Deutscher Bundestag Staatliche Finanzierung freier Wählergemeinschaften Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 279/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 279/10 Seite 2 Staatliche Finanzierung freier Wählergemeinschaften Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 279/10 Abschluss der Arbeit: 22. Juni 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 279/10 Seite 3 1. Einleitung Nach § 18 Abs. 1 Parteiengesetz (PartG) erhalten Parteien Mittel als staatliche Teilfinanzierung. Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Mittel bilden der Erfolg, den die Partei bei den Wählern bei der Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen erzielt, die Summe ihrer Mitglieds- und Mandatsbeiträge sowie der Umfang der von ihr eingeworbenen Spenden. Einen Anspruch auf Teilhabe an der staatlichen Teilfinanzierung sieht das Parteiengesetz nur für politische Parteien im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 PartG vor. Danach sind Parteien Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. An dieser Voraussetzung der staatlichen Teilfinanzierung scheitern freie Wählergemeinschaften nach geltender Rechtslage dann, wenn es sich lediglich um kommunale Wählervereinigungen (sog. Rathausparteien) handelt, die allein auf gemeindlicher Ebene agieren. Außerdem kann es im Einzelfall an dem Element der Dauer und Festigkeit der Organisation fehlen. Sobald aber freie Wählergemeinschaften auf Landes-, Bundes oder Europaebene an Wahlen erfolgreich teilnehmen, ist die Gewährung staatlicher Mittel nach dem Parteiengesetz nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dies bedeutet, dass die entsprechende Gruppierung alle genannten Kriterien des Parteienbegriffs nach dem Parteiengesetz erfüllen muss. Es geht dabei nicht um das Selbstverständnis der Wählergemeinschaft , sondern um eine objektive Beurteilung.1 So hatte der Bundesverband der Freien Wähler Deutschland e. V. (FW Freie Wähler) aufgrund der Ergebnisse der Europawahl 2009 erstmals im Jahre 2009 Anspruch auf die staatliche Parteienfinanzierung. Vom Bundestagspräsidenten wurde für 2009 ein Betrag von € 79.850,41 festgesetzt.2 Zumeist scheitert die staatliche Mittelgewährung in der Praxis bei den freien Wählergemeinschaften, die erfolgreich z. B. an Landtagswahlen teilgenommen haben, daran, dass der nach § 19a Abs. 1 S. 2 PartG für die Festsetzung und Auszahlung der Mittel erforderliche Rechenschaftsbericht nicht fristgerecht bzw. formgerecht vorgelegt wird.3 Nachfolgend werden Fragen zur Einbeziehung kommunaler Wählergemeinschaften in die staatliche Parteienfinanzierung beantwortet. 1 Muthers, Kerstin, Rechtsgrundlagen und Verfahren zur Festsetzung staatlicher Mittel zur Parteienfinanzierung, Göttingen 2004, S. 70. 2 Deutscher Bundestag, Verwaltung, Referat PM 3 – Parteienfinanzierung, Landesparlamente, Festsetzung der staatlichen Mittel für das Jahr 2009 (Stand: 21. Januar 2010), abzurufen unter: http://www.bundestag.de/bundestag/parteienfinanzierung/festsetz_staatl_mittel/finanz_09.pdf. 3 Siehe auch Deutscher Bundestag, Verwaltung, Referat PM 3 – Parteienfinanzierung, Landesparlamente, Festsetzung der staatlichen Mittel für das Jahr 2009, Gesamtübersicht, Festsetzung der staatlichen Teilfinanzierung für das Jahr 2009 gemäß §§ 18 ff. PartG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 279/10 Seite 4 2. Können kommunale freie Wählergemeinschaften in die staatliche Parteienfinanzierung einbezogen werden? Eine Einbeziehung der kommunalen freien Wählergemeinschaften in die staatliche Parteienfinanzierung dürfte grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Leitentscheidung vom 2. April 1992 den Gesetzgeber aufgefordert, die bestehenden Regelungen zum Ausschluss der Rathausparteien vom der staatlichen Finanzierung zu überprüfen.4 Denn es sei zu berücksichtigen, dass die staatliche Teilfinanzierung der allgemeinen Tätigkeit der politischen Parteien auch deren Wirken auf kommunaler Ebene zugute komme.5 Die Parteien erlangten dadurch gegenüber den reinen Rathausparteien einen Wettbewerbsvorteil.6 Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung aber auch deutlich gemacht, dass eine völlige Gleichstellung mit den politischen Parteien angesichts der begrenzten politischen Zielsetzung kommunaler Wählervereinigungen verfassungsrechtlich nicht zwingend sei.7 So wird auch in der Literatur zum Teil die Auffassung vertreten, dass die bestehende Differenzierung zwischen Parteien, wie sie das Parteiengesetz definiert, und kommunalen Wählervereinigungen im Hinblick auf den Unterschied zwischen gesamt-staatlich-politischer Ebene und dem Bereich der kommunalen Selbstverwaltung