© 2015 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 265/15 Schutz von Bewohnerinnen und Bewohnern in Sammelunterkünften Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 265/15 Seite 2 Schutz von Bewohnerinnen und Bewohnern in Sammelunterkünften Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 265/15 Abschluss der Arbeit: 29. Oktober 2015 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 265/15 Seite 3 1. Muss der Staat Schutzvorkehrungen zugunsten von Bewohnerinnen und Bewohnern von Sammelunterkünften – insbesondere von Kindern und Frauen treffen und wenn ja, in welchem Ausmaß? Bestimmungen zu Schutzvorkehrungen bei der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften lassen sich – zum Teil nur in sehr allgemeiner Form – europa-, bundes- und landesrechtlichen Vorschriften entnehmen. Diese betreffen neben Fragen der Art der Unterbringung insbesondere die bauliche Beschaffenheit der Unterkünfte (1.1.). Gefährdungen von Leib und Leben der Bewohnerinnen und Bewohner von Sammelunterkünften ist darüber hinaus auf dem Wege der Wohnungszuweisung oder durch das Polizei- und Sicherheitsrecht der Kommunen und Länder (1.2.) zu begegnen. 1.1. Gesetzliche Vorgaben zur Unterbringung in Sammelunterkünften 1.1.1. Europarechtliche Vorgaben Gemäß Artikel (Art.) 18 der Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen vom 26. Juni 20131 (Aufnahmerichtlinie – AufnRL) sollte bei einer Unterbringung in Unterbringungszentren (Sammelunterkünfte) ein angemessener Lebensstandard gewährleistet sein. Die Mitgliedstaaten tragen ferner Sorge dafür, dass Antragstellern der Schutz ihres Familienlebens gewährleistet sowie geschlechts- und altersspezifische Aspekte wie die Situation von schutzbedürftigen Personen beachtet werden. Es sind ferner geeignete Maßnahmen zu treffen, damit Übergriffe und geschlechtsbezogene Gewalt einschließlich sexueller Übergriffe und Belästigung in den Unterbringungszentren verhindert werden. Das in den Unterbringungszentren eingesetzte Personal muss angemessen geschult sein. In begründeten Ausnahmefällen können die Mitgliedstaaten von diesen Modalitäten abweichen, insbesondere wenn die üblicherweise verfügbaren Unterbringungskapazitäten erschöpft sind (Art. 18 Absatz (Abs.) 9 Buchstabe (Buchst.) b AufnRL). Für schutzbedürftige Personen normiert Kapitel IV der Aufnahmerichtlinie besondere Bestimmungen . Danach berücksichtigen die Mitgliedstaaten die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht (Art. 21 AufnRL). Zu diesem besonderen Personenkreis zählen Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, behinderte Menschen, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels , Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Um diesen Schutz zu gewährleisten, ist von den Mitgliedstaaten daher zu beurteilen, ob und gegebenenfalls welche besonderen Bedürfnisse bei der Aufnahme vorliegen (Art. 22 AufnRL). Im Hinblick auf Minderjährige ist von den Mitgliedstaaten u.a. der Möglichkeit einer Familienzusammenführung, der Gefahrenabwehr, der Einrichtung von 1 Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013, ABl. L 180/96. Die Umsetzung der Aufnahmerichtlinie in deutsches Recht zum 20. Juli 2015 ist noch nicht erfolgt. Mit der Aufnahmerichtlinie wurde die bis zum 20. Juli 2015 geltende Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31 vom 6. 2. 2003, S. 18) in wesentlichen Punkten geändert. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 265/15 Seite 4 Spiel- und Erholungsmöglichkeiten sowie im Bedarfsfall einer psychologischen Betreuung Rechnung zu tragen (Art. 23 AufnRL). Unbegleitete Minderjährige sind nur in Aufnahmezentren mit speziellen Einrichtungen für Minderjährige unterzubringen (Art. 24 AufnRL). Die Aufnahmerichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten damit zu einer Beurteilung des Schutzbedarfs bei der Aufnahme und zur Berücksichtigung etwaiger besonderer Bedürfnisse. Es ist jedoch den Mitgliedstaaten überlassen, auf welche Weise dies im Einzelnen erfolgt. Auch in Bezug auf die Vermeidung von geschlechtsbezogener Gewalt oder Gewalt gegen Minderjährige obliegt es den Mitgliedstaaten durch geeignete Maßnahmen eine Gefahrenabwehr zu ermöglichen. 