© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Kompetenzen des Bundes im Bereich der inklusiven Bildung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 2 Kompetenzen des Bundes im Bereich der inklusiven Bildung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Abschluss der Arbeit: 3. Dezember 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung (WD 3/WD 4) 4 2. Gesetzgebungskompetenz (WD 3) 4 2.1. Schulwesen 4 2.2. Förderung der wissenschaftlichen Forschung 5 2.3. Lehrerqualifizierung 6 2.4. Bauliche Maßnahmen 6 2.5. Regelungen zu Inklusionshelfern 7 3. Regelungen nach Art. 91b GG (WD 4) 7 4. Regelungen nach Art. 104c GG (WD 4) 9 5. Möglichkeit der Regelung durch Bund-Länder- Vereinbarung (WD 3) 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 4 1. Fragestellung (WD 3/WD 4) Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – UN-BRK) formuliert unter anderem im Hinblick auf das allgemeine Schulwesen ein Menschenrecht auf die sogenannte inklusive Bildung: Menschen mit Behinderungen sollen gleichberechtigt Zugang zu einem gemeinsamen Unterricht von Behinderten und nicht Behinderten an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben. Insoweit sind angemessene Vorkehrungen für den Einzelfall zu treffen.1 Solche Vorkehrungen sind vielfältiger Natur; in Betracht kommen unter anderem:2 – studien- und fortbildungsbezogene Anpassungen (Änderung der Studien- und Prüfungsordnungen der Lehrer; Fortbildungsprogramme für Lehrkräfte und sonstige schulische Mitarbeiter), – personelle Maßnahmen (z. B. Einstellung qualifizierter Lehrkräfte und Inklusionshelfer), – baulich/räumliche Maßnahmen (z. B. barrierefreier Umbau von Gebäuden). Die UN-BRK ist völkerrechtlich für die Bundesrepublik Deutschland und ihre innerstaatlichen Ebenen verbindlich. Ihre Umsetzung in Deutschland richtet sich nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes.3 Die Ausarbeitung befasst sich zunächst mit möglichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Bereich der inklusiven Bildung (2.). Des Weiteren wird erörtert, ob Regelungen im Bereich der inklusiven Bildung durch eine Bund-Länder-Vereinbarung getroffen werden könnten (5.). Zudem wurde um Darstellung der Möglichkeiten des Bundes gebeten, die Länder finanziell im Bereich inklusive Bildung zu unterstützen. Damit der Bund finanziell tätig werden kann, bedarf es einer verfassungsrechtlichen Kompetenzzuordnung. Mit Blick auf die Fragestellung kommen Art. 91b Abs. 2 GG und Art. 104c GG in Betracht. 2. Gesetzgebungskompetenz (WD 3) 2.1. Schulwesen Die Kompetenzen für das Bildungswesen liegen mangels anderweitiger Zuweisung gemäß Art. 30, 70 Abs. 1 GG im Wesentlichen bei den Ländern. Dies gilt vor allem für das Schulwesen. Das 1 Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme der Monitoringstelle, 2011, S. 2, abzurufen unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/stellungnahme_der_monitoring_stelle_eckpunkte _z_verwirklichung_eines_inklusiven_bildungssystems_31_03_2011.pdf (Stand: 2. Dezember 2019). 2 Siehe hierzu auch: Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, in: DVBl 2010, 1193 (1199 ff.). 3 Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, in: DVBl 2010, 1193 (1196). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 5 Bundesverfassungsgericht hat die Kulturhoheit der Länder als wesentliches Element des bundesstaatlichen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland anerkannt,4 und insbesondere das Schulrecht als „Hausgut“ der Eigenstaatlichkeit der Länder bezeichnet.5 Der Bund kann daher keine Materien regeln, die im Schwerpunkt dem Schulwesen zuzuordnen sind. Folglich sind grundsätzlich die Länder für die Umsetzung der UN-BRK auf diesem Gebiet zuständig.6 2.2. Förderung der wissenschaftlichen Forschung Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG ermächtigt den Bund zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Der Kompetenztitel umfasst „die Regelung finanzieller, organisatorischer und planerischer Maßnahmen zur Förderung von Forschungsprojekten und -einrichtungen sowie des wissenschaftlichen Nachwuchses“.7 Möglich sind daher