© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 266/17 Zu den Regelungen über die Mitwirkung des Verfassungsschutzes an Zuverlässigkeitsüberprüfungsverfahren bei der staatlichen Förderung von Organisationen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 2 Zu den Regelungen über die Mitwirkung des Verfassungsschutzes an Zuverlässigkeitsüberprüfungsverfahren bei der staatlichen Förderung von Organisationen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 266/17 Abschluss der Arbeit: 26. Januar 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Verfassungsrechtlicher Rahmen für die Hessischen Zuwendungsbestimmungen 5 3. Verfassungsrechtlicher Rahmen für § 21 Abs. 1 Nr. 2 lit. i LVerfSchG-E HE 8 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 4 1. Einleitung Der Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen1 (LVerfSchG-E HE) in Form des Änderungsantrags der genannten Fraktionen vom 14. Dezember 20172 sieht unter anderem eine Neuregelung der Informationsübermittlung durch den Verfassungsschutz innerhalb des öffentlichen Bereichs vor. § 21 Abs. 1 Nr. 2 lit. i LVerfSchG-E HE enthält eine Regelung zur Überprüfung von Personen und Organisationen im Rahmen der Extremismusprävention: „(1) Das Landesamt darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten, auch wenn sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn der Empfänger die Information benötigt […] 2. zur Erfüllung anderer ihm zugewiesener Aufgaben, sofern er dabei auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beizutragen oder Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit oder auswärtige Belange zu würdigen hat, insbesondere bei […] i) der anlassbezogenen Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen und Organisationen , mit denen die Landesregierung zusammenarbeitet, aa) in begründeten Einzelfällen, bb) anlässlich der erstmaligen Förderung von Organisationen mit Landesmitteln, sofern diese in Arbeitsbereichen zur Bekämpfung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen tätig werden sollen, mit deren Einwilligung und der Möglichkeit zur Stellungnahme, […]“ Dementsprechend sollen Berichten zufolge auch die Zuwendungsbestimmungen in Hessen für den Bereich „Extremismusberatung/-prävention“ überarbeitet worden sein.3 Bezüglich der Einstellung von Personal beim Zuweisungsnehmer bzw. Letztempfänger aus Mitteln dieser Zuweisung sollen folgende Vorgaben vorgesehen sein: „Vor Einstellung von Personal beim Zuweisungsnehmer bzw. Letztempfänger aus Mitteln dieser Zuweisung ist eine sicherheitsbehördliche Überprüfung erforderlich. Erst nach Vorliegen des Ergebnisses darf ein Arbeitsvertrag mit dem Zuweisungsnehmer geschlossen werden. 1 LT-Drs. 19/5412. 2 LT-Drs. 19/5782. 3 Litschko, Hessen gegen Demokratieprojekte – „Unerklärliches Misstrauen“, taz vom 1. Dezember 2017. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 5 Sollte die Überprüfung im Zeitpunkt vor der Einstellung eine entsprechende Speicherung bei der Verfassungsschutzbehörde ergeben, kommt es zu keiner Vertragsunterzeichnung. In begründeten Einzelfällen wird zudem eine sicherheitsbehördliche Wiederholungsprüfung für das eingestellte Personal durchgeführt. Vorab einer Vertragsunterzeichnung ist im Zusammenhang mit der sicherheitsbehördlichen Überprüfung im Zeitpunkt der Einstellung eine dementsprechende Sensibilisierung des zukünftigen Personals vorzunehmen. Hierzu ist im Rahmen des Arbeitsvertrags zu erläutern, dass das uneingeschränkte Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung auch für jeden Mitarbeiter gilt und bei begründeten Zweifeln oder Zuwiderhandlungen – beispielsweise in Form von verfassungsfeindlichen Bestrebungen aller Art – das Arbeitsverhältnis gekündigt sowie notfalls konsequent der Gerichtsweg beschritten wird.