© 2017 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 271/16 Akustische Wohnraumüberwachung in Irland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 271/16 Seite 2 Akustische Wohnraumüberwachung in Irland Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 271/16 Abschluss der Arbeit: 3. Januar 2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 271/16 Seite 3 1. Einleitung Der folgende Sachstand hat die akustische Wohnraumüberwachung in Deutschland und Irland zum Gegenstand. Neben einer Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Überwachung wird auf die parlamentarischen bzw. gerichtlichen Kontrollmechanismen eingegangen. Die Ausführungen zur Rechtslage in Irland basieren auf Auskünften der dortigen Parlamentsverwaltung . 2. Rechtslage in Deutschland Den Ausgangspunkt für die Darstellung der Rechtslage in Deutschland bildet das Grundgesetz als Verfassung. 2.1. Begriffsbestimmung und verfassungsrechtlicher Rahmen Unter der akustischen Wohnraumüberwachung wird in Deutschland das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in einer Wohnung mit technischen Mitteln auch ohne Wissen des Betroffenen verstanden. Die Privatheit einer Wohnung ist grundrechtlich geschützt: Die Wohnung ist gemäß Art. 13 Abs. 1 GG unverletzlich. Art. 13 Abs. 3 bis 6 GG regeln den Rahmen, in dem Einschränkungen dieses Grundrechts u.a. in Form der akustischen Wohnraumüberwachung zulässig sind. 2.2. Rechtliche Voraussetzungen Grundsätzlich ist zwischen Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung zu repressiven Zwecken (Strafverfolgung) einerseits und entsprechenden Maßnahmen zu präventiven Zwecken (vorbeugende polizeiliche Verbrechensbekämpfung) andererseits zu unterscheiden. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine akustische Wohnraumüberwachung zu repressiven Zwecken ergeben sich aus Art. 13 Abs. 3 GG. Danach müssen Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand eine durch Gesetz zu bestimmende besonders schwere Tat begangen hat. Die akustische Überwachung darf nur in der Wohnung durchgeführt werden, in der sich der Beschuldigte vermutlich aufhält. Die Maßnahme darf nur erfolgen, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die akustische Wohnraumüberwachung ist zeitlich zu befristen. Sie bedarf einer richterlichen Anordnung (Entscheidung durch Spruchkörper von drei Richtern, in der Praxis durch eine Strafkammer am Landgericht; Einzelrichterentscheidung bei Gefahr im Verzug). Einfachgesetzlich konkretisiert wird die repressive akustische Wohnraumüberwachung durch §§ 100c bis e, 101 Strafprozessordnung (StPO). § 100c Abs. 2 StPO enthält einen abschließenden Katalog der besonders schweren Straftaten, wie es Art. 13 Abs. 3 GG vorschreibt. Zu nennen sind beispielhaft: Staatsdelikte wie Hochverrat, die Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen , Mord und Menschenhandel sowie weitere schwere Straftaten u. a. aus den Bereichen des Asyl- und Aufenthalts-, Betäubungsmittel- und Waffenrechts. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine akustische Wohnraumüberwachung im präventiven Bereich ergeben sich aus Art. 13 Abs. 4 GG. Nach dieser Bestimmung sind Abhörmaßnahmen zulässig, wenn sie der Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 271/16 Seite 4 (z.B. Lebensgefahr) dienen. Wie im repressiven Bereich ist eine richterliche Anordnung nötig, nur bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden (z.B. Behördenleiter wie der Präsident des Bundeskriminalamtes); die richterliche Anordnung ist nachzuholen. Auf Bundesebene ist das Bundeskriminalamt zur akustischen Wohnraumüberwachung zu präventiven Zwecken befugt (§ 20h Bundeskriminalamtsgesetz - BKAG). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Bundeskriminalamtgesetz vom 20. April 2016 festgestellt, dass Teile der Regelung des § 20h BKAG nicht mit den Grundrechten vereinbar sind.1 Die Vorschrift gilt aber nach der Entscheidung des Gerichts mit Einschränkungen bis zum 30. Juni 2018 fort. In den Bundesländern ist die akustische Wohnraumüberwachung zu präventiven Zwecken in den jeweiligen Landespolizeigesetzen geregelt. Eine Sonderregelung für den Einsatz technischer Mittel zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen (z.B. verdeckte Ermittler) enthält Art. 13 Abs. 5 GG. Dabei ist unerheblich , ob die zu schützenden Personen zu repressiven oder präventiven Zwecken eingesetzt werden. Die entsprechenden Voraussetzungen aus Art. 13 Abs. 3 bzw. Abs. 4 GG sind zu wahren. 2.3. Gerichtliche und parlamentarische Kontrolle Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung unterliegen der gerichtlichen Kontrolle der Straf- bzw. Verwaltungsgerichte, je nachdem, ob die Maßnahmen repressiven oder präventiven Zwecken dienen. Nach Abschluss einer Wohnraumüberwachungsmaßnahme wird der Betroffene regelmäßig hierüber unterrichtet und kann deren Rechtmäßigkeit nachträglich gerichtlich klären lassen. Zur Gewährleistung der parlamentarischen Kontrolle formuliert Art. 13 Abs. 6 S. 1 GG für die Maßnahmen der Wohnraumüberwachung in Bundeszuständigkeit eine jährliche Berichtspflicht der Bundesregierung an den Bundestag. Für den Bereich der Strafverfolgung ist die Berichtspflicht in § 100e StPO näher konkretisiert. Der Bericht wird als Bundestagsdrucksache veröffentlicht .2 Er beruht auf statistischen Mitteilungen aus den Ländern und vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, die das Bundesamt für Justiz in einer Tabelle zusammenführt. Art. 13 Abs. 6 S. 2 GG gibt vor, dass die parlamentarische Kontrolle auf der Grundlage des Berichts durch ein vom Bundestag gewähltes Gremium ausgeübt wird. In Erfüllung dieser Pflicht setzt der Bundestag in jeder Wahlperiode das sogenannte Gremium gemäß Art. 13 Abs. 6 GG ein. Den Bundesländern ist nach Art. 13 Abs. 6 S. 3 GG die Gewährleistung einer gleichwertigen parlamentarischen Kontrolle aufgegeben. 1 BVerfG, NJW 2016, S. 1781 (1792 ff.). 2 Der Bericht für das Jahr 2015: BT-Drs. 18/9660. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 271/16 Seite 5 3. Rechtslage in Irland 3.1. Rechtsgrundlage Die Verfassung Irlands gewährleistet die Unverletzlichkeit der Wohnung jedes Bürgers (Art. 40 Abs. 5 Constitution of Ireland3). In eine Wohnung darf danach außer in den gesetzlich vorgesehen Fällen nicht eingedrungen werden. Das Grundrecht unterliegt einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Ergänzend ist der Schutz der Privatsphäre nach Art. 40 Abs. 3 UAbs. 1, 2 Constitution of Ireland zu nennen. Die Rechtsgrundlage für polizeiliche Überwachungsmaßnahmen bildet der „Criminal Justice (Surveillance) Act 2009“.4 Erfasst werden von dem Gesetz auch Maßnahmen der akustischen Wohnraumüberwachung. Das Gesetz definiert nämlich Überwachung als „monitoring, observing, listening to or making a recording of a particular person or group of persons or their movements, activities and communications, or monitoring or making a recording of places or things, by or with the assistance of surveillance devices”5, wobei der Begriff der „places“ weit zu verstehen ist und Wohnräume umfasst. 