Verfassungsmäßigkeit der Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts in der Bundeswehr nach der Zentralen Dienstvorschrift (Merkschrift) "Lebenskundlicher Unterricht" - ZDv 66/2 - Erlass des Bundesministers für Verteidigung vom 5. November 1959 - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 3 - 266/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Verfassungsmäßigkeit der Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts in der Bundeswehr nach der Zentralen Dienstvorschrift (Merkschrift) "Lebenskundlicher Unterricht" - ZDv 66/2 - Erlass des Bundesministers für Verteidigung vom 5. November 1959 Ausarbeitung WD 3 - 266/06 Abschluss der Arbeit: 14. August 2006 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Die Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts als Bestandteil des Erziehungsprogramms der Streitkräfte ist organisatorisch der Inneren Führung zuzuordnen und eine originär staatliche Aufgabe. Die in der Bundeswehr praktizierte Handhabung der Befreiung vom Lebenskundlichen Unterricht sowie die Vorsehung entsprechender Selbstbeschäftigung nach den Vorgaben der ZDv 66/2 wird den Erfordernissen der negativen Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gerecht. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Militärseelsorge 4 2.1. Einführung 4 2.2. Rechtsgrundlagen 5 2.3. Militärseelsorge und Verfassung 6 3. Lebenskundlicher Unterricht 6 3.1. Entstehungsgeschichte 6 3.2. Gegenwärtige Ausgestaltung 7 3.3. Rechtliche Einordnung 8 3.4. Vereinbarkeit der Teilnahmepflicht am Lebenskundlichen Unterricht und diesbezügliche Befreiungsmöglichkeiten mit der negativen Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG 9 Literaturverzeichnis 12 - 4 - 1. Einleitung Gegenstand dieser Ausarbeitung ist die verfassungsrechtliche Bewertung der Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts in der Bundeswehr nach der Zentralen Dienstvorschrift (Merkschrift) "Lebenskundlicher Unterricht" - ZDv 66/2 – Erlass des Bundesministers für Verteidigung vom 5. November 1959 (im Folgenden ZDv 66/2).1 Die Prüfung orientiert sich am vorliegenden Auftrag und beschränkt sich auf den Punkt: - Teilnahmepflicht der Soldaten am Lebenskundlichen Unterricht und diesbezüg- liche Befreiungsmöglichkeiten. Ob die ZDv 66/2 aus anderen Gründen verfassungswidrig sein könnte, bleibt hier außer Betracht. Die Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts gehört zu den Aufgaben der Militärgeistlichen; aus diesem Grund wird zuvor ein kurzer Überblick über die Grundlagen der Militärseelsorge gegeben. 2. Militärseelsorge 2.1. Einführung Unter dem Begriff der Militärseelsorge versteht man den auf institutioneller Grundlage erfolgenden Dienst christlicher Kirchen unter den Soldaten, bezogen auf die besonderen Bedingungen ihrer geistlichen und seelsorgerlichen Betreuung. Ziel der Militärseelsorge ist, den Blick der Soldaten für die mit ihrem Dienst gegebene Verantwortung zu schärfen , ihnen in ethischen Entscheidungszwängen Orientierungshilfen zu geben und sie und ihre Angehörigen in mit dem Militärdienst gegebenen persönlichen Krisensituationen seelsorgerlich zu begleiten. Bei der Militärseelsorge handelt es sich um eine der so genannten „gemeinsamen Angelegenheiten “ von Staat und Religionsgemeinschaften. Diese erfüllen mit der Einrichtung einer Militärseelsorge gemeinsam den in § 36 Soldatengesetz (SG)2 normierten Anspruch der Soldaten auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung (Art. 4 GG). 1 Anlage 1. 