© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 275/20 Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder im Zuge der Corona-Pandemie Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 275/20 Seite 2 Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder im Zuge der Corona-Pandemie Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 275/20 Abschluss der Arbeit: 2. Dezember 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 275/20 Seite 3 1. Fragestellung Der Sachstand befasst sich mit der Frage, ob in das Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine Regelung aufgenommen werden könnte, nach der der Bund, falls ein Bundesland keine Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ergreift, diese für das betreffende Bundesland selbst anordnen könnte. 2. Aufsicht des Bundes und Bundeszwang Die Ausführung der Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ist nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes ein Gegenstand der landeseigenen Verwaltung, Art. 83 GG und § 54 IfSG. Die Bundesregierung übt nach Art. 84 Abs. 3 S. 1 GG die Aufsicht darüber aus, dass die Länder die Bundesgesetze rechtmäßig ausführen. Im Rahmen der Aufsicht steht der Bundesregierung das Recht auf Unterrichtung oder Akteneinsicht zu.1 Nicht umfasst sind Korrekturmittel. Der Bund kann daher im Rahmen der Aufsicht zunächst nicht selbst eingreifen. Es handelt sich zudem um eine reine Rechtsaufsicht. Geprüft werden darf daher nur die Einhaltung des Bundesrechts, während etwa Zweckmäßigkeitserwägungen außer Acht bleiben müssen.2 Verstößt ein Land gegen Bundesrecht, kann die Bundesregierung nach Art. 84 Abs. 4 S. 1 GG eine Mängelrüge erteilen. Beseitigt das Land daraufhin den Mangel nicht, so beschließt nach Art. 84 Abs. 4 S. 1 GG der Bundesrat, ob das Land tatsächlich Bundesrecht verletzt hat. Bestätigt der Bundesrat , dass Bundesrecht verletzt wurde und beseitigt das Land den Mangel nicht, so kann der Bund den Bundeszwang nach Art. 37 GG anwenden.3 Dies gilt auch für den Fall, dass der Bund oder das Land das Bundesverfassungsgericht anruft und dieses eine Verletzung des Bundesrechts bestätigt. Im Rahmen des Bundeszwangs kann der Bund Maßnahmen treffen, um ein Land zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Ein zulässiges Mittel des Bundeszwangs ist unter anderem die Ersatzvornahme.4 Der Bund kann also im Wege des Bundeszwangs selbst Landesrecht erlassen. Entscheidend ist allerdings, dass im Rahmen der Bundesaufsicht nur geprüft werden darf, ob ein Land gegen zwingendes Bundesrecht verstoßen hat. Ermessensspielräume, die den Ländern überlassen sind, darf der Bund nicht daraufhin überprüfen, ob sie rechtmäßig ausgefüllt wurden.5 Die Frage, ob ein Land eine Rechtsverordnung nach § 32 IfSG erlässt, steht in seinem Ermessen. Dies gilt auch für die Frage, welche konkreten Maßnahmen nach den §§ 28, 28a IfSG ergriffen werden.6 1 Suerbaum, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 44. Edition Stand: 15.8.2020, Art. 84 Rn. 60, siehe dort auch zum Folgenden. 2 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 84 Rn. 214. 3 Suerbaum, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 44. Edition Stand: 15.8.2020, Art. 84 Rn. 63. 4 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 37 Rn. 85, siehe dort auch zum Folgenden. 5 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 84 Rn. 198. 6 Johann/Gabriel, in: Eckart/Winkelmüller (Hrsg.), Infektionsschutzrecht, 1. Edition Stand: 1.7.2020; § 28 IfSG Rn. 20. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 275/20 Seite 4 Diese Entscheidungen können nicht im Wege der Bundesaufsicht geprüft werden und daher auch nicht Gegenstand einer Mängelrüge oder des Bundeszwangs sein. Eine Verletzung von Bundesrecht könnte dann vorliegen, wenn ein Land gar keine Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie ergreift, da nach § 28 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.7 Aufgrund des langwierigen Verfahrens dürfte der Weg über Art. 84 Abs. 3 und 4 GG in Verbindung mit Art. 37 GG im Rahmen der Pandemiebekämpfung allerdings kaum zweckmäßig sein. 3. Einzelweisungen durch den Bund Gemäß Art. 84 Abs. 5 S. 1 GG kann der Bundesregierung durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zur Ausführung von Bundesgesetzen die Befugnis verliehen werden, für besondere Fälle Einzelweisungen zu erteilen. Eine Definition, wann ein „besonderer Fall“ vorliegt, existiert nicht. Die Formulierung macht aber deutlich, dass die Einzelweisungen nur im Ausnahmefall ergehen können.8 Bei den Einzelweisungen handelt es sich um konkrete Anordnungen, wie in einem bestimmten Sachverhalt zu verfahren ist.9 Der Bund kann aufgrund dieser Vorschrift folglich nicht selbst die begehrte Handlung vornehmen. Die Weisungen sind grundsätzlich an die obersten Landesbehörden zu richten. Weisungen an die Landesregierungen sind nicht möglich.10 Es könnte daher keine Weisung zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 32 IfSG erteilt werden, da diese Rechtsverordnungen von den Landesregierungen erlassen werden. In dringlichen Fällen können Weisungen gemäß Art. 84 Abs. 5 S. 2 GG auch an nachgeordnete Behörden erteilt werden. Darüber, ob ein dringlicher Fall vorliegt, entscheidet die Bundesregierung selbst.11 Ein dringlicher Fall könnte etwa dann vorliegen , wenn eine oder mehrere Gesundheitsbehörden ihren Aufgaben nicht nachkommen. Ins IfSG könnte somit eine Regelung aufgenommen werden, wonach der Bund den Ländern in bestimmten Fällen Einzelweisungen zur Ausführung des IfSG erteilen kann. Ein Beispiel für eine gesetzliche Regelung zur Erteilung von Einzelweisungen durch den Bund findet sich in § 74 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz. Danach kann der Bund zur Ausführung des Aufenthaltsgesetzes beispielsweise dann Einzelweisungen erteilen, wenn die Sicherheit oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik es erfordern oder wenn durch ausländerrechtliche Maßnahmen eines Landes erhebliche Interessen eines anderen Landes beeinträchtigt werden. *** 7 Johann/Gabriel, in: Eckart/Winkelmüller (Hrsg.), Infektionsschutzrecht, 1. Edition Stand: 1.7.2020; § 28 IfSG Rn. 20. 8 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 84 Rn. 240. 9 Suerbaum, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 44. Edition Stand: 15.8.2020, Art. 84 Rn. 54. 10 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 84 Rn. 238. 11 Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL April 2020, Art. 84 Rn. 239.