© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 276/15 Amtshilfe der Bundeswehr bei Abschiebungen durch Bereitstellung von Transportflugzeugen und Luftfahrzeugführer Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 2 Amtshilfe der Bundeswehr bei Abschiebungen durch Bereitstellung von Transportflugzeugen und Luftfahrzeugführer Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 276/15 Abschluss der Arbeit: 23. November 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 3 1. Fragestellung Wie einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. Oktober 20151 zu entnehmen ist, haben die Medien am 21. Oktober 2015 über den angeblichen Plan der Bundesregierung berichtet, künftig Bundeswehrflugzeuge des Typs Transall für Abschiebungen einzusetzen. Die Bundesregierung habe einen derartigen Beschluss jedoch zu keinem Zeitpunkt gefasst. Laut einem Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) sei die Nutzung von Flugzeugen des Typs Transall für die Durchführung von Abschiebungen zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, reguläre Truppentransporter seien jedoch geeigneter. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit derartiger Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Rahmen von Abschiebungen. Hierzu stellt diese Ausarbeitung zunächst das reguläre Verfahren der Abschiebung dar (2.) und skizziert sodann den Umfang zulässiger Amtshilfe durch Inanspruchnahme der Streitkräfte (3. und 4.). In diesem Zusammenhang wird schließlich auch eine Einordnung der Bordgewalt des Luftfahrzeugführers vorgenommen (4.4.). 2. Regulärer Abschiebungsvollzug Um die Bereitstellung militärischer Luftfahrzeuge bei Abschiebungen verfassungsrechtlich beurteilen zu können, ist zunächst die reguläre Zuständigkeitsverteilung bei Abschiebungen in den Blick zu nehmen. Gemäß § 58 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich scheint. Regelmäßig muss vor der Abschiebung eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG ergehen. Die Vollziehbarkeit dieser Abschiebungsandrohung ist damit Voraussetzung für eine Abschiebung.2 Für die auf der Grundlage der §§ 58, 59 AufenthG zu treffenden Entscheidungen sind die Ausländerbehörden der Länder zuständig (§ 71 Absatz (Abs.) 1 AufenthG). Auch die sich anschließende Durchführung der Abschiebung liegt bis zur Überstellung an die Grenzbehörde im Rahmen des allgemeinen Polizeirechts in der Zuständigkeit der Länder (§ 71 Abs. 5 AufenthG). Das Verfahren der Abschiebung wird in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (AVwV – AufenthG) weiter konkretisiert: Danach übersendet die Ausländerbehörde den Vollstreckungsauftrag , etwaige Reisedokumente und sonstige Unterlagen, die zur Vollstreckung erforderlich sind, an die zuständige Grenzbehörde (Ziffer (Ziff.) 58. 0. 2 AVwV – AufenthG). Ferner ist der zuständigen Grenzbehörde die vorgesehene Abschiebung rechtzeitig anzukündigen und im Benehmen mit dieser Behörde zu klären, ob im Einzelfall organisatorische Maßnahmen (wie etwa die Bereitstellung von Begleitpersonal) erforderlich sind. Die Zuständigkeit der Landespolizei erstreckt sich in diesem Zusammenhang auf die Beförderung des Ausländers bis zur (innerstaatlichen ) Grenzbehörde (z.B. am Flughafen), die die Übernahme des Ausländers bestätigt und der Ausländerbehörde den Zeitpunkt der Überstellung mitteilt (Ziff. 58. 0. 3 AVwV – AufenthG). Die sich anschließende ordnungsgemäße Rückführung, also die Begleitung des Ausländers über die 1 Lohse, Das Märchen von der Transall, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.10.2015. 2 Hailbronner, Ausländerrecht, 85. EL (April 2014), A 1, Aufenthaltsgesetz, § 58 Rn. 53. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 4 Grenze hinaus bis zum Zielort der Überstellung an die Grenzbehörde des Zielstaates3, liegt sodann im Verantwortungsbereich der Bundespolizei (§ 71 Abs. 3 AufenthG i. V. m. § 1 Abs. 2 Bundespolizeigesetz (BPolG)4). Gleichwohl endet die Zuständigkeit der Ausländerbehörde, die die Abschiebung angeordnet hat, nicht mit der Überstellung des Ausländers an die Grenzbehörde (Ziff. 71. 