Rechte der Bundestagsabgeordneten gegenüber Behörden des Bundes und der Länder Rechte auf Zugang zu Inhaftierten und bei Versammlungen - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 269/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Rechte der Bundestagsabgeordneten gegenüber Behörden des Bundes und der Länder Rechte auf Zugang zu Inhaftierten und bei Versammlungen Ausarbeitung WD 3 - 269/07 Abschluss der Arbeit: 14.08.2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Die Rechte und Pflichten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages gegenüber Dritten ergeben sich im Wesentlichen aus dem Grundgesetz und dem Abgeordnetengesetz . Der Abgeordnetenausweis begründet demgegenüber keine zusätzlichen Rechte. Aus dem Grundgesetz folgt ein allgemeines Verbot der Behinderung bei der Mandatsausübung . Davon werden aber nur solche Rechtsvorschriften und Verhaltensweisen erfasst, die objektiv geeignet sind, die Tätigkeit der Abgeordneten zu beeinträchtigen. Das Bundesverfassungsgericht schränkt das Verbot zusätzlich ein, indem es auf eine Behinderungsabsicht abstellt. Normen und Maßnahmen der staatlichen Gewalt, von denen Abgeordnete nur zufällig betroffen sind und die in erster Linie andere, legitime Zwecke verfolgen, stellen zulässige sozialadäquate Behinderungen dar. Dazu zählen u.a. die Vorschriften über den Zugang zu Gefangenen und die Vorschriften des Versammlungs - und Polizeirechts. Im Zusammenhang mit dem Zugang zu Gefangenen können die Abgeordneten des Deutschen Bundestages grundsätzlich keine besonderen Rechte in Anspruch nehmen. Eine Ausnahme gilt in den Bundesländern, die durch Ministerialerlasse allen Abgeordneten zur Wahrnehmung ihres Mandats ungehinderten Zugang zu den Justizvollzugsanstalten gewähren. Auch im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen bei Versammlungen können Abgeordnete in der Rolle von Teilnehmern keine besonderen Rechte geltend machen. Etwas anderes gilt aufgrund des versammlungsrechtlichen Kooperationsprinzips nur, wenn sie als Versammlungsleiter auftreten. In diesem Fall können sie bereits im Vorfeld von Großveranstaltungen verlangen, dass die Sicherheitsbehörden mit ihnen zusammenarbeiten . Die Eigenschaft als Mandatsträger ist dabei aber unerheblich. Wird der Abgeordnete Adressat freiheitsbeschränkender Maßnahmen durch die Polizei, etwa in Form eines so genannten Polizeikessels, so muss er nach seiner Identifikation auf Verlangen herausgelassen werden. Umgekehrt besteht aber kein Anspruch in den Kessel hineingelassen zu werden. - Inhalt - 1. Einleitung und Untersuchungsgegenstand 4 2. Vorgaben zur Rechtsstellung von Abgeordneten 4 2.1. Rechtliche Vorgaben für Abgeordnete des Deutschen Bundestages 4 2.2. Regelungsgehalt des Abgeordnetenausweises 5 3. Zur Reichweite des Behinderungsverbots, Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG 6 3.1. Absichtsformel des Bundesverfassungsgerichts 6 3.2. Kritik des Schrifttums an der Absichtsformel 7 3.3. Stellungnahme 7 4. Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Mandats 8 4.1. Zugang zu inhaftierten Personen 8 4.1.1. Strafvollzug und Untersuchungshaft 8 4.1.1.1. Dienstliche Besuche 8 4.1.1.2. Private Besuche 10 4.1.2. Maßregelvollzug 10 4.1.3. Polizeigewahrsam 11 4.2. Zugangsrechte und Informationsansprüche bei Versammlungen 11 4.2.1. Abgeordnete als Versammlungsteilnehmer oder Gastredner 11 4.2.2. Abgeordnete als Versammlungsleiter 11 4.2.3. Abgeordnete im so genannten Polizeikessel 13 - 4 - 1. Einleitung und Untersuchungsgegenstand Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Sie dürfen bei Übernahme und Ausübung ihres Amtes durch niemanden gehindert werden. So lauten die Vorgaben in Art. 38 Abs. 1 S. 2 und Art. 48 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes zur Rechtsstellung der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Im Folgenden wird