1.1.2. Bundesrecht Die Bedingungen der Aufnahme und die Gewährleistung des Schutzes von Bewohnerinnen und Bewohnern von Sammelunterkünften ergeben sich aufgrund der Zuständigkeiten der Länder und Kommunen nicht aus dem Bundesrecht. Dieses enthält lediglich allgemeine Regelungen zur Unterbringung. Danach ist grundsätzlich zwischen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zu unterscheiden. Gemäß § 47 Asylgesetz (AsylG) sind Ausländer, die den Asylantrag bei einer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu stellen haben, verpflichtet, bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zu sechs Monaten, in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Die Schaffung und der Unterhalt dieser Aufnahmeeinrichtungen ist Aufgabe der Länder (§ 44 Abs. 1 AsylG). Mindestanforderungen an die Größe und Beschaffenheit dieser Unterkünfte sind bundesgesetzlich nicht geregelt. Um den Ländern einen möglichst großen Gestaltungsspielraum zu ermöglichen, stellt § 47 Abs. 3 AsylG ferner von dem Erlaubnisvorbehalt des § 45 Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) frei, nach dem Träger einer Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages betreut werden, einer Erlaubnis für den Betrieb bedürfen. Bei der Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen erfolgt im nationalen Recht eine Begrenzung des Gestaltungsspielraumes daher nur durch das Gebot der Beachtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG).2 Ausländer, die einen Asylantrag gestellt haben und nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, sollen nach § 53 Abs. 1 AsylG in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Hierbei sind sowohl das öffentliche Interesse als auch Belange des Ausländers zu berücksichtigen. Eine bestimmte Form der Unterbringung ist den Gemeinden und Kreisen damit zwar nicht vorgeschrieben, der Sammelunterbringung wird durch die gesetzliche Formulierung jedoch der Vorrang eingeräumt. Auch für Gemeinschaftsunterkünfte existieren keine konkreten bundesrechtlichen Vorschriften hinsichtlich der Beschaffenheit von Unterkünften. Die mit der Wohnsitznahme in Gemeinschaftsunterkünften typischerweise verbundenen Nachteile sind von Asylbewerbern grundsätzlich hinzunehmen.3 Die auch diesbezüglich bestehende Begrenzung durch das Recht auf eine menschenwürdige Gemeinschaftsunterkunft 2 Hailbronner, Ausländerrecht, 88. EL, Oktober 2014, B 2, § 44 Asylverfahrensgesetz, Rn. 11. 3 Hailbronner, Ausländerrecht, 88. EL, Oktober 2014, B 2, § 53 Asylverfahrensgesetz, Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 265/15 Seite 5 wurde in der Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, dass „Wohnen ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen“ ermöglicht werden muss.4 1.1.3. Landesrecht In Umsetzung der aus § 44 und § 53 AsylG resultierenden Verpflichtung zur Schaffung und zum Unterhalt von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften haben die Länder jeweils eigene Ausführungs- bzw. Durchführungsgesetze erlassen. Die spezifische Landesgesetzgebung weist insofern ein uneinheitliches Bild auf: Teilweise werden bestimmte Mindeststandards vorgegeben , größtenteils wird hierauf aber verzichtet.5 Beispielsweise regelt der Freistaat Bayern in Art. 4 Abs. 3 des Aufnahmegesetzes (AufnG) lediglich, dass Gemeinschaftsunterkünfte aus mehreren Teilunterkünften bestehen können und die Mindestkapazität einer Teilunterkunft 30 Plätze nicht unterschreiten soll. Ein Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft könne in begründeten Ausnahmefällen gestattet werden, insbesondere im Falle der Unzumutbarkeit der Unterbringung aufgrund von Krankheit oder Schwangerschaft (Art. 4 Abs. 6 AufnG). Weitere Regelungen finden sich sodann auf untergesetzlicher Ebene in Form von Leitlinien, die sich ebenfalls von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. So hat das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Leitlinien zur Ausgestaltung