3. 1. 3. 2 AVwV – AufenthG). Die Ausländerbehörde erhebt schließlich auch die Kosten der Abschiebung, wozu insbesondere die Beförderungs- und Reisekosten des Ausländers zählen (§ 67 Abs. 1 AufenthG), da sie die für die Abschiebung insgesamt zuständige Behörde ist.5 3. Voraussetzungen und Grenzen zulässiger Amtshilfe Nach Artikel (Art.) 35 Abs. 1 Grundgesetz (GG) leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Amts- und Rechtshilfe. Auch die Bundeswehr zählt zu den Behörden im Sinne des Absatzes 1.6 Die Verpflichtung zur Amtshilfe setzt das Ersuchen einer anderen Behörde voraus, da staatsorganisationsrechtlich jede Behörde für ihren Aufgabenbereich eigenverantwortlich zu prüfen hat, ob und inwieweit sie Hilfe benötigt, fremde Unterstützungsleistungen für zulässig und zweckmäßig erachtet, und von welcher anderen Behörde sie Hilfe anfordern will.7 Da es sich bei der Amtshilfe um Hilfe auf Ersuchen handelt, bleibt die Verfahrensherrschaft für das Gesamtverfahren bei der ersuchenden Behörde und die Amtshilfe auf unselbständige und untergeordnete Teilabschnitte beschränkt; Einleitung und Schluss des Hauptverfahrens sind stets der ersuchenden Behörde vorbehalten, Teilhandlungen können selbständig und mit Außenwirkung von der ersuchten Behörde vorgenommen werden.8 Vor diesem Hintergrund wäre ein Amtshilfeersuchen durch die zuständige Ausländerbehörde zu stellen, in deren Zuständigkeit das gesamte Verfahren – von der Anordnung der Abschiebung bis zur Überstellung im Zielstaat – verbleibt. Die Beförderung von abzuschiebenden Personen durch ein militärisches Luftfahrzeug würde sich dabei – nicht anders als bei der Beauftragung einer zivilen Fluggesellschaft – als Teilhandlung im Rahmen des Abschiebungsvollzuges darstellen. Die untergeordnete Bedeutung des Transportes bezogen auf das gesamte Abschiebungsverfahren zeigt sich schließlich auch dadurch, dass nach der Landung des Flugzeuges im Zielstaat der Teilbeitrag der Bundeswehr beendet wäre und eine Überstellung der abzuschiebenden Person an die dortigen Grenzbehörden durch die Bundespolizei erfolgt. An den allgemeinen Voraussetzungen zulässiger Amtshilfe gemessen, wäre eine Verwendung von militärischen Lufttransportkapazitäten grundsätzlich unbedenklich. 3 Ziff. 71. 3. 1. 3. 1 AVwV – AufenthG. 4 Insoweit handelt es sich um eine Aufgabe, die der Bundespolizei bis zum 1. November 1994 durch § 63 Abs. 4 Ausländergesetz zugewiesen worden war. Der Regelungsgehalt des aufgehobenen § 63 Abs. 4 Ausländergesetz ergibt sich nunmehr aus § 71 Abs. 3 AufenthG. 5 Hailbronner, Ausländerrecht, 85. EL (April 2014), A 1, Aufenthaltsgesetz, § 67 Rn. 13a. 6 Hölscheidt/Limpert, Einsatz der Bundeswehr innen und außen, JA 2009, 86 (89). 7 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 19. 8 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 35 Rn. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 5 4. Besondere Voraussetzungen bei Amtshilfe durch die Bundeswehr Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen jedoch angesichts der besonderen Grenzen, die sich im Rahmen der Amtshilfe durch die Bundeswehr unmittelbar aus dem Grundgesetz ergeben. Es ist anerkannt, dass ein streitkräftemäßiger Einsatz der Bundeswehr nicht auf Art. 35 Abs. 1 GG gestützt werden kann, da die Vorschrift keine Ermächtigungsgrundlage darstellt, welche die Handlungs- und Eingriffsbefugnisse der beteiligten Behörden erweitert.9 Eine Verwendung der Bundeswehr, die keinen Einsatz der vollziehenden Gewalt darstellt, wäre hingegen nicht zu beanstanden, so dass rein technische Hilfe grundsätzlich zulässig wäre.10 4.1. Abgrenzung zwischen Einsatz und technischer Hilfeleistung Für die Zulässigkeit einer Verwendung der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe kommt es damit entscheidend darauf an, ob es sich bei der Bereitstellung eines militärischen Luftfahrzeuges einschließlich des für den Betrieb erforderlichen militärischen Personals um einen Streitkräfteeinsatz handelt. Durch Art. 87 Abs. 2 GG werden Einsätze der Bundeswehr im Innern beschränkt. Einen Einsatz der Bundeswehr außer zur Verteidigung muss das Grundgesetz ausdrücklich positiv zulassen. