© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 278/18 Ausgewählte Parlamentsvorbehalte bei Regierungshandeln Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 278/18 Seite 2 Ausgewählte Parlamentsvorbehalte bei Regierungshandeln Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 278/18 Abschluss der Arbeit: 30.08.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 278/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einsatz der Armee 4 1.1. Verteidigungsfall 4 1.2. Spannungsfall 4 1.3. Auslandseinsätze der Bundeswehr 5 2. Ernennung von Funktionsträgern 5 3. Verfassungsänderungen 6 4. Notstand 6 4.1. Gesetzgebungsnotstand 6 4.2. Innerer Notstand 6 4.3. Katastrophen 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 278/18 Seite 4 1. Einsatz der Armee 1.1. Verteidigungsfall Für das Grundgesetz liegt ein Verteidigungsfall vor, wenn „das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht“ (Art. 115a Grundgesetz – GG). Im Verteidigungsfall geht die Kommandogewalt über die Streitkräfte vom Verteidigungsminister auf den Bundeskanzler über (vgl. Art. 65a und 115b GG). Auch kann der Bund im Verhältnis zu den Ländern umfangreiche Kompetenzen an sich ziehen. Aufgrund der Bedeutung der Angelegenheit weist das Grundgesetz dem Parlament eine zentrale Rolle zu: Die Feststellung des Verteidigungsfalls „trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates “ (Art. 115a Abs. 1 S. 1 GG). Für die Feststellung ist „eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages“ erforderlich (Art. 115a Abs. 1 S. 2 GG). Das Parlament kann die Feststellung nicht ohne die Exekutive treffen: Erforderlich ist ein „Antrag der Bundesregierung“ (Art. 115a Abs. 1 S. 2 GG). In Eilfällen entscheidet ein „Gemeinsamer Ausschuss von Bundesrat und Bundestag“ (Art. 115a Abs. 2 GG). Dieses „Notparlament“ hat 48 Mitglieder. Er besteht zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages und zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates (Art. 53a GG). Kann auch der Gemeinsame Ausschuss nicht rechtzeitig zusammentreten, so fingiert das Grundgesetz die Feststellung (Art. 115a Abs. 4 GG). Die Fiktion wirkt zurück auf den Zeitpunkt, zu dem der Angriff auf das Bundesgebiet begonnen hat. Die Fiktion ist unwiderruflich. Sie kann daher nur in extremen Ausnahmesituationen Anwendung finden, etwa bei einem Nuklearkrieg. Völkerrechtliche Erklärungen des Bundespräsidenten anlässlich des Verteidigungsfalles bedürfen ebenfalls der Zustimmung des Bundestages (Art. 115a Abs. 5 GG). Hierzu gehört z. B. die Mitteilungspflicht der Bundesregierung an den Generalsekretär des Europarates im Falle der Außerkraftsetzung von Grundfreiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates jederzeit den Verteidigungsfall für beendet erklären. Der Beschluss ist durch den Bundespräsidenten zu verkünden (Art. 115l Abs. 2 S. 1 GG). 1.2. Spannungsfall Als Vorstufe zum Verteidigungsfall kann der Bundestag nach Art. 80a GG den Spannungsfall feststellen . Die juristische Literatur versteht hierunter eine erhöhte außenpolitische Konfliktsituation, die mit gesteigerter Wahrscheinlichkeit zu einem bewaffneten Angriff auf das Bundesgebiet führen kann. In diesem Fall hat der Staat erweiterten Zugriff auf die Rechtsgüter der Bürger und der Privatwirtschaft. Dies soll dazu dienen, die Verteidigungsbereitschaft zu erhöhen. Die Feststellung bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen (Art. 80a Abs. 1 S. 2 GG). Maßnahmen auf Grundlage des Spannungsfalls stehen unter einem Widerrufsvorbehalt des Bundestags. Das Initiativrecht für die Feststellung des Spannungsfalles haben Bundestag und Bundesregierung, nicht dagegen der Bundesrat. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 278/18 Seite 5 1.3. Auslandseinsätze der Bundeswehr Fälle des Auslandseinsatzes der Bundeswehr außerhalb des Verteidigungsfalls regelt das Grundgesetz nicht ausdrücklich. Das Bundesverfassungsgericht stellt allerdings sämtliche Einsätze der Bundeswehr unter Parlamentsvorbehalt. Dies folgert das Gericht unter anderem aus den vergleichbaren Normen zum Verteidigungsfall und aus der Verfassungstradition. Die Bundeswehr ist danach eine Parlamentsarmee. Die Rechtsprechung war Anlass für das 2005 ergangene Parlamentsbeteiligungsgesetz , welches die parlamentarische Entscheidungsfindung bei Auslandseinsätzen regelt. Insbesondere stehen alle Einsätze unter jederzeitigem Widerrufsvorbehalt des Parlaments (§ 8 ParlBG). 