“ Nach einer Pressemitteilung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 12. Dezember 2017 ist der Prozess der Überarbeitung der Förderrichtlinien noch nicht abgeschlossen.4 Presseberichten zufolge soll die Überprüfung nun auf Projektträger beschränkt werden, die erstmals Fördermittel beantragen.5 Gefragt wird nun, ob die Regelung des § 21 Abs. 1 Nr. 2 lit. i LVerfSchG-E HE und die dargestellten Regelungen der Zuwendungsbestimmungen verfassungsgemäß sind, insbesondere im Hinblick auf die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG und die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Da es sich bei den zu überprüfenden Regelwerken um reines Landesrecht handelt und die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages insoweit nicht zur Prüfung befugt sind,6 kann an dieser Stelle keine detaillierte und abschließende Bewertung der betroffenen Regelungen erfolgen. Im Folgenden soll jedoch für die Hessischen Zuwendungsbestimmungen und die Regelung des § 21 Abs. 1 Nr. 2 lit. i LVerfSchG-E HE der grundrechtliche Rahmen und die mit ihm verbundenen umstrittenen Rechtsfragen herausgearbeitet werden. 2. Verfassungsrechtlicher Rahmen für die Hessischen Zuwendungsbestimmungen Zuwendungsbestimmungen waren in der Vergangenheit in erster Linie in Hinblick auf die in ihnen zuweilen enthaltenen sog. Extremismusklauseln7 Gegenstand verfassungsrechtlicher Diskussion. Im Rahmen des sog. Gutachterstreits zum Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ 2011 kamen zwar die vertretenen Ansichten sämtlich zu dem Ergebnis, dass Bekenntnisklauseln in Zuwendungsbestimmungen grundsätzlich (verfassungs-)rechtlich zulässig sind und nur einzelne Ausgestaltungen unzulässig sein können. Die Ansichten beruhen jedoch hinsichtlich der 4 „Änderungen in der Extremismusprävention geplant“, Pressemitteilung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 12. Dezember 2017, abrufbar unter https://innen.hessen.de/presse/pressemitteilung/aenderungen -der-extremismuspraevention-geplant-0, zuletzt abgerufen am 22. Januar 2018. 5 Siehe nur von Bebenburg, Hessen verzichtet auf Misstrauenserklärung, Frankfurter Rundschau online, 12. Dezember 2017, abrufbar unter http://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/projekte-zur-praevention-hessen-verzichtet-aufmisstrauenserklaerung -a-1406627, zuletzt abgerufen am 22. Januar 2018. 6 Siehe Nr. 1.6. des Leitfadens für die Unterabteilung Wissenschaftliche Dienste (WD) vom 17. Februar 2016. 7 Teilweise auch als „Bekenntnisklauseln“ bezeichnet. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 6 Argumentation und insbesondere des angelegten Prüfungsmaßstabes auf grundlegend unterschiedlichen Annahmen. Im Kern geht es dabei insbesondere um die Frage, ob bzw. wie intensiv im Bereich des gewährenden Staatshandelns Grundrechte betroffen sind und wie einschränkend diese wirken. Dabei wird teilweise auch darauf verwiesen, dass die Betroffenen ja ohne Zuwendung weiterhin uneingeschränkt von ihren grundrechtlichen Freiheiten Gebrauch machen könnten. Eng verbunden mit dem Aspekt der Grundrechtsrelevanz im Zusammenhang mit der Leistungsverwaltung ist die Frage nach der Geltung des Gesetzesvorbehalts in diesem Bereich.8 Einen Überblick über den beschriebenen Gutachterstreit gibt der Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages mit dem Titel „Rechtlicher Rahmen für Bekenntnisklauseln bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel“ aus 2017, der als Anlage beigefügt ist. Bei den vorliegenden Zuwendungsbestimmungen handelt es sich um Verwaltungsrichtlinien, die der zielgenauen und einheitlichen Steuerung des Verwaltungshandelns dienen.9 Im Zuwendungsrecht sind Verwaltungsrichtlinien dazu bestimmt, für die Verteilung von Fördermitteln Maßstäbe zu setzen und die Ermessensausübung hinsichtlich der Bewilligungsvoraussetzungen auszuformen.10 Die Rechtsprechung weist insoweit darauf hin, dass das Zuweisungsverfahren durch Verwaltungsrichtlinien näher ausgestaltet und die Gewährung von Zuwendungen von der Einhaltung von Vorgaben in Verwaltungsrichtlinien abhängig gemacht werden könne.11 Auf die Anwendung dieser Richtlinien lasse sich ein Zuwendungsempfänger durch Hinnahme der die Richtlinien in das Förderverfahren einführende Zuwendungsbescheide ein. Verwaltungsrichtlinien müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Insoweit stellt sich insbesondere die Frage nach der Vereinbarkeit mit den Grundrechten – sofern man im hier betroffenen Bereich des gewährenden Staatshandelns überhaupt von einer umfassenden Grundrechtsgeltung ausgeht (siehe hierzu die