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung grundgesetzlicher Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Innern zu wahren.11 Im Wege einer strengen Aufgabentrennung zwischen vollziehender Gewalt, die den Polizeikräften vorbehalten bleiben soll, und Verteidigung soll aus historischen Gründen eine Militarisierung von Polizeiaufgaben und die Bildung militärischer Polizeieinheiten verhindert werden.12 4.2. Der Einsatzbegriff in Literatur und Rechtsprechung Die in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Abgrenzungsformel hinsichtlich zulässiger Verwendungsmöglichkeiten der Streitkräfte hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 3. Juli 201213 bestätigt: Demnach ist ein Streitkräfteeinsatz im Innern zwar auf äußerste Ausnahmefälle begrenzt. Art. 87a Abs. 2 GG bindet jedoch nicht jede Nutzung personeller und sachlicher Mittel der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang. Eine solche Verwendung liegt allerdings nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential genutzt werden. 9 Sanwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. (2014), Art. 35 Rn. 21, 23. 10 Hölscheidt/Limpert, Einsatz der Bundeswehr innen und außen, JA 2009, 86 (89). 11 BVerfGE 90, 286 (356 f.). 12 Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. (2014), Art. 87a Rn. 37. 13 BVerfGE 132, 1 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 6 Gemäß dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 200614, das in der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich in Bezug genommen wird15, erfasst der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG nur solche Verwendungen, bei denen die Streitkräfte der Bundeswehr hoheitlichen Zwang einsetzen dürfen, wozu die Anwendung von Waffengewalt , Eingriffe in Rechte Dritter und die (bewaffnete) Bewachung von Objekten gehören. Vor dem Hintergrund der genannten abstrakten Abgrenzungskriterien stuft Heun16 Verwendungen zu Repräsentationszwecken, technisch – karitative Hilfsleistungen im Inland und Ausland (Evakuierungen, Nahrungsmittel- und Krankentransporte), die Bereitstellung von Arbeitskräften oder sonstige „Good – will – Veranstaltungen“ (Kriegsgräberfürsorge, Musikveranstaltungen) als unstreitig nicht von Art. 87 Abs. 2 GG erfasst ein. Demgegenüber erfüllten der unbewaffnete Einsatz als Streikbrecher oder die technische Unterstützung bei polizeilichen Fahndungen den Einsatzbegriff. Depenheuer17 zählt zu den Verwendungen unterhalb der Einsatzschwelle die Bereitstellung technischer , wissenschaftlicher und logistischer Fähigkeiten der Streitkräfte, ihres Personals und ihrer Sachmittel, wenn und soweit die Soldaten selbst keinen Zwang anwenden. Das gelte für schlichthoheitliche Verwendungen im In- und Ausland. In Betracht komme auch die Mitwirkung zur Abwehr von Anschlägen mit nuklearen, biologischen oder chemischen Mitteln. In Ergänzung hierzu sei nach Krieger18 die Bewaffnung der Streitkräfte zwar ein Indiz für das Vorliegen eines Einsatzes. Ein solcher sei aber auch dann gegeben, wenn es sich um eine zwar unbewaffnete, aber innenpolitisch nicht neutrale Verwendung der Bundeswehr19 handle. Dementsprechend sei etwa die Bereitstellung von LKW für die Polizei, die Überlassung von Sanitätsfahrzeugen und die Nutzung einer Bundeswehrkaserne zur Unterbringung von Polizisten kein Einsatz. Fallkonstellationen, in denen die Verwendung der Streitkräfte zwar nicht mit der unmittelbaren Erlaubnis der Ausübung hoheitlichen Zwangs verbunden ist, polizeiliches Handeln jedoch unterstützt wird, liegen in diesem Zusammenhang in einem Grenzbereich. Als Beispiel hierfür dienen die Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Rahmen des G 8 – Gipfels in Heiligendamm im Juni 2007. In tatsächlicher Hinsicht handelte es sich dabei zum einen um Aufklärungsflüge von Flugzeugen des Typs Tornado und zum anderen um die Aufklärung durch Panzerspähwagen, wobei die Bundeswehr in beiden Fällen Informationen an die Polizeikräfte weitergab. Die weiträumige Überwachung sollte der Polizei eine „schnelle und frühzeitige Verdichtung des Lagebildes“ 14 BVerwGE 132, 110 (119 f.). 