grundsätzlich auch Maßnahmen zur Förderung von Forschungsprojekten zur inklusiven Bildung. Von der Förderung durch Bund-Länder-Vereinbarung nach Art. 91b GG (siehe dazu unter 3.) unterschiedet sich die Vorschrift dadurch, dass es sich bei Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 um eine Gesetzgebungskompetenz, bei Art. 91b GG um eine Vollzugskompetenz handelt.8 Der Schwerpunkt der Einflussnahme des Bundes auf die Forschungsförderung stützt sich nicht auf die Gesetzgebungskompetenz, sondern auf den Vollzugsbereich nach Art. 91b GG: „Das wird der primär an Finanzierungsmaßnahmen ausgerichteten Forschungsförderung wegen der größeren Flexibilität offenbar besser gerecht als abstrakt generelle Regelungen.“9 Würde ein Forschungsförderungsgesetz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG erlassen werden, so müsste sich die Förderung nach Art. 91b GG in dessen Rahmen bewegen.10 Zu beachten ist allerdings, dass nach Art. 72 Abs. 2 GG der Bund nur dann eine Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG hat, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. Diese Frage wäre anhand der konkreten Regelung zu beurteilen. 4 Vgl. BVerfGE 6, 309 (354). 5 BVerfGE 43, 291 (348). 6 Siehe zu den entsprechenden Verpflichtungen der Länder Faber/Roth, Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schulgesetzgebung der Länder, DVBl. 2010, 1193. 7 Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, 41. Edition Stand: 15. Februar 2019, Art. 74 Rn. 54. 8 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 87. EL März 2019, Art. 74 Rn. 181. 9 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 87. EL März 2019, Art. 74 Rn. 178; ähnlich auch Oeter, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 109. 10 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, 87. EL März 2019, Art. 74 Rn. 181. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 6 2.3. Lehrerqualifizierung Die Lehrerausbildung und -fortbildung wird im Bereich des allgemeinen Schulwesens grundsätzlich von den Ländern geregelt.11 Landesgesetzliche Vorschriften zur Lehrerausbildung finden sich insbesondere in den Landesbeamten-, Lehrerausbildungs- und Schulgesetzen sowie in Laufbahnverordnungen . Weitere Regelungen werden in (Landes-)Ausbildungs- und Prüfungsordnungen getroffen . Regelungen zum Studieninhalt sind in den Studienordnungen der Hochschulen enthalten. Für den Bereich der universitären Ausbildung gilt: Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG). Im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Hochschulabschlüsse kann der Bund im Interesse der Gleichwertigkeit einander entsprechender Studienleistungen und -abschlüsse die Abschlussniveaus und Regelstudienzeiten regeln.12 Wie weit die Befugnisse in qualitativer Hinsicht gehen, ist bei diesem Kompetenztitel noch ungeklärt.13 Hierzu wird im Sinne einer weiten Auslegung vertreten , dass die Beurteilung der Gleichwertigkeit von Studienabschlüssen auch eine inhaltliche und strukturbezogene sei und sich gerade nicht in rein formellen Fragestellungen erschöpfe.14 Der Bezug zur Qualität der Ausbildung werde umso deutlicher, als nicht nur die Gleichwertigkeit der Abschlüsse, sondern auch der Studienleistungen selbst für den Bundesgesetzgeber als Richtschnur vorgegeben würden. Die Zuständigkeit für Hochschulabschlüsse umfasst damit nach weiter Auslegung wohl auch die Regelung von Anforderungen an die Qualität der Ausbildung. Somit erlaubt nach dieser Ansicht die Kompetenz dem Bund, auf die Gestaltung des Studiums in gewisser Weise Einfluss zu nehmen. Jedoch dürfte dies nicht dahingehend zu verstehen sein, dass unmittelbar der Verlauf und Inhalt des Studiums geregelt werden könnten, da die Kompetenz ansonsten nicht ausdrücklich auf die Abschlüsse beschränkt worden wäre. Eine detaillierte Regelung in Bezug auf die Vermittlung von Studieninhalten zur inklusiven Bildung ist danach auch nach einem weiten Verständnis von Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG nicht erfasst. 