© 2020 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 262/20 Qualifikation der Bundesminister Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 262/20 Seite 2 Qualifikation der Bundesminister Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 262/20 Abschluss der Arbeit: 18. November 2020 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 262/20 Seite 3 1. Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit der Fragestellung, unter welchen Umständen die künftige Ernennung der Minister ausschließlich nach deren Fachkompetenz im jeweiligen Ressort der Bundesrepublik Deutschland möglich wäre und welche rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen werden müssten. 2. Materielles Kabinettsbildungsrecht des Bundeskanzlers Nach Art. 64 Abs. 1 Grundgesetz (GG) werden die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. Art. 66 GG bestimmt dazu, dass die Bundesminister kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch ohne Zustimmung des Bundestages dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören dürfen. Aus den Vorschriften der Art. 63, Art. 64 und Art. 67 GG wird das „materielle Kabinettsbildungsrecht “ des Bundeskanzlers abgeleitet, welches auch als „Personalgewalt“ oder „Personalkompetenz“ bezeichnet wird.1 Danach bestimmt der Bundeskanzler, wer Bundesminister wird und bleibt. Das dem Bundespräsidenten gegenüber auszuübende Vorschlagsrecht des Bundeskanzlers erstreckt sich auf Zahl und Eignung der Ministerkandidaten.2 Die Entscheidung über die personelle Besetzung der Ministerämter und den Zuschnitt der Ministerien , soweit sie nicht im Grundgesetz selbst festgelegt werden, trifft der Bundeskanzler im alleinigen, freien Ermessen.3 Art. 64 GG räumt dem Bundeskanzler dabei ein weites politisches Ermessen ein.4 Eine Person, die der Bundeskanzler gemäß Art. 64 Abs. 1 GG als Minister vorschlägt, muss nach herrschender Auffassung die allgemeinen Wählbarkeitsvoraussetzungen erfüllen, die auch im Falle der Wahl des Bundeskanzlers vorliegen müssen. Der Vorgeschlagene muss deutscher Staatsangehöriger i.S.d. Art. 116 GG sein, das passive Wahlrecht zum Bundestag besitzen und zudem die Gewähr der Verfassungstreue bieten.5 Das Grundgesetz sieht weitere Voraussetzungen, insbesondere eine Einschränkung für die Ministerernennung nach fachlicher Eignung, nicht vor. Die Besetzung der Ministerämter ist wie die Wahl 1 Epping, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 44. Edition, Stand 15.08.2020, Art. 64 Rn. 2; Hermes, in: Dreier Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 64 Rn. 5. 2 Roth, Bundeskanzlerermessen im Verfassungsstaat, 2009, S. 132. 3 Herzog, in: Maunz/Dürig Grundgesetz-Kommentar, 91. EL April 2020, Art. 64 Rn. 4 ff. 4 Epping, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 44. Edition, Stand 15.08.2020, Art. 64 Vorbemerkung. 5 Hermes, in: Dreier Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 64 Rn. 25; Herzog, in: Maunz/Dürig Grundgesetz- Kommentar, 91. EL April 2020, Art. 64 Rn. 13; Epping, in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 44. Edition, Stand 15.08.2020, Art. 64 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 262/20 Seite 4 des Bundeskanzlers eine rein politische Entscheidung, für die im Grundgesetz ein Bezugspunkt zur Eignung, Befähigung oder fachlichen Leistung fehlt.6 Ebenso sieht das Bundesministergesetz (BMinG), nach dem sich die Rechtsverhältnisse der Bundesminister richten, keine fachlichen Anforderungen für die Ernennung der Bundesminister vor. Für die Ernennung der Bundesminister ist – anders als in manchen Landesverfassungen7 – auch keine Wahl oder Bestätigung durch das Parlament erforderlich.8 Das Organisationsrecht der Bundesregierung und der Zuschnitt der Ministerien stehen nicht unter einem Gesetzesvorbehalt.9 3. Gesetzliche Regelung zu fachlichen Anforderungen der Bundesminister Neben der Personalkompetenz steht dem Bundeskanzler auch die Organisationskompetenz hinsichtlich des Zuschnitts der einzelnen Ministerien zu.10 In der Literatur wird dazu überwiegend die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber keine Vorgaben zur Organisationsstruktur der Bundesregierung machen darf.11 Auch Einschränkungen oder Änderungen der Organisationsbefugnis des Bundeskanzlers durch die Geschäftsordnung der Bundesregierung sind unzulässig.12 Wird bereits ein Eingriff in die Organisationskompetenz des Bundeskanzlers abgelehnt, muss dies erst recht für die Personalkompetenz hinsichtlich der persönlichen Anforderungen für die Ministerkandidaten gelten. Eine einfachgesetzliche Regelung, die z. B. im BMinG eine erweiterte Anforderung hinsichtlich der fachlichen Kompetenzen der Ministerkandidaten vorsähe, wäre mit der Personalkompetenz des Bundeskanzlers nach den grundgesetzlichen Regelungen nicht vereinbar. Der Gesetzgeber ist daher nicht befugt, durch eine einfachgesetzliche Regelung Vorgaben zur Auswahl der Bundesminister nach deren persönlicher und fachlicher Eignung zu machen. Eine einfachgesetzliche Regelung zu den fachlichen Anforderungen an Ministerkandidaten wäre demnach verfassungswidrig. 6 Roth, Bundeskanzlerermessen im Verfassungsstaat, 2009, S. 140 f. 7 Z. B. Art. 29 Abs. 2 und Abs. 3 Niedersächsische Verfassung. 8 Hermes, in: Dreier Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 64 Rn. 5. 9 Mager, in: v. Münch/Kunig Grundgesetz-Kommentar, 6. Aufl. 2012, Art. 64 Rn. 7. 10 Herzog, in: Maunz/Dürig Grundgesetz-Kommentar, 91. EL April 2020, Art. 64 Rn. 3; Hermes, in: Dreier Grundgesetz- Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 64 Rn. 8 f. 11 Oldiges/Brinktrine, in: Sachs Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 64 Rn. 24a; Roth, Bundeskanzlerermessen im Verfassungsstaat , 2009, S. 123 f. 12 Hermes, in: Dreier Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2015, GG Art. 64 Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 262/20 Seite 5 4. Grundgesetzänderung Das Grundgesetz schafft hinsichtlich der Kompetenzen zur Regierungsbildung einen einheitlichen Regelungskomplex, der eine einfachgesetzliche Regelung für fachliche Anforderungen an Ministerkandidaten nicht ermöglicht. Durch eine Änderung des Grundgesetzes könnten diese Regelungen geändert und fachliche Kriterien für die Ernennung von Bundesministern geschaffen werden. Soweit dem Bundeskanzler durch eine Regelung im Grundgesetz vorgegeben würde, dass bei der Ernennung der Bundesminister die fachliche Eignung berücksichtigt werden soll, stünde einer solchen Regelung auch nicht das Prinzip der Gewaltenteilung, das nach Art. 79 Abs. 3 GG der Ewigkeitsgarantie unterliegt, entgegen. 5. Ergebnis Die Auswahl der Bundesminister liegt in der Personalkompetenz des Bundeskanzlers nach Art. 64 Abs. 1 GG. Eine einfachgesetzliche Regelung, die diese Kompetenz einschränken würde, wäre verfassungswidrig . Eine Regelung im Grundgesetz zur Berücksichtigung der fachlichen Eignung bei der Ernennung von Bundesministern wäre möglich. ***