Deutscher Bundestag Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Straftatbestands der Leugnung von DDR-Unrecht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 275/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 2 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Straftatbestands der Leugnung von DDR-Unrecht Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 275/10 Abschluss der Arbeit: 01. Juli 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG 4 3. Vereinbarkeit mit der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG 7 3.1. Eingriff in den Schutzbereich gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG 7 3.2. Rechtfertigung 9 3.2.1. Allgemeine Voraussetzungen der Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG 9 3.2.1.1. Sachliche Allgemeinheit des Gesetzes 9 3.2.1.2. Rechtsgutsbezogene Allgemeinheit des Gesetzes 9 3.2.1.3. Verhältnismäßigkeit 11 3.2.2. Verfassungsrechtliche Bewertung der §§ 130 Abs. 3 und 4 StGB im Hinblick auf die Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG 11 3.2.2.1. Rechtsprechung 11 3.2.2.2. Literatur 14 3.2.3. Schlussfolgerungen für einen Tatbestand der Leugnung, Billigung oder Verherrlichung des von staatlichen Stellen begangenen DDR- Unrechts 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 4 1. Einleitung Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 19941 wurde § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB) eingefügt: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB)2 bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“ Vor dem Hintergrund des Anwachsens fremdenfeindlicher Gewalttaten und Propaganda zu Beginn der neunziger Jahre und der als unzureichend empfundenen Sanktionierung der Ausschwitzleugnung durch die allgemeinen Beleidigungstatbestände der §§ 185 ff. StGB wurde die Verharmlosung und Leugnung des planmäßigen NS-Gewaltunrechts unter Strafe gestellt, um so ein politisches Signal gegen rechtsextremistische und neonazistische Entwicklungen zu setzen.3 Durch das Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuchs vom 24. März 20054 wurde § 130 StGB um folgenden Absatz 4 ergänzt, der die würdeverletzende Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe stellt: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“ Nachfolgend wird geprüft, ob ein vergleichbarer Straftatbestand auch für die Leugnung von durch staatliche Stellen begangenen DDR-Unrechts mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. 2. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient zum einen dem rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Zum anderen soll sichergestellt werden, dass nur der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt , der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen einer Bestrafung selbst zu entscheiden.5. 1 BGBl. I 1994 Nr. 76, S. 3186. 2 Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2254). 3 Krauß, Matthias, in: Laufhütte, Heinrich Wilhelm/Rissing-van Saan, Ruth/Tiedemann, Klaus (Hrsg.), Strafgesetzbuch , Leipziger Kommentar, Fünfter Band, 12. Aufl., Berlin 2009, § 130 Rn. 101. 4 BGBl. I 2005, Nr. 20, S. 969. 5 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 71, 108, 114; Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08 („Wunsiedel“) – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de; Rn. 88. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 5 Das schließt jedoch nicht die Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maße der richterlichen Auslegung bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen ist es ferner unvermeidlich, dass in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten schon oder noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Dann genügt, wenn sich deren Sinn im Regelfall mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden ermitteln lässt und in Grenzfällen dem Adressaten zumindest das Risiko der Bestrafung erkennbar wird.6 Die Tathandlungsalternativen des Leugnens, Billigens, Verharmlosens, wie sie § 130 Abs. 3 StGB vorsieht, sind durch Rechtsprechung und Literatur ausreichend konkretisiert worden, so dass sie den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots genügen dürften.7 § 130 Abs. 3 StGB verlangt tatbestandlich die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 VStG bezeichneten Art. § 6 VStG bezieht sich auf den Völkermord, u. a. auf die Tötung oder schwere seelische Schädigung des Mitglieds einer Gruppe in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Damit trägt die Bestimmung dem besonderen Verfolgungsschicksal vor allem der Juden Rechnung.8 Insofern gibt es in Bezug auf den Nationalsozialismus einen klar umrissenen Anknüpfungsgegenstand. Auch die in §130 Abs. 4 StGB genannte „nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft“ wird als hinreichend bestimmt im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG angesehen.9 So hart auch Unterdrückungsmaßnahmen und Opferschicksale in der DDR im Einzelnen waren, hat es in der DDR unstreitig keinen systematischen, staatlich