© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 276/20 Einzelfragen zum Untersuchungsausschuss Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 276/20 Seite 2 Einzelfragen zum Untersuchungsausschuss Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 276/20 Abschluss der Arbeit: 4. Dezember 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 276/20 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand behandelt verschiedene Fragen zum Recht der Untersuchungsausschüsse. Zunächst wird auf das Recht des Vorsitzenden, ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen zurückzuweisen , eingegangen (2.). Anschließend werden die Rechte des Regierungsvertreters in der Sitzung behandelt (3.). Zum Abschluss wird die Zulässigkeit der Live-Berichterstattung in den sozialen Medien thematisiert (4.). 2. Zurückweisung von Fragen durch den Vorsitzenden § 25 Abs. 1 S. 1 Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) bestimmt, dass der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen zurückzuweisen hat. Die Regelung verfolgt den Zweck, „im Interesse einer geordneten, rechtsstaatlichen Grundsätzen genügenden Sachverhaltsaufklärung und Tatsachenfeststellung“ zu bewirken, dass „die dem Zeugen im Untersuchungsausschuss gestellten Fragen prozessual zulässig sind“.1 Für die Frage der Ungeeignetheit ist zunächst die Bedeutung des Zeugenbeweises entscheidend. Der Zeuge soll Auskunft darüber geben, ob und welche Tatsachen er wahrgenommen oder nicht wahrgenommen hat.2 Tatsachen sind solche Vorgänge, die einer sinnlichen Wahrnehmung durch Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken oder Riechen zugänglich sind.3 Auch innere Tatsachen sind erfasst, also Vorgänge im eigenen Bewusstsein des Zeugen.4 Daraus folgt, dass eine Frage ungeeignet ist, wenn sie nicht auf die Gewinnung einer Tatsache gerichtet ist.5 Das ist der Fall, wenn von dem Zeugen eine Bewertung, Meinung oder Mutmaßung verlangt wird.6 Auch aus weiteren Gründen kann eine Frage als ungeeignet im Sinne der Norm gelten. Fragen zu Tatsachen, die dem Zeugen „zur Unehre gereichen“ oder seinen persönlichen Lebensbereich betreffen, sollen (entsprechend § 68a Abs. 1 StPO) nicht gestellt werden, sofern sie nicht unerlässlich sind.7 Eine zur Unehre gereichende Tatsache liegt vor, wenn sie „die sittlich-moralische Bewertung des Zeugen oder seiner Angehörigen in der Umwelt nachteilig beeinflussen kann, also den guten Ruf gefährdet“.8 Auch unbegründete Wiederholungen bereits erschöpfend und widerspruchsfrei beantworteter Fragen werden als ungeeignet gesehen.9 Ungeeignet ist eine Frage auch, 1 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 25 Rn. 4. 2 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 25 Rn. 8. 3 Peters, in: derselbe, Untersuchungsausschussrecht, 2. Aufl. 2020, 16. Kap. Rn. 794. 4 Peters, in: derselbe, Untersuchungsausschussrecht, 2. Aufl. 2020, 16. Kap. Rn. 795. 5 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 25 Rn. 10. 6 Peters, in: derselbe, Untersuchungsausschussrecht, 2. Aufl. 2020, 16. Kap. Rn. 799. 7 Peters, in: derselbe, Untersuchungsausschussrecht, 2. Aufl. 2020, 16. Kap. Rn. 803. 8 Maier, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, § 68a Rn. 7. 