© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 281/19 Informationsfreiheitsgesetz: Sitzungen der Finanzverwaltung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 281/19 Seite 2 Informationsfreiheitsgesetz: Sitzungen der Finanzverwaltung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 281/19 Abschluss der Arbeit: 18. Dezember 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 281/19 Seite 3 1. Fragestellung Die derzeit gültige Fassung des § 21a Abs. 1 Finanzverwaltungsgesetz (FVG) lautet:1 „Zur Verbesserung und Erleichterung des Vollzugs von Steuergesetzen und im Interesse des Zieles der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bestimmt das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung der obersten Finanzbehörden der Länder einheitliche Verwaltungsgrundsätze, Regelungen zur Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern und erteilt allgemeine fachliche Weisungen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht mindestens elf Länder widersprechen. Initiativen zur Festlegung der Angelegenheiten des Satzes 1 kann das Bundesministerium der Finanzen allein oder auf gemeinsame Veranlassung von mindestens vier Ländern ergreifen.“ Der Bundestag (am 7. November 2019) und der Bundesrat (am 29. November 2019) haben folgender Gesetzesänderung zugestimmt:2 „Dem § 21a Absatz 1 [Finanzverwaltungsgesetz] werden folgende Sätze angefügt: Die Vertraulichkeit der Sitzungen ist zu wahren, wenn nicht im Einzelfall einstimmig etwas anderes beschlossen wurde. Für Beratungen im schriftlichen Verfahren gilt entsprechendes.“3 Es stellt sich die Frage, ob sich die Änderung des FVG auf Ansprüche nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) auswirkt, die Sitzungen von Behörden der Finanzverwaltung betreffen. 2. Aktuelle Gesetzeslage 2.1. Anspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG Nach § 1 Abs. 1 S. 1 IFG hat „jeder […] gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen“. Amtliche Information ist nach § 2 Nr. 1 IFG „jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung“.4 Hierunter fallen Protokolle über Sitzungen der Finanzverwaltung. 1 Finanzverwaltungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. April 2006 (BGBl. I S. 846, 1202), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2522) – Hervorhebung durch Verfasser. 2 BR-Drs. 552/19, 552/19 (B) (neu). 3 Artikel 18 Abs. 3 Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, BT-Drs. 19/13436 (Hervorhebung durch Verfasser). Mit Stand 18. Dezember 2019 ist der dem parlamentarischen Teil folgende Teil des Gesetzgebungsverfahrens noch nicht abgeschlossen, http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2517/251757.html. 4 Hervorhebung durch Verfasser. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 281/19 Seite 4 2.2. Ausnahme Der Anspruch nach § 1 IFG scheidet aus, wenn eine der Ausnahmen nach § 3 IFG eingreift. Gemäß § 3 Nr. 3 lit. b IFG besteht der Anspruch nicht, wenn und solange – durch den Informationsanspruch – „die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden“.5 Rechtsprechung und Literatur sind sich einig, dass eine Beeinträchtigung nur vorliegt, wenn die Vertraulichkeit „notwendig“ ist (entsprechende Anwendung des Tatbestandsmerkmals der „notwendigen Vertraulichkeit“ aus § 3 Nr. 3 lit. a IFG auch bei § 3 Nr. 3 lit. b IFG).6 2.2.1. Beratungen Ausgenommen vom Informationsanspruch sind „nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung, d. h. die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung – der Beratungsprozess im engeren Sinne –[…], nicht aber die hiervon zu unterscheidenden Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Willensbildung (Beratungsgegenstand) sowie das Ergebnis der Willensbildung (Beratungsergebnis)“.7 Damit unterliegen die in „Sitzungsprotokollen enthaltenen reinen Beratungsergebnisse“8 (und Beratungsgegenstände) grundsätzlich der Informationsfreiheit. 