sanktionierten Massenmord gegeben , der auch nur entfernt der nationalsozialistischen Vernichtung der Juden und anderer als „volksfremd“ oder „rassistisch minderwertig“ erklärter Minderheiten geähnelt hätte.10 Es kann also in einem Straftatbestand in Bezug auf „DDR-Unrecht“ jedenfalls nicht auf § 6 Abs. 1 VStG Bezug genommen werden. Gewalt- und Willkürherrschaft in Bezug auf die DDR dürften dagegen – jenseits der Frage der Bestimmtheit – als Begrifflichkeit kaum konsensfähig sein, zumal bereits die 6 Vgl. BVerfGE 41, 314, 320; BVerfGE 71, 108, 114 f.; BVerfGE 73, 206, 235; BVerfGE 85, 69, 73; BVerfGE 87, 209, 223 f.; BVerfGE 92, 1, 12; BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08, abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 89. 7 So auch Stegbauer, Andreas, Rechtsprechungsübersicht zu den Propaganda- und Äußerungsdelikten, in: Neue Zeitschaft für Strafrecht (NStZ) 2008, S. 73 ff., S. 78. 8 Lenckner, Theodor/Sternberg-Lieben, Detlev, Schönke, Adolf/Schröder, Horst, Strafgesetzbuch, 27. Aufl., München 2006, abzurufen unter: http://beck-online.de, § 130 Rn. 16. 9 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08– abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de. 10 Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ in Deutschland, BT-Drs. 12/7820 vom 31. Mai 1994, S. 282; so auch Leist, Wolfgang, Die Änderung des Versammlungsrechts: ein Eigentor, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2005, S. 500, S. 502. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 6 im Einigungsvertrag aufgenommene Begrifflichkeit „SED-Unrechtsregime“ (Art. 17 S. 2 EV) sowie der „DDR-Unrechtsstaat“ politisch höchst umstrittene Termini sind.11 Vor diesem Hintergrund wäre ein Straftatbestand wohl allenfalls auf die Leugnung, Billigung oder Verharmlosung „staatlichen Unrechts“ bzw. „des von staatlichen Stellen der DDR begangenen Unrechts“ zu beziehen. Hier stellt sich die Frage der Bestimmtheit im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG. Zur Eingrenzung der Begrifflichkeit kann auf Quellen der wissenschaftlichen Aufarbeitung von DDR-Unrecht nach der Wiedervereinigung zurückgegriffen werden. So wurde etwa im Bericht der Enquetekommission eine im Hinblick auf die betroffenen Rechtsgüter (Leben, Körper und Gesundheit, Freiheit und Menschenwürde, Eigentum, Vermögen, Einkommen, berufliches Fortkommen ) nach Schadensgruppen geordnete Kategorisierung der Opfer vorgenommen. In diese Auflistung wurden unter anderem exemplarisch im Bereich Verletzung des Rechtsgutes Leben u. a. Todesurteile nach Art. 6 Abs. 2 der ersten DDR-Verfassung, Tötungen an der Mauer, staatliche Auftragsmorde im In- und Ausland genannt, im Bereich Verletzung des Rechtsgutes Körper und Gesundheit etwa das Doping, aber auch die Umweltverschmutzung, im Bereich Verletzung der Rechtsgüter Freiheit und Menschenwürde die auf politischen Straftatbeständen begründeten Freiheitsstrafen und die diesbezüglichen Haftbedingungen erwähnt und im Bereich der Verletzung des Eigentums z. B. ökonomische Zwangsmaßnahmen gegen Selbstständige und Freiberufler . Eingegrenzter ist eine Typisierung des DDR-Unrechts im Sinne einer strafrechtlichen Einordnung der Lebenssachverhalte, der eine von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegebene Darstellung der Strafverfolgung von DDR-Unrecht gefolgt ist. Hier werden „Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, Wahlfälschung, Rechtsbeugung, Denunziation, MFS-Straftaten, Misshandlung von Gefangenen, Doping, Amtsmissbrauch und Korruption, (sonstige) Wirtschaftsstraftaten , Spionage sowie Sonstiges (Auffangkategorie für nicht eindeutig zuzuordnende Verfahren genannt)“12 aufgezählt. Hinzuweisen ist des Weiteren auf die durch den Gesetzgeber erfolgte Konkretisierung durch die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze zur strafrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitation der Opfer des SED-Regimes.13 11 Siehe Sondervotum des Mitglieds Gruppe PDS/LL Abg. Dr. Dietmar Keller zum Bericht der Enquete- Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ in Deutschland, BT-Drs. 12/7820, S. 250 ff., S. 269; zuletzt die Kandidatin der Linken für das Amt des Bundespräsidenten laut Focus-Online-Artikel mit dem Titel„DDR war kein Unrechtsstaat“ vom 17. Juni 2010, abzurufen unter: http://www.focus.de/politik/deutschland/bundespraesident/luc-jochimsen-ddr-war-keinunrechtsstaat _aid_520343.html. 12 Marxen, Klaus/Werle, Gerhard/Schäfter, Petra, Die Strafverfolgung von DDR-Unrecht, Berlin 2007, S. 8. 13 Siehe hierzu Antrag der Fraktion der CDU/CSU und SPD, Unterstützung für die Opfer der SED-Diktatur, Eckpunkte eines Dritten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes, BT-Drs. 16/4167 vom 31. Januar 2007; Drittes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 21. August 2007, BGBl. I 2007 Nr. 43, S. 2118. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 7 Hieraus wird deutlich, dass der Begriff des DDR-Unrechts trotz der Weite dieses Terminus einer Auslegung zugänglich ist. Deshalb dürfte er dem Grundsatz der Bestimmtheit genügen. Nach den eingangs genannten Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG schließt dieser Artikel auch die Verwendung von Begriffen nicht aus, die in besonderem Maße der richterlichen Auslegung bedürfen. 3. Vereinbarkeit mit der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG 3.1. Eingriff in den Schutzbereich gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG Es stellt sich zunächst die Frage, ob eine Strafvorschrift des Leugnens von durch staatliche Stellen der DDR begangenen Unrechts einen Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit darstellen würde. Der Meinungsbegriff ist grundsätzlich weit zu verstehen.14 Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt.15 Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend.16 Anders als reine Tatsachenbehauptungen , die einer Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind, lassen sich Meinungsäußerungen nicht als wahr oder unwahr erweisen. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen unterfallen nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet und auch zulässige Äußerungen aus Furcht vor Sanktionen unterlassen werden.17 Meinungsäußerungen genießen demgegenüber den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird.18 Die Bürger sind dabei rechtlich auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, stellt aber kein Gebot geistiger Loyalität zum Grundgesetz auf.19 Geschützt sind damit von Art. 5 Abs. 1 GG auch Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der 14 Siehe etwa BVerfGE 61, 1, 9; BVerfGE 71, 162, 179; Kannengießer, Christoph, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz, GG, Grundgesetz, Kommentar, 11. Aufl., Köln, München 2008, Art. 5 Rn. 3. 15 Vgl. BVerfGE 7, 198, 210; BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 49. 16 BVerfGE 7, 198, 210; BVerfGE 61, 1, 8; BVerfGE 90, 241, 247. 17 BVerfGE 54, 208, 219 f. ; 61, 1, 8; 85, 1, 22; BVerfGE 90, 241, 247. 18 BVerfGE 90, 241, 247. 19 Vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2001, S. 2069 , 2070 und vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05 -, in: NJW 2009, S. 908, 909); BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 8 grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind. Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikales Infragestellen der geltenden Ordnung festgestellt, dass diese nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG herausfalle.20 Den hierin begründeten Gefahren entgegenzutreten, weise die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes primär bürgerschaftlichem Engagement im freien politischen Diskurs sowie der staatlichen Aufklärung und Erziehung in den Schulen gemäß Art. 7 GG zu. Ein Straftatbestand des Verharmlosens und Billigens von staatlichen Stellen begangenen Unrechts in der DDR greift nach alledem in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein, weil eine solche Bestimmung mit den Tathandlungen des Verharmlosens und Billigens regelmäßig über reine (bewusst oder erwiesen unwahre) Tatsachenbehauptungen hinausgeht, also an Meinungsäußerungen anknüpft. Hinsichtlich des Leugnens stellt sich dagegen die Frage, ob diese Tatvariante nicht regelmäßig eine Tatsachenbehauptung impliziert, die nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasst ist. In Bezug auf die sog. Ausschwitzlüge hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es sich bei der untersagten Äußerung, im Dritten Reich habe es keine Judenverfolgung gegeben, um eine Tatsachenbehauptung handele, die nach ungezählten Augenzeugenberichten und Dokumenten, den Feststellungen der Gerichte in zahlreichen Strafverfahren und den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft erwiesen unwahr sei. Für sich genommen genieße eine Behauptung dieses Inhalts daher nicht den Schutz der Meinungsfreiheit. Darin liege ein wesentlicher Unterschied zwischen der Leugnung der Judenverfolgung im Dritten Reich und der Leugnung der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Bei Aussagen zur Schuld und Verantwortlichkeit für historische Ereignisse handele es sich dagegen stets um komplexe Beurteilungen, die nicht auf eine Tatsachenbehauptung reduziert werden könnten, während die Leugnung eines Ereignisses selbst regelmäßig den Charakter einer Tatsachenbehauptung haben wird.21 Überträgt man diese juristische Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung auf den hier zu prüfenden Straftatbestand im Hinblick auf „DDR-Unrecht“, wobei dies keinesfalls im Sinne einer historischen Vergleichbarkeit der Ereignisse zu verstehen ist, so würde beispielsweise eine Aussage, dass es keine Erschießungen an der deutsch-deutschen Grenze gegeben habe, angesichts des klaren historischen Belegs für diese Handlungen nicht in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen. Der Begriff des Leugnens dürfte nach der hier unterstellten Zielsetzung des Gesetzgebers in Bezug auf den Sachverhalt „DDR-Unrecht“ aber wohl eher in einem weiteren Sinne zu verstehen. So dürfte das Leugnen eine politische Bewertung der Ereignisse etwa dergestalt implizieren, dass es bestimmte Taten nicht in dieser Form gegeben habe oder sie eine bestimmte „wohlgemeinte“ Intention hatten. So ergeben sich auch Überschneidungen mit den Merkmalen des Billigens oder Verharmlosens. Damit dürfte auch im Hinblick auf das Leugnen der Bereich der bloßen Tatsachenbehauptung verlassen sein und eine vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasste Meinungsäußerung vorliegen. Mit einer staatlichen Beschränkung 20 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 50. 