© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 266/16 Fragen zum Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in öffentlichen Schulen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 266/16 Seite 2 Fragen zum Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in öffentlichen Schulen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 266/16 Abschluss der Arbeit: 13. Dezember 2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 266/16 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird nach der Rechtslage zum Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in öffentlichen Schulen in den einzelnen Bundesländern.1 Dabei soll auch geprüft werden, inwieweit die Regelungen zwischen verschiedenen Schulformen oder dem Alter der Religionsmündigkeit differenzieren. Ferner wird gefragt, welche Einflussmöglichkeiten der Bund auf den Vollzug der Regelungen in den einzelnen Bundesländern hat. 2. Rechtslage in den Bundesländern Das Bundesverfassungsgericht hat 2003 in seiner Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde einer Beschwerdeführerin, deren Einstellung in den Schuldienst in Baden-Württemberg aufgrund ihrer Weigerung, während des Unterrichts auf das Tragen eines Kopftuchs zu verzichten , abgelehnt wurde, die weite Gestaltungsfreiheit der Bundesländer im Schulwesen betont .2 Es obliege dem Landesgesetzgeber, das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen positiver Religionsfreiheit einer Lehrkraft einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulichreligiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen Religionsfreiheit der Schüler andererseits zu lösen. In diesem Zusammenhang führt das Gericht weiter aus, dass sich zum einen Gründe dafür anführen ließen, die zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung von gegenseitiger Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem Bemühen um Integration zu leisten.3 Zum anderen sei diese Entwicklung auch mit einem größeren Potential möglicher Konflikte in der Schule verbunden. Es möge deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen Neutralitätspflicht im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fern zu halten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden. Auch weist das Gericht darauf hin, dass die einzelnen Bundesländer zu verschiedenen Regelungen kommen könnten, weil bei dem zu findenden Mittelweg auch Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden dürften.4 1 Ausgeklammert wird in diesem Sachstand die Frage des Kopftuchverbots für Schülerinnen, das nach ganz herrschender Meinung verfassungswidrig sein dürfte, siehe nur Kloepfer, Der Islam in Deutschland als Verfassungsfrage , DÖV 2006, S. 45 (50). Siehe aber zur Zulässigkeit des Verbots, als Schülerin während des Unterrichts einen gesichtsverhüllenden Schleier zu tragen, VGH München, NVwZ 2014, S. 1109 f. 2 BVerfGE 108, 282 (302); siehe hierzu auch Sacksofsky, Die Kopftuch-Entscheidung – von der religiösen zur föderalen Vielfalt, NJW 2003, S. 3297 (3301). 3 BVerfGE 108, 282 (310). 4 BVerfGE 108, 282 (303). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 266/16 Seite 4 Dementsprechend unterschiedlich stellt sich in den einzelnen Bundesländern die Rechtslage bezüglich des Verbots religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in öffentlichen Schulen dar, die im Folgenden überblicksartig dargestellt werden soll. 2.1. Bundesländer ohne Verbotsregelungen In den Bundesländern Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen gibt es keine Regelungen, die Lehrkräften in der Schule das Tragen religiöser Symbole verbieten.5 2.2. Bundesländer mit Verbotsregelungen In den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland existieren hingegen Regelungen zum Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in öffentlichen Schulen. 2.2.1. Zusammenfassung Festzuhalten ist zunächst, dass die Regelungen nicht zwischen verschiedenen Schulformen oder dem Alter der Religionsmündigkeit differenzieren. Die Regelungen gelten vielmehr allgemein für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen. Während in Berlin für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen alle religiösen Symbole, die für den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft demonstrieren, sowie alle auffallenden religiös geprägten Kleidungsstücke verboten sind, gilt in den übrigen Bundesländern das Verbot nur, wenn die betreffenden Symbole – geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber den Schülern und Eltern oder den politischen , religiösen und weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören (Baden -Württemberg und Nordrhein-Westfalen, ähnlich in Bremen, Hessen und dem Saarland ); – den Eindruck eines Auftretens gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung hervorrufen können (Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen); – als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar ist (Bayern). Hinzuweisen ist jedoch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der von einer äußeren religiösen Bekundung nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete 5 Siehe zu entsprechenden Initiativen aus der Vergangenheit in Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig- Holstein den Überblick des Instituts für europäisches Verfassungsrecht der Universität Trier unter https://www.uni-trier.de/index.php?id=24373#c48095 (zuletzt abgerufen am 12. Dezember 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 266/16 Seite 5 Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgehen muss, um ein Verbot zu rechtfertigen. Auch seien Privilegierungen zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht mit dem Verbot der Benachteiligung aus religiösen Gründen vereinbar.6 2.2.2. Normtexte § 38 Abs. 2 Schulgesetz für Baden-Württemberg: „Lehrkräfte an öffentlichen Schulen nach § 2 Abs. 1 dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrkraft gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 12 Abs. 1, Artikel 15 Abs. 1 und Artikel 16 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Das religiöse Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht nach Artikel 18 Satz 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg.“ Art. 59 Abs. 2 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen: „Die Lehrkräfte haben den in Art. 1 und 2 niedergelegten Bildungs- und Erziehungsauftrag sowie die Lehrpläne und Richtlinien für den Unterricht und die Erziehung zu beachten. Sie müssen die verfassungsrechtlichen Grundwerte glaubhaft vermitteln. Äußere Symbole und Kleidungsstücke, die eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung ausdrücken, dürfen von Lehrkräften im Unterricht nicht getragen werden, sofern die Symbole oder Kleidungsstücke bei den Schülerinnen und Schülern oder den Eltern auch als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar ist. Art. 84 Abs. 2 bleibt unberührt. Für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst können im Einzelfall Ausnahmen von der Bestimmung des Satzes 3 zugelassen werden.“ § 2 Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin: „Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu ei- 6 BVerfG, NJW 2015, S. 1359 (1360, 1366); siehe auch BVerfG, Beschl. vom 18. Oktober 2016 – 1 BvR 354/11, BeckRS 2016, 54940. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 266/16 Seite 6 ner bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.“ § 59 Abs. 4-6 Bremisches Schulgesetz: „(4) Die öffentlichen Schulen haben religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren. Dieser Verpflichtung muss das Verhalten der Lehr-, sozialpädagogischen Fach- und Betreuungskräfte in der Schule gerecht werden. Die Lehrkräfte, die sozialpädagogischen Fachkräfte und die Betreuungskräfte müssen in jedem Fach auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schülerinnen und Schüler sowie auf das Recht der Erziehungsberechtigten Rücksicht nehmen, ihren Kindern in Glaubens- und Weltanschauungsfragen Überzeugungen zu vermitteln. Diese Pflichten der Lehrkräfte und des betreuenden Personals erstrecken sich auf die Art und Weise einer Kundgabe des eigenen Bekenntnisses. Auch das äußere Erscheinungsbild der Lehrkräfte und des betreuenden Personals darf in der Schule nicht dazu geeignet sein, die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen der Schülerinnen und Schüler und der Erziehungsberechtigten zu stören oder Spannungen, die den Schulfrieden durch Verletzung der religiösen und weltanschaulichen Neutralität gefährden, in die Schule zu tragen. (5) Für Referendare und Referendarinnen gilt Absatz 4 nur, soweit sie Unterricht erteilen. (6) Für Lehrmeisterinnen und Lehrmeister gilt § 59 Abs. 3 entsprechend.“ § 86 Abs. 3 Hessisches Schulgesetz: „Zur Gewährleistung der Grundsätze des § 3 Abs. 1 haben Lehrkräfte in Schule und Unterricht politische, religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren; § 8 bleibt unberührt . Insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in der Schule zu gefährden. Bei der Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 und 2 ist der christlich und humanistisch geprägten abendländischen Tradition des Landes Hessen angemessen Rechnung zu tragen. Für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst kann die zuständige Behörde auf Antrag abweichend von Satz 2 im Einzelfall die Verwendung von Kleidungsstücken, Symbolen oder anderen Merkmalen zulassen, soweit nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen.“ § 51 Abs. 3-4 Niedersächsisches Schulgesetz: „(3) Das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in der Schule darf, auch wenn es von einer Lehrkraft aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen gewählt wird, keine Zweifel an der Eignung der Lehrkraft begründen, den Bildungsauftrag der Schule (§ 2) überzeugend erfüllen zu können. Dies gilt nicht für Lehrkräfte an Schulen in freier Trägerschaft. (4) Absatz 3 gilt auch für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, soweit sie eigenverantwortlichen Unterricht erteilen. Für sie können im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 266/16 Seite 7 § 2 Abs. 8 Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen: „Die Schule ermöglicht und respektiert im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterschiedliche Auffassungen. Schulleiterinnen und Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemäß § 58 nehmen ihre Aufgaben unparteilich wahr. Sie dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen Bekundungen abgeben, die die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden gefährden oder stören. Insbesondere ist ein Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorruft, dass eine Schulleiterin oder ein Schulleiter, eine Lehrerin oder ein Lehrer oder eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter gemäß § 58 gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Besonderheiten des Religionsunterrichts und der Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen bleiben unberührt.“ § 1 Abs. 2a Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Saarland: „Die Schule unterrichtet und erzieht die Schülerinnen und Schüler bei gebührender Rücksichtnahme auf die Empfindungen anders denkender Schüler auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte. Der Erziehungsauftrag ist in der Art zu erfüllen, dass durch politische , religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen weder die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern und Eltern noch der politische, religiöse oder weltanschauliche Schulfrieden gefährdet oder gestört werden.“ 3. Einflussmöglichkeiten des Bundes auf den Vollzug der Regelungen in den Bundesländern Regelungen zur Zulässigkeit religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in öffentlichen Schulen gehören zum Schulwesen und damit zum Kompetenzbereich der Bundesländer (siehe Art. 70 Abs. 1 GG). Dementsprechend steht auch die Verwaltungskompetenz für diesen Bereich den einzelnen Bundesländern zu (siehe Art. 30 GG). Das bedeutet, dass für den Vollzug der oben genannten Gesetze nur die jeweiligen Bundesländer und deren Verwaltungen zuständig sind. Aufsichtsbefugnisse, wie sie dem Bund etwa beim Vollzug von Bundesgesetzen durch die Bundesländer zustehen, besitzt der Bund hier nicht. ***