2.2.2. Notwendige Vertraulichkeit Was unter „notwendiger Vertraulichkeit“ einer Beratung zu verstehen ist, ist umstritten. Die Kommentierung vertritt, dass hierfür eine gesetzliche Grundlage notwendig ist.9 Die Rechtsprechung hingegen hat die Regelung in einer Geschäftsordnung für ausreichend erklärt. In einem zu entscheidenden Fall sah die Geschäftsordnung vor, dass die Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollten und eine Verschwiegenheitspflicht über dortige Beratungen bestehen soll.10 Gleichwohl betont die Rechtsprechung, dass die „notwendige Vertraulichkeit“ einer Beratung nicht automatisch bedeutet, dass ein Anspruch nach IFG die „Beratung beeinträchtigt“. Dies muss die in 5 Hervorhebung durch Verfasser. 6 Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. November 2010 – 8 A 475/10 –, Rn. 83, juris; Schoch, in: Schoch (Hrsg.), IFG, 2. Auflage 2016, § 3 Rn. 180. 7 Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. November 2010 – 8 A 475/10 –, Rn. 91, juris (Hervorhebung durch Verfasser); vgl. VG Berlin, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 2 A 114/07 –, Rn. 19, juris; so auch Roth, in: Berger/Partsch/Roth/Scheel (Hrsg.), IFG, 2. Auflage 2013, § 3 Rn. 104. 8 Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. November 2010 – 8 A 475/10 –, Rn. 93, juris. 9 Schoch, in: Schoch (Hrsg.), IFG, 2. Auflage 2016, § 3 Rn. 182. 10 Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. November 2010 – 8 A 475/10 –, Rn. 94, juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 281/19 Seite 5 Anspruch genommene Behörde im jeweiligen Einzelfall prognostizieren.11 Dabei ist der Versagungsgrund konkret darzulegen; pauschale Hinweise auf die „Vertraulichkeit einer Sitzung“ genügen nicht.12 3. Künftige Gesetzeslage 3.1. Ausdrückliche Gesetzesgrundlage Die Änderung des § 21a FVG ist nach ihrem Inkrafttreten eine gesetzliche Grundlage für die grundsätzliche Vertraulichkeit von Sitzungen der Finanzverwaltung. Damit dürfte aber auch weiterhin gelten, dass die in Anspruch genommene Behörde den Versagungsgrund konkret darzulegen hat (siehe oben 2.2.2.). 3.2. Umfang der Vertraulichkeit Fraglich ist, ob die „Vertraulichkeit der Sitzungen“ auch den Beratungsgegenstand und das Beratungsergebnis erfasst. Der Gesetzeswortlaut selbst macht hierzu keine Vorgaben. Dies spricht dafür, dass es bei der bisherigen Rechtsprechung verbleibt: Auf Beratungsergebnisse und Beratungsgegenstand würde weiterhin grundsätzlich ein Anspruch nach IFG bestehen (bzw. die Ausnahmen von dem Anspruch würden beide Beratungsaspekte nicht erfassen). Ein anderes Ergebnis könnte sich nach Inkrafttreten der Änderung aus folgender Gesetzesbegründung zu § 21a FVG ergeben: „Die Sitzungen der Gremien [der Finanzverwaltung] erfordern den freien, vertrauensvollen Austausch aller Beteiligten und sind nicht öffentlich. Vorbereitende und nachbereitende Sitzungsunterlagen, einschließlich Protokollen und Unterlagen über Sitzungsergebnisse sind daher, soweit nicht anders beschlossen, vertraulich und nicht zur Weitergabe an Empfänger außerhalb der (Finanz-)Verwaltung bestimmt. […] Anderenfalls besteht die Gefahr, dass sachbezogene Diskussionen nicht stattfinden bzw. in den informellen Bereich außerhalb der Sitzungen verlagert werden, oder eine Einigung gänzlich unterbleibt. Dies widerspräche der Zielsetzung des § 21a FVG eklatant. Die Ergänzung entspricht jahrzehntelanger Praxis und dient der Klarstellung.