oben angesprochene Diskussion). In Betracht kommt in Bezug auf die vorliegenden Zuwendungsbestimmungen in erster Linie eine Betroffenheit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Das Grundrecht der Berufsfreiheit fasst die Berufswahlfreiheit und die Berufsausübungsfreiheit zu einem einheitlichen Grundrecht zusammen. Im vorliegenden Fall sehen die Zuwendungsbestimmungen für die Einstellung von Personal beim Empfänger der Zuwendung die Durchführung einer sicherheitsbehördlichen Überprüfung vor. In Bezug auf den Empfänger der Zuwendung, d.h. einem Träger im Bereich der Extremismusprävention , bedeutet diese Regelung eine Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit, da insoweit 8 Siehe hierzu nur Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 51. EL (Dezember 2007), Art. 20 Rn. 117. 9 Vertiefend zu Verwaltungsrichtlinien Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 13. Aufl. 2017, § 24 Rn. 12 ff. 10 BVerwG, Urteil vom 23. April 2003 – 3 C 25/02, Rn. 14 (zitiert nach juris). 11 Siehe etwa BayVerwGH, Beschluss vom 11. Februar 2011 – 4 ZB 09.3145, Rn. 6 (zitiert nach juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 7 Vorgaben für die Betroffenen gemacht werden, wer beschäftigt werden kann, ohne dass dies zum Entfall der Zuwendung führt. Gleichzeitig bedeutet die Regelung auch für die Beschäftigten eines Zuwendungsempfängers eine Beeinträchtigung ihrer Berufsausübungsfreiheit, da sie ohne entsprechende Überprüfung nicht bei einem Träger, der Zuwendungen vom Staat erhält, tätig sein können. Eine Berufswahlregelung liegt insoweit nicht vor. Zwar werden die insbesondere im Gewerberecht als Voraussetzung vieler Tätigkeiten geforderte Zuverlässigkeit, die persönliche Eignung oder das Fehlen bestimmter Vorstrafen klassischerweise als Berufswahlvoraussetzungen angesehen.12 Hier handelt es sich jedoch bei der Tätigkeit bei einem Träger im Bereich der Extremismusprävention , der staatliche Zuwendungen erhält, nicht um ein eigenständiges Berufsbild. Die Verpflichtung zur Duldung einer sicherheitsbehördlichen Prüfung vor der Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit betrifft damit nur eine Ausformung eines übergeordneten Berufsbildes und ist daher lediglich als Berufsausübungsregelung zu werten. Berufsausübungsregelungen betreffen lediglich die Art und Weise der Berufsausübung, also das „wie“ einer beruflichen Tätigkeit , und sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig bereits durch vernünftige Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt.13 Im vorliegenden Fall könnte zur Rechtfertigung das Ziel herangezogen werden, eine staatliche Förderung von Trägern im Bereich der Extremismusprävention , die ihrerseits extremistisch unterwandert werden, auszuschließen. Daneben stellt sich die Frage, inwieweit durch die vorliegenden Zuwendungsbestimmungen auch die durch Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistete Vereinigungsfreiheit betroffen ist. Der Gewährleistungsbereich dieses Grundrechts ist weit und offen zu verstehen und erstreckt sich auf das „gesamte Spektrum des Assoziationswesens von der lose gefügten Bürgerinitiative bis zum hochaggregierten Spitzenverband“.14 Nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung umfasst das Grundrecht in Hinblick auf seine sachliche Schutzreichweite die Freiheit der Gründung (einschließlich der freien Entscheidung über Zeitpunkt, Zweck, Rechtsform, Namen und Sitz), die Freiheit des Beitritts und Verbleibens sowie die Organisations- und interne Betätigungsfreiheit.15 Umstritten ist jedoch, inwieweit auch die externe Betätigungsfreiheit gewährleistet wird. Bejaht wird ein grundrechtlicher Schutz jedenfalls dann, wenn die externe Betätigung in engem Zusammenhang mit dem Bestand und der Organisation der Vereinigung steht.16 Im vorliegenden Fall sehen die Zuwendungsbestimmungen vor, dass der Empfang staatlicher Zuwendungen im Bereich der Extremismusprävention eine sicherheitsbehördliche Überprüfung der Beschäftigten des Zuwendungsempfängers voraussetzt. Es erscheint fraglich, ob in dieser Regelung bereits ein Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Vereinsautonomie gesehen werden kann, oder der Schwerpunkt einer grundrechtlichen Prüfung insoweit eher im Bereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zu sehen ist. Unmittelbar haben die Zuwendungsbestimmungen keinen Einfluss auf 12 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2013, Art. 12 Rn. 67. 