© 2016 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 265/16 Befugnisse des Untersuchungsausschusses zur Beweiserhebung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 265/16 Seite 2 Befugnisse des Untersuchungsausschusses zur Beweiserhebung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 265/16 Abschluss der Arbeit: 21.12.2016 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 265/16 Seite 3 1. Einleitung Gefragt wird nach den Beweiserhebungsrechten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Im Folgenden werden die Befugnisse des Untersuchungsausschusses in Hinblick auf die Herausgabe von Akten und die Befragung von Zeugen (2.) sowie die Durchsetzungsmöglichkeiten (3.) dargestellt . Im Anschluss wird kurz auf die Erfahrungen in der Praxis eingegangen (4.). Der Untersuchungsausschuss hat gemäß Art. 44 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG siehe Anlage 1) das Recht, die für die Untersuchung erforderlichen Beweise selbst zu erheben. Das 2001 vom Bundestag erlassene Untersuchungsausschussgesetz (PUAG siehe Anlage 2) regelt das parlamentarische Untersuchungsverfahren und konkretisiert die Vorgaben des Art. 44 GG. Nach Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG finden die Vorschriften über den Strafprozess „sinngemäß Anwendung“, d.h. das Verfahren der Untersuchungsausschüsse orientiert sich in Bezug auf die Beweiserhebung an den Vorgaben für Strafprozesse. 2. Befugnisse des Untersuchungsausschusses zur Beweiserhebung Die §§ 17 ff. PUAG regeln das Verfahren für die Beweiserhebung durch den Untersuchungsausschuss . Der Ausschuss erhebt die Beweise aufgrund von Beschlüssen, § 17 Abs. 1 PUAG. Andere Gremien des Parlaments sind grundsätzlich nicht beteiligt. Allgemeine Grenzen des Beweiserhebungsrechts des Untersuchungsausschusses sind die Beschränkung auf den Untersuchungsgegenstand, der Grundsatz der Gewaltenteilung (v.a. der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung), die Wahrung des Staatswohls und die Bindung an die Grundrechte.1 Zudem muss die Beweiserhebung zulässig sein und darf auch nach Anwendung der im PUAG vorgesehenen Zwangsmittel nicht unerreichbar sein, § 17 Abs. 2 PUAG. 2.1. Vorlage von Beweismitteln Für die Befugnisse des Untersuchungsausschusses, die Herausgabe von sächlichen Beweismitteln , insbesondere Akten, zu verlangen ist maßgebend, gegen wen sich das Verlangen richtet. 2.1.1. Herausgabeanspruch gegenüber der öffentlichen Hand Gemäß § 18 Abs. 1 PUAG ist die öffentliche Hand des Bundes verpflichtet, sächliche Beweismittel (insbesondere Akten), die den Untersuchungsgegenstand betreffen, vorzulegen. Landesbehörden und Gerichte sind im Rahmen der Amts- und Rechtshilfe gemäß Art. 44 Abs. 3 GG i.V.m. § 18 Abs. 4 PUAG zur Herausgabe von Akten verpflichtet. 2.1.2. Herausgabeanspruch gegenüber privaten natürlichen und juristischen Personen Der Untersuchungsausschuss kann von privaten natürlichen und juristischen Personen die Vorlage und Herausgabe von Beweismitteln verlangen, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können und sich in deren Gewahrsam befinden, §§ 29, 30 PUAG. Eine Herausgabepflicht besteht 1 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (2016), Art. 44 Rn. 5 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 265/16 Seite 4 jedoch nicht, soweit der Gegenstand streng persönlichen Charakter hat und seine Weitergabe daher unzumutbar wäre. 2.2. Vernehmung von Zeugen Zeugen sind gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 PUAG verpflichtet, auf