© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 267/16 Ausweitung der Optionspflicht bei doppelter Staatsangehörigkeit Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 267/16 Seite 2 Ausweitung der Optionspflicht bei doppelter Staatsangehörigkeit Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 267/16 Abschluss der Arbeit: 08.12.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 267/16 Seite 3 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund der Forderung, die Optionspflicht bei doppelter Staatsangehörigkeit nach § 29 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) wieder auszuweiten, wird die Frage gestellt, welche Doppelstaater betroffen wären. 2. Geburtsortprinzip und eingeschränkte Optionspflicht Kinder ausländischer Eltern erwerben die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland (Geburtsortprinzip), wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und derselbe Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt, § 4 Abs. 3 StAG. Verbunden ist der Staatsangehörigkeitserwerb nach § 4 Abs. 3 StAG mit der Verpflichtung aus § 29 StAG, bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit zu wählen (Optionspflicht). Seit Ende 2014 gilt die Optionspflicht nicht mehr für Personen, die im Inland aufgewachsen sind, § 29 Abs. 1 Nr. 2 StAG.1 Im Inland aufgewachsen sind nach § 29 Abs. 1a) StAG Deutsche, die – sich acht Jahre gewöhnlich im Inland aufgehalten haben, – sechs Jahre im Inland eine Schule besucht haben oder – über einen im Inland erworbenen Schulabschluss oder eine im Inland abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Eingeführt wurde ferner die Ausnahme von der Optionspflicht in § 29 Abs. 1 Nr. 3 StAG zugunsten von Personen, die Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der Schweiz sind. Diese Ausnahmeregelung diente allerdings lediglich der Vereinfachung,2 denn die betroffenen Doppelstaater hatten auch vor der Gesetzesänderung einen Anspruch darauf, die deutsche Staatsangehörigkeit behalten zu können (Beibehaltungsgenehmigung nach §§ 29 Abs. 4, 12 Abs. 2 StAG), auch wenn sie die Aufgabe oder den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht nachgewiesen haben. 3. Ausweitung der Optionspflicht Von einer Neufassung des § 29 StAG, die die oben dargestellten Ausnahmen des Abs. 1 zurücknimmt und die bis zum 19. Dezember 2014 geltende Rechtslage wiederherstellt, wären alle Doppelstaater betroffen, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland nach 1 Vgl. das Zweite Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 13. November 2014, BGBl. I, 1714. 2 Siehe dazu BT-Drs. 18/1312, 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 267/16 Seite 4 § 4 Abs. 3 StAG erworben haben.3 Die Wiederherstellung der alten Rechtslage würde aber insbesondere diejenigen Doppelstaater treffen, die keinen Anspruch auf eine Beibehaltungsgenehmigung haben. Mit der Beibehaltungsgenehmigung nach § 29 Abs. 3 StAG wird die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit für diejenigen Personen genehmigt, die sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden, die Aufgabe oder den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit aber nicht nachgewiesen haben. Eine Beibehaltungsgenehmigung ist nach § 29 Abs. 4 StAG zu erteilen, wenn „die Aufgabe oder der Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist oder bei einer Einbürgerung nach Maßgabe von § 12 Mehrstaatigkeit hinzunehmen wäre“.4 Zugunsten welcher Doppelstaater eine Beibehaltungsgenehmigung zu erteilen wäre, kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Die Frage, ob die Aufgabe oder der Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist, bedarf einer Prüfung des Einzelfalls.5 Es können jedenfalls weitere Fälle von Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit erfasst werden als die in § 12 StAG genannten. Nach § 12 Abs. 1 StAG ist die Mehrstaatigkeit u.a. dann hinzunehmen, wenn – das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht (Nr. 1), – der ausländische Staat die Entlassung regelmäßig verweigert (Nr. 2) oder wenn – der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit aus Gründen versagt hat, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, oder von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht oder über den vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag nicht in angemessener Zeit entschieden hat (Nr. 3). 3 Die bis zum 19. Dezember 2014 geltende Fassung des § 29 Abs. 1 S. 1 StAG lautet: „Ein Deutscher, der nach dem 31. Dezember 1999 die Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 […] erworben hat und eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, hat nach Erreichen der Volljährigkeit und nach Hinweis gemäß Absatz 5 zu erklären, ob er die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten will.“ 4 Die Regelung des § 29 Abs. 4 StAG wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 13. November 2014 (Fn. 1) nicht geändert. 5 Vgl. Renner/Maaßen, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht (5. Aufl., 2010), Rn. 37 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 267/16 Seite 5 Die Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz (VAH-BMI)6 listen diejenigen Staaten auf, in denen eine Entlassung aus der Staatsangehörigkeit generell oder in bestimmten Fällen rechtlich oder faktisch unmöglich ist. Dazu gehören Afghanistan, Algerien, Angola, Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, Eritrea, Guatemala, Honduras, Kuba, Iran, Libanon, Malediven, Marokko, Mexiko, Nicaragua, Nigeria, Panama, Syrien, Thailand, Tunesien und Uruguay.7 Einen Anspruch auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung haben ferner Doppelstaater, die Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der Schweiz sind, §§ 29 Abs. 4, 12 Abs. 2 StAG. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass die Mehrstaatigkeit aufgrund von völkerrechtlichen Verträgen hingenommen wird, § 12 Abs. 3 StAG.8 Aus den VAH-BMI ergibt sich aber, dass entsprechende völkerrechtliche Verträge bisher nicht abgeschlossen worden sind.9 *** 6 Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz (Stand: 01.06.2015), abrufbar unter: http://www.bmi.bund.de/cae/servlet/contentblob/463812/publication- File/23664/Anwendungshinweise_05_2009.pdf. 7 Vgl. Ziff. 12.1.2.1 und 12.1.2.2 der Vorläufigen Anwendungshinweise (Fn. 6). 8 Die Vorschrift des § 12 Abs. 3 StAG lautet: „Weitere Ausnahmen von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 können nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge vorgesehen werden.“ 9 Vgl. Ziff. 12.3 der Vorläufigen Anwendungshinweise (Fn. 6): „Absatz 3 enthält eine allgemeine Öffnungsklausel für völkerrechtliche Verträge, die eine - unter Umständen befristete - Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorsehen können. Derartige Verträge sind bisher nicht geschlossen worden.“