untersucht, - welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus für das Verhältnis der Abgeordneten gegenüber der öffentlichen Verwaltung ergeben und welchen Gehalt der Aufdruck auf der Rückseite des Abgeordnetenausweises aufweist, - ob die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aufgrund ihres Mandats berechtigt sind, Zugang zu Personen zu verlangen, die sich im Strafvollzug, in Untersuchungshaft oder im Polizeigewahrsam befinden und inwieweit die zuständigen Behörden berechtigt sind, den Zutritt zu verweigern, - ob die Abgeordneten des Deutschen Bundestages berechtigt sind, bei Demonstrationen und Versammlungen durch Polizeiabsperrungen etc. durchgelassen zu werden , - ob es dabei von rechtlicher Bedeutung ist, wenn Abgeordnete als Leiter und Anmelder einer Versammlung oder als Gastredner auftreten und - ob die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in diesem Zusammenhang Gespräche mit dem verantwortlichen Einsatzleiter der Polizei bzw. allgemein Auskunft über geplante polizeiliche Maßnahmen verlangen können. 2. Vorgaben zur Rechtsstellung von Abgeordneten 2.1. Rechtliche Vorgaben für Abgeordnete des Deutschen Bundestages Das Grundgesetz umschreibt die Rechtsstellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages nur allgemein. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG unterstreicht die Freiheit des Mandats und stellt klar, dass die Abgeordneten nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sind. Nach Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG dürfen sie nicht an der Übernahme und Ausübung ihres Mandats gehindert werden1. Nach § 2 Abs. 1 AbgG darf niemand gehindert werden, sich um ein Mandat im Bundestag zu bewerben, es anzunehmen oder auszuüben. Dieses Verbot bindet die öffentliche Gewalt, gilt aber auch für Private. So sind Kündigungen aus Anlass der Mandatsübernahme oder -ausübung unzulässig, Art. 48 Abs. 2 S. 2 GG. 1 Eingehend dazu Feuchte, Zur Geschichte und Auslegung des Behinderungsverbots in Art. 48 Abs. 2 des Grundgesetzes, AöR 111 (1986), 325. - 5 - Abgesehen von diesem Grundsatz, finden sich weder im Grundgesetz noch im Abgeordnetengesetz konkrete Aussagen über die Rechtsstellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Auch die Verfassungen der Bundesländer enthalten kaum weitergehende Bestimmungen in Bezug auf die Landtagsabgeordneten. Ausnahmen gibt es in der Brandenburger Landesverfassung und im Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses: Nach Art. 56 Abs. 3 der Landesverfassung Brandenburg (VerfBra) ist den Abgeordneten Zugang zu den Behörden und Dienststellen des Landes zu gewähren. Ihnen sind auf Verlangen Auskünfte auch aus Dateien zu erteilen sowie Akten und sonstige amtliche Unterlagen vorzulegen. Das Verlangen ist an die Landesregierung bzw. den Landesrechnungshof zu richten. Die Vorlage der Akten bzw. der sonstigen amtlichen Unterlagen hat unverzüglich und vollständig zu erfolgen. Dieser verfassungsrechtliche Informationsanspruch wird im Landesabgeordnetengesetz Brandenburg2 aber nicht weiter konkretisiert. Auf Bundesebene bestimmt § 1 des Gesetzes über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages ähnlich: „Zur Vorbereitung von Beschlüssen über Beschwerden nach Artikel 17 des Grundgesetzes haben die Bundesregierung und die Behörden des Bundes dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages Akten vorzulegen, Auskunft zu erteilen und Zutritt zu ihren Einrichtungen zu gestatten.“ Weitere vergleichbare Regelungen finden sich weder auf Bundesebene noch in anderen Landesverfassungen. Die Untersuchung der Rechtsstellung der Bundestagsabgeordneten orientiert sich deshalb an der Reichweite des Behinderungsverbots des Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. § 2 Abs. 1 AbgG und dem jeweils maßgeblichen Fachrecht. 