2.4. Bauliche Maßnahmen In Bezug auf bauliche Maßnahmen ist anzumerken, dass der Bund im Bereich des Baurechts nur eingeschränkte Gesetzgebungskompetenzen besitzt. Das Bauordnungsrecht etwa ist nach Art. 30, 70 Abs. 1 GG Ländersache. Daher beschränkt sich etwa die bundesgesetzliche Regelung des § 8 Behindertengleichstellungsgesetz zur Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr auf Bauten des Bundes einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Zudem wird klargestellt, dass die landesrechtlichen Bestimmungen, insbesondere die Bauordnungen, nach dieser Vorschrift unberührt bleiben. Die Vorgaben für die Barrierefreiheit sind in den Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet. In der 11 Siehe hierzu auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Bereich der Lehrerausbildung?, WD 3 - 3000 - 005/11. 12 BT-Drs. 16/813, S. 14. 13 Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 197. 14 Vgl. Hansalek, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, in: NVwZ 2006, 668 (669). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 7 Regel decken die Bestimmungen der jeweiligen Landesbauordnungen die Berücksichtigung von Barrierefreiheit unter anderem im Schul- und Hortrecht ab.15 2.5. Regelungen zu Inklusionshelfern Der Bund könnte möglicherweise Regelungen zu an den Schulen eingesetzten Inklusionshelfern treffen. Als Gesetzgebungskompetenz kommt hierfür die „öffentliche Fürsorge“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG in Betracht. Diese beinhaltet unter anderem eine Zuständigkeit des Bundes für die Behindertenfürsorge .16 Da Inklusionshelfer – anders als Förderschullehrkräfte – keine pädagogischen Aufgaben übernehmen, sondern auch während des Unterrichts pflegerisch-betreuenden Tätigkeiten nachgehen,17 könnte bei dieser Art des Sozialarbeitereinsatzes durchaus von einem vorrangig der öffentlichen Fürsorge zuzuordnenden Regelungskreis ausgegangen werden.18 Sozialrechtlich werden Menschen mit Behinderung nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII (bzw. seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII i. V. m § 54 SGB XII) bereits Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung als individuelle Leistung der Eingliederungshilfe gewährt. Hierfür kommt auch der Einsatz von Inklusionshelfern in Betracht.19 Zu beachten ist aber, dass nach Art. 72 Abs. 2 GG der Bund nur dann eine Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG hat, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. Diese Frage wäre anhand der konkreten Regelung zu beurteilen. 3. Regelungen nach Art. 91b GG (WD 4) Bildungspolitik und Forschungsförderung sind zentrale, sozialstaatlich begründete Staatsaufgaben im modernen Industriestaat. Die Aufgabe der Bildungspolitik ist zusätzlich grundrechtlich fundiert . Sie verwirklicht das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG sowie allgemein Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit. Bildung als Voraussetzung demokratischer Teilhabe ist schließlich eng mit dem demokratischen Prinzip verbunden. Die überregionale Bedeutung und die finanzielle Größenordnung dieser Aufgaben erfordern einerseits eine Mitverantwortung und Mitwirkung des Bundes. Andererseits gilt die Kulturhoheit als Kernstück der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Eigenstaatlichkeit der Länder. Art. 91b GG eröffnet als 15 BT-Drs. 16/9283, S. 34. 16 Vgl. BVerfGE 57, 139 (159). 17 Brockmann/Littmann/Schippmann, Praxis der Kommunalverwaltung (PdK), Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG), Stand: Januar 2019, § 4 Abs. 2. 18 Anders aber die Ansicht der Bundesregierung zu der Frage, ob einheitliche Kriterien für die Inanspruchnahme von Inklusionshelfern in den Bundesländern aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll seien: „Entsprechend der föderalen Grundordnung sind allein die Länder für Fragen der Organisation schulischer Bildung einschließlich des Personaleinsatzes an Schulen zuständig.“, BT-Drs. 19/7261, S. 2. 