9 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 25 Rn. 18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 276/20 Seite 4 wenn der Zeuge sie aus Rechtsgründen nicht beantworten muss, z.B. weil er von seinem Zeugnisoder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht.10 Nicht zur Sache gehört eine Frage, wenn sie nichts mit dem Untersuchungsgegenstand oder dem konkreten Beweisbeschluss zu tun hat.11 Dazu gehören auch Fragen, die erkennbar verfahrensfremden Zwecken dienen, etwa Aufsehen zu erregen, zu werben, dritten Personen Unannehmlichkeiten zu bereiten oder sie vor der Öffentlichkeit bloßzustellen.12 Vor der Zurückweisung einer Frage hat der Vorsitzende im Interesse einer ordnungsgemäßen, effektiven Sachverhaltsaufklärung darauf hinzuwirken, dass sie in veränderter und dadurch zulässiger Weise gestellt wird.13 Schreitet der Vorsitzende nicht gegen eine unzulässige Frage ein, kann sie auch ein anderes Ausschussmitglied oder der Zeuge selbst (s. § 25 Abs. 1 S. 2 PUAG) beanstanden. Gibt es Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage oder über die Rechtmäßigkeit einer Zurückweisung durch den Vorsitzenden, hat der Untersuchungsausschuss nach § 25 Abs. 1 S. 3 PUAG auf Antrag seiner Mitglieder zu entscheiden. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, zu verhindern, dass die Regierungsseite mit der Ausschussmehrheit die Zurückweisung von Fragen zur Vereitelung der notwendigen Sachverhaltsaufklärung nutzt.14 Der Zeuge muss keine Frage beantworten, die vom Vorsitzenden oder durch Beschluss des Untersuchungsausschusses zurückgewiesen worden ist. Auch eine nachträgliche Zurückweisung ist nach § 25 Abs. 2 PUAG denkbar: Danach kann der Untersuchungsausschuss die Unzulässigkeit einer Frage beschließen, auf die bereits eine Antwort gegeben wurde. Dann darf im Bericht des Untersuchungsausschusses auf die Frage und die Antwort nicht Bezug genommen werden. Die Regelung soll den Zeugen vor unzulässigen „Überrumpelungen“ schützen und eine sorgfältige Fragestellung fördern.15 3. Einwirkungsmöglichkeiten des Sitzungsvertreters der Bundesregierung Aus Art. 43 Abs. 2 GG ergibt sich für Mitglieder und Beauftragte der Bundesregierung ein jederzeitiges Zutritts-, Anwesenheits- und Rederecht in Untersuchungsausschüssen des Deutschen 10 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 25 Rn. 11. 11 Glauben, in: Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern , 3. Aufl. 2016, § 25 PUAG Rn. 2, 3. 12 Liebermann, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 25 Rn. 13. 13 Peters, in: derselbe, Untersuchungsausschussrecht, 2. Aufl. 2020, 16. Kap. Rn. 806. 14 BT-Drs. 14/5790, S. 19. 15 BT-Drs. 14/5790, S. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 276/20 Seite 5 Bundestages. Sobald es erforderlich ist,16 soll der Beauftragte eine wechselseitige Information und Kommunikation mit dem Untersuchungsausschuss ermöglichen.17 Deshalb wird mitunter verlangt, dass er über einen ausreichenden Handlungsspielraum verfügt, um mit den Ausschussmitgliedern in ein Gespräch eintreten, „Rede und Antwort stehen“ und sich durch sachkundige Beiträge an der Diskussion beteiligen zu können.18 Der Regierungsvertreter hat aber kein Recht darauf, selbst Fragen an Zeugen oder Sachverständige zu stellen.19 Er hat insofern kein Gestaltungsrecht.20 Aus dem Rederecht dürfte sich allerdings etwa die Möglichkeit ergeben, den Vorsitzenden darauf hinzuweisen, dass er eine Frage für ungeeignet oder nicht zur Sache gehörend hält. Von Bedeutung ist die Rolle des Regierungsvertreters bei Zeugen , die aufgrund einer Aussagegenehmigung nach § 23 PUAG i.V.m. § 54 StPO aussagen. Ist eine Frage an einen Zeugen nicht von der Aussagegenehmigung gedeckt, so kann der für den jeweiligen Geschäftsbereich zuständige Regierungsvertreter die Frage als unzulässig zurückweisen.21 Im Übrigen dürfte der Regierungsvertreter kein Recht darauf haben, auf die Beantwortung von Fragen einzuwirken. Der Sinn und Zweck des Untersuchungsausschusses als Mittel der Regierungskontrolle 22 spricht gegen die Möglichkeit eines Regierungsvertreters, darauf hinzuwirken, dass eine bestimmte Frage nicht gestellt oder nicht beantwortet werden soll. Dadurch wäre eine umfassende Sachverhaltsaufklärung nicht gewährleistet. 