2.2. Regelungsgehalt des Abgeordnetenausweises Der Abgeordnetenausweis enthält auf der Rückseite folgenden Aufdruck: „Die Behörden und Dienststellen des Bundes und der Länder, insbesondere alle Polizeibehörden, werden gebeten, den/die Inhaber/in dieses Ausweises bei der Ausübung seines/ihres Mandats als Bundestagsabgeordnete(r) zu unterstützen, ihm/ihr bei Absperrung ungehinderten Durchlass zu gewähren und ihm/ihr gegebenenfalls Schutz und Hilfe zuteil werden zu lassen.“ Dieser Aufdruck hat lediglich appellativen Charakter und stellt keine Erweiterung der Rechte des Abgeordneten dar. Die rechtliche Funktion des Ausweises beschränkt 2 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtages Brandenburg (Abgeordnetengesetz - AbgG), Gesetz v. 18.01.2002 (GVBl. S. 2), zuletzt geändert durch Gesetz v. 09.11.2006 (GVBl. S. 126). - 6 - sich auf die Identifikation seines Inhabers. Der Aufdruck verleiht dem Verlangen des Abgeordneten zusätzlichen Nachdruck und kann in Konfliktsituationen die Mandatswahrnehmung erleichtern. Eine rechtliche Pflicht zur Kooperation oder auf Zugang zu bestimmten Personen oder Orten wird dadurch nicht begründet. Der Ausweis dient nicht der Begründung von Ansprüchen gegenüber Dritten. Dies bestätigt auch die Formulierung „werden gebeten“. 3. Zur Reichweite des Behinderungsverbots, Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG 3.1. Absichtsformel des Bundesverfassungsgerichts Mit dem Behinderungsverbot des Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG hat sich u.a. der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem Beschluss aus dem Jahre 1976 beschäftigt3. Dieser Entscheidung zufolge sei nicht bereits jede Einschränkung in der Mandatswahrnehmung nach Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG untersagt, gleich ob sie ihre Grundlage im Rechtskreis der staatlichen Ordnung oder außerhalb habe4. Ebenso wenig verbiete die Vorschrift sozialadäquate Behinderungen5. Auch aus dem Wortlaut des Verfassungstextes folge, dass nur unmittelbare Auswirkungen von Regelungen von dem Behinderungsverbot erfasst werden. Lediglich das transitive „Hindern“, Verhindern, Erschweren der Übernahme und Ausübung des Mandats sei verboten. Dagegen liege keine verfassungsrechtlich verbotene Behinderung vor, wenn die betreffende Handlung in eine ganz andere Richtung ziele und nur unvermeidlicherweise mandatsbeeinträchtigend wirke. Von diesem Standpunkt aus kommt der Senat zu dem Schluss, dass nur die absichtliche Behinderung von Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG erfasst sei. Damit wandte sich das Bundesverfassungsgericht gegen eine frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs, nach der bereits jedes Androhen oder Inaussichtstellen irgendwelcher Nachteile, seien sie wirtschaftlicher, beruflicher, gesellschaftlicher oder sonstiger Art, genüge6. Es kommt nach der sogenannten Absichtsformel der Karlsruher Richter vielmehr darauf an, dass das beanstandete Verhalten zielgerichtet auf eine Behinderung des Abgeordneten angelegt ist. Dieser restriktiven Auslegung haben sich später auch der Bundesgerichtshof7 und das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen8. 3 BVerfGE 42, 312 ff. 4 BVerfGE 42, 312 (327 f.). 5 BVerfGE 42, 312 (329). 6 So noch BGHZ 43, 384. 7 BGHZ 94, 248 (251); ablehnend Kühne, Kündigung freiberuflich beschäftigter Mandatsbewerber, ZParl 1986, 347 (357). 8 BVerwGE 73, 263 (282); BVerwGE 76, 157 (170) und BVerwGE 86, 99 (118). - 7 - 3.2. Kritik des Schrifttums an der Absichtsformel Im Schrifttum ist diese Auslegung auf Zustimmung9, aber auch auf Widerspruch gestoßen . So wird argumentiert, dass weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck des Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG Anlass zu einer so einschränkenden Lesart biete10. Auch bestehe die Gefahr, dass der Schutz des Art. 48 Abs. 2 GG praktisch leer laufe11. Anstelle des Motivs des Handelnden müsse vielmehr der objektive Schutz der Abgeordnetentätigkeit im Vordergrund stehen12. Dies folge auch aus der Formulierung des Satz 2, der eine Kündigung oder Entlassung „aus diesem Grunde“, also „wegen“ der Übernahme bzw. Ausübung des Mandats verbietet. Dies müsse dann auch für das allgemeinere Behinderungsverbot in Satz 1 gelten13. Eine Handlung sei – unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG – daher dann keine Behinderung, wenn ihre Geeignetheit und Notwendigkeit begründet werden kann, ohne dass auf die Ausübung des Mandats abgestellt wird14. 