der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften erlassen.6 Diese sehen vor, dass Bewohner nach zeitgemäßen humanitären Maßstäben angemessen untergebracht sein sollen. Insbesondere Gesundheit und sittliches Empfinden der Bewohner sind hohe Güter, die der Fürsorge und des Respekts der staatlichen Stellen bedürfen. Ferner sollen in einem Raum nicht mehr als vier (maximal sechs) Bewohner untergebracht werden. Soweit es sich nicht um Familien handelt, sind die Bewohner nach Geschlechtern getrennt unterzubringen. Ziel ist es, Familien möglichst in abgetrennten Wohneinheiten unterzubringen oder die besonderen Belange von Familien bei der Zimmerzuteilung zu berücksichtigen. Neben konkreten Vorschriften zur Ausstattung der Räume enthalten die Leitlinien des Freistaates Bayern die Vorgabe, dass die zugeteilten Räume u.a. abschließbar sein müssen. Insbesondere wenn Gemeinschaftswasch- und Duschräume genutzt werden, müssen diese regelmäßig für männliche und weibliche Bewohner getrennt und abschließbar eingerichtet werden. Im Hinblick auf in den Gemeinschaftsunterkünften wohnende Kinder enthalten die Leitlinien die Vorgabe, dass ein Spielzimmer und bei Bedarf auch ein Zimmer zur Erledigung von Hausaufgaben zur Verfügung zu stellen ist. Schließlich ist in sicherheitstechnischer Hinsicht vorgeschrieben, dass in den Gemeinschaftsunterkünften eine 4 VGH Hessen, Beschluss vom 9.12.1994, Az.: 9 TG 2341/94. 5 Vgl. Wendel, Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland, August 2014; abrufbar unter: http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/NEWS/2014/Laendervergleich_Unterbringung_2014-09-23_02.pdf. 6 Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Leitlinien, Leitlinien zur Ausgestaltung der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften vom 1. April 2010. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 265/15 Seite 6 schnellstmögliche Alarmierung der zuständigen Polizeidienststelle, der Feuerwehr, des Notarztes und des Trägers zu ermöglichen ist. In baulicher Hinsicht enthalten die sehr ausdifferenzierten Landesregelungen damit gewisse Mindeststandards – wie die geschlechtergetrennte Unterbringung sowie die Abschließbarkeit von Wohn- und Sanitärräumen –, die etwaigen Übergriffen vorbeugen sollen. 1.2. Reaktionsmöglichkeiten auf Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Soweit nicht die abstrakte Gefahrenvermeidung betroffen ist, sondern von einzelnen Personen oder Personengruppen innerhalb der Gemeinschaftseinrichtung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere für Leib und Leben anderer Bewohnerinnen und Bewohner, ausgeht, sind die Sicherheitsbehörden der Länder und Kommunen zur Gefahrenabwehr verpflichtet. Diese Aspekte sind bereits bei der Entscheidung über die Unterbringung zu berücksichtigen. Bei der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften sind gemäß § 53 Abs. 1 Satz (S.) 2 AsylG sowohl das öffentliche Interesse als auch Belange des Ausländers zu berücksichtigen. Sofern von einer Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft abgewichen werden soll, müssen persönliche Umstände vorliegen, die gegenüber den mit der Regelunterbringung verfolgten Zielen vorrangig sind. Hierzu zählen insbesondere familiäre und gesundheitliche Bedürfnisse.7 Aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann sich ein Anspruch auf Unterbringung in einer Privatunterkunft ergeben, wenn die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt.8 Drohende oder bereits eingetretene gesundheitliche Schäden oder Nachwirkungen der Verfolgung, bei Opfern von Folterungen oder Gruppenrivalitäten, sind bei der Abwägung von besonderer Bedeutung.9 Damit kann die staatliche Schutzpflicht gegenüber dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit der Bewohnerinnen und Bewohner von Sammelunterkünften nicht nur durch bauliche Maßnahmen, sondern vor allem auch dadurch erfüllt werden, dass im Einzelfall eine andere Art der Unterbringung gewählt wird. Eine anderweitige Unterbringung kann sich im Gefährdungsfall auch auf die Person oder Personengruppe beziehen, von der eine Gefährdung ausgeht. Dies ist wiederum in den entsprechenden Landesgesetzen geregelt. So sieht etwa § 8 Abs. 1 der Asyldurchführungsverordnung des Freistaates Bayern (DVAsyl) vor, dass aus Gründen des öffentlichen Interesses oder auf Antrag des Leistungsberechtigten landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde erfolgen kann. Aus den gleichen Gründen kann ein Leistungsberechtigter auch aufgefordert werden, in eine andere Unterkunft umzuziehen. Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen danach insbesondere vor, wenn auf Grund konkreter oder allgemeiner Erkenntnisse zu bestimmten Personen oder Personengruppen zu vermuten ist, dass durch die gleichzeitige Unterbringung verfeindeter oder rivalisierender Staatsangehöriger oder ethnischer Gruppen Sicherheitsrisiken nicht auszuschließen sind, durch den Ort der Unterbringung der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten Vorschub geleistet wird oder 7 Hailbronner, Ausländerrecht, 88. EL, Oktober 2014, B 2, § 53 Asylverfahrensgesetz, Rn. 16. 8 Hailbronner, Ausländerrecht, 88. EL, Oktober 2014, B 2, § 53 Asylverfahrensgesetz, Rn. 17. 9 VG Freiburg, Urteil vom 18.12.2003, Az. 1 K 2104/02. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 265/15 Seite 7 diese begünstigt werden können oder durch die Belegung die innere Ordnung oder die internen Betriebsabläufe in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigt werden (§ 9 DVAsyl). Das Konzept der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist aufgrund dieses Befundes davon getragen, Sicherheitsgefährdungen durch eine andere Form der Unterbringung oder durch die Unterbringung an einem anderen Ort auszuschließen. Hierzu kann auch die der Fragestellung immanente Konstellation gezählt werden, dass Frauen oder Kinder durch andere Bewohnerinnen und Bewohner gefährdet werden. Sofern eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und körperliche Unversehrtheit von Bewohnerinnen und Bewohnern bevorsteht, sind die Polizeibehörden der Länder aufgrund des regulären Polizeiund Sicherheitsrechts auch in Bezug auf Sammelunterkünfte verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen.10 2. Macht es im Hinblick auf staatliche Schutzpflichten einen Unterschied, in welcher Einrichtung geflüchtete Frauen (und Kinder) leben? Die unter 1.) dargestellten Schutzpflichten gelten grundsätzlich unabhängig von der Art der Unterbringung. Je mehr sich durch staatliche Vorgaben die Gefahr etwaiger elementarer Rechtsgutverletzungen vergrößert, steigen auch die Anforderungen an präventive Sicherheitsmaßnahmen der staatlichen Stellen. Insofern dürfte gerade durch die Unterbringung in Sammelunterkünften von einer erhöhten Gefahr für potentielle Rechtsgutverletzungen gegenüber anderen Bewohnerinnen und Bewohnern auszugehen sein, was von den zuständigen Stellen im Rahmen der Gefahrenprävention zu berücksichtigen ist. 3. Ist das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) auf Sammelunterkünfte von Flüchtlingen anwendbar? Die Anwendung des Gewaltschutzgesetzes ist in Bezug auf Sammelunterkünfte zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die praktische Relevanz für die Geltendmachung eines Anordnungsanspruches nach § 1 GewSchG dürfte angesichts der vorrangigen Möglichkeit einer Umverteilung allerdings gering sein. Zu beachten ist hierbei auch, dass das Gewaltschutzgesetz als zivilrechtlich besonders ausgestalteter und strafbewehrter Unterlassungsanspruch keine staatlichen Schutzpflichten normiert. Nach § 1 GewSchG sind die Zivilgerichte befugt, bei der vorsätzlichen und widerrechtlichen Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen (Schutzanordnungen) zu treffen. Dies gilt nach § 1 Abs. 2 GewSchG auch bei einer widerrechtlichen Drohung mit Rechtsgutverletzungen oder im Falle einer unzumutbaren Belästigung. Die Regelungen des Gewaltschutzgesetzes sind damit ausschließlich zivilrechtlicher und zivilprozessualer Natur. Schutzanordnungen gegen einen konkreten Täter können durch das Gericht nur auf Antrag der verletzten Person erlassen werden. 