2. Ernennung von Funktionsträgern Der Bundestag wählt den wichtigsten Funktionsträger der Exekutive, den Bundeskanzler (Art. 63 GG). Keine Mitwirkungsrechte hat der Bundestag aber bei der Auswahl und Benennung der Minister (Art. 64 GG). Auf Vorschlag der Bundesregierung wählt der Bundestag die folgenden drei Funktionsträger: – Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (§ 11 Bundesdatenschutzgesetz ); – Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (§ 35 Stasi-Unterlagen-Gesetz); – Präsident des Bundesrechnungshofs (§ 5 Bundesrechnungshofgesetz). Aus eigener Initiative wählt der Bundestag parlamentarische Funktionsträger. Hierzu gehören neben dem Bundestagspräsidenten (Art. 40 Abs. 1 S. 1 GG) insbesondere: – Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages (§ 13 Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages); – Ständiger Bevollmächtigter des Parlamentarischen Kontrollgremiums (§ 5b Kontrollgremiumgesetz : Vorschlag des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Ernennung durch Bundestagspräsidenten); – Vertreter der Bundesrepublik zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (EuRatWahlG). Ferner wirkt der Bundestag bei der Wahl des Bundespräsidenten mit. Die Bundestagsabgeordneten stellen kraft Amtes die Hälfte der Mitglieder der Bundesversammlung dar, die den Bundespräsidenten wählt (Art. 54 Abs. 3 GG). Der Bundestag entsendet 16 Abgeordnete in den Vermittlungsausschuss, der ansonsten aus weiteren 16 Mitgliedern des Bundesrates besteht (Art. 77 Abs. 2 S. 2 GG, § 1 GO-VermA). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 278/18 Seite 6 Der Bundestag ist auch an der Wahl von Richtern beteiligt. Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts wählt zur Hälfte der Bundestag und zur anderen Hälfte der Bundesrat (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG). Der Bundestag bestimmt außerdem die Hälfte der Mitglieder der Richterwahlausschüsse. Diese sind zusammen mit dem zuständigen Minister für die Berufung der Richter der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zuständig (Art. 95 Abs. 2 GG). 3. Verfassungsänderungen Änderungen des Grundgesetzes bedürfen „der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates“ (Art. 79 Abs. 2 GG). Eine Besonderheit besteht im Hinblick auf die Einbindung Deutschlands in die Europäische Union. Aus Sicht des Grundgesetzes hat „die Begründung der Europäischen Union“ verfassungsändernde Bedeutung. Gleiches gilt für die „Änderungen ihrer [EU] vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden“ (Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG). 4. Notstand 4.1. Gesetzgebungsnotstand Der Gesetzgebungsnotstand betrifft einen Fall der politischen Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung (Art. 81 Abs. 1 GG). So ist im Falle einer verlorenen Vertrauensfrage die Auflösung des Bundestages eine Ermessensentscheidung des Bundespräsidenten (Art. 68 GG). Sieht er von der Auflösung ab, fehlt es der Regierung unter Umständen an einer tragenden Mehrheit im Bundestag. Gesetzesvorhaben wären möglicherweise blockiert und die Bundesregierung nicht handlungsfähig. In einer solchen Situation kann die Bundesregierung ein Gesetzesvorhaben als dringlich bezeichnen, nachdem der Bundestag es abgelehnt hat. Daraufhin kann der Bundespräsident den Gesetzesnotstand erklären. Lehnt der Bundestag das Gesetzesvorhaben erneut ab, kommt es durch bloße Zustimmung des Bundesrates zustande. 4.2. Innerer Notstand Der innere Notstand liegt vor, wenn ein Bundesland oder der Bund außer Stande ist, eine drohende Gefahr für seinen Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen (Art. 91 Abs. 1 GG). Unter anderem kann die Bundesregierung die Polizei der Länder und ggf. auch Landesregierungen ihren Weisungen unterstellen und Bundespolizeikräfte einsetzen. Diese Anordnung steht unter jederzeitigem Aufhebungsvorbehalt des Bundesrates, nicht aber des Bundestages. Unter den Voraussetzungen des inneren Notstands kann die Bundesregierung allerdings erforderlichenfalls auch die Streitkräfte einsetzen (Art. 87a Abs. 4 S. 1 GG). Einem solchen Einsatz kann der Bundestag – neben dem Bundesrat – jederzeit widersprechen (Art. 87a Abs. 4 S. 1 GG). Der Einsatz ist in diesem Fall einzustellen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 278/18 Seite 7 4.3. Katastrophen Bei länderübergreifenden Naturkatastrophen oder Unglücksfällen, kann die Bundesregierung wie bei Art. 91 GG Weisungen erteilen sowie die Bundespolizei und Streitkräfte einsetzen (Art. 35 Abs. 3 S. 1 GG). Der Bundesrat kann jederzeit verlangen, die Maßnahmen aufzuheben.