Verteilung von Spenderorganen Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Berücksichtigung der eigenen Spendebereitschaft - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 280/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Verteilung von Spenderorganen Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Berücksichtigung der eigenen Spendebereitschaft Ausarbeitung WD 3 - 280/07 Abschluss der Arbeit: 25.07.2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Ob die eigene Spendebereitschaft bei der Verteilungsentscheidung von Spenderorganen berücksichtigt werden darf, ist umstritten. Es spricht jedoch vieles dafür, dass kein generelles verfassungsrechtliches Verbot besteht. Eine gesetzliche Regelung, welche die eigene Spendebereitschaft als Verteilungskriterium berücksichtigen würde, wäre aber nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Insbesondere dürfte es unzulässig sein, das Kriterium der eigenen Spendebereitschaft als primäres Auswahlkriterium festzulegen. Hintergrund ist, dass die gesetzlichen Regelungen zum Transplantationsrecht ein staatliches (zumindest faktisches) Vermittlungsmonopol bei Spenderorganen schaffen. Aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit folgt zwar kein Anspruch auf ein Organ, wohl aber ein Anspruch darauf, dass grundsätzlich jeder bei der Verteilung von Spenderorganen das gleiche Recht auf Zuteilung eines Organs hat. Wenn nicht genügend Spenderorgane vorhanden sind, hat der Staat Kriterien festzulegen, nach denen eine Verteilung erfolgen soll. Bei der Festlegung ist der Gesetzgeber an Differenzierungsverbote gebunden ; es ist unzulässig, z.B. nach Geschlecht oder Religion zu unterscheiden. Bei sonstigen personen- und verhaltensbezogenen Kriterien kommt es darauf an, ob das Kriterium mit den grundsätzlichen Wertentscheidungen des Grundgesetzes übereinstimmt . Das postmortale Persönlichkeits- bzw. Selbstbestimmungsrecht und die Religionsfreiheit wären nur mittelbar betroffen, da keine gesetzliche Pflicht zur Organspende fixiert würde. Ein faktischer Druck durch den fehlenden Vorteil bei fehlender Spendebereitschaft kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Bei der Rechtfertigung eines möglichen Eingriffs kommt es im Kern darauf an, ob man bei einer Güterabwägung der erhofften Steigerung des Spendeaufkommens den Vorrang einräumt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Inhalt 1. Einleitung 4 1.1. Problemdarstellung und Prüfungsgegenstand 4 1.2. Aktuelle Rechtslage im Überblick 5 2. Überblick über die betroffenen Grundrechte 6 3. Art. 3 Abs. 1 GG, Gleichbehandlungsgrundsatz 6 3.1. Prüfungsmaßstab 6 3.2. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung 6 3.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 7 3.3.1. Grundsätze 7 3.3.2. Sonderfall: Verteilung knapper Ressourcen 7 3.3.3. Folgen für die Verteilung von Spenderorganen 8 4. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Allgemeines Persönlichkeitsrecht 10 4.1. Schutzbereich 10 4.2. Eingriff 11 4.2.1. Unmittelbarer Eingriff 11 4.2.2. Mittelbarer Eingriff 11 4.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 11 4.3.1. Schranken 11 4.3.2. Verhältnismäßigkeit 12 5. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Religionsfreiheit 13 6. Ergebnis 14 7. Literaturverzeichnis 15 - 4 - 1. Einleitung 1.1. Problemdarstellung und Prüfungsgegenstand Postmortale Organspenden können den Bedarf an Spenderorganen in der Transplantationsmedizin nicht vollständig decken. Deshalb werden Modelle diskutiert, die auf eine Steigerung des Spendenaufkommens abzielen. Ein Teil dieser Modelle stellt dabei nicht auf Bezahlung, Entschädigung oder sonstige monetäre Motivationen ab, sondern stellt eine Verbindung zwischen Spendebereitschaft und Transplantationschancen her. Sie werden als „Club-Modell“1, „Vorsorge-Modell“2, „Motivations-Modell“3, „Anreiz- Modell“4, „Solidarmodell“5 oder „Reziprozitäts-Modell“6 bezeichnet. Nachfolgend wird untersucht, ob bei der Verteilung