3.2. Rechtliche Voraussetzungen Grundsätzlich muss bei einem Richter eines Bezirksgerichtes eine Ermächtigung für die Durchführung einer bestimmten Überwachungsmaßnahme eingeholt werden.6 Welche rechtlichen Voraussetzungen im Einzelnen vorliegen müssen, ist davon abhängig, wer die Überwachung durchführen möchte. Berechtigt beim Richter einen Antrag zu stellen sind nicht nur die „superior officers“ der irischen Polizei („Garda Síochána“) und die „superior officers“ von deren Aufsichtsgremium („Garda Ombudsman Comission“), sondern auch die „superior officers“ der irischen Armee und der Finanz- und Zollbehörden („Revenue Commissoners“).7 Im Folgenden wird exemplarisch dargestellt, welche Voraussetzungen für entsprechende Überwachungsmaßnahmen vorliegen müssen, die von der Polizei durchgeführt werden. 3 Constitution of Ireland, abrufbar unter: http://www.irishstatutebook.ie/eli/cons/en/html, zuletzt abgerufen am 30. Dezember 2016. 4 Abrufbar unter: http://www.irishstatutebook.ie/eli/2009/act/19/enacted/en/pdf, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2017, in der Fassung vom „Garda Síochána (Amandment) Act 2015“, vgl. http://www.irishstatutebook .ie/eli/2015/act/3/enacted/en/html, zuletzt abgerufen am 2. Januar 2017. 5 Abschnitt 1 Criminal Justice (Surveillance) Act 2009; alle nachfolgenden Abschnitte ohne Gesetzesangabe, sind solche des Criminal Justice (Surveillance) Act 2009. 6 Abschnitt 5 Abs. 1 (b). 7 Abschnitt 4 Abs. 1 - 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 271/16 Seite 6 3.2.1. Überwachungsgrund Der antragstellende Polizeibeamte muss davon überzeugt sein, dass die Überwachung notwendig ist, um eines der nachfolgenden Ziele zu erreichen: – Erlangung von Informationen, die mit der Ermittlung einer verfolgbaren Straftat in Zusammenhang stehen; – Verhinderung der Begehung einer verfolgbaren Straftat oder – Aufrechterhaltung der Staatssicherheit.8 3.2.2. Verhältnismäßigkeit Der Polizeibeamte muss der begründeten Auffassung sein, dass die gewählte Maßnahme mit Blick auf das verfolgte Ziel das am wenigsten einschneidende Mittel darstellt. Sie muss verhältnismäßig zum verfolgten Ziel sein und die Rechte der überwachten Person wahren. Die Überwachung darf nicht länger als notwendig für das Erreichen der Überwachungsziele andauern. 3.2.3. Richtervorbehalt Ferner muss auch der Richter, der über die Erteilung der Ermächtigung zu einer solchen Überwachungsmaßnahme zu entscheiden hat, vom Vorliegen der genannten Voraussetzungen überzeugt sein. Er kann dem Antrag ohne Änderungen stattgeben oder Bedingungen aufstellen, die er für die Wahrung der Angemessenheit der Maßnahme für erforderlich hält. Eine Bewilligung muss folgende Angaben enthalten: – genaue Angaben zum eingesetzten Überwachungsgerät; – die Personen, Orte oder Sachen, die Ziel der Überwachung sind; – den Namen des ermächtigten „superior officer“; – jegliche Bedingungen, die mit der Ermächtigung im Zusammenhang stehen und – den Zeitpunkt des Endes der Überwachung.9 8 Abschnitt 4 Abs. 1 (a) - (c). 9 Abschnitt 5 Abs. 6 (a) - (e). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 271/16 Seite 7 Die Ermächtigung enthält für den Polizeibeamten und andere Personen, die der Beamte für notwendig hält, eine Betretungsbefugnis für Orte an denen Überwachungsgeräte deponiert oder zurückgeholt werden sollen. Sie kann höchstens für drei Monate erteilt werden10; auf Antrag kann sie um weitere drei Monate verlängert werden11. 