© 2014 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 269/14 Kontrollen nach dem Mindestlohngesetz in den Wahlkreisbüros Ergänzung zur Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/14 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 269/14 Seite 2 Kontrollen nach dem Mindestlohngesetz in den Wahlkreisbüros Ergänzung zur Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/14 Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 269/14 Abschluss der Arbeit: 13. November 2014 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 269/14 Seite 3 1. Hintergrund und Fragestellung In der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/14 ist dargestellt worden, dass die Dokumentationspflicht nach § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) auch Abgeordnete trifft, soweit sie Arbeitnehmer in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen nach § 8 SGB IV beschäftigen, und dass die Abgeordneten grundsätzlich auch den im Mindestlohngesetz vorgesehenen Kontrollen unterliegen. Eine Verletzung des Gewährleistungsgehalts des freien Mandats nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist hierin, wie dargestellt, nicht zu sehen. Wie in der Ausarbeitung weiter ausgeführt, ist es ist jedoch mit der kraft Verfassungsrechts dem Bundestagspräsidenten übertragenen Polizeigewalt nach Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG unvereinbar, dass die nach dem Mindestlohngesetz zuständigen Behörden der Zollverwaltung in den Liegenschaften des Bundestages Kontrollaufgaben in eigener Zuständigkeit wahrnehmen. Sie sind im Bundestag örtlich unzuständig. Diese Einschränkung der exekutiven Zuständigkeit wurzelt nicht in der Rechtsstellung der einzelnen Abgeordneten, sondern ist Ausfluss der dem Parlamentspräsidenten als eigenes Recht übertragenen Polizeigewalt. Sie dient der Gewährleistung der räumlichen Integrität des Bundestages. Räumlich ist der Anwendungsbereich des Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG allerdings auf die Gebäude des Bundestages begrenzt. In den Wahlkreisbüros beansprucht die Vorschrift keine Geltung. Entsprechend gilt dort auch unverändert die exekutive Zuständigkeitsverteilung. Gewendet auf die vorliegende Konstellation bedeutet dies, dass die Behörden der Zollverwaltung in den Wahlkreisbüros der Abgeordneten grundsätzlich dieselben Kontrollbefugnisse nach dem Mindestlohngesetz haben wie in anderen Arbeitsstätten. Im Nachgang zu der erwähnten Ausarbeitung wird nunmehr die ergänzende Frage aufgeworfen, wie derartige Kontrollen in den Wahlkreisbüros im Lichte der Immunität der Abgeordneten sowie des Grundsatzes der Gewaltenteilung zu beurteilen seien. Insbesondere wird um Klärung der Frage gebeten, ob vor einer Überprüfung der Einhaltung der Dokumentationspflicht nach dem Mindestlohngesetz die Immunität aufgehoben werden müsse und ob es einen Unterschied mache, ob die Überprüfung zuvor angekündigt werde oder nicht. 2. Gewährleistungsgehalt der Immunität der Abgeordneten Nach Art. 46 Abs. 2 GG darf ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, wenn er nicht bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird. Die sachliche Reichweite der Immunität ist geknüpft an den Begriff der Strafe. Diese wird verstanden als die Zufügung eines angedrohten Übels als missbilligende Reaktion der öffentlichen Gewalt auf ein vorangegangenes Verhalten.1 Hierzu zählen jedenfalls alle Kriminalstrafen nach 1 Vgl. Magiera, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 167. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 150. Ergänzungslieferung 2011), Art. 46 Rn. 86; Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 46 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 269/14 Seite 4 dem Strafgesetzbuch und dem Nebenstrafrecht sowie die Maßregeln der Besserung und Sicherung .2 Umstritten ist, ob der Immunitätsschutz auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten hindert. Im verfassungsrechtlichen Schrifttum wird dies überwiegend bejaht, da Geldbußen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht ebenfalls auf Vergeltung abzielten3 und der graduelle Unterschied zwischen Geldbußen und Kriminalstrafen