15 BVerfGE 132, 1 (50). 16 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 87a Rn. 15. 17 Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 6, EL 53, Oktober 2008, Art. 87a Rn. 103. 18 Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. (2014), Art. 87a Rn. 39. 19 Zum Beispiel die Verwendung der Bundeswehr bei arbeitsrechtlichen Streiks. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 7 ermöglichen, ein etwaiges Einschreiten gegen Störer blieb jedoch den Polizeikräften vorbehalten.20 Das Bundesverfassungsgericht setzte mit Beschluss vom 4. Mai 201021 in dem von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen angestrengten Organstreitverfahren zwar dem parlamentarischen Zustimmungserfordernis Grenzen, traf jedoch keine Entscheidung darüber, ob die genannten Unterstützungsleistungen einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG darstellen. Aus diesem Grund ist die Bewertung dieser im Grenzbereich liegenden Streitkräfteverwendungen in der Literatur nach wie vor umstritten. Nach Ladiges22 liege ein Einsatz jedenfalls nicht bereits dann vor, wenn die Streitkräfte im Sinne einer Machtdemonstration (sog. show of force) überhaupt sichtbar in Erscheinung treten, da sie im Regelfall – anders als die Polizei – ohnehin keine Eingriffsbefugnisse im Bereich der inneren Sicherheit hätten. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Unterstützung bei Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu einer engen Verzahnung zwischen dem Handeln der Polizei und der Streitkräfte führt, so dass insgesamt eine Tätigkeit der Streitkräfte in einem Eingriffszusammenhang vorliege. Maßgeblich sei deshalb nicht, ob „modernes Kriegsgerät“ eingesetzt werde, sondern welche konkreten Aufgaben den Streitkräften übertragen werden.23 Daher stellten Tätigkeiten im Bereich der Aufklärung zur Feststellung von Straftätern oder Störern einen Einsatz dar, wenn Informationen an die Polizei übermittelt werden. Im Rahmen dieses arbeitsteiligen Vorgehens sei es auch unbeachtlich , dass die Bundeswehr selbst keine Zwangsmaßnahmen vorgenommen habe.24 4.3. Qualifizierung militärischer Unterstützungsleistungen bei Abschiebungen Die Einstufung von Unterstützungsleistungen der Bundeswehr bei Abschiebungen dürfte sich somit danach orientieren, ob die Streitkräfte aufgrund ihres Auftrages ermächtigt werden, unmittelbar Eingriffsbefugnisse auszuüben oder mittelbar an der Ausübung hoheitlicher Aufgaben der Polizei mitzuwirken. Hierzu ist der bloße Transport der abzuschiebenden Personen von der sog. Bordgewalt des Luftfahrzeugführers zu trennen. Soweit es sich um die Bereitstellung eines militärischen Luftfahrzeugs zum Transport abzuschiebender Personen handelt, dürfte es sich dabei unstreitig um eine technische Unterstützungsleistung handeln, die den Einsatzbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG nicht erfüllt. Weniger eindeutig fällt jedoch die Verwendung militärischen Personals während des Fluges aus. Anerkanntermaßen stellt der Transport eines abzuschiebenden Ausländers aus der Bundesrepublik Deutschland in den jeweiligen Zielstaat eine Vollstreckungshandlung im Rahmen des Vollzuges einer Ausreiseverpflichtung dar.25 Die Sicherstellung der tatsächlichen Ausreise ist Aufgabe der 20 Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075. 21 BVerfGE 126, 55. 22 Ladiges, Verfassungsrechtliche Grundlagen für den Einsatz der Streitkräfte, JuS 2015, S. 598 (599). 