© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 270/14 Kompensationsleistungen für die Länder aufgrund der Abschaffung bestimmter Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 270/14 Seite 2 Kompensationsleistungen für die Länder aufgrund der Abschaffung bestimmter Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 270/14 Abschluss der Arbeit: 26. November 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 270/14 Seite 3 1. Einleitung Mit der Föderalismusreform I von 20061 wurde das Grundgesetz (GG) u.a. um eine Übergangsund Folgeregelung für Bundesfinanzzuweisungen (Art. 143c GG) ergänzt, auf dessen Grundlage das Entflechtungsgesetz (EntflG)2 erlassen wurde (Art. 143c Abs. 3 GG). In der Gesetzesbegründung zu Art. 143c GG heißt es u.a.: „Im Hinblick auf die erheblichen strukturellen Unterschiede der Länder kommt eine vollständige Abschaffung der Mischfinanzierungen (Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen) derzeit nicht in Betracht. Die vorgesehene Abschaffung bzw. Modifizierung bestimmter Mischfinanzierungen bzw. Mischfinanzierungstatbestände trägt der veränderten Bedarfslage Rechnung und führt zur Entflechtung der Aufgabenverantwortung.“3 Art. 143c GG regelt die Kompensation der bei den Ländern ausfallenden investiven Bundesmittel ab dem 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2019 für die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich Hochschulkliniken und Bildungsplanung (Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG a.F., Art. 91b S. 1 GG a.F.) sowie das Auslaufen der Finanzhilfen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und zur sozialen Wohnraumförderung (Art. 104a Abs. 4 GG a.F.).4 Die Höhe der Leistungen ergab sich gemäß Art. 145c Abs. 1 S. 2 GG bis zum 31. Dezember 2013 aus dem Durchschnitt der Finanzierungsanteile im Referenzzeitraum 2000 bis 2008. Für die Mittelaufteilung auf die Länder und die Zweckbindung war Art. 145c Abs. 2 GG bis Ende 2013 maßgeblich. Art. 145c Abs. 3 GG sieht eine stufenweise Lockerung von bisherigen Zweckbindungen der Mittel vor.5 Gemäß Art. 145c Abs. 3 S. 1 GG haben Bund und Länder bis Ende 2013 zu prüfen, in welcher Höhe die den Ländern zur Aufgabenerfüllung zugewiesenen Finanzierungsmittel noch angemessen und erforderlich sind. Ab dem 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2019 entfällt gemäß Art. 143 c Abs. 3 S. 2 GG die Zweckbindung, wobei die Mittel aber weiterhin für investive Zwecke einzusetzen sind. Art. 145c Abs. 3 S. 3 GG stellt klar, dass die Vereinbarungen aus dem Solidarpakt II unberührt bleiben. Eine Mittelanrechnung findet nicht statt.6 Als Folge der in Art. 145c Abs. 3 S. 1 GG angeordneten Überprüfung der Angemessenheit und Erforderlichkeit der Mittel hat zwischenzeitlich eine Neufestlegung der Mittelzuwendung an die Länder im Rahmen des Aufbauhilfegesetzes vom Juni 20137 stattgefunden. Dieses beinhaltet im Schwerpunkt Regelungen zur Finanzierung der Beseitigung von Schäden des Hochwassers von 1 BGBl. I Nr. 41 vom 31.08.2006, S. 2034. 2 BGBl. I Nr. 42 vom 11.09.2006, S. 2098. 3 BT-Drs. 16/813, S. 10. 4 BT-Drs. 16/813, S. 10. 5 BT-Drs. 16/813, S. 22. 6 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 143c GG Rn. 5. 7 BGBl. I 2013 Nr. 38 vom 18.07.2013, S. 2401. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 270/14 Seite 4 Mai/Juni 2013 und in Art. 4 auch eine Änderung des Entflechtungsgesetzes. In den Verhandlungen von Bund und Ländern zur Mittelüberprüfung war darüber gestritten worden, ob Art. 145c GG bis Ende 2019 eine abschließende Garantie auf Bundesmittel in dem Umfang, wie diese für die Jahre 2007 bis 2013 jährlich in gleicher Höhe bereitgestellt worden waren, festschreibe oder ob nicht auch eine Abschmelzung der bisherigen Mittel im Einklang mit der Verfassungsbestimmung stehe.8 Die Länder traten für den Fortbestand der Mittel in gleicher Höhe ein, der Bund sprach sich für eine degressive Gestaltung aus.9 Letztlich wurde im Entflechtungsgesetz festgeschrieben , dass die Mittel in der bisherigen Höhe bis Ende 2019 vom Bund fortgezahlt werden und die investive