2 Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten – Soldatengesetz (SG) i.d.F.d.B. vom 30. Mai 2005, BGBl I, 1482. - 5 - 2.2. Rechtsgrundlagen Die Seelsorge in der Bundeswehr stützt sich auf vertragliche, staatliche und kirchliche Rechtsgrundlagen. Verfassungsrechtliche Grundlage für die Einrichtung einer Militärseelsorge ist Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 Weimarer Reichsverfassung (WRV), wonach Seelsorge im „Heer“ zuzulassen ist, wobei unter dem Begriff „Heer“ alle drei Teilstreitkräfte (Heer, Marine, Luftwaffe) zu verstehen sind; einfachgesetzliche Grundlage ist § 36 SG. Infolgedessen hat die Bundesrepublik Deutschland mit den beiden großen christlichen Kirchen Verträge über die Militärseelsorge geschlossen.3 Danach erfolgt die Militärseelsorge im Auftrag und unter Aufsicht der Kirche, für den organisatorischen Aufbau ist der Staat zuständig und trägt die Kosten. Die Organisation der Militärseelsorge erfolgt unter Leitung eines katholischen und eines evangelischen Militärbischofs durch das Katholische Militär-Bischofsamt und das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr. Die hauptamtlichen Militärgeistlichen werden in der Regel für 6 bis 12 Jahre für dieses Amt freigestellt . Sie sind Bundesbeamte auf Zeit, tragen keine Uniform und bekleiden keinen militärischen Rang. Der beamtenrechtliche Gehorsam bezieht sich auf die vorgesetzten Militärgeistlichen, nicht jedoch auf andere Vorgesetzte. Die Ämter und Dienststellen der Militärseelsorge stellen den Typ des staatlich gebundenen Kirchenamts und des kirchlich gebundenen Staatsamts dar.4 Von Seiten des Bundesministers der Verteidigung erging die Zentrale Dienstvorschrift (Merkschrift) „Militärseelsorge“ - ZDv 66/1 - Erlass des Bundesministers für Verteidigung vom 28. August 19565 (im Folgenden ZDv 66/1). Auch für die kleineren Religionsgemeinschaften gelten die Regelungen in Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV, Art. 4 GG und § 36 SG. Aus diesem Grund hat der Staat in der ZDv 66/1 Nr. 2 ausdrücklich bestimmt, dass auf Verlangen ihrer Religionsgemeinschaften auch für die Angehörigen anderer Bekenntnisse eine ihrer Mitgliederzahl entsprechende Militärseelsorge eingerichtet wird und sie hinreichend Gelegenheit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten erhalten. 3 Für die Katholische Kirche: Art. 27 Reichskonkordat vom 20.07.1933, RGBl 1933 II, 679 ff., für die Evangelische Kirche: Militärseelsorgevertrag (MSV) vom 22.2.1957, BGBl 1957 II, 702. 4 v. Camphausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 140 Rdnr. 14. 5 Anlage 2. - 6 - 2.3. Militärseelsorge und Verfassung Nach vorherrschender Meinung ist die Militärseelsorge in ihrer derzeitigen Organisation verfassungskonform.6 Die Militärseelsorge ist gerade keine staatskirchliche Einrichtung im Sinne von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.1 WRV. Gemäß den maßgeblichen vertraglichen Grundlagen übernimmt der Staat lediglich den organisatorischen Aufbau der Militärseelsorge und ihre Kosten. Den für die Staatskirche typischen Einfluss auf ihre Tätigkeit und ihre Lehre nimmt er nicht. Es ist hingegen ausdrücklich vereinbart, dass die Militärseelsorge als Teil der kirchlichen Arbeit im Auftrag und unter Aufsicht der Kirche ausgeübt wird. Die Militärgeistlichen sind im Rahmen der kirchlichen Ordnung selbständig. Sie stehen in einem geistlichen Auftrage, in dessen Erfüllung sie von staatlichen Weisungen unabhängig sind. Mit der Einrichtung nur einer evangelischen und einer katholischen Militärseelsorge hat der Staat auch nicht den aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV herzuleitenden Grundsatz der Parität verletzt, wonach Ungleichbehandlungen bestimmter Religionsgemeinschaften oder Bekenntnisse ausgeschlossen sind, die nicht durch tatsächliche