von postmortalen Spenderorganen berücksichtigt werden dürfte, dass der transplantationsbedürftige Patient selbst organspendewillig ist.7 Maßstab ist das Grundgesetz (GG).8 Im Wesentlichen ist zu klären, ob Grundrechte derjenigen verletzt sind, die keine Spendeerklärung abgeben. Zu beachten ist, dass keine einschlägige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung existiert9 und die Fragestellung in der Literatur vor allem als medizinisches und moralisch -ethisches Problem angesehen wird10. In den Beratungen zum Transplantationsgesetz 11 (TPG) spielte die Verteilung der gespendeten Organe nur eine untergeordnete Rolle12. 1 Darstellung bei Conrad, S. 149 ff.; vgl. entsprechende Vereine in den USA, www.lifesharers.com. 2 Blankart/Kirchner/Thiel, S. 15 ff.; Blankart, S. 287 f. 3 Kühn, S. 140 ff. 4 Verschiedene Varianten bei Breyer u.a., S. 111 ff. 5 Gubernatis, Solidarmodell, S. 62 ff. 6 Illies/Weber, DMW 2004, S. 271 ff.; Breyer u.a., S. 116 ff. 7 Modelle, die bereits den Zugang zu Wartelisten nur Patienten mit Spendeeinwilligung geben wollen („Club-Modell“), werden nicht untersucht. 8 Zu völker- und europarechtlichen Implikationen vgl. Breyer u.a., S. 179 ff. 9 Die beiden Entscheidungen aus dem Jahr 1999 zum Transplantationsgesetz bezogen sich nicht auf die hier in Rede stehende Fragestellung, vgl. NJW 1999, 3399 ff.; NJW 1999, 858. 10 Ähnlich beurteilen das Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 60, mit entsprechenden Nachweisen. 11 Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen vom 5.11.1997 (Transplantationsgesetz ), BGBl. I 1997, 2631; ausführlich zum Gesetzgebungsverfahren und den für die Organallokation maßgeblichen Dokumenten Conrads, 2000, S. 187 ff. 12 Zentrale Kontroverse waren Fragen des Hirntodkonzepts und der Einwilligung in Organspenden, vgl. nur BT-Drs. 13/2926, S. 10 ff.; BT-Drs. 13/4355, S. 13; BT-Drs. 13/4114 und 13/4368; BT- Plenarprotokoll 13/99, zum Hirntodkonzept: S. 8820 (A), 8823 (C), 8824 (B), 8828 (B), 8846 (B), 8847 (B), 8848 (C), zur Zustimmungslösung: 8831 (D), 8835 (D), 8841 (B), 8845 (B), 8847 (C); ähnliche Einschätzung bei Schreiber, Richtlinien und Regeln für die Organallokation, S. 65; Höfling , Wolfram, Stellungnahme vom 4. September 1996 zur Anhörung am 25. September 1996, Parlamentsdokumentation XIII/291, Band A 2; weitere Auswertung der Sachverständigenbeiträge zur Allokation bei Conrads, 2000, S. 199 ff. - 5 - 1.2. Aktuelle Rechtslage im Überblick Das Transplantationsgesetz (TPG) in der derzeit geltenden Fassung13 unterscheidet zwischen Organlebendspenden, § 8 TPG, und der postmortalen Organspende, § 3 TPG14. Bei der Lebendspende-Transplantation gibt es grundsätzlich kein Verteilungsproblem , da anonyme Spenden verboten sind und das Organ von vornherein einem bestimmten Empfänger zugeordnet ist.15 Aus diesem Grund beschränkt sich die Ausarbeitung auf Fragen der postmortalen Organspende; ausführliche Hinweise zu rechtlichen Fragen der Organlebendspende enthält der Zwischenbericht der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin.16 Bei der postmortalen Organspende stellt sich aufgrund der Knappheit der Spenderorgane 17 die Frage, nach welchen Kriterien die gespendeten Organe an transplantationsbedürftige Patienten verteilt werden. Die so genannte Organallokation18 ist zurzeit im TPG als mehrstufiges Verfahren ausgestaltet19: Zunächst werden transplantationsbedürftige Patienten in eine Warteliste aufgenommen; § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG bestimmt: „Die Transplantationszentren sind verpflichtet, (…) über die Aufnahme in die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung, (…).“ Dann erfolgt die Vermittlung eines Spenderorgans im Einzelfall. Hierfür regelt § 12 Abs. 3 S. 1, 2 TPG: „Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen , insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln. Die Wartelisten der Transplantationszentren sind dabei als eine einheitliche Warteliste zu behandeln.