21 BVerfGE 90, 241, 249. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 9 durch Strafbewehrung solchen Verhaltens wird nach alledem in die Meinungsfreiheit eingegriffen . 3.2. Rechtfertigung Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 2 GG bedarf der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung . Schranken der Meinungsfreiheit sind nach Art. 5 Abs. 2 GG die allgemeinen Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre. 3.2.1. Allgemeine Voraussetzungen der Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG 3.2.1.1. Sachliche Allgemeinheit des Gesetzes Die praktisch bedeutsamste Schranke der Meinungsfreiheit sind die allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 Var. 1 GG).22 Bis heute gilt im Grundsatz die bereits im sog. Lüth-Urteil vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Definition, wonach Gesetze „allgemein“ sind, die sich nicht gegen eine Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen.23 Dieses Rechtsgut muss in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann. Ausgangspunkt für die Prüfung, ob ein Gesetz „allgemein“ ist, ist die Frage, ob eine Norm an Meinungsinhalte anknüpft. Erfasst sie das fragliche Verhalten völlig unabhängig von dem Inhalt einer Meinungsäußerung, ist die Allgemeinheit des Gesetzes im Sinne einer sachlichen Allgemeinheit24 zweifellos zu bejahen.25 3.2.1.2. Rechtsgutsbezogene Allgemeinheit des Gesetzes Diese Feststellung schließt aber für sich allein noch nicht die Allgemeinheit der Regelung aus. Denn im Falle, in dem eine Vorschrift an den Inhalt einer Meinungsäußerung anknüpft, ist nicht von vornherein die Allgemeinheit des Gesetzes zu verneinen. Vielmehr kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf an, ob die Norm dem Schutz eines auch sonst in der Rechtsordnung geschützten Rechtsguts dient. Ist dies zu bejahen, ist in der Regel zu vermuten, dass das Gesetz nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet ist, sondern meinungsneutral -allgemein auf die Abwehr von Rechtsgutverletzungen (rechtsgutsbezogene Allgemeinheit )26 zielt.27 Insoweit nimmt nicht schon jede Anknüpfung an den Inhalt von Meinungen als 22 Schaefer, Jan, Wie viel Freiheit für die Gegner der Freiheit?, in: Die öffentlichen Verwaltung (DÖV) 2010, S. 379 ff., S. 382. 23 BVerfGE 7, 198, 209 f; so auch BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter : http://www.bundesverfassungsgericht.de; Rn. 54. 24 Schaefer, in: DÖV 2010, S. 379 ff., S. 382. 25 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 55. 26 Schaefer, in: DÖV 2010, S. 379 ff., S. 383. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 10 solche einem Gesetz den Charakter als allgemeines Gesetz. Vielmehr sind auch inhaltsanknüpfende Normen dann als allgemeine Gesetze zu beurteilen, wenn sie erkennbar auf den Schutz bestimmter Rechtsgüter und nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet sind. In diesem Zusammenhang ist zu ergänzen, dass das Bundesverfassungsgericht zuletzt in seinem Beschluss zur Verfassungsbeschwerde gegen das versammlungsrechtliche Verbot einer Heß- Gedenkveranstaltung in Wunsiedel, in dem es die Verfassungsmäßigkeit von § 130 Abs. 4 StGB bestätigt hat, betont, dass aus der Allgemeinheit des Rechtsgüterschutzes einer Norm nicht im Umkehrschluss abgeleitet werden könne, dass immer, wenn eine Norm ein anerkanntes Rechtsgut schützt, deren Allgemeinheit schon allein damit gesichert sei. Die Allgemeinheit des Rechtsgüterschutzes sei lediglich Indiz für die Wahrung rechtsstaatlicher Distanz und die Einhaltung des Gebots der Meinungsneutralität.28 Das Gericht führt weiter aus, dass es an der Allgemeinheit eines Gesetzes fehle, wenn eine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung nicht hinreichend offen gefasst sei und sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richte. Hierzu gehöre eine hinreichend allgemein gefasste Formulierung der Verletzungshandlung sowie der geschützten Rechtsgüter, die sicherstelle, dass die Norm im politischen Kräftefeld als gegenüber verschiedenen Gruppierungen offen erscheine und sich die pönalisierte oder verbotene Meinungsäußerung grundsätzlich aus verschiedenen politischen, religiösen oder weltanschaulichen Grundpositionen ergeben könne. Geboten sei eine Fassung der Norm, die in rechtsstaatlicher Distanz gegenüber konkreten Auseinandersetzungen im politischen oder sonstigen Meinungskampf