Ungleichheiten geboten oder durch sachliche Gründe gerechtfertigt sind. Denn bislang ist keine weitere Religionsgesellschaft an den Staat mit einem entsprechenden Wunsch herangetreten.7 3. Lebenskundlicher Unterricht 3.1. Entstehungsgeschichte8 In der Bundeswehr wird der Lebenskundliche Unterricht von Militärgeistlichen erteilt. Seine Genese zeigt, dass staatlicherseits gleichzeitig mit der Vorbereitung des Aufbaus der Bundeswehr an der Konzeption eines überkonfessionellen charakterbildenden Unterrichts gearbeitet wurde. Im Zusammenhang mit der Gesamterziehung des Soldaten sollte ihm ein vom Christentum geformtes Menschenbild vermittelt werden. Weitere Anliegen eines solchen Lebenskundlichen Unterrichts waren die Vermittlung bestimmter Grundregeln, deren Anerkennung das Leben in einer Gemeinschaft erträglich machen , sowie Klärung spezifisch menschlicher Probleme. Obwohl es sich hierbei um einen staatlichen und nicht zur Militärseelsorge gehörenden Unterricht handeln sollte, sah man staatlicherseits vor, ihn durch Militärgeistliche erteilen zu lassen. Hierfür sprach 6 v. Camphausen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 140 Rdnr. 16; Ennuschat, Militärseelsorge , S. 290; Seiler, HbStKirchR II, S.968 ff. 7 Ennuschat, Militärseelsorge, S.47; ebenso Seiler, HbStKirchR II, S. 970; Kruk, Die rechtlichen Probleme der Militärseelsorge, in: NZWehrr 1997, Heft 1, S. 18. 8 Seiler, HbStKirchR II, S. 976. - 7 - eine Reihe von Gründen. So schienen die Einheitsführer mit der Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts überfordert. Andererseits hielt man die Militärgeistlichen wegen ihrer Vorbildung für diese Aufgabe besonders geeignet. Sie standen im Bereich der Bundeswehr hierfür zur Verfügung und die Kirchen waren grundsätzlich damit einverstanden , dass die Militärgeistlichen den Lebenskundlichen Unterricht übernahmen. Den Bedenken hinsichtlich der überkonfessionellen Basis dieses Unterrichts vornehmlich seitens der katholischen Kirche wurde durch den Entschluss - entgegen den ursprünglichen Überlegungen -, den Lebenskundlichen Unterricht konfessionell getrennt durchzuführen , Rechnung getragen. Obwohl der Unterricht dadurch nicht in die Militärseelsorge eingegliedert wurde, sondern entsprechend seiner Konzeption weiterhin Bestandteil des Erziehungsprogramms der Streitkräfte blieb, wurde die Möglichkeit der Befreiung des Soldaten von der Teilnahme an diesem Unterricht geschaffen, um so etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Wege zu gehen. 3.2. Gegenwärtige Ausgestaltung Rechtsgrundlage für die Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts in der Bundeswehr ist die ZDv 66/2. Ziele des Lebenskundlichen Unterrichts sind: die Leistung eines Beitrags zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung der meist sehr jungen Soldaten, die Vermittlung gesellschaftlich bedeutender Werte und die Förderung des „Werts der Soldaten“, der durch mehr als nur fachliches Können bestimmt ist (ZDv 66/2 Nr. 1 und 2). Der Lebenskundliche Unterricht wird von den Militärgeistlichen mit einem Stundenansatz von zwei Stunden pro Monat nach Konfessionen getrennt bei allen Truppenteilen, Schulen und sonstigen militärischen Dienststellen der Bundeswehr durchgeführt. Darin setzen sich die Soldaten unter Anleitung mit sittlichen und ethischen Grundfragen der Lebensführung auseinander (ZDv 66/2 Nr. 1). Auch wenn der Unterricht auf den Grundlagen des christlichen Glaubens fußt (Nr. 3), ist dieser im Zusammenhang mit der Gesamterziehung des Soldaten zu sehen (Nr. 1, 2) und steht im Kontext mit der Inneren Führung.9 Der Unterricht findet während der Dienstzeit statt (Nr. 4), ist