“ 13 Der Bundestag hat am 24. Mai 2007 das Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz) beschlossen, Annahme der BT-Drs. 16/3146 in der Fassung BT-Drs. 16/5443, BT-Plenarprotokoll 16/100, S. 10282 (B). Mit diesem Gesetz wird der Anwendungsbereich des Transplantationsgesetzes erweitert. 14 Siehe zu den medizinischen Begriffen die Erläuterungen bei Kühn, S. 18 ff. 15 Schmidt, 2003, S. 15. 16 BT-Drs. 15/5050, S. 37, S. 67 f., S. 77. 17 Siehe dazu die Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), www.dso.de; BT-Drs. 15/5050; ausführliche Statistiken mit grenzüberschreitenden Angaben bei www.transplant.org. 18 Aus dem englischen „allocation“ für Zuteilung bzw. Zuweisung; der Begriff wird eigentlich im ökonomischen Kontext verwandt, ausführlich: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage 2007, (Pschyrembel online). 19 Ausführlich zum Ablauf des Verfahrens und den beteiligten Stellen, Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), www.dso.de; Oelert, S. 89 ff.; Schmidt, 2003, S. 13 ff.; kritisch: Gutmann, 2006, S. 117 ff. - 6 - Sowohl bei der Aufnahme in die Warteliste als auch bei der konkreten Vermittlung soll die Entscheidung auf Kriterien beruhen, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 TPG legt die Bundesärztekammer diese Kriterien in Richtlinien fest.20 2. Überblick über die betroffenen Grundrechte Im Verhältnis der Patienten zueinander kommt eine Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht (unten 3). Für nichtspendebereite Personen ist Anknüpfungspunkt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (unten 4). Außerdem kann die fehlende Spendebereitschaft Folge einer religiösen oder spirituellen Überzeugung sein, so dass die Religions- und Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG verletzt sein könnte (unten 5). 3. Art. 3 Abs. 1 GG, Gleichbehandlungsgrundsatz 3.1. Prüfungsmaßstab Art. 3 Abs. 1 GG enthält den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und bindet gemäß Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Das Grundrecht ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.21 3.2. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung setzt voraus, dass spendewillige und spendeunwillige Patienten gleichartig sind, dass also vergleichbare Personengruppen bzw. Sachverhalte betroffen sind. Die Feststellung, ob die übereinstimmenden oder die verschiedenen Einzelmerkmale zweier Sachverhalte den Ausschlag geben sollen, ist nur möglich, wenn man ein Differenzierungskriterium auswählt, unter dessen Aspekt der Vergleich angestellt wird.22 Es muss demnach ein gemeinsamer Oberbegriff für die in Rede stehenden Personengruppen gefunden werden. Die Auswahl dieses Oberbegriffes erfolgt nicht durch einen logischen Denkakt, sondern aufgrund 20 Abrufbar unter http://www.baek.de/downloads/RiliOrgantrans20070323.pdf, letzter Aufruf am 20.7.2007. 21 BVerfGE 55, S. 72 (88); BVerfGE 71, S. 146 (154 f.); BVerfGE 82, S. 126 (146). 22 Tertium comparationis, vgl. Heun, GG, Art. 3, Rn. 18; Gubelt, GG, Art. 3, Rn. 16a, m.w.N. - 7 - eines Werturteils.23 Je genauer das Merkmal dabei bestimmt wird, umso kleiner wird die als gleich zu behandelnde Gruppe. Hier ist auf die Zugehörigkeit zur Warteliste bei Transplantationsbedürftigkeit als Merkmal beider Personengruppen abzustellen.24 Diese werden auch ungleich behandelt, wenn eine gesetzliche Regelung den spendewilligen Patienten bei der Verteilung von Organen den Vorrang einräumt. 3.