23 Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075 (1077). 24 Ladiges, Grenzen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, NVwZ 2010, 1075 (1078). 25 Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 23.3.2009, Az. 11 LA 490/07 = BEckRS 2009, 32737. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 8 Polizeikräfte der Bundespolizei gemäß § 71 Abs. 3 AufenthG i. V. m. § 1 Abs. 2 BPolG. Der Ausländerbehörde obliegt bis zur Übergabe der abzuschiebenden Person an die Grenzbehörde des Ziellandes die Gesamtzuständigkeit für die Rückführung. Durch die materielle und personelle Unterstützung der Bundeswehr soll daher der Vollzug der Entscheidung der Ausländerbehörde unterstützt werden und gerade nicht die Aufgabenwahrnehmung durch die Bundespolizei. In diesem Zusammenhang hat sich die Rechtsprechung auch mit der Frage befasst, ob – außerhalb der Anwendung körperlichen Zwangs – allein der (erklärte) Wille eines ausreispflichtigen Ausländers , der zwangsweisen Durchsetzung dieser Verpflichtung zu widersprechen, einer Beförderung durch eine zivile Fluggesellschaft entgegensteht. Hierzu vertritt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg die Auffassung, dass ein derartiger entgegenstehender Wille eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers von Rechts wegen grundsätzlich unbeachtlich ist, so dass der Flugzeugführer nicht gehindert ist, den Ausländer mitreisen zu lassen.26 Aus diesem Grunde ist regelmäßig nicht schon der bloße Transport eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers in einem (militärischen) Flugzeug mit einem Eingriff in die Rechte der abzuschiebenden Person verbunden. Dieser Eingriff erfolgt vielmehr bereits im Rahmen der Anordnung durch die zuständige Ausländerbehörde. In den Fällen jedoch, in denen sich die abzuschiebende Person der vollziehbaren Anordnung tätlich widersetzt, kann die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich werden. Soweit dieser ausschließlich durch die begleitenden Bundespolizeibeamten ausgeübt wird, könnte die Unterstützungsleistung der Bundeswehr auf den Transport und die Bedienung des Luftfahrzeugs beschränkt bleiben. Anderenfalls läge selbst nach den beschriebenen engen Auslegungsansätzen ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG vor. 4.4. Ausübung der Bordgewalt des Luftfahrzeugführers Eine besondere Schwierigkeit bei der Beurteilung stellt die Ausübung der Bordgewalt durch den Luftfahrzeugführer dar. Neben dem Führen des Luftfahrzeugs kommt dem Luftfahrzeugführer unter dem Ausdruck „Bordgewalt“ die Aufgabe zu, während des Fluges die erforderlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung an Bord zu treffen.27 Gemäß § 12 Abs. 2 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) zählen hierzu insbesondere die Feststellung der Identität einer Person, die Sicherstellung von Gegenständen, die Durchsuchung von Personen und Sachen sowie das Fesseln einer Person. Zur Durchsetzung dieser Maßnahmen darf der Luftfahrzeugführer Zwangsmittel, insbesondere körperliche Gewalt, anwenden Der Gebrauch von Schusswaffen ist jedoch Polizeivollzugsbeamten vorbehalten (§ 12 Abs. 3 LuftSiG). Alle an Bord befindlichen Personen haben den Anordnungen des Luftfahrzeugführers Folge zu leisten (§ 12 Abs. 4 LuftSiG). Der Luftfahrzeugführer handelt insofern als Beliehener, da nach Schließung der Türen eines Flugzeugs im Gefahrenfall keine Hilfe der an sich zuständigen Polizeikräfte mehr zu erlangen ist.28 § 4a Bundespolizeigesetz (BPolG) sieht daneben den Einsatz der Bundespolizei zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Sicherheit oder Ordnung an Bord deutscher Luftfahrzeuge vor. 26 Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 23.3.2009, Az. 11 LA 490/07 = BEckRS 2009, 32737. 