowski/Gawron (Fn. 1), Rn. 56; Hornung in: Hornung/Möller, Passgesetz – Personalausweisgesetz, 1. Auflage 2011, § 7 PassG, Rn. 26 f. 3 Wache in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: 232. EL August 2020, § 7 PassG, Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 282/20 Seite 4 Einer Strafverfolgung im Inland kann sich ein Deutscher nicht nur durch Ausreise, sondern auch dadurch entziehen, dass er aus dem Ausland nicht mehr zurückkehrt.4 Der Entschluss, den Auslandsaufenthalt fortzusetzen, muss aber maßgeblich auf dem Beweggrund beruhen, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Die Entziehung des Passes kann auch ein Mittel darstellen, um einen Beschuldigten, der sich im Ausland aufhält, zur Rückkehr zu bewegen.5 2.3. Beschränkung des Personalausweises Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Passverordnung (PassV) sind auch Personalausweise als Passersatz für Deutsche zugelassen, der für alle Länder gilt, bei denen sich aus Rechtsvorschriften oder aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen keine Beschränkung des Geltungsbereichs ergibt. Deutschen Staatsangehörigen ist es daher möglich, in viele Länder lediglich mit dem Personalausweis auszureisen .6 Gemäß § 6 Abs. 7 Personalausweisgesetz (PAuswG) kann daher unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 PassG angeordnet werden, dass der Personalausweis nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigt. Es gelten dabei die gleichen Voraussetzungen wie für den Passentzug (siehe 2.2. und 2.3.). Ein Entzug des Personalausweises ist dagegen nur unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 10 PassG möglich. Dies betrifft die Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland bzw. schwere staatsgefährdende Gewalttaten. 3. Aufenthaltsrecht in der Schweiz 3.1. Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts Das Aufenthaltsrecht für EU-Bürger in der Schweiz ist durch das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, im Folgenden FZA)7 und der Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs (VEP)8 geregelt. Insbesondere sind dort die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis für Erwerbstätige und Nichterwerbstätige geregelt. 4 BVerwG, Beschluss vom 01.02.1971, I A 5.69, Rn. 6. 5 BVerwG, Beschluss vom 10.02.2015, 6 B 3/15, Rn. 9 f. 6 Vgl. Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeits-Richtlinie) und Anhang I Art. 1 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (Freizügigkeitsabkommen). 7 https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19994648/index.html, abgerufen am 11. Dezember 2020. 8 https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20021010/index.html#fn-#a3-2, abgerufen am 11. Dezember 2020. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 282/20 Seite 5 Daneben besteht das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG)9, welches nur subsidiär anwendbar ist, soweit es günstigere Regelungen enthält. Dies gilt insbesondere für Niederlassungsbewilligungen, die im Freizügigkeitsabkommen nicht geregelt sind. Ein Aufenthalt, der mehr als drei Monate andauert, ist danach bewilligungspflichtig (Art. 10 Abs. 1 AIG). Anhang 1 des Freizügigkeitsabkommens regelt die Voraussetzungen der Freizügigkeit der Staatsangehörigen von EU-Mitgliedsstaaten und der Schweiz. Nach Art. 1 Abs. 1 Anhang I FZA kann die Einreise in die Hoheitsgebiete der Vertragspartner (EU und Schweiz) gegen Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses erfolgen. Ein Einreisevisum darf nicht verlangt werden. Die Einreise kann Personen nur verweigert werden, wenn ihre persönliche Anwesenheit zu einer konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führen würde.10 Des Weiteren sind die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis für bestimmte Personengruppen geregelt. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, haben Personen, die in den Geltungsbereich des FZA fallen (EU-Bürger), einen Rechtsanspruch auf die Bewilligungserteilung.11 Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist die Vorlage des Ausweises, mit dem in das Hoheitsgebiet eingereist wurde, erforderlich (für Arbeitnehmer Art. 6 Abs. 3 Anhang I FZA, für Selbständige Art. 12 Abs. 3 Anhang I FZA, für Dienstleistungserbringer Art. 20 Abs. 4 Anhang I FZA). Personen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen (z. B. Rentner, Studierende, Privatiers), erhalten nach Art. 24 Anhang I FZA eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren, sofern sie einen Nachweis dafür erbringen, dass sie für sich selbst und ihre Familienangehörigen über ausreichende finanzielle Mittel und einen Krankenversicherungsschutz verfügen. Außerdem kann nach Art. 34 AIG eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erteilt werden. Voraussetzungen sind, dass die Person sich insgesamt mindestens zehn Jahre mit einer Kurzaufenthalts - oder Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufgehalten hat und sie während der letzten fünf Jahre ununterbrochen im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung war, keine Widerrufsgründe vorliegen und sie integriert ist. Dem Gesuch um Erteilung einer Bewilligung sind die heimatlichen Ausweispapiere beizulegen. Verfügen Ausländerinnen und Ausländer mit gefestigtem Aufenthaltsrecht (z. B. Niedergelassene, ausländische Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern oder von niedergelassenen Ausländerinnen und Ausländern) nicht oder nicht mehr über die erforderlichen Ausweispapiere, steht 9 https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20020232/201901010000/142.20.pdf, abgerufen am 11. Dezember 2020. 