Deutscher Bundestag Forderungen des Ethikrates zur medizinischen Behandlung Intersexueller Gesetzgebungskompetenzen des Bundes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 269/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 269/12 Seite 2 Forderungen des Ethikrates zur medizinischen Behandlung Intersexueller Gesetzgebungskompetenzen des Bundes Verfasserin: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 269/12 Abschluss der Arbeit: 26. September 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 269/12 Seite 3 1. Einleitung In seiner Stellungnahme Intersexualität vom 23. Februar 20121 hat der Deutsche Ethikrat unter anderem Forderungen zur medizinischen Behandlung intersexueller Personen erhoben. Im Folgenden wird zunächst die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Umsetzung der einzelnen Forderungen geprüft (Punkt 2).Unter Punkt 3 werden Regelungskompetenzen außerhalb des Gesetzes aufgeführt. Eine kurze Zusammenfassung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes findet sich unter Punkt 4. Ob es für die Umsetzung der Forderungen jeweils neuer gesetzlicher Regelungen bedarf, ist nicht Gegenstand dieses Gutachtens. 2. Gesetzgebungskompetenzen bzgl. der Forderungen des Ethikrates zur medizinischen Behandlung Die Regelung der Gesetzgebungskompetenzen findet sich in Art. 70 ff. Grundgesetz (GG). Gemäß Art. 70 Abs. 1 GG steht das Recht zur Gesetzgebung den Ländern zu, soweit das Grundgesetz die Gesetzgebungsbefugnis nicht ausdrücklich dem Bund zuweist. Bezüglich der im Grundgesetz vorgenommenen Kompetenzverteilung ist grundsätzlich zwischen der ausschließlichen (Art. 73 GG) und der konkurrierenden (Art. 74 GG) Gesetzgebung zu unterscheiden. Während im Bereich der ausschließlich Gesetzgebungskompetenz des Bundes die Länder nur dann die Befugnis zur Gesetzgebung haben, wenn sie dazu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden (Art. 71 GG), haben die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit noch keinen Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). 2.1. Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich medizinischer und psychologischer Beratung, Ausbildung und Ombudsperson Der Deutsche Ethikrat macht in den Punkten 1 bis 5 seiner Empfehlungen Vorschläge für die medizinische und psychologische Beratung und Betreuung Betroffener sowie für die Aus- und Weiterbildung ärztlichen, medizinischen und therapeutischen Personals. Im Bereich des Gesundheitswesens steht dem Bund nur in einzelnen Fällen die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu. Der Bundesgesetzgeber kann gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG die Vorschriften über die Erteilung, Zurücknahme und den Verlust der Approbation regeln, der Bereich der Berufsausübung fällt jedoch in den Kompetenzbereich der Länder.2 Die „Regelungen der ärztlichen Weiterbildung nach Erteilung der Approbation und damit die gesamte Regelung des Facharztwesens“ gehören ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Länder.3 Auch im Bereich der Ausbildung der Ärzte vor der Approbation, also während des Hochschulstudiums, steht dem Bund in diesem Bereich keine Gesetzgebungskompetenz zu. 1 Deutscher Ethikrat, Stellungnahme Intersexualität, 23. Februar 2012, http://www.ethikrat.org/presse/dateien/pdf/stellungnahme-intersexualitaet.pdf [Stand: 19. September 2012]. 2 Vgl. Oeter in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 136 m.w.N. 3 BVerfGE 33, 125, 155. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 269/12 Seite 4 Ebenso bleiben für die Bildung von Kompetenzzentren und Betreuungsstellen die Länder zuständig . Eine Bundeszuständigkeit aufgrund des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG scheidet aus, da es sich bei diesen Kompetenzzentren wiederum um eine Frage der Berufsausübung handelt. Auch die weitere Alternative des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG – Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten – ist nicht einschlägig, da Intersexualität jedenfalls keine gemeingefährliche oder übertragbare Krankheit ist. Ein Rückgriff auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (die öffentliche Fürsorge) scheidet für diesen Bereich aus, da sich dem Katalog des Art. 74 GG die Entscheidung der Verfassung entnehmen lässt, dem Bund für das Gesundheitswesen nur in eingeschränktem Maße die Gesetzgebungskompetenz zuzuweisen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, 19a GG). Dies soll durch eine weite Auslegung des Begriffs der öffentlichen Fürsorge nicht unterlaufen werden.4 Ebenso verhält es sich wohl mit der unter Punkt 16 geforderten Einrichtung einer Ombudsstelle. Auch dies fällt in diesem Bereich in die Länderkompetenz. Der Bund könnte sich zur Einrichtung dieser Stelle auch nicht auf Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG berufen, da dieser die Möglichkeit zur Errichtung eigener Behörden und Anstalten des Bundes nur für solche Angelegenheit schafft, für die ihm die Gesetzgebungskompetenz zusteht. 