10 Vgl. etwa für den Freistaat Bayern: Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 Polizeiaufgabengesetz (PAG). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 265/15 Seite 8 Mit Ausnahme des Verhältnisses von Kindern zu ihren Eltern11 gilt das Gewaltschutzgesetz für jede Person12, weshalb auch Bewohnerinnen und Bewohner von Sammelunterkünften grundsätzlich antragsbefugt sind.13 In seinem sachlichen Anwendungsbereich ist § 1 GewSchG nicht auf Gewalttaten im häuslichen Bereich beschränkt. Ausweislich der Gesetzesbegründung14 sollte durch einen weit gefassten Anwendungsbereich der Eindruck vermieden werden, der zivilrechtliche Schutz vor Gewalttaten außerhalb einer häuslichen Lebensgemeinschaft sei geringer. Gewalttaten im sozialen Nahbereich spielten sich gerade auch außerhalb häuslicher Gemeinschaften und in den Fällen ab, in denen zwischen der verletzten Person und dem Täter keine persönliche Beziehung besteht. Als „Gefahrenpotenzial“ für die Begehung weiterer Taten werden gleichwohl solche Taten betrachtet, die sich im Rahmen von engen sozialen Bindungen ereignen. Zur Abgrenzung hiervon sind in der Gesetzesbegründung „Gewalttaten im Rahmen von öffentlichen Großveranstaltungen“ benannt, bei denen die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Taten nicht von vorneherein angenommen werden könne. Angesichts der nicht nur kurzzeitigen engen räumlichen Nähe unter den Bewohnerinnen und Bewohnern einer Sammelunterkunft, dürfte aufgrund der damit zusammenhängenden sozialen Bindungen das spezifische Gefahrenpotential für die Begehung weiterer Taten zu bejahen sein. Der Anwendungsbereich des § 1 GewSchG ist daher auch in diesen Fällen grundsätzlich eröffnet. Rechtliche Bedenken bestehen indes hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 2 GewSchG. Hierbei handelt es sich um einen dem Deliktsrecht zuzuordnenden Anspruch auf Wohnraumüberlassung an die verletzte Person, wenn eine Tat nach § 1 Abs. 1 GewSchG (Körper-, Gesundheits- oder Freiheitsverletzung) durch eine Person verübt wurde, die mit der verletzten Person einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führt. Dies setzt eine Lebensgemeinschaft voraus, die auf Dauer angelegt ist, keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen und die über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.15 Erfasst sind damit insbesondere die klassischen Formen häuslicher Gewalt, in denen dem Täter neben der verletzten Person ein Nutzungsrecht bezüglich einer konkreten Wohnung zusteht, ein Zusammenleben beider Personen aber nicht mehr zugemutet werden kann.16 In Bezug auf Sammelunterkünfte sind Formen der häuslichen Gewalt zwischen Eheleuten sowie in nichtehelichen Lebensgemeinschaften und Familien zwar ebenfalls denkbar. Für die Anordnung einer zivilrechtlichen Wohnraumüberlassung nach § 2 GewSchG wird jedoch regelmäßig kein Raum sein, da Gemeinschaftsunterkünfte nicht dem 11 Vgl. § 3 Abs. 1 GewSchG. 12 BT-Drs. 14/5429, S. 17. 13 Im Hinblick auf die Geltendmachung eines widerrechtlichen Eingriffs in die Freiheit der verletzten Person durch staatliche Organe bzw. der entsprechend beauftragten Personen dürften jedoch die Einschränkungen zu beachten sein, die sich aus dem besonderen Status als Flüchtling ergeben. 14 BT-Drs. 14/5429, S. 18. 15 Krüger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 2 GewSchG, Rn. 5. 16 Vgl. BT-Drs. 14/5429, S. 19 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 265/15 Seite 9 dauerhaften Wohnen dienen, sondern nur einen vorübergehenden Unterbringungsbedarf befriedigen sollen.17 Ferner ist das auf ein Zimmer oder eine Wohnung einer Gemeinschaftsunterkunft bezogene Nutzungsverhältnis öffentlich – rechtlicher Natur, so dass es zur Durchsetzung einer alleinigen Wohnraumüberlassung keines zivilrechtlichen Anordnungsanspruches bedarf, sondern dieses Ziel durch schlicht hoheitliches Handeln zur Gefahrenabwehr oder im Rahmen der dargestellten Wohnungszuweisung erreicht werden kann. Ende der Bearbeitung 17 Hailbronner, Ausländerrecht, 88. EL, Oktober 2014, B 2, § 53 Asylverfahrensgesetz, Rn. 9.