strikte „Blindheit“ gegenüber denen gewährleiste, auf die sie letztlich angewendet werden solle. Sie dürfe allein an dem zu schützenden Rechtsgut ausgerichtet sein, nicht aber an einem Wert- oder Unwerturteil hinsichtlich der konkreten Haltungen oder Gesinnungen.29 Die Frage, ob eine Norm nach diesen Grundsätzen noch als allgemeines Gesetz oder als Sonderrecht zu beurteilen ist, lasse sich dabei nicht schematisch beantworten.30 Es kommt vielmehr auf eine Gesamtsicht an. Abzustellen sei hierbei insbesondere darauf, in welchem Maße eine Norm sich auf abstrakt-inhaltsbezogene, für verschiedene Haltungen offene Kriterien beschränke oder konkret-standpunktbezogene, insbesondere etwa ideologiebezogene Unterscheidungen zugrunde lege. Ein Indiz für Sonderrecht sei es etwa, wenn sich eine Norm als Antwort auf einen konkreten Konflikt des aktuellen öffentlichen Meinungskampfes verstehe oder anknüpfend an inhaltliche Positionen einzelner vorfindlicher Gruppierungen so formuliert ist, dass sie im Wesentlichen nur gegenüber diesen zur Anwendung kommen könne. 27 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 55. 28 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://bundesverfassungsgericht.de, Rn. 56. 29 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://bundesverfassungsgericht.de, Rn. 58. 30 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 60. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 11 3.2.1.3. Verhältnismäßigkeit Eine Regelung ist verhältnismäßig, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgt und das ausgewählte Mittel zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist.31 Als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes32 hat das Bundesverfassungsgericht für das Grundrecht der Meinungsfreiheit die sog Wechselwirkungslehre entwickelt. Dabei ist die besondere Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen. In der Lüth- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts findet sich die grundlegende Formulierung, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt sei. Für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung sei es konstituierend, denn es ermögliche erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebensinhalt sei.33 Dementsprechend müssten die Schranken in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, dass der besondere Wertgehalt des Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede führe, auf jeden Fall gewahrt bleibe34. Als verfassungsgemäße Schranken der Meinungsfreiheit sind danach nur solche Normen zu betrachten, die dahingehend auslegbar sind, dass durch diese ein gegenüber der Meinungsfreiheit höherrangiges Gemeinschaftsgut geschützt wird.35 3.2.2. Verfassungsrechtliche Bewertung der §§ 130 Abs. 3 und 4 StGB im Hinblick auf die Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG 3.2.2.1. Rechtsprechung Im Hinblick auf den bereits bestehenden Leugnungstatbestand des § 130 Abs. 3 StGB wurde die Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG u. a. unter Hinweis auf den mit der Strafrechtsnorm intendierten Schutz der Menschenwürde der Opfer des Holocaust gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG von der Rechtsprechung bejaht.36 Das Bundesverfassungsgericht hatte zu dieser Bestimmung bislang noch nicht zu entscheiden, lediglich zur alten Fassung des § 130 StGB, dessen Verfassungskonformität als allgemeines Gesetz zum Schutz der Menschlichkeit mit dem verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt bei Art. 1 Abs. 1 S. GG es ebenfalls bejahte.37 31 Jarass, Hans, in: Jarass, Hans/Pieroth, Bodo, GG, 10. Aufl., München 2009, Art. 20 Rn. 83 ff. 32 Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 4. Auflage 2007, Art. 5 Rn. 145. 33 BVerfGE 7, 198, 208. 34 BVerfGE 7, 198, 208. 35 Schaefer, in: DÖV 2010, S. 379 ff, S. 382. 36 Vgl. hierzu unveröffentlichte Entscheidungen zitierend (LG Traunstein, Urteil vom 30. August 2006 – Az. 7 Ns 110 Js 43293/04 und OLG München, Beschluss vom 10. Januar 2007 – Az. 4 StRR 244/06): Stegbauer, in: NStZ 2008, S. 74 ff., S. 79. 37 BVerfGE 90, 241, 250. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 12 Während der Bayerische Verwaltungsgerichtshof München38 im Fall „Wunsiedel“ die Verfassungsmäßigkeit von § 130 Abs. 4 StGB darauf stützte, dass die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit und der dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitenden Ehrenschutz der lebenden Opfer des Nationalsozialismus sowie dem den verstorbenen Opfer aus Art. 1 Abs. 1 GG zukommenden postmortalen Persönlichkeitsschutz nicht zu beanstanden sei, und auch das Bundesverwaltungsgericht39 in dieser Sache zu der Einschätzung gelangte, dass die Bestimmung ein allgemeines Gesetz sei, weil es u. a. dem Schutz der Menschenwürde der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft diene, stellt das Bundesverfassungsgericht40 im Hinblick auf § 130 Abs. 4 StGB fest, dass dieses kein allgemeines Gesetz sei: Zwar diene die Vorschrift dem öffentlichen Frieden und damit dem Schutz