13 Siehe etwa die Nachweise aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Ruffert, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, Stand: 35. Edition (15. November 2017), Art. 12 Rn. 94. 14 Rinken, in: Denninger u.a. (Hrsg.), Alternativkommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: Grundwerk 2001, Art. 9 Abs. 1 Rn. 46. 15 Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 9 Rn. 17. 16 Siehe Cornils, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, Stand: 35. Edition (15. November 2017), Art. 9 Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 8 den von Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich des Vereinsbestandes und der Vereinstätigkeit, da nicht direkt Vorgaben hinsichtlich des Beitritts von Mitgliedern gemacht werden.17 Auch die Annahme einer mittelbaren Beeinträchtigung18 erscheint hier nicht unproblematisch, da in der Literatur in Bezug auf die Vereinigungsfreiheit stets betont wird, dass Art. 9 Abs. 1 GG einer Vereinigung keinen Anspruch auf staatliche Förderung gewährt.19 Dies gelte auch dann, wenn nur durch eine solche Förderung der Bestand der Vereinigung gesichert erscheine. 3. Verfassungsrechtlicher Rahmen für § 21 Abs. 1 Nr. 2 lit. i LVerfSchG-E HE Die Regelung des § 21 Abs. 1 Nr. 2 lit. i LVerfSchG-E HE betrifft die Übermittlung von Informationen – inklusive von personenbezogenen Daten – durch das Landesamt für Verfassungsschutz innerhalb des inländischen öffentlichen Bereichs. Die genannte Tatbestandsvariante ermächtigt das Landesamt zur Übermittlung von Informationen an entsprechende Stellen, sofern der Empfänger die Information für seine Aufgabenwahrnehmung benötigt, bei der er auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beizutragen oder Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit oder auswärtige Belangen zu würdigen hat. Nach der Regelung ist ein solcher Fall insbesondere bei der anlassbezogenen Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen und Organisationen, mit denen die Landesregierung zusammenarbeitet, gegeben, und zwar in folgenden Konstellationen: In begründeten Einzelfällen sowie anlässlich der erstmaligen Förderung von Organisationen mit Landesmitteln, sofern diese zur Bekämpfung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen tätig werden sollen. In dieser Tatbestandsvariante ist einschränkend vorgesehen, dass die Informationsübermittlung nur zulässig ist mit der Einwilligung der Betroffenen und soweit diese Möglichkeit zur Stellungnahme hatten. Die vorliegende Befugnis zur Informationsübermittlung betrifft in grundrechtlicher Hinsicht in erster Linie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.20 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird der Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Gewährleistet wird die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.21 Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG wird nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne muss vielmehr 17 Vgl. hierzu BVerfGE 30, 227 (241). 18 Siehe zu Fragen der mittelbaren Beeinträchtigung von Art. 9 Abs. 1 GG beispielsweise Rinken, in: Denninger u.a. (Hrsg.), Alternativkommentar Grundgesetz, Stand der Kommentierung: Grundwerk 2001, Art. 9 Abs. 1 Rn. 61. 19 Steinmeyer, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2002, Art. 9 Abs. 1, 2 Rn. 60. 20 In Abhängigkeit davon, welche bzw. wessen Informationen im konkreten Einzelfall übermittelt werden, kann aber auch die Betroffenheit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG oder der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG zu prüfen sein. 21 BVerfGE 65, 1 (1 – 1. Leitsatz). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 9 grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Beschränkungen bedürfen dabei einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss.22 Zu berücksichtigten ist jedoch im vorliegenden Fall, dass die Informationsübermittlung nur bei Einwilligung der Betroffenen erfolgt. Im Vordergrund steht daher hier nicht die Frage nach überwiegenden Allgemeinwohlinteressen, sondern vielmehr die Frage nach den Auswirkungen des Erfordernisses einer Einwilligung der Betroffenen, die teilweise auch als Grundrechtsverzicht bezeichnet wird.23 Inwieweit die Möglichkeit zum Grundrechtsverzicht besteht, hängt von dem betroffenen Grundrecht ab.24 Hinsichtlich der Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von Daten ist die Einwilligung jedenfalls von großer praktischer Bedeutung.25 Umstritten ist insoweit, ob eine Einwilligung im Rahmen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung einen Verzicht auf Ausübung des Grundrechts oder eine Grundrechtsausübung selbst darstellt.26 Letztlich dürfte es sich hierbei jedoch eher um eine Frage theoretischer Natur handeln.27 Im Ergebnis schließt jedenfalls eine wirksam erfolgte Einwilligung des Betroffenen eine unzulässige Beeinträchtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus.28 Eine Einwilligung bedarf dabei einer rechtlich verbindlichen Erklärung, die von einem Einwilligungsberechtigten abgegeben wird, der einwilligungsfähig ist.29 Weiter muss sie freiwillig sein, d.h. ohne die Zustimmung dürfen keine gewichtigen Nachteile entstehen und die Einwilligung darf auch nicht durch Täuschung erlangt worden sein. Schließlich muss die Einwilligung auch hinreichend konkret sein, damit der Betroffene die Folgen abschätzen kann. Im vorliegenden Fall dürfte die Freiwilligkeit einer Einwilligung nicht bereits daran scheitern, dass bei einer Gesamtschau mit den oben dargestellten Zuwendungsbestimmungen ein Beschäftigungsverhältnis mit einem betroffenen Zuwendungsempfänger grundsätzlich nur bei Einwilligung in die Informationsübermittlung eingegangen werden kann. Hier ist von vornherein nur die Anstellung bei einem bestimmten Kreis von Arbeitsgebern betroffen (Zuwendungsempfänger im Bereich der Extremismusprävention). 22 BVerfGE 65, 1 (1 – 2. Leitsatz). 23 Ausführlich zu den Fragen des Grundrechtverzichts Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, § 86, S. 887 ff.; Bethge, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2011, Band IX, § 203 Rn. 91 ff. 24 Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2016, Vorb. vor Art. 1 Rn. 35. 25 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 39. EL (Juli 2001), Art. 2 Rn. 228. 26 Hierzu Geiger, Die Einwilligung in die Verarbeitung von persönlichen Daten als Ausübung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, NVwZ 1989, S. 35 ff. 27 Di Fabio, in: Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Stand der Kommentierung: 39. EL (Juli 2001), Art. 2 Rn. 228 – Fn. 6. 28 Gersdorf, in: ders./Paal (Hrsg.), BeckOK Informations- und Medienrecht, Stand: 18. Edition (Mai 2017), Art. 2 GG Rn. 41. 29 Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2016, Vorb. vor Art. 1 Rn. 36, dort zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 266/17 Seite 10 Diese Konstellation dürfte nicht mit den Fällen vergleichbar sein, in denen die Rechtsprechung bzw. Literatur eine Freiwilligkeit verneint.30 So hat beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht in Bezug zur Datenerhebungspflicht der Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen eine Einwilligung der Kunden in den entsprechenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mangels Freiwilligkeit verneint und auf die Bedeutung der Sprachtelefonie als unverzichtbares Medium der Kommunikation verwiesen.31 Ebenfalls problematisch ist ein mit Einwilligung der Betroffenen durchgeführter sog. Lügendetektortest im Gerichtsverfahren.32 Eine vergleichbare Zwangslage ist vorliegend nicht erkennbar.33 *** 30 Siehe hierzu die Nachweise aus der Literatur bei Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 131 – Fn. 658. 31 BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2003 – 6 C 23/02, NJW 2004, S. 1191 (1192). 32 Siehe etwa BVerfG (Vorprüfungsausschuss), Beschluss vom 18. August 1981 – 2 BvR 166/81, NJW 1982, S. 375. 33 Anders möglicherweise Kühling, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 22. Edition (November 2017), § 4a BDSG Rn. 38.