somit also Dienst. Soldaten, die nach gründlicher Überlegung am Lebenskundlichen Unterricht nicht teilnehmen wollen, sind durch die Disziplinarvorgesetzten von der Teilnahme grundsätzlich zu befreien. Jedoch sollten sie, um sich ein Urteil bilden zu können, den Unterricht 9 ZDv 10/1 „Innere Führung“. - 8 - durch einmalige Anwesenheit kennen gelernt haben. Für Nichtteilnehmer ist während des Unterrichts entsprechende Selbstbeschäftigung anzusetzen; anderer Dienst ist nicht vorzusehen (Nr. 5). Die Nichtteilnehmer haben also nicht dienstfrei. Die Themen für den Lebenskundlichen Unterricht werden in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verteidigung von dem Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr und von dem Katholischen Militärbischofsamt festgelegt (Nr. 10). 3.3. Rechtliche Einordnung Die rechtliche Einordnung des Lebenskundlichen Unterrichts ist in der Literatur umstritten . Die vorherrschende Meinung sieht ihn nicht als Teil der Militärseelsorge, sondern als Teil des Erziehungsprogramms der Streitkräfte und somit als staatliche Aufgabe an. Begründet wird dies damit, dass die wichtigste Rechtsgrundlage des Lebenskundlichen Unterrichts bis heute die ZDv 66/2 ist. Des Weiteren zeigten seine Entstehungsgeschichte , die Regelungen der ZDv 66/2 und die „Weisung für die Zusammenarbeit mit den Militärgeistlichen“ des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom 12. November 198410, dass dieser Unterricht nicht Bestandteil der Militärseelsorge, sondern Teil des Erziehungsprogramms der Streitkräfte ist. Die Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts ist nicht in den Verträgen zwischen Staat und Kirche über die Militärseelsorge geregelt. Der Unterricht ist auch nicht den Kirchen, sondern den Militärgeistlichen als dafür besonders qualifizierten Beamten übertragen worden, und zwar nicht durch Vertrag mit diesen, sondern durch eine Dienstvorschrift. Allerdings ist ungeschriebene Rechtsgrundlage das - tatsächlich vorhandene – Einverständnis der Kirchen. Der Staat hätte nicht das Recht, die Militärgeistlichen durch Übertragung einer anderen Aufgabe in der Ausübung der Militärseelsorge zu hindern. (Praktisch entsteht schon deswegen kein Problem, weil kirchlicherseits die Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts als Ergänzung der Seelsorge angesehen wird, um so schon den innerkirchlichen Vorwurf zu entkräften, der Lebenskundliche Unterricht sei eine Instrumentalisierung der Militärpfarrer für militärische Zwecke). Die Mitwirkung des Bundesministeriums der Verteidigung bei der Festlegung der Themen des Unterrichts ist nur möglich, weil er nicht zur Militärseelsorge gehört. Wegen der primär staatlichen Ziele kann der Lebenskundliche Unterricht auch nicht mit dem schulischen Religionsunterricht gleichgesetzt werden . 11 10 Diese Weisung umfasst alle Gebiete der Zusammenarbeit mit den Militärgeistlichen; Abschnitt III Nr. 3 behandelt den Lebenskundlichen Unterricht. 11 Seiler, HbStKirchR II, S. 978; Ennuschat, Militärseelsorge, S. 93 ff., im Ergebnis auch v. Camphausen , in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 140 Rdnr. 16 mit der Ergänzung, dass es in dieser Partnerschaft von „Staat und Kirche“ bei der Wahrnehmung einzelner Aufgaben, z.B. beim Lebens- - 9 - Kritische Stimmen sehen den Lebenskundlichen Unterricht als Teil der Militärseelsorge an, zumal diese zusätzliche Aufgabe mehr als die Hälfte der Arbeitszeit und Arbeitskraft der Seelsorger in Anspruch nimmt. Des Weiteren wird der Unterricht als eine staatskirchenrechtliche Einrichtung beschrieben, die gegen das Staatskirchenverbot aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV verstößt. 