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 3.3.1. Grundsätze Nach früherer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war die Ungleichbehandlung gerechtfertigt, wenn wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich, und wesentlich Ungleiches nicht willkürlich gleich behandelt wird.25 Danach rechtfertigte das Vorliegen eines sachlichen Grundes eine Ungleichbehandlung. Nunmehr verlangt das Gericht Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.26 Dabei hat der Gesetzgeber in der Regel einen weiten Gestaltungsspielraum .27 3.3.2. Sonderfall: Verteilung knapper Ressourcen Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum ist jedoch eingeschränkt, wenn es um die Verteilung von Ressourcen geht, an denen der Staat ein (faktisches) Monopol hat28: Wenn der Staat bestimmte Einrichtungen schafft, so ergeben sich aus Art. 3 GG Ansprüche auf Zutritt zu diesen Einrichtungen und zwar insbesondere dort, wo die Beteiligung an solchen staatliche Leistungen zugleich notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung von Grundrechten ist.29 Die Entscheidung ist dann nicht mehr nach Gutdünken des Staates zu treffen, vielmehr sind alle prinzipiell gleichberechtigt.30 Ist ein ausreichender Zugang in tatsächlicher Hinsicht nicht möglich, ist der Staat gehalten, den Zugang zu den vorhandenen Kapazitäten nur unter strengen formell- und materiellrechtlichen Voraussetzungen zu beschränken.31 Insbesondere an die Auswahlkriterien sind strenge Anforderungen zu stellen.32 Der Gesetzgeber muss in einem solchen Fall eine Regelung treffen, die 23 Gubelt, GG, Art. 3, Rn. 17, m.w.N. 24 So auch Kühn, S. 174. 25 BVerfGE 4, 144 (155); BVerfGE 27, 364, (371f.). 26 BVerfGE 55, S. 72 (88); Heun, GG, Art. 3, Rn. 21, m.w.N. 27 Ausführlich dazu, zu Ausnahmen und Folgen dieser Rechtsprechung, Heun, GG, Art. 3, Rn. 21 f. 28 BVerfGE 33, 303 (345); BVerfGE 43, 291 ff. 29 BVerfGE 33, 303, (331 f.). 30 BVerfGE 33, 303, (332); BVerfGE 43, 291 (314). 31 BVerfGE 33, 303 (336); BVerfGE 43, 291 (314). 32 BVerfGE 33, 303 (337); BVerfGE 43, 291 (314). - 8 - - frei von Willkür im Sinne evidenter Unsachlichkeit ist, - in steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken um eine auch für den Benachteiligten zumutbare Auswahl bemüht ist und - die Art der anzuwendenden Auswahlkriterien und das Rangverhältnis zueinander bestimmt.33 3.3.3. Folgen für die Verteilung von Spenderorganen Bei der Organverteilung hat der Gesetzgeber mit der Schaffung des TPG und insbesondere durch die restriktive Regelung zu Lebendorganspenden jedenfalls ein Vermittlungsmonopol bei Organspenden geschaffen.34 Das Recht der transplantationsbedürftigen Patienten auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann nur verwirklicht werden, wenn sie bei der Verteilung von Spenderorganen berücksichtigt werden. Da alles menschliche Leben gleichwertig ist35, besteht demnach ein Teilhabeanspruch unter den aufgezeigten Bedingungen36. Für die Verwirklichung dieses Teilhabeanspruchs und damit die Verteilungsentscheidung gilt folgendes: Unstreitig ist, dass die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten absoluten Differenzierungsverbote uneingeschränkt bei der Verteilung der Spenderorgane zu beachten sind.37 Dementsprechend dürfen Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben und religiöse Einstellung per se keine Rolle spielen. Strittig ist hingegen, inwiefern andere persönlichkeits- und verhaltensbezogene Kriterien berücksichtigt werden dürfen – in concreto, ob sich die eigene Spendebereitschaft bei der Verteilung der Organe positiv auswirken darf. Einer Auffassung zufolge muss die Verteilung der Spenderorgane generell ohne Ansehen der Person erfolgen. Würde man an die Spendebereitschaft anknüpfen, zöge man aus einem persönlichkeitsrelevanten Vorverhalten wertende Rückschlüsse auf die aktuelle Berechtigung des Heilungsinteresses des Patienten.38 Der Teilhabeanspruch des Patienten aktualisiere sich jedoch im Bedarfsfall voraussetzungslos; er fordere keine 33 Diese Grundsätze hat das Gericht zu Zulassungsbeschränkungen an Hochschulen erarbeitet; die Entscheidung um Leben und Tod führt dementsprechend zu einem besonders hohen Legitimationsdruck hinsichtlich der Verteilungskriterien, Ach, in: Hirntod und Organtransplantation, S. 117. 34 Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 89. 35 BVerfGE 39, 1 (59). 36 Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 78; zum Verhältnis zwischen Gleichheits- und Freiheitsrechten vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 3. 