4. Live-Berichterstattung in den sozialen Medien Die Live-Berichterstattung mittels Text über Dienste wie „Twitter“ oder „Live-Ticker“ aus einer öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses wird im Grundsatz als zulässig erachtet.23 Sie verstößt dem Wortlaut nach nicht gegen das Verbot von Ton- und Bildaufnahmen nach § 13 Abs. 1 S. 2 PUAG, weil es sich nicht um Aufnahmen im Sinne dieser Regelungen, sondern um eine redaktionell bearbeitete Wiedergabe handelt.24 16 Etwa wenn eine Begründung für die Nichtherausgabe von Akten oder die Erteilung einer Aussagegenehmigung verlangt wird, siehe Peters, in: derselbe Untersuchungsausschussrecht, 2. Aufl. 2020, 8. Kap. Rn. 222 f. 17 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 12 Rn. 27. 18 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Lieferung 2014, Art. 43 Rn. 27. 19 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Lieferung 2014, Art. 44 Rn. 190. 20 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Lieferung 2014, Art. 43 Rn. 145. 21 Von Cossel, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 23 Rn. 24. 22 Morlok, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 44 Rn. 8. 23 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 12 Rn. 19 ff.; zu § 169 Abs. 1 S. 2 GVG so auch Krieg, Twittern im Gerichtssaal – The revolution will not be televised, in: K&R 2009, 673 (677). 24 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 13 Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 276/20 Seite 6 Fraglich ist, ob der Anwendungsbereich der Verbotsregelungen mittels Auslegung ausgeweitet werden muss. Sinn und Zweck der Verbotsregelungen ist es, den gewichtigen Interessen Rechnung zu tragen, die dem Interesse an einer unbegrenzten Öffentlichkeit gegenüberstehen.25 Dazu gehören die Persönlichkeitsrechte der am Verfahren Beteiligten, ihr Anspruch auf ein faires Verfahren und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung.26 Es ist nicht erkennbar, inwiefern durch das Twittern Gefahren für die Interessen der Beteiligten entstehen könnten, die die mit der herkömmlichen mittelbaren Berichterstattung verbundenen Gefahren übersteigen.27 Beeinträchtigt sein könnte allerdings die ungestörte Wahrheitsfindung im Hinblick auf das Gebot aus § 24 Abs. 1 PUAG, dass Zeugen einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen zu vernehmen sind.28 So könnten Zeugen aufgrund der Live-Berichtserstattung die Aussagen der unmittelbar vor ihnen vernommenen Zeugen nachvollziehen. Besteht eine Notwendigkeit dafür, dass ein nachfolgender Zeuge keine Kenntnis von der Aussage des zuvor gehörten Zeugen erlangt, so hat der Vorsitzende gemäß § 13 Abs. 2 PUAG i.V.m. § 176 GVG das Recht, durch einzelfallbezogene sitzungspolizeiliche Maßnahmen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit die Live-Berichterstattung aus der Sitzung zu untersagen.29 Der 2. Untersuchungsausschuss hat sich in der 17. Wahlperiode mit dem Twittern aus der öffentlichen Sitzung befasst und weist in seinem Bericht darauf hin, dass nach der Hausordnung nichtjournalistischen Besuchern das Mitführen von Mobiltelefonen und Computern untersagt werden könne.30 Ein Untersagen des Twitterns durch Nichtjournalisten lehnte der Ausschuss ab, sofern es nicht zukünftig zu einem Missbrauch komme. *** 25 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 13 Rn. 20. 26 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 13 Rn. 20. 27 Krieg, Twittern im Gerichtssaal – The revolution will not be televised, in: K&R 2009, 673 (676); Heyer, in: Waldhoff /Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 13 Rn. 20. 28 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 13 Rn. 21. 29 Heyer, in: Waldhoff/Gärditz, PUAG, 1. Aufl. 2015, § 13 Rn. 21. 30 17/14600, S. 51. Dies dürfte sich auf § 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 der Hausordnung beziehen.