3.3. Stellungnahme Für den Untersuchungsgegenstand kann die Frage offen bleiben, ob es tatsächlich auf die Motive des Dritten ankommt oder ob es genügt, wenn die beeinträchtigende Handlung objektiv geeignet ist, die Mandatswahrnehmung zu behindern. Nach beiden Ansichten sind jedenfalls solche Beeinträchtigungen nicht von Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG erfasst , die in erster Linie anderen, legitimen Zwecken dienen, die außerhalb des Parlamentsrechts liegen15. Die Behinderung der Mandatswahrnehmung ist dann nur zufällige Nebenfolge. Dazu zählen u.a. die gesetzlichen Bestimmungen des Strafvollzugsrechts und des Versammlungs- und Polizeirechts. Soweit in diesen Bereichen staatliche Maßnahmen die Tätigkeit von Abgeordneten des Deutschen Bundestages beeinträchtigen, handelt es sich um sozialadäquate Beeinträchtigungen. Aus der Eigenschaft als Ab- 9 Spoerhase, Probleme des grundgesetzlichen Verbots der Abgeordnetenbehinderung (Artikel 48, Absatz 1 und 2 GG), Dissertation, Universität Saarbrücken, 1980, S. 102 f.; Jekewitz, Freiheitsentzug und Abgeordnetenmandat, GA 1981, 433 (441); Feuchte, Zur Geschichte und Auslegung des Behinderungsverbots in Art. 48 Abs. 2 des Grundgesetzes, AöR 111 (1986), 325 ff. und Medding, Das Verbot der Abgeordnetenbehinderung, DÖV 1991, 494 (498 f.). 10 von Arnim, in: BK, Zweitbearbeitung 1980, Art. 48 Rdnr. 38. 11 Schneider, in: AK-GG, 3. A., Stand: August 2002, Art. 48 Rdnr. 6. 12 Kühne, Kündigung freiberuflich beschäftigter Mandatsbewerber, ZParl 1986, 347 (357). 13 So Pieroth/Roth, Das Verbot von Zuwendungen an Mitglieder des Landtags gem. § 16 Abs. 1 AbgG NRW, Münster 2006, S. 13; a.A. Medding, Das Verbot der Abgeordnetenbehinderung, DÖV 1991, 494 (498 f.), der darin einen Hinweis auf die Finalität der relevanten Behinderungen erblickt und Braun/Jantsch/Klante, Abgeordnetengesetz, Berlin 2002, § 2 Rdnr. 17, S. 33. 14 Pieroth/Roth, Das Verbot von Zuwendungen an Mitglieder des Landtags gem. § 16 Abs. 1 AbgG NRW, Münster 2006, S. 13; Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. IV, Stand: Juni 1998, Art. 48 Rdnr. 87 sowie Braun/Jantsch/Klante, Abgeordnetengesetz, Berlin 2002, § 2 Rdnr. 17, S. 34, die auf einen mandatsfeindlichen Bezug abstellen. 15 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 2, 5. A., 2005, Art. 48 Abs. 2 Rdnr. 28. - 8 - geordneter folgen insoweit keine besonderen Abwehrrechte oder Leistungsansprüche gegenüber den Anstalts- bzw. Einsatzleitern. Verboten ist nur solches staatliche Handeln, das objektiv auf die Behinderung von Abgeordneten ausgerichtet ist bzw. – nach der engeren Auslegung – mit der Absicht der Behinderung von Abgeordneten vorgenommen wird. 4. Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Mandats Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf die Behinderung der Mandatswahrnehmung existieren nur für den Bereich des Arbeits- und Dienstrechts. Im Zusammenhang mit dem Zugang zu Inhaftierten oder bei Versammlungen liegen – soweit ersichtlich – keine wissenschaftlichen Stellungnahmen vor. Die Rechtsstellung von Abgeordneten bei Entscheidungen und Maßnahmen von Anstalts- bzw. Einsatzleitung sind daher anhand des jeweiligen Fachrechts zu beurteilen. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von der Rechtsstellung anderer Betroffener, da nur in Extremfällen eine nach Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG und § 2 Abs. 1 AbgG verbotene Behinderung in Betracht kommt. 