37 Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 85 f.; Höfling, Wolfram, Stellungnahme zur Anhörung im Gesundheitsausschuss am 9. Oktober 1996, Anlage zu BT-A-Drs. 599/13, S. 4, Parlamentsdokumentation XIII/291, Band A 1. 38 Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 88; Schreiber, Hans-Ludwig, Anhörung im Rechtsausschuss am 15. Januar 1997, Anlage zum Protokoll der 72. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 15, Parlamentsdokumentation XIII/291, Band A 1. - 9 - Vorleistung und könne nicht verwirkt werden.39 Entscheidend seien hingegen allein die Bedürftigkeit des Patienten und die Dringlichkeit der Versorgung.40 Dies gelte auch in einer „verfassungsrechtlichen Pattsituation“41, also für den Fall, dass mehrere Patienten als hinreichend gleich bedürftig einzuschätzen seien. Die Gegenauffassung hält die Berücksichtigung der Spendebereitschaft hingegen für verfassungsrechtlich zulässig.42 Begründet wird diese Auffassung damit, dass außermedizinische Kriterien nicht generell ausgeschlossen seien. Die Bezugnahme auf die eigene Spendebereitschaft sei gerade nicht sachfremd, sondern stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Transplantationsentscheidung.43 Anders als bei finanziellen oder sonstigen Anreizen seien Zugang und Motivationsgrundlage für alle Menschen gleich.44 Und schließlich seien Organverteilungsentscheidungen immer Wertentscheidungen.45 Einschränkend sollen aber aufgrund der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Reihe weiterer Voraussetzungen vorliegen müssen: Die medizinische Notwendigkeits - bzw. Dringlichkeitsprüfung müsse weiter Vorrang haben; das Merkmal der Spendebereitschaft dürfe kein absolutes, sondern nur subsidiäres Kriterium sein.46 Die Wartelisten müssten grundsätzlich für jeden offen sein.47 Die Spendererklärung müsse von jedem abgegeben und auch widerrufen werden können48. Es bedürfe verschiedener Sonderreglungen für nicht einwilligungsfähige Personen49 (z.B. Kinder) und für besondere medizinische Fälle50. Die Spendebereitschaft dürfe erst nach einer gewissen Wartezeit vorteilsbegründend wirken, und für bereits auf der Warteliste stehende Patienten bedürfe es Übergangsvorschriften. Und schließlich entstünden weit reichende Informationspflichten für den Gesetzgeber.51 39 Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 88; Gutmann, 2006, S. 133; Conrads, 2000, S. 160. 40 Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 101; Schreiber, Richtlinien und Regeln für die Organallokation , S. 67. 41 Begriff bei Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 100. 42 Junghanns, S. 137 ff.; Kühn, S. 174 ff.; Oelert, S. 124 (i.E. aber gegen eine solche Lösung). 43 Blankart/Kirchner/Thiel, S. 14: „Ohne Organspenden gibt es keine Transplantationen.“; siehe auch Kühn, S. 177. 44 Blankart/Kirchner/Thiel, S. 35; Breyer u.a., S. 220. 45 Gubernatis, Solidarmodell, S. 62; Ach, in: Hirntod und Organtransplantation, S. 118; Schmidt 2003, S. 17, m.w.N. 46 Blankart/Kirchner/Thiel, S. 2, S. 17, S. 49; Junghanns, S. 137; Gubernatis, Solidarmodell, S. 79. 47 Junghanns, S. 155. 48 Breyer u.a., S. 222. 49 Junghanns, S. 141; Breyer u.a., S. 221. 50 Höfling, Wolfram, Stellungnahme zur Anhörung im Gesundheitsausschuss am 9. Oktober 1996, Anlage zu BT-A-Drs. 599/13, S. 5, Parlamentsdokumentation XIII/291, Band A 1. 51 Blankart/Kirchner/Thiel, S. 31. - 10 - Für diese Auffassung spricht, dass für die Verteilungsentscheidung außermedizinische Gründe nicht generell ausgeschlossen sind52; das räumen auch Kritiker der Anreizmodelle ein53. Liegen die sich gerade aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergebenden einschränkenden Voraussetzungen vor, gibt die Verfassung keine weitere Auskunft darüber, wie die Verteilung im Einzelnen vorzunehmen ist.54 Im Übrigen wird auch von den Kritikern der Anreizmodelle nicht bestritten, dass dem Staat ein Gestaltungsspielraum zusteht, wenn es um die Lösung möglicher „Pattsituationen“ geht; hier werden zur Lösung beispielsweise Los- oder Wartezeitverfahren vorgeschlagen.55 Wenn insoweit ein Spielraum als verfassungsrechtlich zulässig erachtet wird, muss es auch möglich sein, die Verteilungsentscheidung an sachliche Kriterien zu knüpfen. Andernfalls müsste sich der Staat in „Pattsituationen“ gänzlich aus dem Verteilungsverfahren zurückziehen, was angesichts der Bedeutung der Verteilungsentscheidung und des Verteilungsmonopols des Staates nicht zulässig sein dürfte.56 4. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Allgemeines Persönlichkeitsrecht 4.1. Schutzbereich Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht hat das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet. Der Schutzbereich hat zwei Dimensionen : den Schutz der persönlichen Lebenssphäre und den Schutz der Darstellung der eigenen Person in der Öffentlichkeit. Aus diesen beiden Schutzrichtungen folgt eine Reihe von Einzelverbürgungen. Zu diesen gehört auch das Recht des Einzelnen, darüber entscheiden zu dürfen, ob nach seinem Tod Organe aus seinem Körper für die Transplantationsmedizin verwendet werden dürfen, so genanntes postmortales Persönlichkeits - bzw. Selbstbestimmungsrecht.57 52 A.A. Conrads, S. 37; zum diesbezüglichen Streitstand siehe ausführlich Lang, in: Höfling, TPG, § 10, Rn. 53, m.w.N. 53 Schreiber, Richtlinien und Regeln für die Organallokation, S. 67; Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 99; Gutmann, Thomas, Stellungnahme vom 18. Juni 1996, Anlage zu BT-A-Drs. 591/13, S. 13. 54 Junghanns, S. 154 mit Bezug auf Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Die Verfassungsentscheidung für die Sozialstaatlichkeit, Rn. 51. 55 So der Vorschlag von Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 101, die für „Pattsituationen“ Losverfahren vorschlagen bzw. darauf abstellen, welcher Patient länger auf der Warteliste stand; kritisch dazu Junghanns, S. 153 f.; zur Beachtung der Wartezeit schon nach der jetzigen Rechtslage Schmidt, 1997, S. 64. 56 Grundrechtsschutz auch durch Verfahrenssicherung, siehe hierzu BVerfGE 53, 30 (62 ff.); vgl. auch Lang, in: Höfling, TPG, § 10, Rn. 56. 57 Ausführlich Höfling/Rixen, S. 83 ff.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 207; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 206 und Art. 2 Abs. 2, Rn. 22; zu den Grenzen des postmortalen Persönlichkeitsrechts im Allgemeinen vgl. Di Fabio, Rn. 226. - 11 - 4.2. Eingriff 4.2.1. Unmittelbarer Eingriff Ein klassischer Eingriff ist gegeben, wenn eine staatliche Maßnahme vorliegt, die final, unmittelbar, mit rechtlicher Wirkung und mit Befehl und Zwang durchsetzbar Rechte des Einzelnen verkürzt.58 Eine unmittelbar belastende Wirkung läge nicht vor, da es keinen gesetzlichen Zwang zur Abgabe einer Spendererklärung gibt. 4.2.2. Mittelbarer Eingriff Allerdings könnte durch die Nichtgewährung des Vorteils bei fehlender Spendenwilligkeit ein faktischer Druck erzeugt werden, der den Einzelnen in tatsächlicher Hinsicht daran hindert, eine freiwillige Entscheidung über eine postmortale Organspende zu treffen. Auch mittelbare oder faktische Beeinträchtigungen können Eingriffscharakter haben.59 Dies gilt unter anderem dann, wenn der Verzicht auf eine Grundrechtsausübung mit einem Vorteil verknüpft wird, so genannter influenzierender Eingriff.60 Ein solcher könnte hier vorliegen, da zwar die Entscheidung für oder gegen eine Organspende rechtlich gesehen freiwillig ist, aber unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen kann.61 4.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG impliziert trotz des hohen Menschenwürdegehalts des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch keine Verletzung. Der Eingriff kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. 