keine Herausnahme aus dem Schutzbereich des Art. 46 Abs. 2 GG rechtfertigten.4 Nach der Bundestagspraxis hingegen erstreckt sich der Immunitätsschutz nicht auf die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts.5 Diese Praxis wird durch das überwiegende Schrifttum kritisiert, kann sich allerdings auf obergerichtliche Entscheidungen stützen.6 Dieselbe Rechtsauffassung liegt auch den durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz herausgegebenen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) zugrunde, nach deren Nr. 298 die Immunität der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften nicht hindert, gegen diese ein Bußgeldverfahren durchzuführen. Im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung hat der Streit letztlich keine Auswirkungen: Zwar stellt ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht nach § 17 Abs. 1 MiLoG eine Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 7 MiLoG dar. Im Zuge einer Überprüfung nach § 15 MiLoG wird ein Abgeordneter aber nicht im Sinne des Art. 46 Abs. 2 GG „zur Verantwortung gezogen“. Dieser Begriff, der den Immunitätsschutz erst auslöst, ist gleichbedeutend zu verstehen mit der in Art. 31 Reichsverfassung von 1871 und Art. 37 Weimarer Reichsverfassung gebrauchten Formulierung „zur Untersuchung gezogen“.7 Eine Untersuchung in diesem Sinne ist die Summe aller von einer Behörde vorgenommenen oder angeordneten Untersuchungsakte und Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Verdachtes der Verübung einer strafbaren Handlung zu ermitteln.8 Dies verdeutlicht, dass der Immunitätsschutz erst beginnt, wenn ein Ermittlungsverfahren gegen einen Abgeordneten eingeleitet wird, wenn er also die Stellung eines 2 Vgl. Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 46 Rn. 24. 3 Magiera, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 167. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 150. Ergänzungslieferung 2011), Art. 46 Rn. 87. 4 Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 46 Rn. 24; i.E. ebenso Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 71. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 52. Ergänzungslieferung 2008), Art. 46 Rn. 62; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 46 Rn. 26; Butzer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 22. Edition 2014, Art. 46 Rn. 13.1; a.A. hingegen aus der Literatur zum Ordnungswidrigkeitengesetz Lutz, in: Senge, OWiG, 4. Auflage 2014, Vorbemerkungen Rn. 53. 5 Vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Band 2, 29. Ergänzungslieferung 2013, § 107 GOBT Rn. 13. 6 OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2207; OLG Köln, NJW 1988, 1606. 7 Vgl. Magiera, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 167. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 150. Ergänzungslieferung 2011), Art. 46 Rn. 89. 8 So die klassische Definition des Reichsgerichts, RGSt 23, 184 (193). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 269/14 Seite 5 Beschuldigten bzw. Betroffenen bekommt.9 Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens aber hängt – im Strafverfahren ebenso wie im Bußgeldverfahren – vom Bestehen eines Anfangsverdachtes ab. Eine ordnungsbehördliche Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtungen nach dem Mindestlohngesetz hat aber präventiven Charakter und stellt kein repressives Ahndungsverfahren nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht dar. Die Überprüfung wird nicht aufgrund des Verdachts eines Rechtsbruches durchgeführt. Das bedeutet: Selbst wenn man – mit der überwiegenden Literatur entgegen der bisherigen Bundestagspraxis – den Immunitätsschutz auf Ordnungswidrigkeiten erstrecken würde, würde sich dieser im Fall der Überprüfungen nach dem Mindestlohngesetz nicht auswirken, da die Überprüfungen keinen Verfolgungscharakter haben. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Überprüfungen nach Maßgabe des Mindestlohngesetzes nach keiner Sichtweise den Immunitätsschutz nach Art. 46 Abs. 2 GG auslösen. Ebenso wenig liegt in einer Überprüfung nach dem Mindestlohngesetz eine Beschränkung der persönlichen Freiheit des Abgeordneten, die als weitere Facette der Immunität nach Art. 46 Abs. 3 GG ebenfalls von der Genehmigung des Bundestages abhängig wäre. Gemeint ist hiermit lediglich die Aufhebung oder Einschränkung der körperlich-räumlichen Bewegungsfreiheit der Abgeordneten.10 Diese wird durch die Eingriffsbefugnisse des Mindestlohngesetzes nicht tangiert. Insgesamt ist die Immunität nicht dahingehend zu verstehen, dass sie die Abgeordneten von jeglichem staatlichen Zwang freistellen würde.11 3. Gewaltenteilungsprinzip Das Prinzip der Gewaltenteilung zählt zu den tragenden Organisationsprinzipien des Grundgesetzes und verfolgt eine ausgewogene politische Machtverteilung, ein Ineinandergreifen der drei Gewalten und eine daraus resultierende Mäßigung der Staatsgewalt.12 Im Einzelnen werden dem Gewaltenteilungsprinzip diverse Funktionen und Teilbereiche zugeschrieben.13 Seine konkrete Ausgestaltung erfährt das Prinzip erst durch die einzelnen Aufgabenzuweisungs- und Organisationsnormen des Grundgesetzes.14 9 Vgl. Magiera, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 167. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 150. Ergänzungslieferung 2011), Art. 46 Rn. 92. 10 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 46 Rn. 33. 11 Vgl. Magiera, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 167. Ergänzungslieferung 2014 (Kommentierung 150. Ergänzungslieferung 2011), Art. 46 Rn. 108. 12 BVerfGE 67, 100 (130) 13 Näher Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20 Rn. 68 ff. 14 Vgl. Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 22. Edition 2014, Art. 20 Rn. 155. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 269/14 Seite 6 Dass in Wahlkreisbüros vorgenommene Überprüfungen nach Maßgabe des Mindestlohngesetzes in irgendeiner Hinsicht gegen die Aufgabenverteilung des Grundgesetzes verstoßen könnten, ist nicht ersichtlich. Es entspricht vielmehr gerade dem Regelfall des Gewaltenteilungsmodells, dass die Parlamentsgesetze von Behörden der Exekutive vollzogen werden. Daran ändert die Tatsache nichts, dass Abgeordnete auch selbst Adressaten einer zu vollziehenden gesetzlichen Regelung sein können. In der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 241/14 ist im Zusammenhang mit den Gewährleistungen des freien Mandats nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bereits dargestellt worden, dass dieses die Abgeordneten nicht von der Beachtung der Rechtsordnung entbindet.15 Es setzt einer Einflussnahme auf die Mandatsausübung zwar Grenzen; diese werden aber, wie ausgeführt, durch die Eingriffsbefugnisse nach dem Mindestlohngesetz nicht überschritten. Eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips stellt allerdings die durch Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG dem Bundestagspräsidenten übertragene Polizeigewalt dar. Denn in ihrem sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich werden dem Präsidenten des Legislativorgans exekutive Aufgaben übertragen. Wie dargestellt, erstreckt sich diese – andere Behörden ausschließende – Aufgabenzuweisung aber nicht auf die Wahlkreisbüros. 16 4. Fazit Der durch Art. 46 Abs. 2 GG gewährleistete Immunitätsschutz erstreckt sich nicht auf die Kontrolle der Einhaltung der Dokumentationspflicht der Abgeordneten nach § 17 Abs. 1 MiLoG in den Wahlkreisbüros. Die Aufhebung der Immunität ist dementsprechend nicht erforderlich. Es macht auch keinen Unterschied, ob eine Überprüfung zuvor angekündigt wird oder nicht. In der Durchführung derartiger Kontrollen durch Behörden der Zollverwaltung ist schließlich auch keine Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung zu erblicken. ( 15 Vgl. Morlok, in: Dreier, GG, Band 2, 2. Aufl. 2006, Art. 38 Rn. 147; Trute, in: von Münch/Kunig, GG, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 87; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 38 Rn. 40; Schneider, in: Denninger /Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Alternativkommentar GG, 3. Aufl. 2001, 2. Ergänzungslieferung 2002, Art. 38 Rn. 40. 16 Kontrollbefugnisse der Zollverwaltung in den Abgeordnetenbüros, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 - 3000 - 241/14), 2014, S. 8.