4.1. Zugang zu inhaftierten Personen Die Regelungen des Strafvollzugesgesetzes und der Maßregelvollzugsgesetze der Länder über den Besuch von Gefangenen stellen sozialadäquate Behinderungen i.S.d. Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG dar. Sie dienen vor allem der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten. 4.1.1. Strafvollzug und Untersuchungshaft Beim Zugang zu Inhaftierten im Strafvollzug bzw. in der Untersuchungshaft ist zwischen dienstlichen Besuchen und privaten Besuchen zu unterscheiden. Abgeordnete werden regelmäßig ein besonderes mandatsbezogenes Interesse an einem Gespräch mit dem Gefangenen haben. Darüber hinaus ist aber auch denkbar, dass der Inhaftierte zu dem Mandatsträger ein besonderes persönliches Verhältnis hat. 4.1.1.1. Dienstliche Besuche Dienstliche Besuche – etwa von Mitgliedern eines Petitionsausschusses oder anderen Abgeordneten – werden durch das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) nicht geregelt16. Sie setzen das Einverständnis des Gefangenen voraus17 und finden zusätzlich zu den persönlichen Besuchen statt, auf die jeder Gefangene einen Anspruch hat. Aus der Ei- 16 OLG Hamm, Beschluss vom 13.07.1978 - 1 Vollz (Ws) 33/78 - (juris) = MDR 1979, 428 (nur Leitsätze ). 17 Joester/Wegner, in: AK-StVollzG, 5. A., 2006, § 24 Rdnr. 2. - 9 - genschaft als Mitglied des Parlaments folgt für den Abgeordneten in diesem Bereich kein Anspruch auf Zugangsgewährung18. Vielmehr sind die Landesjustizverwaltungen berechtigt, solche Besuche durch Verwaltungsanordnung einheitlich zu regeln19. Nach Nr. 2 der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift zu § 151 StVollzG können die Landesjustizverwaltungen den Besuch von Anstalten durch anstaltsfremde Personen regeln. Entsprechende Vorschriften für Besuche von Abgeordneten sind zum Beispiel in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen20 in Form von Ministerialerlassen ergangen. Dort hat der Abgeordnete grundsätzlich ein Recht auf eine positive Entscheidung über seinen Antrag. In den Bundesländern, die keine entsprechenden Regelungen getroffen haben und in denen auch keine vergleichbare Verwaltungspraxis besteht, ergeht die Entscheidung nach Ermessen. Insoweit besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Besuchserlaubnis. Der Antragsteller kann die ablehnende Entscheidung aber auf Ermessensfehler hin überprüfen lassen. Dazu kann er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG stellen21. Diese Rechtslage ist vergleichbar mit der in den meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Aus diesem Grunde hat sich das Europäische Parlament in der Vergangenheit an die Kommission mit der Forderung gewandt, allen Mitgliedern des Parlaments ein unionsweites Hospitationsrecht in den Strafvollzugsanstalten der Mitgliedstaaten einzuräumen22. Bislang besteht ein solches Recht nur für die Abgeordneten der nationalen Parlamente in Frankreich, Italien und Polen23. Im Bundestag ist der Vorschlag des Europäischen Parlaments an die Ausschüsse zur Beratung überwiesen worden 24. 18 Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. A., § 24 Rdnr. 6; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. A., 2005, § 23 Rdnr. 6. 19 Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. A., 2005, § 23 Rdnr. 6. 20 Vgl. z.B. die Rechtsverordnung des Justizministers NRW vom 17.04.1985 (4438 - IV A.5): 1.1 Der Erlaubnis zum Besuch einer Justizvollzugsanstalt bedürfen nicht … 1.1.2 der Petitionsausschuss und seine Mitglieder sowie Beamte der Landtagsverwaltung in Wahrnehmung der Befugnisse nach Artikel 41 a LV NW … 1.2 Im Übrigen bedarf der Besuch der Justizvollzugsanstalt der Erlaubnis. Diese ist nur dann zu erteilen, wenn ein berufliches oder anderweitiges sachliches Interesse dargetan ist. Ein solches ist insbesondere anzunehmen bei … 1.2.1 Mitgliedern von gesetzgebenden Körperschaften, … 21 OLG Hamm, NJW 1977, 1164 = MDR 1977, 690; BGH, NJW 1977, 1405 (Untersuchungshaft). 