ordnungsgemäße Ladung des Ausschusses zu erscheinen. Sie müssen grundsätzlich aussagen. Nach § 20 Abs. 2 PUAG dürfen sie einen rechtlichen Beistand hinzuziehen; dabei muss es sich nicht um einen Anwalt handeln.2 § 22 PUAG normiert die Voraussetzungen für Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte. Berufsgeheimnisträgern und deren Helfern steht wie im Strafverfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, § 22 Abs. 1 PUAG i.V.m. §§ 53, 53 a Strafprozessordnung (StPO siehe Anlage 3). Zudem kann ein Zeuge auf eine Frage die Auskunft verweigern, wenn er oder ein Angehöriger durch die Beantwortung Gefahr liefen, einer Untersuchung nach einem gesetzlich geordneten Verfahren ausgesetzt zu werden, § 22 Abs. 2 PUAG. Unter einem gesetzlich geordneten Verfahren sind nicht nur Strafverfahren, sondern zum Beispiel auch Ordnungswidrigkeiten- und beamtenrechtliche Disziplinarverfahren zu verstehen.3 Die §§ 24 bis 26 PUAG regeln das eigentliche Verfahren zur Zeugenvernehmung, das sich an den Bestimmungen für Strafverfahren orientiert. Dem Ausschussvorsitzenden als Verhandlungsleiter kommt bei der Einhaltung der Verfahrensregeln eine besondere Rolle zu. Die Zeugen sind unter anderem vor der Vernehmung zur Wahrheit zur ermahnen und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren (§ 24 Abs. 3 PUAG). Zu Beginn der Vernehmung erhalten sie die Gelegenheit, sich im Zusammenhang zu äußern. Wie auch im Strafprozess sind Vernehmungsmethoden, die die freie Willensentschließung und -betätigung durch Täuschung, Drohung oder ähnliche Mittel beeinträchtigen, verboten, § 24 Abs. 6 PUAG i.V.m. § 136a StPO. § 25 PUAG normiert die Zulässigkeit der Fragen an den Zeugen. So sind beispielsweise ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen vom Ausschussvorsitzenden zurückzuweisen . Gemäß § 26 PUAG ist dem Zeugen das Wortprotokoll seiner Vernehmung zuzustellen. Der Zeuge erhält so die Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen seine Aussage zu überprüfen und gegebenenfalls zu berichtigen oder eine erneute Vernehmung zu erwirken. Erst danach ist der förmliche Abschluss der Vernehmung möglich. Dies ist auch vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass bis zur Beendigung der Vernehmung die Korrektur einer Falschaussage strafbefreiend wirkt.4 Auch Angehörige des öffentlichen Dienstes sind zur Aussage vor einem Untersuchungsausschuss verpflichtet. Da sie der Amtsverschwiegenheit unterliegen, verpflichtet § 23 PUAG grundsätzlich die Bundesregierung, die erforderlichen Aussagegenehmigungen zu erteilen. 2 Roßbach, in: Waldhof/Gärditz, PUAG (2015), § 20 Rn. 38. 3 Pieper/Spoerhase, Untersuchungsausschussgesetz (2012), § 22, Rn. 2. 4 Pieper/Spoerhase, Untersuchungsausschussgesetz (2012), § 26, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 265/16 Seite 5 3. Durchsetzung der Beweiserhebungsbeschlüsse Zur Durchsetzung der Beweiserhebungsbeschlüsse kann der Untersuchungsausschuss selbst tätig werden oder gerichtliche Hilfe beantragen. 3.1. Herausgabeverlangen gegenüber der öffentliche Hand Sofern die Bundesexekutive die Herausgabe von Akten verweigert oder diese nur eingestuft als Verschlusssache herausgibt, kann der Untersuchungsausschuss das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beziehungsweise den Bundesgerichtshof (BGH) anrufen, § 18 Abs. 3 PUAG. Über Streitigkeiten hinsichtlich der Herausgabe von Akten von Bundesgerichten (Rechtshilfe) oder von Landesbehörden und -gerichten (Amtshilfe) entscheidet nach § 18 Abs. 4 S. 2 PUAG der Ermittlungsrichter des BGH auf Antrag des Untersuchungsausschusses. 