eines Rechtsguts, das auch sonst in der Rechtsordnung vielfältig geschützt werde. Jedoch gestalte § 130 Abs. 4 StGB diesen Schutz nicht in inhaltsoffener, allgemeiner Art aus, sondern bezogen allein auf Meinungsäußerungen, die eine bestimmte Haltung zum Nationalsozialismus ausdrückten . Die Vorschrift diene nicht dem Schutz von Gewaltopfern allgemein und stelle bewusst nicht auf die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der Gewalt- und Willkürherrschaft totalitärer Regime insgesamt ab, sondern sei auf Äußerungen allein in Bezug auf den Nationalsozialismus begrenzt. Auch der Entstehungsgeschichte nach werde die Vorschrift maßgeblich als Antwort auf öffentliche Versammlungen und Aufmärsche von Rechtsradikalen verstanden, die in ihren Kundgebungen an die Zeit des Nationalsozialismus anknüpften - nicht zuletzt gerichtet gerade auch gegen die jährlichen Gedenkveranstaltungen für Rudolf Heß. § 130 Abs. 4 StGB könne als Sonderrecht auch nicht auf das Recht der persönlichen Ehre nach Art. 5 Abs. 2 Alternative 3 GG - hier bezogen auf die Würde der Opfer - gestützt werden. Das Erfordernis der Allgemeinheit meinungsbeschränkender Gesetze gemäß Art. 5 Abs. 2 Alternative 1 GG erstrecke sich auch auf Bestimmungen zum Ehrschutz.41 Dennoch sei die Regelung des § 130 Abs. 4 StGB auch als nichtallgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG vereinbar: Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Ausnahme vom Verbot des Meinungssonderrechts mit den sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsrechtlichen Ordnung, die dem propagandistischen Gutheißen des nationalsozialistischen Regimes in den Jahren zwischen 1933 und 1945 Grenzen setzen.42 38 BayVGH, Urteil vom 26. März 2007, Az. 24 B 06.1894, abzurufen unter: http://www.juris.de, Rn. 34. 39 BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 – Az. 6 C 21/07, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2009, S. 98 ff., S. 99. 40 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 53. 41 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 62. 42 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 64 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 13 Das Bundesverfassungsgericht macht in seiner Entscheidung zu § 130 Abs. 4 StGB aber zugleich deutlich, dass durch derartiges Meinungssonderrecht der materielle Gehalt der Meinungsfreiheit nicht zurückgenommen werde und stellt klar, dass das Grundgesetz kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip kenne, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubte . Das Grundgesetz gewähre Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung vielmehr grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit. Art. 5 Abs. 1 und 2 GG gewährleiste die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit und erlaube nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtige erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verließen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlügen.43 Auch die nach Art. 5 Abs. 1 und 2 GG anzuerkennende Ausnahme von dem Allgemeinheitserfordernis meinungsbeschränkender Gesetze aufgrund der Einzigartigkeit der Verbrechen der historischen nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft und der daraus folgenden Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland belasse die Verantwortung für die notwendige Zurückdrängung solch gefährlicher Ideen prinzipiell der Kritik in freier Diskussion. Sie erlaube dem Gesetzgeber lediglich, für Meinungsäußerungen, die eine positive Bewertung des nationalsozialistischen Regimes in ihrer geschichtlichen Realität zum Gegenstand hätten, gesonderte Bestimmungen zu erlassen, die an die spezifischen Wirkungen gerade solcher Äußerungen anknüpften und ihnen Rechnung trügen. Auch solche Bestimmungen müssten jedoch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.44 § 130 Abs. 4 StGB genüge den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Vorschrift verfolge mit dem Schutz des öffentlichen Frieden einen legitimen Zweck, zu dessen Erreichung sie geeignet, erforderlich und angemessen sei. Nicht tragfähig sei allerdings für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungsfreiheit ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien oder auf die Wahrung von als grundlegend angesehenen sozialen oder ethischen Anschauungen ziele. Für Eingriffe in Art. 5 Abs. 1 GG folge hieraus, dass ihre Zielsetzung nicht darauf gerichtet sein dürfte, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Die Absicht, Äußerungen mit schädlichem oder in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlichem Inhalt zu behindern, hebe das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst auf und sei illegitim.45 Ein legitimer Zweck, zu dessen Wahrung der Gesetzgeber öffentlich wirkende Meinungsäußerungen begrenzen darf, sei der öffentliche Friede also in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel sei hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf 43 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 74. 