verfassungsrechtlich vertretbar sei.8 Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) markiere die prinzipielle Distanz in der rechtlichen Einordnung von staatlicher und kommunaler Ebene.9 Denn die gemeindliche Ebene werde primär als Einheit bürgerschaftlicher Selbstverwaltung eigener Angelegenheiten bestimmt. Der politische Charakter entsprechender Auseinandersetzungen habe im Gesamtbild der Verfassung eine eigene Qualitätsbestimmung erfahren, der sich von der Befassung mit prinzipiell allen Angelegenheiten auf den gesamtstaatlichen Ebenen unterscheide.10 Solange der verfassungsrechtlich vorgesehene Schutz politischer Betätigung auf jeder Ebene angemessen gewahrt sei, sei der Gesetzgeber angesichts der differenzierten verfassungsrechtlichen Ausgangslage frei, diese auch im Parteiengesetz durch eine unterschiedliche Behandlung von Parteien und freien kommunalen Wählergemeinschaften bei der Finanzierung zum Ausdruck zu bringen.11 Zum Teil wird in der Literatur die Einbeziehung der Rathausparteien in die staatliche Teilfinanzierung sogar als zwingend verfassungsrechtlich geboten angesehen. Der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 GG sei auch für die kommunalen Wählergemeinschaften im Sinne eines Rechts der Bürger auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung zu beachten mit der Konsequenz, dass die Ungleichbehandlung dieser Wählergemeinschaften gegenüber den Parteien 4 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 85, 264, 328. 5 BVerfGE 85, 264, 328. 6 BVerfGE 85, 264,328. 7 BVerfGE 85, 264,328. 8 Wißmann, Hinnerk, in: Kersten, Jens/Rixen, Stephan (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht , Stuttgart 2009, § 2 Rn. 37. 9 Vgl. Muthers, S. 68; Wißmann, in: Kersten/Rixen, § 2 Rn. 37. 10 Wißmann, in Kersten/Rixen, § 2 Rn. 37. 11 Wißmann, in Kersten/Rixen, § 2 Rn. 38. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 279/10 Seite 5 durch das geltende Parteiengesetz im Bereich der staatlichen Teilfinanzierung durchgreifenden Bedenken begegne.12 Ergänzend sei im Hinblick auf die Einbeziehung kommunaler Wählergemeinschaften in die staatliche Teilfinanzierung auf die Problematik der Gesetzgebungskompetenz hingewiesen. Kommunalrecht einschließlich des Kommunalwahlrechts ist nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes Ländersache. Nach Art. 21 Abs. 3 GG gehört das Parteiengesetz zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Dazu zählt bisher schon die Regelung der Wahlkampfkostenerstattung auch auf Landesebene, obwohl das Landeswahlrecht der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegt. Kommunale Wählergemeinschaften gehören zwar nicht zu den Parteien im Sinne des Art. 21 GG. Da die Regelung einer staatlichen Teilfinanzierung dieser Gruppierungen jedoch in engem Zusammenhang mit der staatlichen Parteienfinanzierung steht, dürfte eine Annexkompetenz des Bundes gegeben sein, weil die Parteienfinanzierung nicht geregelt werden kann, ohne die kommunalen Wählergemeinschaften in die Regelung einzubeziehen.13 Dies schließt aber nicht aus, dass die bundesgesetzliche Regelung nur die Grundsätze für die Parteienfinanzierung auf kommunaler Ebene festlegt und der Landegesetzgeber nach Art. 71 GG ermächtigt wird, die Einzelheiten zu regeln.14 3. Gibt es bereits konkrete Schritte zur Realisierung der staatlichen Teilfinanzierung freier kommunaler Wählergemeinschaften? Es sind derzeit keine konkreten gesetzgeberischen Schritte zur Realisierung der staatlichen Teilfinanzierung bekannt.15 In der 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hat die Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. April 1992 u. a. Vorschläge zur Einbeziehung kommunaler Wählergemeinschaften unterbreitet. Sie empfahl: „Kommunale Wählergemeinschaften werden in die staatliche Parteienfinanzierung einbezogen und mit demselben Betrag je Stimme bedacht wie die Parteien. Anders als bei diesen sind jedoch Beiträge und Spenden nicht als Bemessungsgrundlage für die Staatsfinanzierung heranzuziehen. Sie sind gesetzlich zur Rechenschaftslegung und Publizität verpflichtet.“16 Der Gesetzgeber ist dieser Empfehlung nicht gefolgt.17 12 Koch, Thorsten, in: Ipsen, Jörn, Parteiengesetz, München 2008, § 18 Rn. 17. 13 Siehe Unterrichtung durch den Bundespräsidenten, Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung, BT-Drs. 12/4425 vom 19. Februar 1993, S. 23. 14 BT-Drs. 12/4425, S. 23. 15 So auch mündliche Auskunft des Referates PM 3 – Parteienfinanzierung, Landesparlamente –vom 17. Juni 2010. 16 BT-Drs. 12/4425, S. 49. 17 Siehe auch Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze, BT-Drs. 12/5774 vom 28. September 1993.