19 Winkler, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), BeckOK Sozialrecht, 54. Edition Stand: 1. September 2019, § 35a SGB VIII Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 8 Kompromiss zwischen diesen widerstreitenden Anforderungen die Möglichkeit einer gleichberechtigten , partnerschaftlichen Kooperation zwischen Bund und Ländern auf diesen Aufgabenfeldern, ohne diesbezüglich unmittelbar Rechte oder Pflichten oder einen Verfassungsauftrag zu begründen. Die wesentliche Funktion des Art. 91b GG besteht in der Schaffung einer klaren verfassungsrechtlichen Grundlage für eine zuvor verfassungsrechtlich umstrittene Praxis.20 Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 91b GG) vom 2. Oktober 2014 die Bedeutung von Inklusion hervorgehoben. Demnach ist die Weiterentwicklung des Bildungssystems im Sinne der Inklusion von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung und folglich eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden.21 Auf dem Gebiet von Wissenschaft, Forschung und Lehre haben Bund und Länder Mitverwaltungs - und Mitfinanzierungskompetenzen (Art. 91b Abs. 1 S. 1 GG). Die Kompetenz tritt neben die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG. Der Inhalt der drei Begriffe Wissenschaft, Forschung und Lehre entspricht demjenigen des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Mit dem Bundesverfassungsgericht kann man Wissenschaft dahingehend verstehen, dass sie „die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei der Suche nach Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe« meint und damit Forschung und Lehre gleichermaßen umfasst.“22 Darüber hinaus enthält die Neufassung keine gegenständlichen Grenzen mehr, solange es sich um die Förderung von Wissenschaft handelt. Siekmann konstatiert daher, dass ein „nahezu unbegrenztes „Paktieren“ von Bund und Ländern, also bei realistischer Betrachtungsweise der jeweiligen Exekutiven“, ermöglicht wurde.23 Voraussetzung des Zusammenwirkens ist zusätzlich, dass der Einrichtung oder dem Vorhaben überregionale Bedeutung zukommt. Die überregionale Bedeutung kann bejaht werden, wenn das Vorhaben oder die Einrichtung für den Gesamtstaat oder für mindestens zwei bzw. mehrere Länder wichtig ist, was auch bei der Fortführung laufender Projekte zu beachten ist. In der Praxis wird vielfach auf die finanzielle Größenordnung abgestellt, die in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht ohne Widersprüchlichkeit mit fünf Millionen beziffert wird.24 Der Bund kann im Rahmen von Art. 91b Abs. 1 GG die Forschung im Themenfeld inklusive Bildung fördern (u.a. im Rahmenprogramm „Empirische Bildungsforschung“).25 Art. 91b Abs. 2 GG stellt die Grundlage für eine gemeinsame Evaluation und Bildungsberichterstattung zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich 20 Dreier/Heun, GG, Art. 91b, Rn. 7. 21 BT-Drs. 18/2710, S. 8. 22 Dreier/Heun, GG, Art. 91b, Rn. 13. 23 Sachs/Siekmann, GG, Art. 91b, Rn. 15. 24 Dreier/Heun, GG, Art. 91b, Rn. 13. 25 BT-Drs. 19/7261, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 9 dar. Die so gewonnenen Informationen sollen zur Gewährleistung der internationalen Gleichwertigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungswesens beitragen. Art. 91b Abs. 2 GG ermöglicht daher etwa die Mitwirkung des Bundes bei der Durchführung und Auswertung künftiger PISA-Studien. Für die daraus zu treffenden Folgerungen sind jedoch, unbeschadet der Zuständigkeiten des Bundes, allein die Länder zuständig. Auch ermöglicht es die Norm dem Bund weder, nationale Bildungsstandards festzulegen, noch begründet er eine allgemeine Einwirkungsmöglichkeit auf die Schulen.26 Im Rahmen einer gemeinsamen Evaluation und Bildungsberichterstattung zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich können demnach auch Aspekte der inklusiven Bildung beleuchtet werden. Ausweislich der Regelung in Art. 91b Abs. 3 GG ist die Kostentragung in der jeweiligen Vereinbarung zu regeln, wobei – abweichend zum Rechtszustand vor 2006 – keine Beschränkungen hinsichtlich der Modalitäten der Kostentragung bestehen. Dementsprechend sind nunmehr auch einseitige Kostentragungsmodelle – sei es durch den Bund, sei es durch die Länder – grundsätzlich möglich. So hat der Grad der Mitfinanzierung auch nicht zwingend Anteil der jeweiligen Mitwirkung zu entsprechen. Dies umfasst auch die Finanzierung