WD 3 - 3000 - 278/20 (2. Dezember 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. 1. Ergebnis – Eine „freiwillige Selbstbindung“, durch die sich ein Wähler verpflichtet, bei einer Briefwahl genauso abzustimmen wie bei einer zuvor erfolgten unverbindlichen elektronischen Abstimmung , wäre in Bezug auf den Grundsatz der Freiheit der Wahl erheblich problematisch. – Es ist nicht möglich, eine unverbindliche elektronische Abstimmung als Grundlage eines zweiten, durch Briefwahl erfolgenden Wahlgangs zu machen, bei dem die bei der elektronischen Abstimmung unterlegenen Kandidaten ausgeschlossen werden. – Zulässig wäre eine Form der Wahl, bei der Kandidaten, die bei einer unverbindlichen elektronischen Abstimmung unterlegen sind, freiwillig auf ihre Kandidatur bei der Briefwahl verzichten. Eine vor der elektronischen Abstimmung dahingehend erfolgte Absichtserklärung wäre nicht justiziabel. 2. Fragestellung Es wird gefragt, ob es rechtlich möglich wäre, bei einem Online-Parteitag digital abzustimmen und das Ergebnis durch eine anschließende Briefwahl abzusichern, indem sich die Wähler freiwillig einer Selbstbindung an das Ergebnis der digitalen Abstimmung unterwerfen. Dies dürfte so zu verstehen sein, dass die Wähler sich verpflichten, bei der Briefwahl genauso abzustimmen wie bei der vorangegangenen elektronischen Abstimmung (dazu unter 1.). Ferner soll geprüft werden, ob die Wahl so erfolgen könnte, dass bei der Briefwahl nur noch der Erstplatzierte der zuvor erfolgten elektronischen Abstimmung antreten darf (dazu unter 2.). Zudem wird auf die Möglichkeit des freiwilligen Verzichts der bei der elektronischen Abstimmung unterlegenen Kandidaten eingegangen. 2.1. Elektronische Abstimmung mit anschließender Briefwahl und Selbstbindung der Wähler Für eine solche Wahl kommen insbesondere zwei Konstellationen in Betracht: Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Online-Parteitage mit elektronischer Abstimmung und anschließender Briefwahl Kurzinformation Online-Parteitage mit elektronischer Abstimmung und anschließender Briefwahl Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 – Die Briefwahl könnte nach Veröffentlichung des Ergebnisses der elektronischen Abstimmung durchgeführt werden. In diesem Fall könnte es insbesondere vorkommen, dass sich Wähler aufgrund des Ergebnisses der Abstimmung umentscheiden. – Das Ergebnis der elektronischen Abstimmung könnte geheim gehalten werden, bis die Briefwahl erfolgt ist. In diesem Fall wäre der Zweck der elektronischen Abstimmung unklar, da eine reine Briefwahl genügen würde. Unabhängig von der gewählten Konstellation dürfte es kaum möglich sein, zu kontrollieren, ob die Wähler sich tatsächlich an ihre Selbstbindung halten. Es ist daher denkbar, dass die Ergebnisse der elektronischen Abstimmung und der Briefwahl voneinander abweichen. Da nach dem geltenden Recht die Durchführung einer verbindlichen elektronischen Wahl bei einem Parteitag unzulässig ist,1 würde in diesem Fall das Ergebnis der Briefwahl Bestand haben. Dies könnte zu Unstimmigkeiten führen, wenn das Ergebnis der elektronischen Abstimmung bereits bekannt ist. Rechtlich ist fraglich, ob die Bindung einer Wahlentscheidung an eine bereits zuvor durchgeführte Abstimmung mit den Wahlrechtsgrundsätzen nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar wäre. Die Wahlrechtsgrundsätze gelten – zumindest in abgeschwächter Form – auch bei parteiinternen Wahlen.2 Problematisch erscheint die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Freiheit der Wahl. Dieser Grundsatz besagt, dass der Wähler sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen können muss.3 Der Wähler soll vor Beeinflussungen geschützt werden, die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit trotz bestehendem Wahlgeheimnis ernstlich zu beeinträchtigen.4 Daraus ergibt sich, dass es dem Wähler möglich sein muss, bis zum exakten Zeitpunkt der Stimmabgabe seine Wahlentscheidung zu überdenken und eventuell zu ändern. Bei der hier geprüften Variante der Durchführung der Wahl stellen die elektronische Abstimmung und die Briefwahl keinen einheitlichen Wahlvorgang dar, sondern zwei hintereinander erfolgende Handlungen . Dies bedeutet, dass zwischen der elektronischen Abstimmung und der Briefwahl ein gewisser Zeitraum (sei er auch noch so kurz) vergeht, in dem sich der Wähler umentscheiden könnte. Diese Möglichkeit würde dem Wähler vorenthalten, wenn er bei der Briefwahl an seine bei der elektronischen Abstimmung getätigte Entscheidung gebunden wäre. Der Wähler würde durch die Selbstbindung daher ernstlich in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Die Selbstbindung wäre folglich in Bezug auf den Grundsatz der Freiheit der Wahl erheblich problematisch. 2.2. Ausschließliche Möglichkeit der Wahl des Erstplatzierten der elektronischen Abstimmung Würde die Wahl in der Weise stattfinden, dass zunächst elektronisch abgestimmt wird und bei der anschließenden Briefwahl nur noch der Erstplatzierte der elektronischen Abstimmung antreten darf, folglich also ein zwingender Ausschluss der unterlegenen Kandidaten stattfindet, so 1 Siehe dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Elektronische Abstimmungen bei parteiinternen Wahlen per De-Mail, WD 3 - 3000 - 254/20, S. 3. 2 Siehe dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Elektronische Abstimmungen bei parteiinternen Wahlen per De-Mail, WD 3 - 3000 - 254/20, S. 3, 4. 3 BVerfGE 44, 125 (139). 4 BVerfGE 66, 369 (380). Kurzinformation Online-Parteitage mit elektronischer Abstimmung und anschließender Briefwahl Fachbereich WD 3 (Verfassung und Verwaltung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 würde es sich um den ersten und zweiten Wahlgang derselben Wahl handeln, da die einzelnen Schritte aufeinander aufbauen. Für eine rechtmäßige Wahl muss jeder einzelne Wahlgang für sich genommen rechtmäßig sein. Wie bereits festgestellt, ist eine verbindliche elektronische Abstimmung bei einem Parteitag unzulässig. Eine unverbindliche Abstimmung kann keine Grundlage für einen verbindlichen zweiten Wahlgang sein, da von ihr keine Rechtswirkung ausgeht. Es ist allerdings grundsätzlich zulässig, dass Kandidaten freiwillig ihre Kandidatur aufgeben. Möglich wäre es daher, dass die unverbindliche elektronische Abstimmung als Meinungsbild herangezogen wird und die dabei unterlegenen Kandidaten freiwillig auf ihre Kandidatur bei der Briefwahl verzichten. Erklärten die Kandidaten vor der elektronischen Abstimmung, dass sie im Falle eines Unterliegens nicht zur Briefwahl antreten werden, würde es sich allerdings um eine reine politische Absichtserklärung handeln, die nicht justiziabel wäre. Die Variante könnte zudem dazu führen, dass bei der Briefwahl der einzige noch antretende Kandidat durchfällt. Dann müsste das gesamte Verfahren wiederholt werden. ***