“13 Die künftige Rechtsprechung bezüglich der neuen Rechtslage könnte vorgenannte Gesetzesbegründung als Argument dafür heranziehen, dass Protokolle nach dem Willen des Gesetzgebers ausgeschlossen sind, einschließlich der Beratungsgegenstände und -ergebnisse. Hierfür spricht der gewichtige Aspekt, dass es nach der Gesetzesbegründung wohl nur eine Ausnahme gegeben soll: „soweit nicht anders beschlossen“. Gleichwohl könnte der nur „der Klarstellung“ dienende Aspekt 11 Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. November 2010 – 8 A 475/10 –, Rn. 96, juris; VG Berlin, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 2 A 114.07 –, Rn. 20, juris. 12 Polenz, in: Brink/Polenz/Blatt (Hrsg.), IFG, 1. Aufl. 2017, § 3 Rn. 83; Roth, in: Berger/Partsch/Roth/Scheel (Hrsg.), IFG, 2. Auflage 2013, § 3 Rn. 106. 13 BT-Drs. 19/13436, S. 183-184 (Hervorhebung durch Verfasser). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 281/19 Seite 6 der Gesetzesänderung dafür sprechen, dass sich an der bisherigen Rechtsprechung soweit als möglich nichts ändern solle. Auch hat sich der Gesetzgeber nicht dafür entschieden, eine umfassende Ausschlussklausel in das Gesetz selbst aufzunehmen, wie sie z. B. auf Landesebene bestand („Geheimzuhalten sind Protokolle vertraulicher Beratungen“).14 Ferner gilt insgesamt, dass „die Ausnahmetatbestände des Informationsfreiheitsgesetzes eng auszulegen sind, um den materiell-rechtlich voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen zur größtmöglichen Wirksamkeit gelangen zu lassen“.15 In jedem Fall sind Gesetzesbegründungen nur einer von mehreren Aspekten bei der Auslegung.16 Ihr Einfluss auf die Rechtsprechung hängt ferner vom Einzelfall ab und lässt sich insoweit nicht vorherbestimmen. 3.3. Notwendigkeit einer Einzelfallabwägung? Fraglich ist, ob es nach künftiger Gesetzesgrundlage entfällt, den Versagungsgrund konkret darzulegen (siehe oben 2.2.2.). Hier gilt das oben unter 3.2. Gesagte entsprechend. Dem Gesetzeswortlaut nach dürfte sich an der bisherigen Rechtsprechung nichts ändern. Gleichwohl könnte die Rechtsprechung die Gesetzesbegründung heranziehen als gewichtiges Argument, dass die Vertraulichkeit zu vermuten ist, „soweit nichts anders beschlossen“ ist. Zugleich könnte der nur „der Klarstellung“ dienende Aspekt der Gesetzesänderung dafür sprechen, dass sich an der bisherigen Rechtsprechung soweit als möglich nichts ändern solle. Auch hier lässt sich die Rechtsprechung nicht vorherbestimmen . 4. Rechtsprechung Soweit ersichtlich, liegt bislang keine Rechtsprechung zu Anfragen nach dem IFG betreffend Sitzungen der Finanzverwaltungen von Bund und Ländern vor.17 *** 14 § 10 Abs. 4 Informationsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein, GVOBl. 2000, 166; ersetzt durch das Informationszugangsgesetz für das Land Schleswig-Holstein, GVOBl. 2012, 89, unter Wegfall der konkreten Ausnahme in § 10 Abs. 4 Informationsfreiheitsgesetz. 15 Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. November 2010 – 8 A 475/10 –, Rn. 98, juris. 16 Siehe nur BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 –, Rn. 74, juris: „Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption im Gesetz zugrunde liegt, kommt neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu“; Metz, JA 2018, 47; Höpfner, RdA 2018, 321 (326). 17 Abfrage der juristischen Datenbanken juris und beck-online mit den kombinierten Suchkriterien: „IFG“, „Finanzverwaltung “ oder „§ 21a FVG“.