gemeinsamer Gremien sowie dazugehöriger Geschäftsstellen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Art. 91b Abs. 3 GG keine Freizeichnung gegenüber der als lex specialis zu verstehenden verfassungsrechtlich verbindlichen finanzverfassungsrechtlichen Regelung in Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG bewirkt; vielmehr müssen Bund und Länder die bei ihren jeweiligen Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben jeweils selbst tragen. Dementsprechend erfasst Art. 91b Abs. 3 GG auch nur Zweckausgaben, nicht aber die Verwaltungsausgaben.27 4. Regelungen nach Art. 104c GG (WD 4) Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. März 2019 (in Kraft getreten am 4. April 2019) wurden die rechtlichen Möglichkeiten des Bundes erweitert, die Länder in bestimmten politisch wichtigen Investitionsbereichen mit Finanzhilfen zu unterstützen. Bei der Finanzhilfekompetenz des Bundes für Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur nach Art. 104c GG wird die bisherige Beschränkung auf Investitionen in finanzschwachen Kommunen aufgehoben .28 Zudem wird diese Finanzhilfekompetenz auf mit den Investitionen unmittelbar verbundene befristete Ausgaben erstreckt. Dies stellt eine Ausnahme dar; grundsätzlich kann der Bund mit Finanzhilfen nur Sachinvestitionen fördern. Die besonderen Ausgaben müssen für besondere nicht investive Maßnahmen anfallen, die zur Verwirklichung des Investitionszwecks erforderlich sind.29 26 BeckOK Grundgesetz/Suerbaum, GG, Art. 91b, Rn. 16. 27 Maunz/Dürig/Schwarz, GG, Art. 91b, Rn. 38 f. 28 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht Mai 2019, S. 29. 29 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht Mai 2019, S. 30 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 10 Finanzhilfen des Bundes an die Länder im Bereich des Schulwesens sind daher grundsätzlich verfassungsrechtlich bedenklich und erfüllen regelmäßig nicht die Anforderungen der eng zu interpretierenden Ausnahmeregelungen, vor allem von Art. 104b Abs. 1 GG. 30 Art. 104c GG stellt folglich eine weitere Durchbrechung des in Art. 104a Abs. 1 GG verankerten Konnexitätsprinzips dar.31 Finanzhilfen nach Art. 104c GG können nur für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen sowie besondere, mit diesen unmittelbar verbundene, befristete Ausgaben der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewährt werden. Es muss folglich in die kommunale Bildungsinfrastruktur investiert werden. Der Tatbestand bezieht sich auf die mit Personal und Sachmitteln ausgestatteten kommunalen Organisationseinheiten und Institutionen im Bildungswesen, insbesondere auf die Infrastruktur allgemeinbildender und berufsbildender Schulen in gemeindlicher Trägerschaft.32 Die Investitionen müssen gesamtstaatlich bedeutsam sein. Nach dem Gesetzesentwurf folgt die gesamtstaatliche Bedeutsamkeit bereits aus dem Investitionsobjekt.33 Dieses Erfordernis wird in der Literatur kritisch kommentiert. Zum einen wird argumentiert, dass die Verantwortung für den Gesamtstaat Bund und Länder im Rahmen der grundgesetzlichen Kompetenzordnung gemeinsam tragen wird. Hieraus könnte gefolgert werden, dass letztlich jede Investition in diesem Bereich im allgemeinen Sinn zur Zukunftsfähigkeit des Gesamtstaats beitragen könnte.34 Interpretiert man den Begriff „gesamtstaatlich bedeutsam“ hingegen ähnlich wie in Art. 104b GG, was zunächst einmal auch nahe liegt, und verlangt daher, dass die Investitionen in Ausmaß und Wirkung gesamtstaatliche Relevanz bzw. eine „Bedeutsamkeit für die Gesamtheit“ besitzen müssen, was sich insbesondere an der den Rahmen normaler Kommunalvorhaben sprengenden Höhe des Finanzbedarfs erkennen ließe, wird man bei einer kommunalen Investition in die Bildungsinfrastruktur gewisse Schwierigkeiten haben, eine solche gesamtstaatliche Bedeutsamkeit überhaupt jemals zu begründen – die Finanzhilfen dienen ja gerade der Finanzierung an sich „normaler“ kommunaler Vorhaben.35 Möglich wäre aber noch eine Auslegung, dass nicht eine Einzelinvestition gesamtstaatlich bedeutsam sein muss, sondern die Investitionen in die Bildungsinfrastruktur aller Kommunalkörperschaften eines Landes zusammen.36 30 Sachs/Siekmann, GG, Art. 104c, Rn. 1. 