44 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 76. 45 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 78. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 14 rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt seien, das heißt den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markierten. Die Wahrung des öffentlichen Friedens beziehe sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösten oder Hemmschwellen herabsetzten oder Dritte unmittelbar einschüchterten. Ergänzend verlange der Straftatbestand, dass diese untersagte Bekräftigung auch tatsächlich - wie regelmäßig zu erwarten - in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise erfolgt und zu einer Störung des öffentlichen Friedens führe. Untypische Situationen, in denen im Einzelfall die in dem Verbot liegende Einschränkung der Meinungsfreiheit unangemessen sein kann, könnten durch dieses Tatbestandsmerkmal aufgefangen werden.46 3.2.2.2. Literatur In der Literatur finden sich Zweifel daran, ob sich für § 130 Abs. 3 StGB ein legitimierbares Schutzgut findet.47 Problematisch sei hier, dass der Randbereich dieses Straftatbestands nicht verbindlich bestimmt werden könne.48 § 130 Abs. 3 StGB wird daher mitunter als „Strafrechtsschwert zur Kontrolle der politischen Wetterlage, ein Klimadelikt“ kritisiert.49 Es sei ein Sonderfall -Gesetz, dessen exorbitant einmalige Veranlassung es gestatten könne, Verfassungsrecht ausnahmsweise beiseite zu schieben.50 Dabei wird nicht in Frage gestellt, dass die Strafbarkeit sog. qualifizierter Ausschwitzlügen ohne Zweifel zu rechtfertigen sei, wenn die Qualifikation in einem Angriff auf die Würde aller heute in Deutschland lebenden Juden dadurch liege, dass diesen der gleichberechtigte Menschenrechtsstatus abgesprochen werde, insbesondere wenn dazu Argumente rassischer Höher- oder Minderwertigkeit bemüht würden. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sei es legitim, solche Angriffe auch rhetorischer Art zu unterbinden.51 Zur Wunsiedel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betreffend § 130 Abs. 4 StGB wird in der Literatur52 zum Teil kritisch angemerkt, dass man zwar nicht ernsthaft bestreiten könne, dass das Grundgesetz „geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes“ gedeutet werden könne und „darauf ausgerichtet (ist), aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen“, aber im Verfassungstext finde sich kein expliziter Vorbehalt gegen totalitäre Ideologien. Daraus könne freilich nicht gefolgert werden, dass keine implizite Grundrechtsrestriktion dieser Art bestehen solle. Aber diese Position sei nicht unproblematisch, denn Rechtsstaatlichkeit sei nur um den Preis von Distanz zu haben; Distanz setze Gleichheit vor dem 46 BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 – Az. 1 BvR 2150/08 – abzurufen unter: http://www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 78. 47 Bertram, Günter, Der Rechtsstaat und die Volksverhetzung, in: NJW 2005, S. 1476 ff., S. 1477. 48 Bertram, in: NJW 2005, S. 1476 ff., S. 1477. 49 Brugger, Winfried, Verbot oder Schutz von Haßrede?, in: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 2003, S. 373 ff., S. 391. 50 Brugger, in: AöR 2003, S. 372 ff., S. 403. 51 Brugger, in: AöR 2003, S. 372 ff., S, 404. 52 Schaefer, in: DÖV 2010, S. 379 ff., S. 384; kritisch allgemein zu § 130 Abs. 4 StGB auch: Leist, Wolfgang, Die Änderung des Versammlungsrechts: ein Eigentor? in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2005, S. 500 ff., S. 502. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 15 Gesetz voraus; Gleichheit vor dem Gesetz schließe jede Art von Privilegierung aus, die nicht mit besonderen Merkmalen einer gegenüber der Allgemeinheit abgrenzbaren Gruppe gerechtfertigt werden könne. Mit dem Wunsiedel-Beschluss habe sich das Bundesverfassungsgericht vor eine problematische Alternative gestellt. Die Privilegierung der durch § 130 Absatz 4 StGB geschützten Opfergruppe lasse sich dogmatisch zwar damit begründen, dass ihr Verfolgungsschicksal zum Anknüpfungspunkt ihrer aus der Allgemeinheit herausgehobenen Stellung gemacht werde, wodurch sich eine Gleichsetzung der Opfer mit der Allgemeinheit rechtsstaatlich verbiete. Damit könne zwar eine Privilegierung gerechtfertigt werden, aber eine in der Vergangenheit erlittene Diskriminierung werde auf diese Weise zur normativen Ursache gegenwärtiger Sonderstellung. Das ursprüngliche Stigma des Opfers werde dadurch nicht beseitigt, sondern erneuert. Dies sei einerseits geeignet, die Opfer des Nationalsozialismus in einer für ihre berechtigten Anliegen kontraproduktiven Weise der Mehrheitsgesellschaft zu entfremden, und bringe andererseits die verfassungsrechtliche Legitimierung von Sonderrecht, gleich ob es meinungsrelevant ist oder andere Grundrechte in besonderem Maße betrifft, die Rechtsprechung auf eine schiefe Ebene und das Verfassungsrecht aus dem Gleichgewicht, würden doch diffuse Kategorien wie Identität und Betroffenheit zur Rechtfertigung tief greifender