4.3.1. Schranken Der Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn er den Schranken des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts genügt. Schranke des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist die verfassungsmäßige Ordnung – und damit alle Normen, die formell62 und materiell verfassungsgemäß sind. Wegen des Einflusses von Art. 1 Abs. 1 GG ist jedoch eine verstärkte Verhältnismäßigkeitsprüfung notwendig.63 58 Jarass/Pieroth, GG, Vorb. Vor Art. 1, Rn. 27. 59 Jarass/Pieroth, GG, Vorb. Vor Art. 1, Rn. 29. 60 Jarass/Pieroth, GG, Vorb. Vor Art. 1, Rn. 28. 61 Gutmann/Fateh-Moghadam, 2003, S. 89, allerdings ohne genauere dogmatische Anknüpfung; dagegen Blankart/Kirchner/Thiel, S. 51. 62 Die Gesetzgebungskompetenz folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG, vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 74, Rn. 63; siehe auch BT-Drs. 13/4355, S. 12. 63 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 103. - 12 - 4.3.2. Verhältnismäßigkeit Eine Regelung ist verhältnismäßig, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgt und das ausgewählte Mittel zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist.64 Ziel ist es, die gespendeten Organe gerecht zu verteilen und die Spendebereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen. Dies ist – trotz ansteigender Tendenz bei der Spendebereitschaft 65 – angesichts des Organmangels und der damit verbundenen existenziellen Fragen für die betroffenen Patienten ein legitimes Ziel des Gesetzgebers. Geeignet ist das Mittel, wenn es zur Erreichung des angestrebten Ziels jedenfalls förderlich ist.66 Bezüglich des Spendeaufkommens ist bei einer Anreizlösung umstritten, ob sich tatsächlich mehr Personen für eine Organspende entscheiden würden und ob sich das Problem nicht verlagern würde, wenn mehr Personen spendebereit sind, damit aber wiederum mehr Personen bevorzugt transplantationsberechtigt.67 Eine abschließende Stellungnahme ist nicht möglich, aber auch nicht notwendig, da dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum eingeräumt wird.68 Erforderlich ist die Regelung, wenn kein milderes, gleichermaßen wirksames Mittel existiert.69 Denkbar wäre die Etablierung der Widerspruchslösung70: Hiernach wäre jeder, der nicht gegen eine postmortale Organentnahme widersprochen hat, potenzieller Spender. Dabei wäre kein Verlust eines Nachteils zu besorgen; allerdings wäre jeder gezwungen, sich mit der Frage der postmortalen Organspende auseinanderzusetzen. Außerdem wäre der Eingriff bei fehlendem Widerspruch erheblich tiefgreifender. Diskutiert wird auch eine aktive Spendeförderung; fraglich ist hier, ob solche Kampagnen gleichermaßen wirksam sind.71 Schließlich wird auch gefordert, die vorhandenen Kapazitäten noch besser zu nutzen und die Kooperation zwischen den involvierten Parteien zu verbessern.72 Dies kann zu einer Steigerung der Spenderzahlen führen; ob es gleichermaßen geeignet ist, kann jedoch nicht verifiziert werden. Im Übrigen hat der Gesetzgeber auch hier einen Einschätzungsspielraum. 64 Zu den Teilgeboten Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 83 ff. 65 Im Jahr 2006 spendeten 1259 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe; das sind 39 Organspender beziehungsweise 3,2 Prozent mehr als 2005, www.dso.de. 66 BVerfGE 96, 10 (23). 67 Eher kritisch Conrads, 2000, S. 161; optimistisch hingegen: Blankart/Kirchner/Thiel, S. 39; Gubernatis , Solidarmodell, S. 70 f. 68 Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 87. 69 BVerfGE 92, 262 (273). 70 Grundsätzlich hierzu , Verfassungsrechtliche Fragen bei der Einführung einer Widerspruchslösung / erweiterten Widerspruchslösung hinsichtlich einer Organspende, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, WF III - 236/03. 