10 Weisungen und Erläuterungen zur Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs (Weisungen VEP), Ziff. 2.1.1 (abrufbar unter https://www.sem.admin.ch/dam/sem/de/data/rechtsgrundlagen/weisungen/fza/weisungen -fza-d.pdf.download.pdf/weisungen-fza-d.pdf, abgerufen am 11. Dezember 2020). 11 Weisungen VEP (Fn. 10), Ziff. 2.3.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 282/20 Seite 6 deswegen ihr weiterer Aufenthalt in der Schweiz und ihr Anspruch auf eine Bewilligungserteilung als solcher nicht in Frage.12 3.2. Widerrufsmöglichkeiten Die gestützt auf das FZA erteilten Aufenthaltsbewilligungen erlöschen durch Widerruf oder Nichtverlängerung , wenn aufgrund eines geänderten Sachverhaltes die Bewilligungsvoraussetzungen nicht mehr bestehen.13 Eine Niederlassungsbewilligung kann nach Art. 63 AIG nur widerrufen werden, wenn im Bewilligungsverfahren falsche Angaben gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen wurden, die Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde oder gegen sie eine strafrechtliche Maßnahme im Sinne der Artikel 59–61 oder 64 Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB-CH) angeordnet wurde, die Person in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstoßen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äußere Sicherheit gefährdet, die Person dauerhaft und in erheblichem Maß auf Sozialhilfe angewiesen ist, die Person in rechtsmissbräuchlicher Weise versucht hat, das Schweizer Bürgerrecht zu erschleichen oder ihr dieses Bürgerrecht entzogen worden ist. Im Übrigen dürfen die auf Grund des Freizügigkeitsabkommens eingeräumten Rechte nur durch Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden (Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA). Dabei ist die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, zu beachten. Artikel 3 der Richtlinie 64/221/EWG bestimmt, dass bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein darf (Abs. 1). Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen (Abs. 2). Wird der Personalausweis oder Reisepass, der die Einreise in das Aufnahmeland und die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ermöglicht hat, ungültig, so rechtfertigt dies keine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet (Abs. 3). Nach der Rechtsprechung des EuGH, die vom Schweizerischen Bundesgericht übernommen wurde, sind Beschränkungen der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nur zulässig, wenn die folgenden vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine Störung der öffentlichen Ordnung vor. Es ist eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung gegeben . Diese Gefährdung berührt ein Grundinteresse der Gemeinschaft. Die getroffene Maßnahme ist verhältnismäßig.14 12 Weisungen und Erläuterungen I. Ausländerbereich (Weisungen AIG), Ziff. 3.1.5.1 (abrufbar unter https://www.sem.admin.ch/dam/sem/de/data/rechtsgrundlagen/weisungen/auslaender/weisungen-augd .pdf.download.pdf/weisungen-aug-d.pdf, abgerufen am 11. Dezember 2020). 13 Weisungen VEP (Fn. 10), Ziff. 10.2.1 14 Weisungen VEP (Fn. 10), Ziff. 10.4.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 282/20 Seite 7 3.3. Landesverweisung Nach § 66a StGB-CH sind Ausländer, die wegen einer der in § 66a StGB-CH genannten Straftaten verurteilt werden, des Landes zu verweisen (obligatorische Landesverweisung). Bei der Verurteilung zu einem anderen Verbrechen oder Vergehen kann eine Landesverweisung erfolgen (nicht obligatorische Landesverweisung). Aufgrund des Bezugs zum Schweizerischen StGB kommen nur Verurteilungen in der Schweiz in Betracht. Zieht der Strafrichter eine (obligatorische oder nicht obligatorische) Landesverweisung in Erwägung, muss er prüfen, ob die ausländische Person sich auf die Bestimmungen des FZA berufen kann.15 3.4. Zusammenfassung Deutsche Staatsangehörige können mit einem Reisepass oder Personalausweis in die Schweiz einreisen . Zur Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis ist die Vorlage des Personalausweises ausreichend. Der Entzug des Reisepasses führt nicht automatisch zu einem Erlöschen des Aufenthaltsrechts. Allein der Entzug des Reisepasses kann die Ausweisung nicht rechtfertigen. Soweit die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts weiterhin gegeben sind, kann dieses nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit eingeschränkt werden. *** 15 Weisungen AIG (Fn. 12), Ziff. 8.1.