12 3.4. Vereinbarkeit der Teilnahmepflicht am Lebenskundlichen Unterricht und diesbezügliche Befreiungsmöglichkeiten mit der negativen Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Auch die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Ausgestaltung des Lebenskundlichen Unterrichts wird in der Literatur kontrovers diskutiert, wobei die herrschende Meinung diese für verfassungskonform hält. 13 Soldaten sind nach der ZDv 66/2 Nr. 4 zur Teilnahme am Lebenskundlichen Unterricht verpflichtet, sind aber nach gründlicher Überlegung von der Teilnahmepflicht grundsätzlich zu befreien, wobei sie, um sich ein Urteil bilden zu können, den Unterricht durch einmalige Anwesenheit kennen gelernt haben sollten (ZDv 66/2 Nr. 5). Die Erteilung des Lebenskundlichen Unterrichts ist eine originär staatliche Aufgabe. Allerdings wird der Unterricht von den Militärgeistlichen im Grundsatz konfessionell getrennt erteilt und fußt auf den Grundlagen des christlichen Glaubens, so dass er schon deshalb einen religiösen Bezug aufweist. Aus diesem Grund ist die negative Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu beachten, wonach das Recht geschützt ist, sich von Religion(en) und Weltanschauung(en) fernzuhalten. Wenn die Soldaten ausnahmslos zur Teilnahme am Unterricht verpflichtet wären, läge eine Verletzung der negativen Religionsfreiheit vor. Zu prüfen ist also ist in diesem Zusammenhang, ob die Befreiungsmöglichkeit nach der ZDv 66/2 Nr. 5 zur Herstellung der Verfassungskonformität des Unterrichts genügt. Erforderlich ist die völlige Freiwilligkeit der Teilnahme am Lebenskundlichen Unterricht. kundlichen Unterricht, Probleme mit der Aufgabenzuweisung gibt, nicht geleugnet werden kann. Dieses ist eher eine Frage der praktischen als der rechtlichen Organisation. Insgesamt dürfen solche Schwierigkeiten jedoch nicht überschätzt werden. 12 Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, 1993, S. 179 f., mit der Folgerung, der Lebenskundliche Unterricht sei ein mit Art. 137 Abs. 1 WRV unvereinbares „staatskirchliches Mischgebilde “ (Chamäleon); so auch: Kruk, Die rechtlichen Probleme der Militärseelsorge, in NZWehrr 1997 Heft 1, S. 20; für bedenklich: Korioth, in Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/Art. 141 GG Rdnr. 15. 13 Ennuschat, Militärseelsorge, S. 202 ff.; im Ergebnis ebenso Seiler, HbStKirchR II, S. 979, v. Camphausen , in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, Art. 140 Rdnr. 16; für bedenklich: Korioth, in Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/Art. 141 GG Rdnr. 15; a. A. Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten , 1993, S. 192, der die Regelungen der ZDv 66/2 Nr. 5 für unvereinbar hält mit Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 1 WRV; ebenso Kruk, Die rechtlichen Probleme der Militärseelsorge, in NZWehrr 1997 Heft 1, S. 21. - 10 - Mit Blick auf dieses Postulat löst die ZDv 66/2 Nr. 5 in zweifacher Hinsicht Bedenken aus: - Dies gilt zunächst für die Maßgabe, die Soldaten „sollten“ den Unterricht vor dem Befreiungsantrag durch einmalige Anwesenheit kennen gelernt haben. Selbst die nur einmal erzwungene Teilnahme wäre mit der negativen Religionsfreiheit unvereinbar. Der Normgeber hat die Anwesenheits- und Kennlernklausel weder in eine zwingende Vorschrift noch in eine „Soll“ - Bestimmung gekleidet, sondern verwendet eine Formulierung eher appellativen Charakters („sollte“). Die Klausel eröffnet damit die Möglichkeit , sie im Wege verfassungskonformer Auslegung als rechtlich unverbindlichen Appell an die Soldaten zu verstehen, von der Befreiung nicht leichtfertigen Gebrauch zu machen. Dementsprechend