© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 264/20 Auslegung der Musterquarantäne-Verordnung des Bundes und der Berliner Corona-Verordnung in Bezug auf Mitarbeiter der Abgeordneten und der Fraktionen des Bundestages Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Einleitung Im Oktober 2020 haben die Innen- und Gesundheitsministerien von Bund und Ländern eine Muster- Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 (im Folgenden: Muster-VO) erstellt. Das Muster stellt eine gemeinsame Empfehlung für alle Länder dar, die eine Verordnung aufgrund des § 32 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) erlassen wollen, und soll gewährleisten, dass bundesweit möglichst einheitliche Regelungen gelten.1 § 1 Abs. 1 Muster-VO enthält eine grundsätzliche Verpflichtung für Personen, die nach Deutschland einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zehn Tagen vor Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, sich unverzüglich nach der Einreise für 10 Tage in häusliche Quarantäne zu begeben. Ausgenommen sind davon gem. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 e) Muster-VO (Hervorhebung durch den Verfasser): „1. Personen, deren Tätigkeit für die Aufrechterhaltung […] e) der Funktionsfähigkeit von Volksvertretung, Regierung und Verwaltung des Bundes, der Länder und der Kommunen […] unabdingbar ist; die zwingende Notwendigkeit ist durch den Dienstherrn, Arbeitgeber oder Auftraggeber zu bescheinigen. “ Dies gilt gem. § 2 Abs. 3 S. 2, 3 Muster-VO nur dann, wenn die Person ein negatives Testergebnis in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Corona-Test) vorlegt. Der Test muss entweder bei der Einreise oder nicht früher als 48 Stunden vor der Einreise vorgenommen worden sein. Die meisten Bundesländer haben diese Verordnung – soweit ersichtlich – ohne wesentliche Abweichungen umgesetzt. Insbesondere hat das Land Berlin am 3. November 2020 durch die Elfte Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung (VO-Berlin) diese neu gefasst.2 Die 10-tägige Quarantäneverpflichtung wurde in § 8 Abs. 1 VO-Berlin übernommen. In § 9 Abs. 2 Nr. 2 b) VO-Berlin wurde die Ausnahme für Personen, deren Tätigkeit der Aufrechterhaltung der der Funktionsfähigkeit von Volksvertretung, Regierung und Verwaltung des Bundes, der Länder und der Kommunen aus der Muster-VO unverändert übernommen. Allerdings wurde die Bescheinigungspflicht des Arbeitgebers dabei wie folgt gefasst (Hervorhebung durch den Verfasser ): „die zwingende Notwendigkeit ist durch den Dienstherrn oder Arbeitgeber zu prüfen und schriftlich zu bescheinigen“. 1 Muster-Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus, https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1798906/0a2294f4c1310622597ea8a24dad8521/2020- 10-14-musterquarantaeneverordnung-data.pdf?download=1 (letzter Abruf: 13. November 2020). 2 Elfte Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung vom 3. November 2020, https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 264/20 Seite 4 Ferner gilt die Einschränkung der Vorlage eines negativen Corona-Tests – abweichend von der Muster-VO – nur für andere Gruppen von Personen gem. § 9 Abs. 3 VO-Berlin und nicht für Personen im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 2 b) VO-Berlin. Vor diesem Hintergrund wird gefragt, inwieweit die Mitarbeiter der Abgeordneten und der Fraktionen des Deutschen Bundestages unter die oben genannten Ausnahmeregelungen der Muster-VO bzw. der VO-Berlin fallen und durch wen dies ggf. in der Praxis zu bescheinigen ist. 2. Auslegung der Muster-VO und der BO-Berlin Soweit ersichtlich, existieren zu dieser Fragestellung gegenwärtig weder juristische Kommentierungen noch eine Rechtsprechung. Die Prüfung kann daher zum jetzigen Zeitpunkt lediglich anhand der Auslegung der Vorschrift nach den gängigen juristischen Auslegungsgrundsätzen Wortlaut, Historie, Systematik sowie Sinn und Zweck vorgenommen werden. Der Wortlaut der Vorschrift ist weit gefasst, es ist etwa keine Begrenzung auf gewählte Abgeordnete des Bundestages oder Mitglieder von bestimmten Gremien des Bundestages enthalten. Die Mitarbeiter sowohl der Abgeordneten als auch der Fraktionen sind daher vom Wortlaut der Muster- VO bzw. VO-Berlin erfasst. Hinsichtlich der Historie der Normentstehung ist vor allem auf die Begründung der Muster-VO zu verweisen.3 Diese führt zu § 3 Abs. 3 Muster-VO aus, dass es unter