Grundrechtseingriffe herangezogen. Es bestehe die Gefahr, dass mit der Sonderrechtstheorie, die hier vom Bundesverfassungsgericht für den Einzelfall des §130 Abs. 4 StGB entwickelt wurde, möglicherweise ein neues Muster verfassungskonformen Meinungssonderrechts contra Art. 5 Abs. 2 GG entstehen könnte.53 3.2.3. Schlussfolgerungen für einen Tatbestand der Leugnung, Billigung oder Verherrlichung des von staatlichen Stellen begangenen DDR-Unrechts Aus den dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen, die Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf die meinungsbeschränkende Strafrechtsnormen aufgestellt haben, sind für einen Tatbestand der Leugnung, Billigung oder Verherrlichung des von staatlichen Stellen begangenen DDR-Unrechts folgende Schlussfolgerungen zu ziehen: Eine Norm, die die Leugnung des von staatlichen Stellen begangenen DDR-Unrechts unter Strafe stellte, würde an einen bestimmten Meinungsinhalt anknüpfen und damit wohl nicht als sachlich allgemein einzustufen sein. Entscheidend ist aber, ob im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter ein allgemeines Gesetz vorliegt. Der Straftatbestand dürfte sich in seinem Wortlaut danach wohl nicht auf das bloße Leugnen von DDR-Unrecht beziehen, denn dann wäre er rein meinungs- und nicht allgemein rechtsgutsbezogen. Vielmehr müsste der Schutz von Rechtsgütern – auch im Wortlaut einer Strafrechtsbestimmung - erkennbar sein. Angesichts der besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit müsste es sich dabei im Sinne der Verhältnismäßigkeit um besonders hochrangige Rechtsgüter handeln. In Betracht kommt daher wohl nur der „Schutz der Würde der Opfer“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, wie sie etwa auch den Anknüpfungspunkt darstellt für die Strafbarkeit nach § 130 Abs. 3 StGB – hier impliziert im Leugnen von Handlungen nach dem Völkerstrafgesetzbuch- und nach § 130 Abs. 4 StGB, bei dem der Begriff der „Würde der Opfer“ ausdrücklich Tatbestandsmerkmal ist. Allerdings ist zu bedenken, dass es an einer systematischen öffentlichen Missachtung der Würde der Opfer durch ihre Gegner im Gegensatz 53 Schaefer, in: DÖV 2010, S. 379 ff., S. 385. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 275/10 Seite 16 zu den Rechtsextremisten, die die Opfer des Nationalsozialismus durch Leugnung, Relativierung, zum Teil sogar durch Verhöhnung zu entwürdigen suchten, wohl fehlen dürfte.54 Es stellt sich zudem die Frage, ob solch eine Bestimmung der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht vor dem Hintergrund der weiteren in der Wunsiedel-Entscheidung aufgestellten Kriterien standhielte. Denn das Gericht verlangt eine hinreichend allgemeine Formulierung der Verletzungshandlung sowie der geschützten Rechtsgüter. Eine Bestimmung hinsichtlich der Leugnung von DDR-Unrecht bezöge sich aber ebenso wie der bereits bestehende § 130 Abs. 4 StGB nur auf bestimmte Meinungsäußerungen, nämlich solche, die eine bestimmte Haltung zum DDR-Regime zum Ausdruck brächten. Als Alternative wird mitunter ein allgemeiner Straftatbestand vorgeschlagen, der die Opfer aller Gewalt- und Willkürherrschaften gleichermaßen vor Entwürdigung schützt.55 Meinungssonderrecht wird – wie dargelegt - verfassungsgerichtlich nur im Hinblick auf die besondere historische Verantwortung der Bundesrepublik im Hinblick auf die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft als verfassungskonforme Schranke der Meinungsfreiheit angesehen . Ein legitimer Zweck für meinungsbegrenzende Strafrechtsbestimmungen wird aber auch hier allenfalls zur Wahrung des öffentlichen Friedens in dem Sinne ausnahmsweise anerkannt, dass die Meinungsäußerungen verhindert würden, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt seien und etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösten oder Hemmschwellen herabsetzten . Diese Voraussetzungen dürften im Hinblick auf die Leugnung von DDR-Unrecht nicht gegeben sein, denn diejenigen, die sich billigend zu Unrechtstaten des DDR-Regimes äußern, beabsichtigen regelmäßig damit nicht zusätzlich zur Meinungsäußerung eine aggressive Emotionalisierung und verlassen– wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert hat – nicht die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens. Eine mit der aggressiven Stimmung bei Versammlungen der Neonazis vergleichbares „Element der Äußerlichkeit“ dürfte danach wohl zu bezweifeln sein. Nach der in der Literatur vertretenen grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber den §§ 130 Abs. 3 und 4 StGB, die Meinungssonderrecht allenfalls in Bezug auf die Shoah als in engen Grenzen gerechtfertigt ansieht, dürfte ein Straftatbestand der Leugnung von DDR-Unrecht ebenfalls als verfassungsrechtlich problematisch zu bewerten sein. 54 So auch die Bewertung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH), Urteil vom 26. März 2007, 24 B 06.1894, abzurufen bei: http://www.juris.de, Rn. 35 und von Leist, in: NVwZ 2005, S. 500 ff, S. 502. 55 So etwa Leist, in: NVwZ 2005, S. 500 ff., S. 502.