3.3. Dringende Fälle Abschnitt 7 regelt, dass in dringenden Fällen die Überwachung ausnahmsweise auch ohne richterliche Ermächtigung erfolgen darf. Eine Ermächtigung wird dann durch einen „superior officer“ erteilt, wenn er der Überzeugung ist, dass zwar alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, aber nicht genügend Zeit verbleibt, um den Richter anzurufen. Letzteres ist der Fall, wenn – die zu überwachende Person sich bei Anrufung des Richters wahrscheinlich der Überwachungsmaßnahme entziehen, die Rechtsfindung behindern oder eine verfolgbare Straftat begehen würde; – wahrscheinlich Informationen oder Beweise im Zusammenhang mit der verfolgbaren Straftat zerstört oder nicht mehr erlangt werden könnten oder – die Sicherheit des Staates sonst zu Schaden käme.12 Die Dauer der Überwachung darf ohne richterliche Ermächtigung 72 Stunden nicht überschreiten. Zudem bestehen besondere formale Voraussetzungen, wie das Erfordernis einer schriftlichen Dokumentation des gesamten Vorgangs.13 Diese ist einem „Assistant Commissioner“ innerhalb von sieben Tagen vorzulegen. 3.4. Gerichtliche und parlamentarische Kontrolle Abschnitt 11 des „Criminal Justice (Surveillance) Act 2009“ normiert ein Beschwerdeverfahren für Personen, die der Auffassung sind, dass sie rechtswidrig überwacht wurden. Voraussetzung für die Durchführung eines solchen Verfahrens ist ein Antrag der betroffenen Person beim „Complaints Referee“. Das Ergebnis der Untersuchung ist dem Antragsteller mitzuteilen. Wenn tatsächlich eine Überwachung stattfand und diese nicht in Übereinstimmung mit den entsprechenden Vorschriften erfolgte, ist der Vorgang in einem Bericht an den „Taoiseach“, dem irischen Premierminister, festzuhalten. Der „Complaints Referee“ soll in diesem Fall ferner – anordnen, dass die Ermächtigung zur Überwachung aufgehoben wird und alle mit ihr zusammenhängenden Dokumente zerstört werden; 10 Abschnitt 5 Abs. 8. 11 Abschnitt 6. 12 Abschnitt 7 Abs. 2. 13 Abschnitt 7 Abs. 6, 7, 11, 12. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 271/16 Seite 8 – anordnen, dass die rechtswidrig überwachte Person eine Kompensation in Höhe einer bestimmten Geldsumme erhält und – den Vorgang entweder dem Minister, in dessen Verantwortungsbereich die überwachende Stelle fällt14, oder dem zuständigen Richter melden. Diese Maßnahmen müssen nicht ergriffen werden, wenn der „Complaints Referee“ der Überzeugung ist, sie seien nicht im öffentlichen Interesse. Gemäß Abschnitt 12 des „Criminal Justice (Surveillance) Act 2009“ wird ein Richter des „High Court“ (oberstes Zivil- und Strafgericht) berufen, die Maßnahmen nach diesem Gesetz zu überprüfen und dem „Taoiseach“ einen jährlichen Bericht hierüber zu erstatten. Dieser Bericht ist auch dem irischen Parlament („Oireachtas“) vorzulegen.15 Um seinen Überprüfungspflichten nachzukommen, darf der Richter in allen Fällen, in denen eine Überwachung bewilligt wurde, Nachforschungen anstellen. 3.5. Praxis Aus dem jüngsten Bericht des High-Court-Richters geht hervor, dass Maßnahmen nach dem „Criminal Justice (Surveillance) Act 2009“ vor allem in Bereichen schwerwiegender Kriminalität zum Einsatz kommen, wie beispielsweise bei der organisierten Kriminalität, bei subversiven Aktivitäten gegen den Staat, beim Terrorismus und bei Wirtschaftsstraftaten.16 In den zwölf Berichtsmonaten wurde 41 Anträgen auf Überwachung durch den zuständigen Richter und fünf weiteren Anträgen durch einen „superior officer“ wegen Dringlichkeit entsprochen. Nur einmal lehnte ein Richter den Antrag auf Überwachung ab. *** 14 Im Falle der „Garda Síochána“, also der irischen Polizei, ist der Vorgang der „Garda Ombudsman Commission“ zu melden. 15 Der jüngste Bericht ist abrufbar unter: http://opac.oireachtas.ie/AWData/Library3/TAOdoclaid 05122016_142604.pdf, zuletzt abgerufen am 30. Dezember 2016. 16 Report pursuant to Section 12 of the Criminal Justice Surveilance Act 2009 – Review of the Operation of the Act by the Designated Judge for the period 1st August 2015 to 31st July 2016, S. 3.