kann der einen Befreiungsantrag stellende Soldat zu „gründlicher Überlegung“ i.S.d. ZDv 66/2 Nr. 5 nur ermahnt, aber nicht verpflichtet werden. Die negative Religionsfreiheit kommt dem Kurzentschlossenen und Nicht- Überlegenden in gleichem Maße zugute wie dem gründlich Überlegenden. - Bedenklich erscheint ferner die Einschränkung, die Befreiung sei „grundsätzlich“ zu erteilen. Wenn im Ausnahmefall ein Soldat gegen seinen Willen zur Teilnahme am Lebenskundlichen Unterricht gezwungen würde, wäre er in seiner negativen Religionsfreiheit verletzt. Auch insoweit ist daher eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend vorzunehmen, dass die Befreiung stets erteilt werden muss. Dies wird auch durch die „Weisung für die Zusammenarbeit mit den Militärgeistlichen“14 klargestellt. Nach Abschnitt III Nr. 3 c dieser Weisung hat der Soldat die Freiheit zu entscheiden, ob er am Lebenskundlichen Unterricht teilnehmen wolle oder nicht. Der für die Befreiung zuständige Disziplinarvorgesetzte sollte jedoch durch Erklärung von Sinn und Zweck dieses Unterrichts darauf hinwirken, dass nicht mangelndes Sinnverständnis und Gleichgültigkeit die Kriterien für die Entscheidung seien. Dieses Hinwirken darf natürlich nicht den Charakter eines „Quasi-Zwanges“ erreichen. Die Freiwilligkeit könnte dann allenfalls in Frage gestellt sein, wenn durch die Art des Ersatzdienstes für Nichtteilnehmer die Entscheidung mittelbar beeinflusst werden würde , was insbesondere bei diskriminierender Wirkung vorläge. Schon die ZDv 66/2 Nr. 5 sieht nur eine dem Unterricht entsprechende Selbstbeschäftigung vor. Abschnitt III Nr. 3 c der genannten Weisung schlägt für die Selbstbeschäftigung die Lektüre von Schriften über Fragen des Welt- und Menschenbildes oder die Anfertigung von schriftlichen Arbeiten zu diesem Thema vor. Dabei seien Art und Thematik der Selbstbeschäftigung auf die Besonderheiten der jeweiligen Soldaten abzustimmen; mit ihr dürfe keine verletzende Wirkung verbunden sein. Ebensowenig wie die Beteiligung im Unterricht dürfe das Ergebnis der Selbstbeschäftigung nicht für die dienstlichen Beurteilungen 14 vgl. Fußnote 11. - 11 - verwertet werden. Durch diese Vorgaben wird dem Soldaten im Rahmen der Selbstbeschäftigung das Maß an Reflexion zugemutet, das von ihm auch im Unterricht erwartet würde. Eine diskriminierende Wirkung ist nicht zu erkennen. Schließlich wird eine Begründung des Befreiungsantrages nach den Vorgaben der ZDv 66/2 und der „Weisung für die Zusammenarbeit mit den Militärgeistlichen“ nicht zwingend erwartet, so dass insoweit auch das religiöse Schweigerecht gewahrt bleibt. Die in der Bundeswehr praktizierte Handhabung der Befreiung vom Lebenskundlichen Unterricht sowie der Vorsehung entsprechender Selbstbeschäftigung nach den Vorgaben der ZDv 66/2 wird mithin den Erfordernissen der negativen Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gerecht. - 12 - Literaturverzeichnis - v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Kommentar zum Grundgesetz, Band 3, 5. Auflage , München 2005. - Listl, Joseph, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 2, 2. Auflage, Berlin 1995. - Maunz – Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Band 6, München 2005. - Ennuschat, Jörg, Militärseelsorge, Verfassungs- und beamtenrechtliche Fragen der Kooperation von Staat und Kirche, Berlin 1996. - Kleine, Markus, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirchen unter dem Grundgesetz: Ein Beitrag zur juristischen Methodik im Staatskirchenrecht, Baden-Baden 1993. - Kruk, Volkmar, Die rechtlichen Probleme der Militärseelsorge, Neue Zeitschrift für Wehrrecht (NZWehrr) 1997, Heft 1, S. 1 ff.