27 Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl. (2013), S. 364 f. 28 Buchberger, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, LuftSiG, § 12 Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 9 Gemäß § 4a S. 2 BPolG bleibt die Bordgewalt des Luftfahrzeugführers hiervon unberührt. Das Verhältnis zwischen der Bordgewalt des Luftfahrzeugführers und der Hoheitsgewalt der begleitenden Bundespolizisten ist jedoch umstritten und wiederum davon abhängig, ob sich das Flugzeug innerhalb oder außerhalb des deutschen Luftraums befindet. Die Auffassung, dass Beamte der Bundespolizei während des gesamten Fluges vollständig der Bordgewalt des Luftfahrzeugführers unterlägen und daher als Privatpersonen ohne hoheitliche Befugnisse29 handelten, lässt sich angesichts des deutlichen Wortlautes des im Jahr 2002 eingeführten § 4a BPolG kaum mehr vertreten.30 Andererseits wird aus dem Beliehenenstatus abgeleitet, dass der Luftfahrzeugführer nur ersatzweise handeln dürfe, soweit Bundespolizeibeamte an Bord tätig werden.31 In diesem Fall wäre ein hoheitliches Handeln des Luftfahrzeugführers bei einer Begleitung der Abschiebung durch Bundespolizeibeamte im Inland regelmäßig ausgeschlossen. Entsprechend der Formulierung des § 4a S. 3 BPolG ist jedoch wohl eher von einem Nebeneinander von Bordgewalt und Hoheitsgewalt auszugehen. Anerkannt ist ein eigenständiges Handlungsrecht der begleitenden Polizeibeamten innerhalb des deutschen Hoheitsgebietes, das in enger Abstimmung mit dem Luftfahrzeugführer auszuüben ist. Damit dürften begleitende Bundespolizeikräfte nicht ohne Weiteres verpflichtet sein, sich den Anordnungen des verantwortlichen Luftfahrzeugführers unterzuordnen.32 Auch wenn die von Gesetzes wegen erwartete Abstimmung zwischen Polizeikräften und Luftfahrzeugführer „aus dem verschlossenen Cockpit heraus“ in akuten Gefahrensituationen zudem auf praktische Probleme stoßen wird33, ist gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass einer Weisung des Luftfahrzeugführers aufgrund der konkreten flugbetrieblichen, nur seiner Beurteilung unterliegenden Situation, der Vorrang einzuräumen ist.34 Damit besteht selbst bei einer Begleitung des Fluges durch Polizeikräfte die nicht auszuschließende Wahrscheinlichkeit, dass der militärische Luftfahrzeugführer oder sonstige Besatzungsmitglieder in eine Situation geraten, in der Hoheitsgewalt neben den Bundespolizeibeamten auszuüben ist. Dieser Befund wird noch evidenter, wenn die Ausübung von Hoheitsgewalt an Bord eines Flugzeuges betrachtet wird, das sich außerhalb des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland befindet. In diesem Fall hat die Bordgewalt des Luftfahrzeugführers stets Vorrang vor den Anordnungen begleitender Polizeikräfte, da deren Berechtigung zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse mit Verlassen des deutschen Luftraums endet.35 Bei einer Gefährdung von Sicherheit und Ordnung 29 Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl. (2013), S. 366. 30 Buchberger, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, LuftSiG, § 12 Rn. 30. 31 Buchberger, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, LuftSiG, § 12 Rn. 30; Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl. (2013), S. 367. 32 Buchberger, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, LuftSiG, § 12 Rn. 30. 33 Buchberger, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, LuftSiG, § 12 Rn. 30. 34 Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl. (2013), S. 367. 35 Schwenk/Giemulla, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl. (2013), S. 773. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 10 an Bord des Luftfahrzeugs unterliegen die Polizeikräfte in diesem Fall ausschließlich den Anordnungen des verantwortlichen Luftfahrzeugführers, der sie zur Ausführung der erforderlichen Maßnahmen ermächtigen darf.36 Nach Verlassen des deutschen Luftraumes obliegt die Gesamtverantwortung für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung an Bord damit allein dem Luftfahrzeugführer. 