© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 282/14 Befassungs- und Beschlusskompetenz des Gemeinderates und Kreistages im Hinblick auf den Abschluss von Freihandelsabkommen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 282/14 Seite 2 Befassungs- und Beschlusskompetenz des Gemeinderates und Kreistages im Hinblick auf den Abschluss von Freihandelsabkommen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 282/14 Abschluss der Arbeit: 5. Dezember 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 282/14 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird, welche Befassungs- und Beschlusskompetenzen Stadt- bzw. Gemeinderäten sowie Kreistagen in Bezug auf die Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA (TTIP) sowie der Europäischen Union und Kanada (CETA) zukommt. 2. Beschränkung der Verbandskompetenz der Gemeinden auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft Den Gemeinden muss nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Damit wird die kommunale Selbstverwaltung im eigenen Wirkungskreis garantiert . Soweit diese reicht, sind die Gemeinden allzuständig (sog. Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises).1 Voraussetzung dafür ist jedoch zunächst, dass es sich um Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft handelt. Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts um „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“.2 Sämtliche Maßnahmen der Gemeinde müssen sich in diesem Rahmen halten. Sie müssen daher einen spezifischen örtlichen Bezug haben. Der Gemeinde kommt keine Kompetenz zur Befassung mit allgemeinpolitischen Angelegenheiten zu.3 Maßnahmen, die über den bezeichneten Bereich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft hinausgehen, sind rechtswidrig, da es an der gemeindlichen Zuständigkeit fehlt.4 Die verfassungsrechtliche Garantie der Selbstverwaltung hat insoweit zugleich kompetenzbegründende und kompetenzbegrenzende Wirkung gegenüber den Gemeinden.5 Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG beinhaltet also gewissermaßen ein kommunalrechtliches ultra-vires-Verbot. Den Gemeinden durch das Grundgesetz gesetzten Grenzen ihrer Verbandskompetenz muss auch der Gemeinderat als kommunales Hauptverwaltungsorgan Rechnung tragen. Er ist, obwohl gelegentlich als solches bezeichnet, kein Parlament, sondern Verwaltungsorgan. Er handelt hoheit- 1 Vgl. Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 67. Ergänzungslieferung 2012), Art. 28 Abs. 2 Rn. 50. 2 BVerfGE 79, 127 (151 f.) – Rastede (Anlage 1); BVerwGE 87, 228 (231) – „Atomwaffenfreie Zone“ (Anlage 2). 3 BVerfGE 79, 127 (147); Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 67. Ergänzungslieferung 2012), Art. 28 Abs. 2 Rn. 54. 4 Vgl. Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 67. Ergänzungslieferung 2012), Art. 28 Abs. 2 Rn. 54. 5 Vgl. Nierhaus, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 28 Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 282/14 Seite 4 lich und bedarf hierzu einer Rechtsgrundlage. Diese findet sich in den jeweiligen Gemeindeordnungen der Länder, ist aber stets an die verfassungsrechtliche Grenze der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gebunden. Wird diese überschritten, ist das Handeln des Gemeinderates kompetenz- und damit rechtswidrig. Das Erfordernis einer Rechtsgrundlage gilt auch für symbolische Entschließungen sowie für die bloße Befassung.6 Auch Stellungnahmen des Gemeinderates müssen daher „in spezifischer Weise ortsbezogen“ sein, da anderenfalls keine Rechtsgrundlage besteht.7 Die Tatsache, dass der Gemeinderat nur für die eigene Gemeinde spricht, genügt dem Anspruch spezifischer Ortsbezogenheit nicht, da die Begrenzung anderenfalls leerliefe.8 Bei überörtlichen Angelegenheiten ist ein spezifischer Ortsbezug allenfalls dann anzunehmen, wenn diese sich gerade und in besonderer Weise auf die fragliche Gemeinde auswirken. Äußerungen, die den Charakter allgemeinpolitischer Stellungnahmen haben oder den Anschein solcher Stellungnahmen erwecken, sind in jedem Fall unzulässig.9 3. Folgen im Hinblick auf die Befassung mit den Freihandelsabkommen Unabhängig von der Frage, welche staatliche (bzw. europäische) Ebene zuständig ist, stellen die geplanten Freihandelsabkommen keine Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG dar. Zwar mögen die Abkommen (ebenso wie bundes- oder landesgesetzliche Regelungen) – unter Umständen auch erhebliche – Auswirkungen auf die Aufgabenwahrnehmung durch die Gemeinden haben. Dies macht sie aber nicht zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im dargestellten Sinne. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Abkommen bestimmte Gemeinden im Vergleich zu anderen in herausgehobener Weise und damit „in spezifischer Weise ortsbezogen“ betreffen würden. Dies hat zur Folge, dass sich die Verbandskompetenz der Gemeinden nicht auf eine politische Befassung mit den Freihandelsabkommen erstreckt. Daher darf auch der Gemeinderat als Verwaltungsorgan der Gemeinde weder Beschlüsse hierzu fassen, noch sich überhaupt mit den Abkommen befassen. Schon die Befassung wäre ultra vires. Das Kommunalrecht einiger Bundesländer regelt ausdrücklich, dass nur solche Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung gesetzt werden dürfen, die zum Aufgabengebiet des Gemeinderates bzw. der Gemeinde gehören (so etwa § 34 Abs. 1 S. 5 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg ; § 56 Abs. 1 Hessische Gemeindeordnung). Der Bürgermeister (oder sonstige Vorsitzende des Gemeindesrates) hat in diesen Fällen ein materielles Vorprüfungsrecht im Hinblick auf die Verbands- und Organkompetenz und eine korrespondierende Vorprüfungspflicht. 6 BVerwGE 87, 228 (231). 7 BVerwGE 87, 228 (231). 8 Ähnlich BVerwGE 87, 228 (231). 9 BVerwGE 87, 228 (235). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 282/14 Seite 5 In Ländern, in denen eine solche Regelung nicht besteht, verneint die Rechtsprechung ein allgemeines materielles Vorprüfungsrecht des Bürgermeisters im Hinblick auf die Kompetenzgemäßheit der Beratungsgegenstände.10 Er muss Beratungsgegenstände, wenn sie in Erfüllung der kommunalrechtlichen Quoren von den Ratsmitgliedern beantragt werden, daher auf die Tagesordnung setzen. Mangels Befassungskompetenz ist der Gemeinderat zur Vermeidung rechtswidrigen Handelns aber verpflichtet, einen nicht von der Verbandskompetenz gedeckten Tagesordnungspunkt nach Eröffnung der Gemeinderatssitzung von der Tagesordnung wieder abzusetzen.11 4. Rechtslage im Hinblick auf die Kreistage Im Gegensatz zu den Gemeinden haben Landkreise als Gemeindeverbände im Sinne des Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG keinen originären verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgabenbereich. Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG gewährleistet ihnen zwar ebenso wie den Gemeinden das Selbstverwaltungsrecht. Dieses können sie aber nur „im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches“ ausüben. Anders als bei den Gemeinden beschreibt das Grundgesetz den Aufgabenbestand also nicht selbst, sondern überantwortet dies dem Gesetzgeber, der den Landkreisen – um deren verfassungsrechtliches Selbstverwaltungsrecht nicht zu konterkarieren – allerdings einen Mindestbestand an kreiskommunalen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises zuweisen muss.12 Ebenso wie für die Gemeinderäte gilt auch für die Kreistage, die Verwaltungsorgane der Landkreise sind, dass deren Organkompetenz nicht weiter reichen kann als die Verbandskompetenz der Selbstverwaltungskörperschaft, der sie angehören. Das bedeutet, dass sich der Kreistag nur mit solchen Angelegenheiten befassen darf, die den Landkreisen durch Gesetz zugewiesen worden sind. Im Hinblick auf den Abschluss von Freihandelsabkommen finden sich keine gesetzlichen Aufgabenzuweisungen zugunsten der Landkreise. 5. Fazit Weder den Gemeinderäten noch den Kreistagen stehen Befassungs- oder Beschlusskompetenzen im Hinblick auf die geplanten Freihandelsabkommen zu. ( ) 10 So etwa Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – 4 CS 11.1927 –, juris. 11 Vgl. auch Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Mitteilung 659/2014 vom 7. November 2014, abrufbar unter: http://www.kommunen-in-nrw.de/mitgliederbereich/mitteilungen/detailansicht/dokument/zustaendigkeit -des-rates-bezueglich-der-freihandelsabkommen.html?cHash=bd71f36999d1d55bfaf21da5226b36a4 (zuletzt abgerufen am 4. Dezember 2014). 12 BVerfGE 119, 331 (353).