71 Blankart/Kirchner/Thiel, S. 46; vgl. auch Breyer u.a., S. 74 f. 72 Conrads, 2000, S. 161. - 13 - Angemessen ist eine Regelung, wenn der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts steht.73 Die Angemessenheit verlangt also eine Güterabwägung.74 Gegenüber stehen sich das Recht, grundsätzlich frei über eine Organspende entscheiden zu dürfen und das Ziel, mehr Spenderorgane gerechter zu verteilen und so Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Beide Rechtsgüter sind ranghohe und der Person unmittelbar und zwingend zugeordnete Rechtsgüter, die wesentliche Bereiche der persönlichen Lebensentfaltung betreffen. Insoweit kann dem Lebens- und Gesundheitsschutz trotz der einschneidenden Konsequenzen bei Organknappheit nicht per se der Vorrang eingeräumt werden. Zu beachten ist jedoch, dass der Anreiz zur Einwilligung in die Organspende unmittelbar mit dem Lebensbereich verknüpft wird, für den die Organspende zwingend ist – mit der Transplantationsmedizin. Dies kann man als angemessen ansehen, wenn kein genereller Ausschluss von der Transplantationsmedizin normiert und die Vorteilsgewährung von einer Reihe weiterer Voraussetzungen abhängig gemacht wird. 5. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Religionsfreiheit Die Entscheidung für oder gegen eine portmortale Organspende kann religiös oder spirituell motiviert sein75; im Kern gelten insoweit für die Reichweite des Schutzbereichs die Ausführungen zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Auf der Eingriffsebene sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden: Denkbar ist, dass Personen aus religiösen Gründen Organspenden und Organtransplantationen gleichermaßen ablehnen. Hier dürfte ein Eingriff ausscheiden, weil sich die mögliche Vorteilsfrage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Spendebereitschaft nicht stellt und so kein faktischer Druck entstehen kann.76 Anders verhält es sich, wenn Personen aus religiösen Gründen zwar postmortale Organspenden ablehnen, aber grundsätzlich keine Vorbehalte gegen den Empfang von Spenderorganen haben oder aber nur bestimmten Personengruppen Organe spenden dürfen.77 Hier handelt es sich – ähnlich wie beim Allgemeinen Persönlichkeitsrecht – um eine mittelbare Beeinträchtigung. Ob ein Eingriff vorliegt, kann im Ergebnis aber offen bleiben, da auch dieser gerechtfertigt wäre; insoweit kann auf die Ausführungen 73 BVerfGE 67, 157 (173). 74 BVerfGE 92, 277 (327). 75 Spranger, in: Breyer/Engelhard, S. 118. 76 A.A. Kühn, der eine Konfliktlage sieht und diese ggf. über den Grundsatz venire contra factum proprium (Verbot des widersprüchlichen Verhaltens) löst; zu Recht kritisch Gutmann/Fateh- Moghadam, 2003, S. 88. 77 Anmerkungen zum praktischen Ausmaß bei Kühn, S. 184 f. - 14 - zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verwiesen werden: Auch Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG kann beschränkt werden. Als einschränkende Rechtsgüter kommen jedoch nur solche mit Verfassungsrang in Betracht. Eine mögliche gesetzliche Regelung zielt auf die Gerechtigkeit bei der Verteilung und auf eine Erhöhung des Spenderaufkommens ab. Sie ist gerichtet auf die Verwirklichung des Lebens- und Gesundheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und konkretisiert insoweit verfassungsimmanente Schranken. 6. Ergebnis Es besteht kein generelles verfassungsrechtliches Verbot, bei der Verteilung von Spenderorganen die eigene Spendebereitschaft des transplantationsbedürftigen Patienten mit zu berücksichtigen. Allerdings muss eine gesetzliche Regelung eine Reihe von Mindestanforderungen erfüllen. Die konkrete Ausgestaltung78 ist somit für die Frage der Verfassungsmäßigkeit entscheidend. 78 Vorschläge bei Kühn, S. 169 f.; Junghanns, S. 155; Gubernatis, Solidarmodell, S. 62 ff.; zu Recht weist Conrads, 2000, S. 161 f. auf eine Reihe von Einzelproblemen bei der Umsetzung eines solchen Modells hin; bei der Anhörung zum TPG äußerte ein Sachverständiger zur gesetzlichen Ausgestaltung der Verteilungskriterien: „Das scheint mir das regelungstechnisch schwierigste Problem (…).“ Höfling, Wolfram, Anhörung im Rechtsausschuss am 15. Januar 1997, Anlage zum Protokoll der 72. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 6, Parlamentsdokumentation XIII/291, Band A 1. - 15 - 7. 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