4.5. Ergebnis Nach alledem dürfte die Einstufung der hier untersuchten Unterstützungsleistungen der Bundeswehr als Einsatz davon abhängen, ob während des gesamten Fluges die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch den Luftfahrzeugführer ausgeschlossen werden kann. Dies wäre – wie dargelegt – zwar praktisch möglich. Ein solcher absoluter Ausschluss lässt sich bezogen auf das Inland jedoch rechtlich nur schwer begründen. Im Hinblick auf den Flug außerhalb des deutschen Luftraumes fehlt zudem eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die begleitenden Polizeibeamten. Diesbezüglich könnte argumentiert werden, dass die alleinige Ausübung der Bordgewalt des militärischen Luftfahrzeugführers außerhalb der Bundesrepublik Deutschland strenggenommen keinen Inlandseinsatz mehr darstellt und daher der durch Art. 87a Abs. 2 GG intendierten Vermeidung einer Militärpräsenz im Inland nicht zuwider liefe. In diesem Zusammenhang dürfte sich auch ein Schluss von der Zulässigkeit der Beauftragung ziviler Fluggesellschaften auf die Zulässigkeit der Unterstützung gerade durch die Bundeswehr verbieten. Gemäß § 12 LuftSiG werden hoheitliche Befugnisse zwar auch auf den zivilen Luftfahrzeugführer übertragen. Durch Art. 87a Abs. 2 GG sind der Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch die Streitkräfte jedoch besondere Grenzen gesetzt, die für privatrechtlich organisierte Unternehmen nicht gelten. So wird es beispielsweise als zulässig angesehen, zur Wahrnehmung des Hausrechts in Gebäuden private Sicherheitsfirmen zu beauftragen37, während der zivile Objektschutz als klassisches Beispiel eines Streitkräfteeinsatzes im Innern nur unter den besonderen Voraussetzungen der Art. 87a Abs. 3 und 4 GG möglich wäre. Im Ergebnis ist nicht mit der nötigen Eindeutigkeit zu beurteilen, ob der Transport abzuschiebender Personen durch militärische Luftfahrzeuge unter Verwendung militärischen Personals noch unterhalb der Einsatzschwelle einzustufen ist. Angesichts des Gebotes der strengen Texttreue bei der Auslegung des Art. 87a Abs. 2 GG sind verfassungsrechtliche Bedenken jedoch nicht von der Hand zu weisen. 5. Unzulässigkeit eines Streitkräfteeinsatzes im Übrigen Soweit es sich bei Unterstützung von Abschiebungen durch militärische Luftfahrzeuge und militärisches Personal nicht lediglich um eine technische Unterstützungsleistung handelt, müsste diese Verwendung gemäß Art. 87a Abs. 2 GG durch das Grundgesetz ausdrücklich als Streitkräfteeinsatz zugelassen sein. Eine Zulässigkeit könnte zunächst nicht auf Art. 87a Abs. 2 oder 3 GG gestützt werden, da der Transport von abzuschiebenden Personen nicht zu den dort genannten Maßnahmen zählt und hierfür zudem der Spannungs- oder Verteidigungsfall bzw. ein innerer Notstand vorliegen 36 Buchberger, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, LuftSiG, § 12 Rn. 31. 37 Ernst, Die Wahrnehmung des öffentlichen Hausrechts durch private Sicherheitsdienste, NVwZ 2015, 333. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 276/15 Seite 11 müsste. Hierunter versteht das Grundgesetz eine drohende Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes. Schließlich wäre auch die Annahme einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalls fernliegend, bei deren Vorliegen die Streitkräfte gemäß Art. 35 Abs. 2 und 3 GG ebenfalls zur Unterstützung der Polizeikräfte eingesetzt werden dürften. Die hohe Grenze für einen derart zulässigen Einsatz der Streitkräfte hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 3. Juli 201238 erneut bestätigt, indem vom Begriff des besonders schweren Unglücksfalls nur „Ereignisse von katastrophischer Dimension“ erfasst werden. Es ist gegenwärtig weder ersichtlich, dass die angespannte Flüchtlingssituation in der Bundesrepublik Deutschland auf mangelnden Abschiebungsmöglichkeiten beruht, noch, dass die aktuelle Lage die Kriterien eines solchen besonders schweren Unglücksfalls erfüllt. Ende der Bearbeitung 38 BVerfGE 132, 1 (43 f.).