22 Zuletzt Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zu den Rechten der Häftlinge in der Europäischen Union (2003/2188(INI)) und Bericht Turco (A5-0094/2004) vom 24.02.2004. 23 Bericht des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten (Turco) vom 24.02.2004, A5-0094/2004, S. 15. 24 Vgl. BT-Drs. 15/3266 vom 02.06.2004. - 10 - 4.1.1.2. Private Besuche Im Übrigen ist der Besuch von Gefangenen in den §§ 23 ff. StVollzG geregelt. Diese Vorschriften finden auf Gefangene im Strafvollzug25 und Untersuchungshaft Anwendung . Nach § 23 StVollzG hat der Gefangene das Recht, mit Personen außerhalb der Anstalt im Rahmen der Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes zu verkehren. Die Anstaltsleitung trifft zudem die Pflicht zur Förderung solcher Kontakte. Soweit der Gefangene den Besuch wünscht, ist der Besucher von dem Anstaltsleiter grundsätzlich zuzulassen26. Insoweit besteht auch ein Anspruch auf Erteilung einer Besuchserlaubnis27. Der Gefangene kann den Besuch aber auch ablehnen28. Gemäß § 25 Nr. 1 StVollzG kann der Anstaltsleiter Besuche jedoch untersagen, wenn dadurch die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gefährdet wird. Bei nicht mit dem Gefangenen verwandten Personen kann der Besuch nach § 25 Nr. 2 StVollzG ferner untersagt werden, wenn zu befürchten ist, dass der Besucher schädlichen Einfluss auf den Gefangenen hat oder dessen Eingliederung behindert. Auch insoweit kann der abgewiesene Besucher nach § 109 StVollzG einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen. 4.1.2. Maßregelvollzug Im Bereich des Maßregelvollzugs stellt sich die Rechtslage ähnlich dar. Hier befinden sich die einschlägigen Regelungen in den entsprechenden Landesgesetzen29. Danach haben Patienten, Ehepartner und Verwandte einen Anspruch auf Besuch30. Dritte, die den Patienten aus beruflichen oder dienstlichen Gründen besuchen wollen, bedürfen einer Erlaubnis durch die Krankenhausleitung31. Das gilt auch für Abgeordnete, die den Patienten im Rahmen der Wahrnehmung ihres Mandats besuchen möchten. Für ablehnende Entscheidungen sehen einige Landesgesetze besondere Dokumentations- und 25 Mit Urteil vom 31.05.2006 - 2 BvR 1673/04 - und - 2 BvR 2402/04 - hat das Bundesverfassungsgericht eine gesonderte Regelung für den Jugendstrafvollzug angemahnt und die gegenwärtige Rechtslage nur noch bis Ende 2007 für verfassungsgemäß erklärt, vgl. BVerfGE 116, 69 ff. Insbesondere müssten die Besuchsmöglichkeiten für familiäre Kontakte gegenüber dem Erwachsenenstrafvollzug um ein Mehrfaches erhöht angesetzt werden. Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzuges des Bundesministeriums des Innern vom 07.06.2006 (GJVollz) sieht in § 21 Abs. 2 GJVollz nunmehr mindestens vier Stunden statt einer Stunde im Monat vor und verweist i.Ü. auf die §§ 23 bis 33 StVollzG. 26 Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. A., § 24 Rdnr. 4. 27 Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. A., § 24 Rdnr. 5. 28 Nr. 1 der VV zu § 24 StVollzG. 29 Baden-Württemberg: § 9; Bayern: Art. 15; Berlin: § 33, Brandenburg: § 23, Bremen: § 28, Hamburg : § 13, Hessen: §§ 17 - 19; Mecklenburg-Vorpommern: § 26, 40 Abs. 2; Niedersachsen: § 20; Nordrhein-Westfalen: § 9 Abs. 1 - 3; Rheinland-Pfalz: § 16; Saarland: § 15 Abs. 1 - 3; Sachsen: § 25; Sachsen-Anhalt: § 19, Schleswig-Holstein: §§ 13, 9; Thüringen: § 17. 30 Lesting, in: Kammeier (Hrsg.), Maßregelvollzugsrecht, 2. A., 2002, S. 260, G 30 f. 31 So wohl auch Lesting, in: Kammeier (Hrsg.), Maßregelvollzugsrecht, 2. A., 2002, S. 255 ff., G 18 ff. - 11 - Begründungspflichten vor32. In jedem Falle besteht auch hier die Möglichkeit, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen. 4.1.3. Polizeigewahrsam Im Bereich des präventivpolizeilichen Gewahrsams existieren in den Landespolizeigesetzen keine Regelungen über den Besuch. Der Grund dafür liegt in der kurzen Spanne dieser Form des Freiheitsentzuges. Die meisten Landespolizeigesetze ordnen an, dass der Gewahrsam nach spätestens 48 Stunden zu beenden ist. 4.2. Zugangsrechte und Informationsansprüche bei Versammlungen Auch polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Versammlungen stellen grundsätzlich sozialadäquate Behinderungen i.S.d. Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG dar. Weder das Versammlungsgesetz (VersammlG)33 noch die Landespolizeigesetze bezwecken eine Behinderung bei der Mandatswahrnehmung. Sie dienen in erster Linie der ordnungsgemäßen Durchführung der Versammlung und dem Schutz ihrer Teilnehmer. 4.2.1. Abgeordnete als Versammlungsteilnehmer oder Gastredner Nehmen Abgeordnete an öffentlichen Versammlungen als Teilnehmer oder Gastredner teil, so sind sie an die Entscheidungen und Maßnahmen der Polizeieinsatzleitung gebunden . Aus ihrer Stellung als Mandatsträger können sie keine besonderen Zugangsund Informationsansprüche geltend machen. Aus dem Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes (Bef- BezG)34 folgt nichts anderes35. Es dient der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verfassungsorgane des Bundes, indem physische und psychische Einwirkungen auf ihre Mitglieder eingeschränkt werden. Dabei werden den Abgeordneten des Deutschen Bundestages in der Eigenschaft als Teilnehmer solcher Versammlungen keine besonderen Teilhaberechte eingeräumt. 4.2.2. Abgeordnete als Versammlungsleiter Anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn Abgeordnete als Versammlungsleiter auftreten. Dabei ist das Abgeordnetenmandat aber unerheblich. Der Leiter ist während 32 Brandenburg: § 23 Abs. 2; Bremen: § 20 Abs. 2; Hamburg: § 37 Abs. 1; Mecklenburg- Vorpommern: § 44 Abs. 1; Nordrhein-Westfalen: § 20 Abs. 1; Saarland: § 21; Sachsen: § 33; Schleswig-Holstein: § 14. 33 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24.7.1953, BGBl. I 684, i.d.F. der Bekanntmachung vom 15.11.1978, BGBl. I S. 1789, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 24.03.2005, BGBl. I S. 969. 34 Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes (BefBezG) vom 11.08.1999, BGBl. I S. 1818, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20.06.2003, BGBl. I S. 864. 35 Kritisch dazu Werner, Das neue Bannmeilengesetz der „Berliner Republik“, NVwZ 2000, 369 ff. - 12 - der Versammlung für die Einhaltung der Ordnung verantwortlich, § 8 und 19 Abs. 1 VersammlG. Die Teilnehmer der Versammlung sind verpflichtet ihren Anweisungen zu folgen, § 10 und 19 Abs. 2 VersammlG. Werden Polizeibeamte in die Versammlung entsandt, haben sie sich dem Leiter zu erkennen geben, § 12 VersammlG36. Namentlich für Großdemonstrationen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass im Vorfeld solcher Ereignisse eine vertrauensvolle Kooperation zwischen Veranstalter bzw. Leiter und Sicherheitsbehörden zu einer friedlichen Durchführung beitragen könne37. Mit dem Bestreben nach einer Effektuierung von Freiheitsrechten sei dabei die Forderung an die staatlichen Behörden verbunden, entsprechend versammlungsfreundlich zu verfahren. Je mehr die Veranstalter zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu demonstrationsfreundlicher Kooperation bereit sind, desto höher rücke die Schwelle für ein behördliches Eingreifen38. Diese Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Kooperation während der Vorbereitungsphase können sinngemäß auf die Durchführungsphase übertragen werden39. Zur Kooperation gehört dann, dass die Polizei übermäßige Reaktionen während der Demonstration vermeidet, sich besonnen zurückhält und ggfs. sogar polizeifreie Räume zulässt. Im Gegenzug müssen Veranstalter und Versammlungsleiter auf die Teilnehmer einwirken, friedlich zu bleiben, zur Isolierung von Gewalttätern beitragen und mit den Einsatzkräften der Polizei aktiv zusammenarbeiten40. Insbesondere müssen Informationen ausgetauscht werden, um Fehleinschätzungen zu vermeiden41. Dies kann durch Bereitstellen von Ansprechpartnern und Verbindungsbeamten erfolgen42. Zwar besteht für den Veranstalter bzw. Leiter keine Rechtspflicht zu einer solchen Kooperation 43. Auf ein entsprechendes Angebot muss die Einsatzleitung nach dem Grund- 36 Umfassend zum Rechtsverhältnis zwischen Veranstalter und Sicherheitsbehörden Huber, Der Veranstalter einer Versammlung im Rechtskreis der Exekutive, Dissertation, Universität München 1991. 