31 Sachs/Siekmann, GG, Art. 104c, Rn. 3. 32 BeckOK Grundgesetz/Kube, GG, Art. 104c, Rn. 3. 33 BT-Drs. 18/11131, S. 16. 34 Dreier/Thiele, GG, Art. 104c, Rn. 20. 35 Dreier/Thiele, GG, Art. 104c, Rn. 20. 36 Sachs/Siekmann, GG, Art. 104c, Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 11 Thiele kommt daher abschließend zu der Erkenntnis, dass das Erfordernis der gesamtstaatlichen Bedeutsamkeit letztlich keinerlei begrenzende Wirkung entfaltet.37 Ähnlich folgert auch Schwarz, dass gerade in Ansehung eines durchaus offenen Tatbestandsmerkmals wie dem der „kommunalen Bildungsinfrastruktur“ dem Bund jenseits der Gesetzgebungskompetenz der Länder die Möglichkeit eröffnet wird, nicht nur Sanierungsmaßnahmen zu unterstützen, sondern auch und gerade Neubauten, beispielsweise zur Umsetzung neuer schulischer Konzepte (Inklusion o.ä.) oder veränderter Schulformen zu finanzieren.38 5. Möglichkeit der Regelung durch Bund-Länder-Vereinbarung (WD 3) Das Zusammenwirken der Länder im Bildungswesen erfolgt insbesondere mittels der Kultusministerkonferenz ,39 die allerdings nur nichtbindende Empfehlungen abgibt.40 Fraglich ist, ob der Bund durch Vereinbarung mit den Ländern Regelungen im Bereich der inklusiven Bildung treffen kann. Bund-Länder-Vereinbarungen existieren insbesondere in der Form des Staatsvertrags und des Verwaltungsabkommens.41 Während Staatsverträge unter Beteiligung der Parlamente zustande kommen, erfolgt der Abschluss von Verwaltungsabkommen allein durch die Regierungen.42 Der Abschluss eines Staatsvertrags ist dann notwendig, wenn die entsprechende Regelungsmaterie unter Gesetzesvorbehalt steht.43 Verwaltungsabkommen können dann geschlossen werden, wenn die Angelegenheit durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift geregelt werden könnte. Für diese Fälle kann aber auch die Form des Staatsvertrages gewählt werden. Eine ausdrückliche Regelung zu Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern im Bereich des Bildungswesens trifft der unter 3. erörterte Art. 91b GG. Bund-Länder-Vereinbarungen können allerdings nicht nur in den vom Grundgesetz vorgesehenen Fällen geschlossen werden.44 Voraussetzung für eine Beteiligung des Bundes an einer Vereinbarung mit den Ländern ist aber, dass dem Bund auf dem geregelten Gebiet Kompetenzen zustehen. Üblicherweise werden Bund-Länder-Vereinbarungen auf Gebieten getroffen, auf denen der Bund die Gesetzgebungskompetenz und die Länder die Verwaltungskompetenz haben.45 37 Dreier/Thiele, GG, Art. 104c, Rn. 20. 38 Maunz/Dürig/Schwarz, GG, Art. 104c, Rn. 13. 39 Rudolf, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 55. 40 Poscher/Rux/Langer, Von der Integration zur Inklusion: Das Recht auf Bildung aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und seine innerstaatliche Umsetzung, 2008, S. 70. 41 Rudolf, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 57. 42 Rudolf, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 58. 43 Rudolf, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 59, dort auch zum Folgenden. 44 Kloepfer, Verfassungsrecht, Band I, 2011, § 9 F Rn. 220. 45 Rudolf, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 55. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 267/19; WD 4 - 3000 - 153/19 Seite 12 Nimmt man an, dass die oben genannten Gesetzkompetenzen gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG und Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG dem Bund Regelungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Inklusion eröffnen, so könnten Einzelheiten der Regelung durch Bund-Länder-Vereinbarung getroffen werden. Eine Bund-Länder-Vereinbarung über einen Regelungsgegenstand, der im Schwerpunkt den Bereich des Schulwesens betrifft, ist mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet hingegen grundsätzlich nicht möglich. Ausnahmen bestehen sowohl für Vereinbarungen nach Art. 91b GG als auch für die Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104c GG. Die Einzelheiten dieser Finanzhilfen können durch Bund-Länder-Vereinbarung geregelt werden. ***