infektiologischen Gesichtspunkten vertretbar und zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten sei, auf eine Absonderung in häuslicher Quarantäne zu verzichten, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch eine Negativ-Testung einerseits als gering einzustufen ist und andererseits ein gesamtstaatliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Wirtschaft und sonstiger wichtiger Bereiche des persönlichen und öffentlichen Lebens eine Ausnahme rechtfertigt.4 Der Begriff „Funktionsfähigkeit der Volksvertretung “ wird dabei nicht weiter erläutert. Eine Beschränkung nur auf Abgeordnete oder bestimmte Mitarbeiter des Bundestages hatten die Ersteller der Muster-VO damit nicht vor Augen, sodass Mitarbeiter von Abgeordneten und Fraktionen grundsätzlich unter die Ausnahme fallen können. Die VO-Berlin wurde, soweit ersichtlich, ohne gesonderte Begründung verabschiedet, die bei der vorliegenden Fragestellung hätte berücksichtigt werden können. Bei der systematischen Auslegung kann eine andere Ausnahme in § 2 Abs. 2 Nr. 2 d) Muster-VO berücksichtigt werden, wonach bei Aufenthalten von weniger als 72 Stunden bei Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte hochrangige Mitglieder von Volksvertretungen von der Quarantänepflicht befreit sind. Hier haben die Ersteller der Muster-VO also ausdrücklich eine Ausnahme nur für eine kleine Gruppe von hochrangigen Abgeordneten geschaffen, die in den genannten Fällen ohne Vorlage eines negativen Corona-Tests von der Quarantäne-Pflicht befreit sind. Da im Rahmen von § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 e) Muster-VO dagegen keine ausdrückliche Begrenzung auf bestimmte Abgeordnete bzw. Mitarbeiter enthalten ist, spricht dies eher dafür, dass die 3 Siehe Muster-Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Fn. 1), S. 10 ff. 4 Muster-Verordnung zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Fn. 1), S. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 264/20 Seite 5 Ersteller der Muster-VO hier den Kreis der berechtigten Personen bewusst weiter fassen wollten und auch Mitarbeiter der Abgeordneten und Fraktionen nicht grundsätzlich ausschließen wollten. Schließlich sind bei der Prüfung des Zwecks der Vorschrift mehrere Punkte zu berücksichtigen: Einerseits soll durch die Quarantäneverpflichtung ein wirksamer Infektionsschutz erreicht werden, sodass die Ausnahmen grundsätzlich eng auszulegen sind. Andererseits ist im Rahmen der Auslegung des Begriffs der „Funktionsfähigkeit der Volksvertretung“ neben der grundlegenden Rolle des Bundestages als gesetzgebende Gewalt auch das freie Mandat jedes gewählten Abgeordneten sowie die Unentbehrlichkeit von Fraktionen5 zu berücksichtigen (Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz). Zu einer angemessenen Ausstattung von Abgeordneten gehört gem. § 12 Abs. 3 Abgeordnetengesetz auch die Beschäftigung von Mitarbeitern zur Unterstützung bei der Erledigung der parlamentarischen Arbeit. Grundsätzlich dürften somit Mitarbeiter von Abgeordneten und Fraktionen von der Ausnahmeregelung der Muster-VO und der VO-Berlin umfasst sein. Die entscheidende Frage dürfte damit sein, ob der betroffene Mitarbeiter im Einzelfall „zwingend notwendig“ für die Tätigkeit des Abgeordneten bzw. der Fraktion ist. Gerade die Formulierung in § 9 Abs. 2 Nr. 2 b) VO-Berlin, wonach diese zwingende Notwendigkeit vom Dienstherrn bzw. dem Arbeitgeber zu prüfen ist, spricht dafür, eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Dabei dürfte auch zu prüfen sein, ob die Tätigkeit aus dem Home-Office erledigt werden kann und daher auch bei Einhaltung der häuslichen Quarantäne möglich ist. Für eine solche Prüfung und Bescheinigung der zwingenden Notwendigkeit der betroffenen Person ist bei Mitarbeitern von Abgeordneten der entsprechende Abgeordnete als einziger Arbeitgeber, vgl. § 12 Abs. 3 S. 8 und 9 Abgeordnetengesetz, und bei Mitarbeitern von Fraktionen die Fraktion als rechtsfähige Vereinigung gem. § 46 Abs. 1 Abgeordnetengesetz und Arbeitgeber der Fraktionsmitarbeiter 6 zuständig, die durch die Fraktionsleitung vertreten wird. *** 5 Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.) , Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 91. EL April 2020, GG Art. 38 Rn. 240. 6 Siehe Koch, Arbeitsverträge der Mitarbeiter von Fraktionen und Gruppen nach dem Ende der Wahlperiode aus parlamentsrechtlicher Sicht, NZA 1998, 1160.