3.2. Herausgabeverlangen gegenüber privaten natürlichen oder juristischen Personen Werden Gegenstände von privaten natürlichen oder juristischen Personen nicht freiwillig herausgegeben , kann der Untersuchungsausschuss ein Ordnungsgeld bis zu 10.000 Euro festsetzen, § 29 Abs. 2 PUAG. Auf Antrag des Ausschusses kann der Ermittlungsrichter beim BGH zur Erzwingung der Herausgabe Beugehaft oder die Beschlagnahme von Beweismitteln anordnen, § 29 Abs. 2 und 3 PUAG. Auch hier sind die Vorgaben für Strafprozesse anzuwenden. Sofern der Gewahrsamsinhaber geltend macht, der geforderte Gegenstand sei für den Ausschuss unbedeutend oder betreffe ein Geheimnis (§ 14 Abs. 1 PUAG), dürfen die Zwangsmittel nur angeordnet werden, wenn das Beweismittel keine Informationen enthält, deren Weitergabe wegen ihres streng vertraulichen Charakters unzumutbar wäre und der Untersuchungsausschuss für das Beweismittel den Geheimhaltungsgrad „GEHEIM“ beschlossen hat (§ 30 Abs. 1 PUAG). 3.3. Zwangsmittel gegenüber Zeugen Bleiben Zeugen trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt aus, kann der Untersuchungsausschuss ihre zwangsweise Vorführung ohne richterliche Entscheidung anordnen oder ein Ordnungsgeld bis zu 10.000 Euro festsetzen (§ 21 Abs. 1 S. 1 PUAG). Ebenso können dem Zeugen die Kosten des Ausbleibens auferlegt werden. Verweigert ein Zeuge ohne gesetzlichen Grund die Aussage, gemeint ist ein bestehendes Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht, kann ein Ermittlungsrichter des BGH auf Antrag des Untersuchungsausschusses Beugehaft anordnen, § 27 Abs. 2 PUAG. Falschaussagen von Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss sind nach §§ 153, 162 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB siehe Anlage 4) strafbar. Für etwaige Ermittlungen ist die Staatsanwaltschaft zuständig. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 265/16 Seite 6 3.4. Rechtschutz von privaten Personen Auch im Verfahren vor dem Untersuchungsausschuss gilt die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtschutzes gegen Akte der öffentlichen Hand, Art. 19 Abs. 4 GG.5 Privaten Personen steht sowohl gegen gerichtliche als auch gegen Maßnahmen des Untersuchungsausschusses selbst der Rechtsweg vor dem BGH offen, § 36 PUAG. 4. Erfahrungen in der Praxis Es bestehen keine statistischen Erhebungen über die Durchsetzung von Beweisbeschlüssen und die Verhängung von Zwangsmaßnahmen in der Praxis. Untersuchungsausschüsse haben in der Vergangenheit mehrfach das BVerfG oder den BGH gegen die öffentliche Hand angerufen. Streitgegenstand waren dabei beispielsweise die Herausgabe von Akten oder der Umfang von Aussagegenehmigungen (§ 23 PUAG). Aus den Abschlussberichten der Untersuchungsausschüsse der vergangenen drei Wahlperioden geht hervor, dass Zeugen wiederholt von ihren Rechten auf Rechtsbeistand und Aussage- beziehungsweise Zeugnisverweigerung Gebrauch gemacht haben. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegenüber Zeugen und privaten Gewahrsamsinhabern wurde in mehreren Ausschüssen zwar diskutiert, jedoch soweit ersichtlich letztlich nicht beschlossen. In Bezug auf Strafverfahren wegen möglicher uneidlicher Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss wurden der zuständigen Staatsanwaltschaft in einigen Fällen im Rahmen der Amtshilfe die Protokolle der jeweiligen Zeugenvernehmungen übergeben. *** 5 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (2016), Art. 44 Rn. 72.