2.2. Voraussetzungen für irreversible Maßnahmen bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Personen Der Deutsche Ethikrat gibt in den Punkten 6 bis 11 Empfehlungen für die Berücksichtigung des Kindswohls bei Entscheidungen über irreversible medizinische Maßnahmen bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Personen ab. Insbesondere sollen die Voraussetzung für eine Einwilligung in diese Maßnahmen und eine Beteiligung des Familiengerichts geregelt werden. Eine entsprechende Regelung könnte in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)5 in den Titel über die elterliche Sorge, bspw. in Anschluss an das in § 1631c BGB ausgesprochene Verbot der Sterilisation, eingeführt werden. Für den Bereich des bürgerlichen Rechts sowie der Gerichtsverfassung und des gerichtlichen Verfahrens spricht Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu. 2.3. Dokumentation und Aufbewahrung Unter Punkt 12 empfiehlt der Ethikrat die umfassende Dokumentation aller Behandlungsmaßnahmen und deren Aufbewahrung für mindestens 40 Jahre. Diese Forderungen betreffen die Berufsausübung der Ärzte sowie des weiteren medizinischen Personals und verbleibt damit grundsätzlich in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (s. unter 2.1).6 4 Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz Kommentar, 12. Auflage 2011, Art. 74 Rn. 85. 5 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Mai 2012 (BGBl. I S. 1084) geändert worden ist. 6 Siehe aber die Ausnahme unter 2.6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 269/12 Seite 5 2.4. Erstattung von Arzneimitteln Für gesetzlich Krankenversicherte richtet sich die Erstattung der Kosten von Arzneimitteln nach § 31 SGB V7 in Verbindung mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses. Zur Umsetzung der Empfehlung Nr. 13 des Deutschen Ethikrates müsste wohl unter anderem das SGB V geändert werden. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Sozialversicherung , zu der auch im Rahmen der Regelung der Finanzierung die Leistungen der Krankenversicherungen gehören8, beruht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. 2.5. Errichtung eines Hilfefonds und Förderung von Selbsthilfegruppen Ferner empfiehlt der Deutsche Ethikrat die Einrichtung eines Hilfefonds (Punkt 15) sowie die finanzielle Förderung von Selbsthilfegruppen (Punkt 17). Für die Einrichtung eines Hilfefonds könnte sich der Bund auf die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis für den Bereich der öffentlichen Fürsorge, Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG, berufen. Der Begriff der öffentlichen Fürsorge ist im Lichte des Sozialstaatsprinzips nicht beschränkt auf die klassischen Sozialleistungen, sondern umfasst auch weitere abhelfende wie auch präventive Maßnahmen. Auf diesen Kompetenztitel wurden bereits die Regelungen für die Entschädigung für die Opfer von Gewalttaten, für die Hilfe behinderter Kinder sowie der Blindenhilfe geregelt.9 Die Einrichtung eines entsprechenden Hilfefonds – bspw. durch die Einrichtung einer Stiftung – läge also im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Sie wäre wohl auch im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich, um bundesweit gleichwertige Lebensverhältnisse bei den betroffenen Opfern herzustellen. Gemäß Art. 104a Abs. 3 GG kann der Bund in diesem Gesetz auch regeln, die ausgezahlten Leistungen teilweise oder vollständig zu übernehmen.10 Auf diesen Kompetenztitel könnte ferner die Förderung von Selbsthilfegruppen auf Grundlage eines Bundesgesetzes mit Bundesmitteln gestützt werden. Allerdings zeichnen sich diese Gruppen durch ihre dezentrale Organisation aus, so dass eine bundeseinheitliche Regelung wohl nicht zwingend erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG wäre. 2.6. Begleitende Forschung und Einrichtung einer Datenbank Der Deutsche Ethikrat fordert in seiner Empfehlung Nr. 18 eine begleitende Forschung sowie die Einrichtung einer europaweiten anonymisierten Datenbank für Forschungszwecke. Der Bund hat gemäß Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 13 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auch auf dem Gebiet der Förderung der wissenschaftlichen Forschung; diese Kompetenz umfasst 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1613) geändert worden ist. 8 Vgl. Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz Kommentar, 12. Auflage 2011, Art. 74 Rn. 159. 9 Nachweise im Einzelnen bei Oeter in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 59. 10 Vgl. zum „Hilfswerk für behinderte Kinder“ für Contergan-geschädigte Kinder, der auf derselben Kompetenzgrundlage erlassen wurde, BVerfGE 42, 263, 282. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 269/12 Seite 6 sowohl die personen-(Graduiertenförderung) wie die projekt- oder einrichtungsbezogene Förderung .11 Im vorliegenden Fall wäre die projektbezogene Förderung wissenschaftlicher Forschung als Begleitforschung einschlägig. Gemäß Art. 72 Abs. 2 GG besteht die Kompetenz des Bundes jedoch nur, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundeseinheitliche Regelung erfordert. Für die bundeseinheitliche Förderung der wissenschaftlichen Forschung könnte geltend gemacht werden, dass sich insbesondere angesichts der wohl nur geringen Fallzahlen und der Notwendigkeit der Vergleichbarkeit der Studien ein bundesweit einheitliches Vorgehen anbietet. Für die finanzielle Beteiligung des Bundes an dieser Forschung kommt der Abschluss einer Vereinbarung des Bundes mit den Ländern auf Grundlage des Art. 91b Abs. 1 Nr. 1 und 2 GG in Betracht . Vereinbart werden könnte entweder die Zusammenarbeit für die behandlungsbegleitende wissenschaftliche Forschung außerhalb (Nr. 1) oder innerhalb einer Hochschule. Im übrigen wären die Länder zur Finanzierung entsprechender Forschung zuständig. Der Deutsche Ethikrat fordert ferner die Einrichtung einer europaweiten anonymisierten Datenbank für Forschungszwecke (Punkt 18). Für die Einrichtung einer entsprechenden Datenbank besteht keine Bundeskompetenz; Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG, der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Statistik für Bundeszwecke verleiht, ist nicht einschlägig, weil die Begleitforschung grundsätzlich Sache der Länder ist, die Statistik also keinem Bundeszweck dient. Die Datenbank könnte damit auf ländergesetzlicher Grundlage eingerichtet werden; allerdings könnte in das Bundesgesetz zur Förderung der entsprechenden Forschung im Rahmen einer Annexkompetenz des Bundes Anforderungen an die Dokumentation der Forschung sowie die Einrichtung einer Datenbank aufgenommen werden. 3. Regelungskompetenzen außerhalb der Gesetzgebung Teile des Berufsrechts der Ärzte sowie deren Fortbildungen werden durch die Berufs- sowie die Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer als Spitzenorganisation der ärztlichen Selbstverwaltung geregelt. Entsprechendes findet sich bei der Bundespsychotherapeutenkammer. Ferner werden in den Leitlinien der Fachgesellschaften, die unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erarbeitet werden, Empfehlungen zur Behandlung auch zum Thema „Störung der Geschlechtsentwicklung“ abgegeben , in denen die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates aufgenommen werden könnten. Diese Leitlinien sind allerdings nicht bindend. 4. Ergebnis Dem Bund steht die Gesetzgebungskompetenz für die im BGB zu verankernden Regelungen für die Einwilligung in irreversible operative Maßnahmen bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Personen (Punkte 6 bis 11 der Empfehlung), hinsichtlich der Erstattungsregelungen für die 11 Oeter in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 109. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 269/12 Seite 7 Kosten von Arzneimitteln nach SGB V sowie für die Errichtung eines Hilfefonds zu. Ferner könnte der Bund gesetzliche Vorgaben für die Förderung der begleitenden Forschung im Bereich der Behandlung Intersexueller machen (Empfehlung Nr. 18), diese aber nur auf Grundlage einer Vereinbarung mit den Ländern gemäß Art. 91b Abs. 1 Nr. 1 und 2 GG gemeinsam mit diesen finanzieren . Soweit ein Bundesgesetz die Voraussetzungen für die Förderung bestimmter Forschungsvorhaben regelt, könnten hierin auch Anforderungen an die Dokumentation der Forschung sowie die Einrichtung einer Datenbank aufgenommen werden.