37 BVerfG, NJW 1985, 2395 (2398) – Brokdorf. 38 BVerfG, NJW 1985, 2395 (2399), zustimmend Hölscheidt, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach dem Brokdorf-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, DVBl. 1987, 666 (671). 39 So auch Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. A., München 2001, VersG, § 14 Rdnr. 6. 40 Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. A., München 2001, VersG, § 14 Rdnr. 6. 41 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. A., § 14 Rdnr. 32. 42 Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger/Rachor (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. A., München 2007, J. Versammlungsrecht, S. 1085, Rdnr. 280. 43 So explizit BVerfG, NJW 2001, 2078 (2079); a.A. Huber, Der Veranstalter einer Versammlung im Rechtskreis der Exekutive, München 1991, S. 132 f.; für eine mögliche Einführung de lege ferenda Buschmann, Kooperationspflichten im Versammlungsrecht, Dissertation, Universität Kiel 1990, S. 93. - 13 - gedanken des Kooperationsprinzips aber eingehen. Dies gilt zumindest im Vorfeld konkreter Konfliktsituationen. Ist es bereits zu Ausschreitungen gekommen, dann sind die Einsatzkräfte zu sofortigem Einschreiten berechtigt. Ihren Anweisungen haben alle Anwesenden Folge zu leisten. Sobald die Polizei die Versammlung gem. § 13 Abs. 1 S. 2 VersammlG unterbricht, ist auch der Versammlungsleiter an diese Verfügung gebunden44. Für den Zeitraum der Unterbrechung ruhen seine Ordnungsrechte. Dies gilt auch für den Bundestagsabgeordneten als Versammlungsleiter. 4.2.3. Abgeordnete im so genannten Polizeikessel Besondere Rechte kann der Abgeordnete aber dann in Anspruch nehmen, wenn er als Adressat einer Polizeimaßnahme in seiner persönlichen Bewegungsfreiheit betroffen ist. Dies gilt vor allem für freiheitsbeschränkende Maßnahmen in Form des so genannten Polizeikessels. Eine solche Umzingelung der Demonstranten stellt einen Freiheitsentzug i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG dar45. Für freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Abgeordneten sind die Vorschriften zur Immunität zu beachten. Nach Art. 46 Abs. 3 GG bedürfen sie der vorherigen Genehmigung durch den Bundestag, die in der Regel nicht vorliegen wird46. Ist daher der Abgeordnete als solcher erkennbar bzw. kann er sich entsprechend ausweisen, so muss er daher aus dem Kessel herausgelassen werden. In dieser Situation kann der Abgeordnetenausweis bei der Identifikation behilflich sein. Dagegen liegt keine freiheitsbeschränkende Maßnahme i.S.d. Art. 46 Abs. 3 GG vor, wenn der Abgeordnete trotz Aufforderung nicht in den Polizeikessel hineingelassen wird. Die Immunität des Abgeordneten beinhaltet nicht das Recht an jeden beliebigen Ort vorgelassen zu werden. 44 Kniesel/Poscher, in: Lisken/Denninger/Rachor (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. A., München 2007, J. Versammlungsrecht, S. 1098, Rdnr. 346. 45 Rachor, in: Lisken/Denninger/Rachor (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. A., München 2007, F. Das Polizeihandeln, S. 1085, Rdnr. 552 f. 46 Der Beschluss zur Immunitätsaufhebung, der in Anlage 6 zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages enthalten ist, trifft dazu keine Regelungen, so auch Winterberg, Immunität von Abgeordneten und polizeiliche Maßnahmen, Die Polizei 2002, 284 (286).