Zweckbindung erhalten bleibt, die aufgabenspezifische Zweckbindung dagegen entfällt.10 Bundesseitig wurde allerdings im Gesetzgebungsverfahren deutlich gemacht, dass der Bund es begrüßen würde, wenn die Länder die Entflechtungsmittel weiter vollständig in den bisherigen Aufgabenbereichen einsetzten.11 Nachfolgend ist zu klären, ob es im Rahmen der Föderalismusreform I neben den dargestellten Kompensationsregelungen nach Art. 143c GG i.V.m. EntflG noch weitere Zusagen an die Länder gab, damit sie der zeitlich bis 2019 limitierten Zahlung von Bundesmitteln zum Ausgleich für die Übernahme neuer Aufgaben zustimmten. 2. Diskussionslinien im Rahmen der Föderalismusreform I Bereits aus der systematischen Stellung des Art. 143c GG in Kapitel XI des Grundgesetzes „Übergangs - und Schlussbestimmungen“ kann gefolgert werden, dass die Bundesfinanzierung der durch die Föderalismusreform I den Ländern neu zugewiesenen Aufgaben nicht als Dauerlösung angelegt ist.12 Dies ergibt sich auch aus dem eindeutigen Wortlaut der Regelung, die eine Befristung bis zum 31. Dezember 2019 vorsieht. In Zusammenschau mit der in Art. 143c GG ebenfalls enthaltenen Bestimmung zum Solidarpakt II (Abs. 3 S. 3 GG) und aus der Tatsache, dass dieser 8 Kiepe, Zur Finanzierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur nach der Föderalismusreform - Rechtsrahmen, Bedarfsentwicklung, Finanzierungsgrundlagen (Teil 1), in: IR 2014, S. 194 ff., S. 197. 9 Henneke, Auswirkungen des Gesetzes - „Dreierpacks“ vom 15.7.2013 auf die Kommunen, in: Der Landkreis 2013, S. 300 ff., S. 301; Kiepe, Zur Finanzierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur nach der Föderalismusreform - Rechtsrahmen, Bedarfsentwicklung, Finanzierungsgrundlagen (Teil 1), in: IR 2014, S. 194 ff., S. 197. 10 Siehe auch Henneke, Auswirkungen des Gesetzes – „Dreierpacks“ vom 15.7.2013 auf die Kommunen, in: Der Landkreis 2013, S. 300 ff., S. 301; Kiepe, Zur Finanzierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur nach der Föderalismusreform - Rechtsrahmen, Bedarfsentwicklung, Finanzierungsgrundlagen (Teil 1), in: IR 2014, S. 194 ff., S. 197. 11 BT-Drs. 17/1408, Gesetzesbegründung, S. 10. 12 Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem Entflechtungsgesetz ab 2014, in: IR 2011, S. 202 ff., S. 204. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 270/14 Seite 5 Pakt ebenso wie die Regelungen des Finanzausgleichs nach dem Maßstäbegesetz13 2019 auslaufen , lässt sich weiter schließen, dass für die Zeit ab 2020 eine Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern intendiert ist.14 Diese Auslegung deckt sich auch mit den Beratungen in der Föderalismuskommission I15: Hier war von vornherein klar, dass etwa für die Abschaffung bzw. Modifizierung der Gemeinschaftsaufgaben und der damit verbundene Zuwachs von Länderaufgaben jedenfalls aus Sicht der finanzschwachen Länder politisch nur mit einer entsprechenden Gegenfinanzierung durch den Bund durchsetzbar erschien.16 Die Länder hatten darüber hinaus schon frühzeitig deutlich gemacht , dass der bis 2019 ausgehandelte Finanzausgleich tabu sei.17 Vor diesem Hintergrund wurde dann letztlich der in Art. 143c GG verankerte „Nebenfinanzausgleich“ ausgehandelt.18 So erklärt sich die Begrenzung der Kompensationsvorschrift bis zum Ende des Jahres 2019. Weitere Zugeständnisse an die Länder, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der zeitlichen Limitierung der Finanzmittel für neue Länderaufgaben stehen, sind aus den einschlägigen Beratungsmaterialien der Föderalismusreform I19 nicht ersichtlich. Während man über das „Ob“ der Kompensation unter den Bundesländern einig war, gab es zum „Wie“ im Zuge der Kommissionsberatungen noch weitere Vorschläge, die letztlich aber nicht realisiert wurden20: Baden-Württemberg sprach sich exemplarisch für die westdeutschen Länder für eine Umverteilung der durch Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben freiwerdenden Bundesmittel über die Regeln der Umsatzsteuerverteilung im Sinne einer Erhöhung des Länderanteils an diesem Steueraufkommen aus.21 Es führte zur Begründung u.a. aus, dass man durch die so erzielte klare Trennung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern dem Entflechtungsziel 13 BGBl. I Nr. 47 vom 9.9.2001, S. 2302 ff. 14 Vgl. Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem Entflechtungsgesetz ab 2014, in: IR 2011, S. 202 ff., S. 204. 15 Siehe hierzu im Ganzen: Deutscher Bundestag, Bundesrat, Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.), Zur Sache I/2005, Dokumentation der Kommission von Bundestag und Bundesstaat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung , 2005. 16 So z.B. die Koordinatorin der Arbeitsgruppe 2 „Finanzbeziehungen“, Abg. Tillmann (CDU/CSU), in: Deutscher Bundestag, Bundesrat, Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.), Zur Sache I/2005, Dokumentation der Kommission von Bundestag und Bundesstaat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, 2005, S. 741. 17 Meyer, Die Föderalismusreform, 2008, S. 244. 18 Meyer, Die Föderalismusreform, 2008, S. 244. 19 Deutscher Bundestag, Bundesrat, Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.), Zur Sache I/2005, Dokumentation der Kommission von Bundestag und Bundesstaat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, 2005, insbes. Kapitel 2.1.5 Kompensation bei Wegfall von Mischfinanzierungstatbeständen, S. 739 ff. 20 Siehe zu den Positionen auch: Runde, Finanzen: Gemeinschaftsaufgaben/Mischfinanzierungen, in: Holtschneider /Schön, Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 297 ff., S. 308. 21 Runde, Finanzen: Gemeinschaftsaufgaben/Mischfinanzierungen, in: Holtschneider/Schön, Die Reform des Bundesstaates , 2007, S. 297 ff., S. 308; Schreiben des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel, Kommissionsunterlage K-Drs. 0053. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 270/14 Seite 6 der Kommission am ehesten gerecht werde.22 Bedenken gegen diese Lösung bestanden nicht zuletzt deshalb, weil man eine Ausweitung der Diskussion über die Umsatzsteuerverteilung mit dem Bund im Rahmen der Föderalismusreform auf weitere Themen (z.B. finanzielle Folgen der Arbeitsmarktbelastungen des Bundes, Erweiterung der EU) befürchtete, die ggf. sogar eine Vergrößerung des Bundesanteils am Umsatzsteuervolumen nach sich gezogen hätte.23 Die ostdeutschen Länder hatten sich ohnehin ablehnend gegenüber dem baden-württembergischen Vorstoß geäußert.24 Sachsen legte dementsprechend ein Modell der Verteilung der Kompensation über flexible ungebundene Finanzhilfen mit dem Referenzzeitraum für die Jahre 1996 bis 2000,25 das im Wesentlichen in einem entsprechenden Beschluss der ostdeutschen Ministerpräsidenten aufging.26 Außerdem gab es einen vermittelnden Vorschlag des damaligen hessischen Ministerpräsidenten, in dem beide Lösungsansätze zusammengeführt wurden („hessisches Kombinationsmodell“).27 Er sah bis Ende 2019 Finanzzuweisungen an die Länder und danach eine Verteilung der Kompensation über Umsatzsteueranteile zugunsten der Länder vor.28 22 Schreiben des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel, Kommissionsunterlage K-Drs. 0053. 23 Riebel, Reduzierung von Mischfinanzierungen und Abbau von Gemeinschaftsaufgaben in: Holtschneider /Schön, Die Reform des Bundesstaates, 2007, S. 320 ff., S. 327. 24 Siehe etwa: Beschluss vom 16. Juni 2004 über die Eckpunkte der ostdeutschen Länder zur Reform der Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen im Rahmen der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Kommissionsunterlage PAU – 6/0001. 25 de Maizière, Staatsminister der Justiz des Freistaates Sachsen, Kommissionsunterlage K-Drs. 0056. 26 Eckpunkte der ostdeutschen Länder zur Reform der Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen im Rahmen der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Kommissionsunterlage PAU – 6/0001. 27 Runde, Finanzen: Gemeinschaftsaufgaben/Mischfinanzierungen, in: Holtschneider/Schön, Die Reform des Bundesstaates , 2007, S. 297 ff., S. 308. 28 Hessische Staatskanzlei, Eckpunkte zur Finanzierung entflochtener Gemeinschaftsaufgaben, Kommissionsunterlage K-Drs. 0071.